Année politique Suisse 1976 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Öffentliche Ordnung
Zu schwerwiegenden Verletzungen der öffentlichen Ordnung kam es nur im Zusammenhang mit dem Jurakonflikt. Einzelne Anschläge richteten sich gegen ausländische Vertretungen, wobei es sich wohl meist um Protestakte gegen Massnahmen der betreffenden Staaten handelte. Grösseres Aufsehen erregte eine Besetzung des iranischen Konsulats in Genf, durch die sich iranische Studenten Aufschluss über geheimdienstliche Aktivitäten ihres Heimatstaates in der Schweiz verschafften
[23]. Innenpolitische Demonstrationen verliefen ausserhalb des Juras in der Regel in gewohnten Formen ; Ärgernis verursachte ein Auftritt von Eierproduzenten auf dem Berner Bundesplatz, bei dem junge Hühner ausgesetzt und den Gefahren des Strassenverkehrs preisgegeben wurden
[24].
Angesichts der unverminderten Aktivität eines
weltweiten Terrorismus waren die zuständigen Bundesorgane bestrebt, die öffentliche Sicherheit sowohl durch internationale wie durch interkantonale Zusammenarbeit zu verstärken. Zur Verbesserung des Schutzes der Zivilluftfahrt beantragte der Bundesrat im November die Ratifizierung eines bereits 1971 in Montreal unterzeichneten internationalen Obereinkommens, das frühere Vereinbarungen ergänzt. Darüber hinaus beteiligte sich die Schweiz im Rahmen des Europarats an der Ausarbeitung einer Konvention, nach welcher der Terrorismus durch eine verschärfte Auslieferungspflicht der Unterzeichnerstaaten wirksamer bekämpft werden soll
[25]. Eine betont harte Haltung legte die Landesregierung an den Tag, als im Juni palästinensische Entführer eines französischen Flugzeugs die Freilassung einer Deutsch-Italienerin verlangten, die im März 1975 wegen Zusammenarbeit mit ausländischen Terrorgruppen verhaftet worden war ; das Verlangen wurde mit der Begründung, dass Nachgiebigkeit den Terrorismus fördern würde, zurückgewiesen
[26].
Zur Verstärkung der inländischen Ordnungskräfte entschloss sich der Bundesrat, das 1970 gescheiterte Projekt einer
eidgenössischen Sicherheitspolizei wiederaufzunehmen. Im Unterschied zur Konzeption einer Interkantonalen Mobilen Polizei von 1968 stand diesmal die Sicherung vor ausländischen Terroristen und nicht die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung im Vordergrund. Als Rechtsform wurde anstelle des Konkordats mit Bundesunterstützung ein Bundesgesetz gewählt. Die Truppe sollte wiederum aus kantonalen Beständen zusammengesetzt und vom Bund ausgebildet werden, das Kader hätte jedoch der Bund zu stellen. Einsätze waren nur im Rahmen von Bundesaufgaben vorgesehen ; als inneres Ordnungsinstrument käme somit die neue « Sicherheitspolizei in der Hand des Bundesrates » nur bei einem Versagen der kantonalen Polizei in Betracht. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren zeigte sich im November dem Projekt gewogen, und das EJPD leitete bei den Kantonen ein vertrauliches Vernehmlassungsverfahren ein
[27]. Das vom Bundesrat 1975 aus Sicherheitsgründen vorgelegte Sprengstoffgesetz wurde vom Parlament im wesentlichen gutgeheissen
[28]. Vorstösse für ein entsprechendes Gesetz über den Handel mit Waffen, welches das lückenhafte Konkordat von 1970 zu ersetzen hätte, stiessen jedoch auf föderalistische Bedenken
[29].
[23] Jurakonflikt : vgl. unten, Teil 1, 1d (Question jurassienne). Anschläge betrafen türkische Niederlassungen in Zürich (NZZ, 125, 31.5.76 ; 126, 1.6.76), die Botschaften Südafrikas (NZZ, sda, 147, 26.6.76), Spaniens und der deutschen Bundesrepublik (Bund, sda, 237, 10.10.76). Iran : TG, 127, 2.6.76 ; 148, 28.6.76 ; Bresche, Nr. 73, Juli 1976 ; vgl. unten, Teil I, 2 (Présence de la Suisse à l'étranger).
[24] Eierproduzenten : Presse vom 11.5.76 ; vgl. unten, Teil I, 4c (Régulation des importations). Über andere Demonstrationen vgl. unten, Teil I, 4c (Régulation des ventes), 6b (Nationalstrassenbau) und 7a und c (Conventions collectives de travail, Conflits du travail, Assurance-maladie et accidents).
[25] Zivilluftfahrt : BM, 1976, III, S. 1259 ff. ; vgl. SPJ, 1971, S. 110, sowie unten, Teil I, 6b (Luftverkehr). Europarat : NZZ (dpa), 266, 12.11.76 ; TLM, 322, 17.11.76.
[26] TA, 149, 30.6.76 ; 153, 5.7.76 ; NZ, 212, 10.7.76 ; vgl. SPJ, 1975, S. 15. Infolge der Befreiung der in Entebbe festgehaltenen Geiseln durch eine israelische Kommandoaktion hatte die Haltung des BR keine unmittelbaren Konsequenzen ; vgl. dazu den Fall Zerka von 1970 (SPJ, 1970, S. 42 f.).
[27] Vgl. Presse vom 1.12.76 sowie Interview BR Furglers mit spk (SZ, 305, 31.12.76), ferner SPJ, 1968, S. 22 ; 1970, S. 17 f. ; 1975, S. 15. Justiz- und Polizeidirektoren : LNN, 261, 8.11.76.
[28] Amtl. Bull. StR, 1976, S. 160 ff. u. 595 f. ; Amtl. Bull. NR, 1976, S. 944 ff. Definitiver Text : BBI, 1977, I, S. 1349 ff. Vgl. SPJ, 1975, S. 15.
[29] Vgl. die vom StR nur als Postulat überwiesene Motion von NR Nauer (sp, ZH) (Amtl. Ball. NR, 1976, S. 115 ; Amtl. Bull. StR, 1976, S. 317 ff.) sowie einen Vorschlag der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (NZZ, sda, 263, 12.11.75) ; ferner Ww, 48, 3.12.75 und SPJ, 1974, S. 15.
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