Année politique Suisse 1978 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Konjunkturpolitik
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Konjunkturartikel
Am 26. Februar sprach sich das Volk über die Verfassungsgrundlagen für die eidgenössische Konjunkturpolitik aus. Da der neue Artikel ausser der Vorschrift über die Bildung von Arbeitsbeschaffungsreserven nur in den drei klassischen Staatsinterventionsgebieten Geld und Kredit, Finanzen und Aussenwirtschaft Abweichungen von der Handels- und Gewerbefreiheit erlaubt und auch auf die Beeinflussung der Finanzpolitik der Kantone und Gemeinden verzichtet, erwuchs ihm im Abstimmungskampf keine ernsthafte Opposition. Einzig die extrem föderalistisch gesinnten Unternehmer- und Gewerbeverbände der Waadt sowie die PdA (eingestandenermassen auch aus Verärgerung über die Ungültigkeitserklärung ihrer eigenen konjunkturpolitischen Volksinitiative im Jahre 1977) gaben die Nein-Parole heraus. Von den Befürwortern wurde vor allem hervorgehoben, dass mit diesem Verfassungsartikel die Grundlage für das konjunkturpolitisch wichtige Notenbankgesetz geschaffen werde [13]. Die Stimmbürger hiessen den neuen Artikel BV 34quinquies mit 1 172 130 Ja : 542 634 Nein gut. Eine Meinungsumfrage nach der Abstimmung ergab, dass die Mehrheit der Bürger äusserst mangelhaft über den Inhalt der Vorlage unterrichtet war [14].
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Preisüberwachung
Die staatliche Preisüberwachung kann sich nicht auf den neuen Konjunkturartikel abstützen. Angesichts der geringen Inflationsrate verzichtete der Bundesrat darauf, die Weiterführung dieses auf Notrecht abgestützten Instrumentes zu beantragen. Diese Haltung, welche bei den Wirtschaftsvertretern und den meisten Wissenschaftern Unterstützung fand, stiess in der breiten Öffentlichkeit auf wenig Verständnis, ja es kam zu einer richtigen Volksbewegung zur Rettung der wohl populärsten Bundesstelle. Auf parlamentarischer Ebene setzten sich die Sozialdemokratinnen Christinat (GE) und Lieberherr (ZH) mit Motionen für ihren Fortbestand ein. Da beide Vorstösse abgelehnt wurden, reichte Nationalrat Grobet (sp, GE) eine Einzelinitiative ein, welche den eben in Kraft getretenen Konjunkturartikel in dem Sinne erweitern will, dass er auch staatliche Preiskontrollen zulässt [15]. Etwas bessere Realisierungschancen dürfte das Anliegen von F. Jaeger (ldu, SG) haben, die Preisüberwachung wenigstens bei Kartellen und ähnlichen Organisationen einzuführen. Dasselbe Ziel verfolgt ebenfalls eine von den Konsumentenverbänden lancierte Volksinitiative. Allerdings hat auch diese beschränkte Form der Preiskontrolle, die allein dort eingreifen würde, wo der Wettbewerb beschränkt wird, ihre Gegner. Die FDP und die SVP setzten es durch, dass die Motion Jaeger nur in der unverbindlichen Form eines Postulates verabschiedet wurde. Daraufhin reichte der Landesrirlgpolitiker seinen Vorstoss als parlamentarische Initiative ein [16].
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Konjunkturbelebungsprogramme
Der Delegierte des Bundesrates für Konjunkturfragen, W. Jucker, setzte seine Bemühungen fort, ein sogenanntes Impulsprogramm auszuarbeiten. Dieses staatliche Förderungsprogramm soll die kleinen und mittelgrossen Firmen in die Lage versetzen, mit dem technologischen Wandel Schritt zu halten und sich den Entwicklungen des Weltmarkts möglichst rasch anzupassen. Im Hintergrund steht dabei der Gedanke, dass in einer wirtschaftlich hochentwickelten Gesellschaft mit stabiler Bevölkerung nur ein qualitatives Wachstum im Sinne einer ständigen Verbesserung der hergestellten Produkte möglich ist. Die Wirtschaftsverbände lehnten aber die Vorschläge Juckers rundweg ab. Sie beurteilten sie als unerwünschte und wettbewerbsverzerrende Einmischung des Staates in die private Unternehmenspolitik, welche auf eine Dauersubventionierung nicht lebensfähiger Betriebe hinauslaufe. Zudem wurde die Vermutung, dass die kleineren Betriebe nicht fähig wären, den Anschluss an den technologischen Fortschritt aus eigener Kraft zu schaffen, von diesen Kreisen geradezu als Beleidigung des Unternehmertums empfunden [17]. Erst als sich der Bundesrat im Herbst infolge des Konjunktureinbruchs veranlasst sah, ein Paket mit «Massnahmen zur Milderung wirtschaftlicher Schwierigkeiten» vorzulegen, und darin auch den Grossteil des Impulsprogramrns verpackte, löste sich die Ablehnungsfront auf. Einzig der Gewerbeverband beharrte auf seiner Gegnerschaft zur staatlichen Förderung privatwirtschaftlicher Forschungstätigkeit [18]. Das Impulsprogramm bildet allerdings nur einen Teil der vom Parlament ohne.nenneswerte Abstriche gutgeheissenen Massnahmen, welche als Ergänzung zu den währungspolitischen Entscheiden — wir treten darauf an anderer Stelle ein — konzipiert sind. Das Programm umfasst im weitern eine Erhöhung der Subventionen an die Werbezentralen der Exportindustrie und des Fremdenverkehrs, einige vorgezogene Käufe des Bundes bei besonders stark in Mitleidenschaft gezogenen Branchen sowie steuerliche Entlastungen der Unternehmen durch die Erhöhung der Abschreibungssätze und die Verlängerung der Verlustvortragsperiode bei der Wehrsteuer. Die Kosten der Hilfsmassnahmen belaufen sich auf rund 130 Mio Fr.; die zu erwartenden Steuerausfälle lassen sich noch nicht beziffern [19].
Die SPS verlangte mit einer Motion zusätzlich ein Arbeitsbeschaffungsprogramm mit massiven Subventionen im Bereiche der Energie- und der Verkehrspolitik (Wärmeisolation von Altbauten und Förderung des öffentlichen Verkehrs). Bundesrat Honegger sprach sich erfolgreich für die Umwandlung der Motion in ein Postulat aus, da die Landesregierung zwar ein Arbeitsbeschaffungsprogramm in Reserve halte, dessen Einsatz angesichts der relativ niedrigen Arbeitslosenziffer aber einstweilen nicht nötig finde. O. Fischer (fdp, BE) benutzte diese Gelegenheit zur Manifestation seiner grundsätzlichen Ablehnung staatlicher Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, konnte aber in der Volkskammer keine Mehrheit hinter sich scharen [20].
Im Kanton Zürich lehnten Regierung und Parlament eine konjunkturpolitische Volksinitiative der POCH ab. Diese wollte kantonale Arbeitsbeschaffungsmassnahmen mit einer zeitlich befristeten Sondersteuer auf Ertrag und Vermögen von Gesellschaften und gutsituierten natürlichen Personen finanzieren [21].
 
[13] SPJ, 1977, S. 58 ff.; AS, 1978, S. 484 f.; Gewerkschaftliche Rundschau, 70/1978, S. 50 ff.; wf, Dok., 6, 6.2.78 ; NZZ (sda), 44, 22.2.78 ; 24 Heures, 40, 17.2.78 (Waadtländer Unternehmer); VO, 31, 9.2.78 (PdA). Vgl. auch unten, Teil I, 4b (Notenbankinstrumentarium).
[14] BBl, 1978, I, S. 1087; Vox, Analysen eidgenössischer Abstimmungen, 26.2.78.
[15] Amtl. Bull. NR, 1978, S. 987 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 495 ff ; Verhandl. B. vers., 1978, VII, S. 15. Die Tageszeitung «Blick» sammelte innert zwei Wochen 51 492 Unterschriften für eine Petition zugunsten der Preisüberwachung (Blick, 145, 26.6.78, 162, 15.7.78). Vgl. auch SPJ, 1977, S. 60.
[16] Verhandl. B. vers., 1978, VII, S. 15 f. Motion Jaeger: Amtl. Bull. NR, 1978, S. 987 ff. Volksinitiative: BBI, 1978, II, S. 419 f.; TA, 197, 26.8.78.
[17] SPJ, 1977, S. 61 ; W. Jucker, Strukturwandel und Wirtschaftspolitik, Zürich 1978. Wirtschaftsverbände: wf, Dok., 29/30,17.7.78 ; NZZ (sda), 173, 28.7.78 ; vgl. auch U. Bremi, «Kommt der Staat durch die Hintertür?», in SKA, Bulletin, 84/1978, Nr. 5/6, S. 2 ff.
[18] wf, Dok., 45, 6.11.78; NZZ, 268, 17.11.78 (SGV).
[19] BBl, 1978, II, S. 1373 ff.; Amtl. Bull. NR, 1978,S. 1657 f., 1833 f., 1863 und 1926; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 668 ff., 723 und 730 ; BBI, 1978, II, S. 1744 und 1763 f; AS, 1978, S. 2066 f. Vgl. dazu ebenfalls unten, Teil I, 4b (Währungspolitik) und oben, 2 (Exportförderung).
[20] Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1702 ff. Siehe auch BR Honegger in Documenta, 1978, Nr. 6, S. 15 ff.
[21] Vr, 69, 23.3.78 ; TA, 113, 19.5.78; NZZ, 283, 5.12.78. Vgl. auch SPJ, 1976, S. 168.