Année politique Suisse 1978 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Wettbewerb
Der Wettbewerb ist unbestrittenermassen eine Grundvoraussetzung für das optimale Funktionieren des marktwirtschaftlichen Systems. Da die Schweiz als eines der kartellreichsten Länder der Welt gilt, ist es nicht erstaunlich, dass gerade von engagierten Verteidigern der Marktwirtschaft die Verschärfung des Kartellgesetzes gefordert wurde [25]. Die erweiterte Kartellkommission, welche sich seit mehr als vier Jahren mit der Überarbeitung der geltenden Bestimmungen befasst, legte gegen Jahresende ihren Revisionsentwurf vor. Das neue Gesetz, das der Bundesrat in die Vernehmlassung gab, soll keine grundlegende Veränderung der bisherigen Praxis bringen. Im Vordergrund steht nach wie vor die Bekämpfung von Missbräuchen, nicht aber das Verbot der Kartellbildung an sich. Weniger nachsichtig soll jedoch in Zukunft das Vorgehen von Kartellen gegen Aussenseiter beurteilt werden. Boykotte und ähnliche Kampfmassnahmen sollen nur noch zulässig sein, wenn das Kartell einem ausgewiesenen gesamtwirtschaftlichen Interesse entspricht. Dass ausgerechnet ein Vertreter des Vororts und der Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbandes gegen diese vermehrte Betonung des Wettbewerbsgedankens opponierten, trug ihnen von der NZZ harte Kritik und die wenig schmeichelhafte Bezeichnung «Verballiberale» ein. Im neuen Gesetz ist im weitern vorgesehen, dass die Kartelle ihre Preisfestlegungen begründen müssen und die Kartellkommission unter Umständen deren Herabsetzung anordnen kann. Mit dieser Bestimmung würde auch einem Teil der bei der Auseinandersetzung um die Fortführung der Preisüberwachung erhobenen Forderungen Rechnung getragen [26].
Die realen Detailhandelsumsätze bildeten sich in der Berichtsperiode leicht zurück (– 0,2%). Dazu mag auch die in der zweiten Jahreshälfte aufgekommene Abwanderung schweizerischer Kunden in die grenznahen Geschäfte des währungsgünstigen Auslandes beigetragen haben [27]. Der Migros-Genossenschaftsbund geriet nicht nur wegen des Konfliktes um seine Tageszeitung «Tat» ins Schweinwerferlicht der Kritik. Von gewissen Kreisen wurde auch seine dominierende Stellung im Detailhandel als bedrohlich empfunden, verfügt er doch über einen Anteil von 27% am Gesamtumsatz von Lebens- und Genussmitteln [28].
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Konsumentenschutz
Gleich zu zwei Varianten für einen Verfassungsartikel über den Konsumentenschutz wurden 1978 die Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Die von der Einzelinitiative Waldner (sp, BL) und einer Volksinitiative angeregte Fassung, welche dem Bund mittels einer Generalklausel die Kompetenz zum Erlass von Massnahmen zugunsten der Konsumenten einräumen will, lehnten die bürgerlichen Regierungsparteien und die Wirtschafts- und Handelsverbände kategorisch ab [29]. Der gemässigtere, durch eine vom EVD eingesetzte Expertenkommission ausgearbeitete Entwurf fand dagegen die Zustimmung dieser Kreise, wurde aber von den Konsumentenorganisationen als völlig ungenügend zurückgewiesen. Dieser zweite Vorschlag will auf Eingriffe in die Handels- und Gewerbefreiheit verzichten und Bundesaktivitäten ausschliesslich im Bereich des Schutzes der Käufer vor Täuschungen und in der Förderung der Konsumenteninformation zulassen [30].
Mit einem neuen Bundesgesetz über den Konsumkredit beabsichtigt der Bundesrat die Verbesserung des Schutzes der Konsumenten vor dem unüberlegten Eingehen von finanziellen Verpflichtungen bei Teilzahlungs- und Mietkäufen sowie bei Kreditaufnahmen. Laut dem Entwurf soll dies bei Abzahlungsgeschäften durch die Erhöhung der minimalen Baranzahlung, die Verlängerung der Widerrufsfrist und, bei bedeutenderen Verpflichtungssummen, durch das Erfordernis der Zustimmung des Ehepartners geschehen. Für die nicht an Warenkäufe gebundene Kleinkreditaufnahme sind ähnliche Restriktionen vorgesehen ; zudem soll es nicht mehr gestattet sein, gleichzeitig mehr als einen Kredit aufzunehmen (sogenannte Kettenverschuldung). Während die Konsumentenorganisationen und die Sozialarbeiter den Vorschlag lebhaft begrüssten, kritisierten die Kreditbanken insbesondere das Verbot der Aufnahme von Zweitkrediten [31]. Den vermehrten Schutz der Konsumenten vor unüberlegten Käufen bezweckt auch das vom Nationalrat überwiesene Postulat Schwarz (fdp, AG), welches den Verkauf gewisser Waren (z.B. Lexika) unter der Haustür gänzlich verbieten will [32].
Die für die Überblickbarkeit der Marktlage wichtige Preisanschreibepflicht führte das Parlament durch die Teilrevision des Bundesgesetzes über den unlautern Wettbewerb in das ordentliche Recht über. Dieser Entscheid war wegen des Auslaufens des Preisüberwachungsbeschlusses, auf den sich die Anschreibepflicht bisher stützte, nötig geworden [33]. Mit der ebenfalls verabschiedeten Teilrevision des Bundesgesetzes über den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen wird der Bundesrat ermächtigt, die von Konsumenten und Wissenschaftern seit langem geforderte Deklaration der Zusammensetzung der Lebensmittel anzuordnen [34].
 
[25] NZZ, 70, 25.2.78; H. Allemann, «Wettbewerbspolitik vor der Entscheidung», in NZZ, 203, 2.9.78; J. Kertész, Kartellordnung und marktwirtschaftliche Systemkonformität in der Schweiz, Basel 1978. Vgl. ebenfalls die Kritik von NR Alder (Idu, BL) an der Zusammensetzung der Eidg, Kartellkommission (Amtl. Bull. NR, 1978, S. 715 f.).
[26] NZZ, 286, 8.12.78; Gesch.ber., 1978, S. 222. Vgl. auch SPJ, 1977, S. 62.
[27] NZZ (sda), 25, 31.1.79. Zu den Detaileinkäufen im Ausland vgl. auch 24 Heures, 236, 11.10.78 ; JdG, 274, 23.11.78; 284-288, 5-9.12.78.
[28] C. Beck, M – Wer denn sonst? Zürich 1978; TA-Magazin. 31, 5.8.78; Ww, 50-52, 13.-27.12.78. Vgl dazu auch die erstmalige Veröffentlichung einer sogenannten Sozialbilanz durch die Migros (Presse vom 6.9.78), sowie unten, Teil I, 8c (Presse).
[29] SPJ, 1977, S. 63 ; wf, Dok., 8, 20.1.78 ; LNN, 58, 10.3.78.
[30] LNN, 189, 17.8.78; wf, Dok., 35/36, 28.8.78; NZZ (sda), 204, 4.9.78; 205, 5.9.78; 225, 28.9.78.
[31] BBI, 1978, II, S. 485 ff.; TW, 216, 15.9.78 (Konsumenten); Vr, 266, 13.11.78 (Sozialarbeiter); wf, Dok., 46, 13.11.78 (Banken).
[32] Amtl. Bull. NR., 1978, S. 1312 f.
[33] SPJ, 1977, S. 63 ; BBI, 1978, I, S. 161 ff.; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 53 fl., 306 ff und 382 ; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 886 ff. und 1003; AS, 1978, S. 2057 ff. und 2081 ff.
[34] BBI, 1978, I,1493 ff. ; Amtl. Bull. NR, 1978, S. 1406 ff. und 1924 ; Amtl. Bull. StR, 1978, S. 695 f. und 729 ; BBl, 1978, II, S. 1731. Vgl. auch SPJ, 1977, S. 92.