Année politique Suisse 1979 : Allgemeine Chronik / Schweizerische Aussenpolitik
Aussenwirtschaftspolitik
Die anfängliche Unsicherheit über die Konsequenzen der politischen Umwälzungen im Iran für die schweizerische Industrie führte nicht nur zu der bereits an anderer Stelle erwähnten Forderung der SPS, die Schweiz solle den Forderungen des iranischen Revolutionsrates nach Sperrung der vom Schah ins Ausland transferierten Gelder stattgeben
[67], sondern belebte auch die Diskussion um die
Exportrisikogarantie (ERG). Umstritten war dabei nicht so sehr die Institution als solche, als vielmehr deren Ausgestaltung. Die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften waren nicht bereit, das spätestens für 1980 erwartete Abrutschen der ERG in die roten Zahlen einfach hinzunehmen. Sie argumentierten, es gehe nicht an, die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren. Sie forderten deshalb eine Verselbständigung der ERG, zogen aber auch die Trennung zwischen politischen und währungsbedingten Risiken in Erwägung
[68].
Obwohl die Aktiven der ERG im Jahr 1978 entgegen den Erwartungen noch nicht aufgebraucht wurden — mochten auch die Zahlungen die Gebühreneinnahmen erstmals übersteigen und sich das Guthaben deshalb um 102 Mio Fr. auf 337 Mio Fr. reduziere
[69] — trugen die Bundesbehörden der Kritik Rechnung. Mit der Einleitung eines Vernehmlassungsverfahrens für die Schaffung eines Fonds sollten die Einwände der politischen Linken, aber auch diejenigen der Unternehmerseite gegen das bisherige System berücksichtigt werden. Mit der vorgesehenen neuen Organisationsform der ERG entfiele nämlich nicht nur die Verpflichtung des Bundes, allfä llige Verluste zu decken, sondern auch der bisher vorhandene Vorteil, über bestehende Guthaben zinsfrei verfügen zu können. Ihren Charakter als handelspolitisches Instrument des EVD sollte die ERG aber auch in Zukunft bewahren. Der Fonds sollte deshalb keine eigene Rechtspersönlichkeit erhalten, da dies eine massive Gebührenerhöhung mit sich gebracht hätte. Vielmehr war vorgesehen, die Rechnungsführung wie bis anhin dem Bundesamt für Aussenwirtschaft zu überlassen und für den Fall, dass die Mittel des Fonds nicht ausreichten, zinslose, aber rückzahlbare Vorschüsse zu gewähren. Erste Stellungnahmen zu den vorgeschlagenen Anderungen waren positiv
[70].
Für ein Land, dessen Volkswirtschaft in derartigem Masse vom Aussenhandel abhängig ist, besteht nicht nur die Notwendigkeit, Währungsrisiken durch Massnahmen in der Art der ERG auf ein tragbares Mass zu reduzieren, vielmehr macht die in letzter Zeit im zwischenstaatlichen Handelsverkehr immer mehr aufgekommene Tendenz, Handelsverträge auf höchster Ebene abzuschliessen, eine verstärkte Reisetätigkeit des zuständigen Departementsvorstehers nötig. Damit sollten der Wirtschaft einerseits neue Absatzmärkte erschlossen, andererseits die Lieferung der notwendigen Rohstoffe sichergestellt werden. In diesem Sinne begab sich Bundesrat Honegger anfangs Jahr als Leiter einer Handelsdelegation zur Eröffnung der Humatex, einer Ausstellung schweizerischer Exportprodukte. nach China und reiste im Dezember in den Irak, wo er Probleme des gegenseitigen Handelsaustausches besprach
[71]. Etwas andere Absichten verfolgte Bundesrat Gnägis Reise nach Washington. Hier ging es vor allem darum, die im schweizerisch-amerikanischen Vertrag über den Kauf des Kampfflugzeugs «Tiger» vorgesehenen Kompensationskäufe der USA zu beleben
[72].
Die manchenorts allzu hochgespannten Erwartungen konnten diese Reisen nicht erfüllen. So legte Bundesrat Honegger nach Abschluss seiner Visite in China Wert darauf, die Schwierigkeiten, denen die Ausdehnung des Handels mit Peking begegnet, gebührend hervorzuheben und vor zu grossen Hoffnungen zu warnen. Insbesondere wegen der Redimensionierung der chinesischen Investitionspläne, aber auch mit Rücksicht auf das durch die Grösse des Landes bedingte langsame Tempo der Industrialisierung, predigte er Geduld. Die gedämpften Aussichten verfehlten ihre Wirkung nicht. Eine gewisse Ernüchterung unter den Exporteuren liess sich jedenfalls nicht übersehen
[73]. Etwas anders sah das Resultat der Reise des Vorstehers des EMD aus. Es gelang ihm, den bis anhin unter dem hohen Frankenkurs leidenden Kompensationskäufen neues Leben einzuflössen und Aufträge in der Höhe von 102 Mio Fr. einzubringen. Während Bundesrat Gnägi das Ergebnis als Erfolg wertete, waren die Sozialdemokraten mit dem erzielten Resultat nicht zufrieden, da sie der Meinung waren, Bern habe die zusätzlichen Aufträge nur deshalb erhalten, weil man den Amerikanern gleichzeitig neue Bestellungen von Rüstungsgütern im Wert von 2 Mia Fr. in Aussicht gestellt habe
[74].
Der seit den Währungsunruhen zu beobachtende Trend zur Verstärkung der Position schweizerischer Firmen im Ausland setzte sich auch 1979 fort. Die Investitionen konzentrierten sich dabei erneut auf die USA
[75]. Dabei spielten insbesondere zwei Faktoren eine Rolle. Einmal erschwerte der hohe Frankenkurs zunehmend die Ausfuhr in diesen Wirtschaftsraum (die Exporte nach Nordamerika nahmen 1979 wertmässig nur um 0,6% zu
[76], womit ihr Anteil am Gesamtexport rückläufig war), weshalb viele Firmen gezwungen waren, Produktionsstätten vor allem kostenintensiver Waren dorthin zu verlagern, wenn sie ihren Marktanteil nicht verlieren wollten. Wegen des tiefen Dollarkurses eröffnete sich aber andererseits die Möglichkeit, substanzreiche Betriebe billig zu erstehen. Im Unterschied zu 1978, als die zunehmende Verlagerung ins Ausland besonders wegen der parallel dazu vor sich gehenden Schliessung von Filialen ausländischer Firmen in der Schweiz (z. B. Firestone) bange Fragen nach der Zukunft unseres Landes als Industriestandort auslöste
[77], stiessen die diesbezüglichen Investitionen, trotz teilweise beträchtlichen Umfangs
[78], 1979 auf bedeutend weniger Widerstand. Auch der Bundesrat schätzte die Lage keineswegs als besorgniserregend ein. In seiner Antwort auf eine Einfache Anfrage Nationalrat Hubachers (sp, BS) verwies er auf bekanntgewordene Investitionsvorhaben nicht nur schweizerischer, sondern auch ausländischer Betriebe wie Liebherr und Union Carbide. Die Zukunftsaussichten für schweizerische Industrien mit hohem Wertschöpfungsgrad beurteilte er deshalb, in Übereinstimmung mit den Wirtschaftsfachleuten, als recht gut
[79].
Bereits im Jahr 1978 wurde im Parlament eine von der Mehrheit der Abgeordneten beider Räte unterzeichnete Motion zur Lockerung gewisser Bestimmungen bei der Waffenausfuhr eingereicht. Ziel des Vorstosses war es nicht nur, dem von der extremen Linken geforderten Verbot solcher Exporte entgegenzutreten; vielmehr ging es den Befürwortern nach ihren Angaben vor allem auch um die Sicherung der Arbeitsplätze eines besonders exportabhängigen Industriezweiges. Sie hatten dabei insbesondere die schwierige Situation der Firma Mowag in Kreuzlingen vor Augen. Die Beschäftigungslage des gepanzerte Radfahrzeuge herstellenden Unternehmens war wegen der Exporthindernisse und fehlender Inlandaufträge unbefriedigend. Da von seiten des EMD in absehbarer Zukunft keine Bestellungen zu erwarten sind, zielte die Motion auf eine Erleichterung der Ausfuhr. Hauptstossrichtung war die Neuumschreibung des Begriffs des Spannungsgebietes, der nach Ansicht der Unterzeichner von der Regierung viel zu eng ausgelegt wird. Auf das Beispiel Südkoreas verweisend erklärte man es für verfehlt, eine Region nur deshalb als Spannungsgebiet zu bezeichnen, weil sie in einer Konfliktzone liege. Im weitern verlangten die Urheber der Motion, dass leichte Typen gepanzerter Radfahrzeuge nicht mehr dem Kriegsmaterialgesetz unterstellt würden.
Der Bundesrat war nicht bereit, den Vorstoss in der Form einer Motion entgegenzunehmen, sondern beharrte auf dessen Umwandlung in ein Postulat. Er vertrat die Ansicht, es sei weder wünschbar noch notwendig, die Diskussion über die Kriegsmaterialausfuhr wieder in der ganzen Breite aufzunehmen, wie dies unweigerlich der Fall wäre, wenn die Motion überwiesen würde. Immerhin versprach er bei künftigen Exportgesuchen die Arbeitsmarktlage mitzuberücksichtigen, womit er den Forderungen der Unterzeichner zumindest in einem Teilbereich entgegenkam. Den entschiedenen Gegnern des Vorstosses, die sich aus Sozialdemokraten sowie der Mehrheit der welschen und der weiblichen Parlamentarier zusammensetzten, ging der Kompromiss der Regierung jedoch entschieden zu weit. Vor allem unter Hinweis auf den Ausgang der Volksabstimmung über die Waffenausfuhrverbotsinitiative im Jahre 1972 lehnten sie nicht nur die Motion, sondern auch deren Überweisung in Form eines Postulates ab. In Anbetracht der hohen Zahl von Unterzeichnern des Begehrens fiel das Ergebnis der Abstimmung überraschend knapp aus. Nur mit 69 zu 65 Stimmen überwies der Nationalrat den Teil des in ein Postulat umgewandelten Vorstosses, der eine weitere Auslegung des Begriffs Krisenherd befürwortete. Etwas deutlicher war die Zustimmung zu einer neuen Regelung für leichte Typen gepanzerter Radfahrzeuge
[80].
In ihrem Bemühen, für die stark von den weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängige schweizerische Wirtschaft eine möglichst günstige Ausgangslage zu schaffen, sprach sich die Landesregierung deutlich gegen die verschiedenenorts auftretenden protektionistischen Tendenzen aus. So brachte Bundesrat Honegger an der
EFTA-Ministertagung in Bodö (Norwegen) seine Besorgnis über das Abbröckeln des Freihandels zum Ausdruck. Ohne jemand direkt zu beschuldigen, betonte er, die EFTA-Staaten müssten von protektionistischen und wettbewerbsverzerrenden Massnahmen Abstand nehmen
[81]. Auch im Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft richtete die Schweiz ihr besonderes Augenmerk auf die Sicherung und den Ausbau des Freihandels. Vor allem dem Abbau nichttarifarischer Handelshemmnisse mass sie grosse Bedeutung zu. In Brüssel vertrat man allerdings die Auffassung, die Schweiz stehe in dieser Hinsicht auch nicht mit einer völlig weissen Weste da. Jedenfalls meldete man bereits jetzt Bedenken an gegen die allfällige Einführung einer Schwerverkehrsabgabe, in der man eine Behinderung der internationalen Strassentransporte erblickte
[82].
Einen Markstein im internationalen Warenaustausch sah man schweizerischerseits im erfolgreichen Abschluss der
GATT-Verhandlungen. Von den auf 1. Januar 1980 in Kraft tretenden Zollermässigungen, die im Ausland, das eine höhere Zollbelastung kennt, höher ausfallen als in der Schweiz, aber auch von der Beseitigung von Handelshemmnissen versprachen sich die Bundesbehörden positive Wirkungen auf den schweizerischen Export. Insbesondere im Handel mit den USA erwartete man eine Belebung. Im besonderen sollte die Uhrenbranche, die in letzter Zeit unter schweren Strukturschwächen gelitten hat, von den massiven Zollsenkungen profitieren können. Hoffnungen setzte man aber auch auf den Wegfall des Buy American Act, der die amerikanischen Stellen bis anhin dazu verpflichtete, einheimische Produkte bei der Auftragserteilung zu berücksichtigen, sofern deren Preis nicht um mehr als 25% über den in Frage kommenden ausländischen Waren lag
[83].
Im Gegensatz zum positiven Abschluss der GATT-Verhandlungen zeitigte der Versuch, an der
UNCTAD-Konferenz in Manila eine neue weltwirtschaftliche Ordnung der Realisierung näher zu bringen, nur wenig substantielle Ergebnisse; zu unterschiedlich waren die Standpunkte der westlichen Industriestaaten und der unterentwickelten Länder. Immerhin liess sich nicht übersehen, dass sich nicht kompakte Blöcke gegenüberstanden, sondern sich in beiden Lagern verschiedene Gruppen bildeten. Während sich die schweizerische Delegation in der Frage der Bekämpfung des Protektionismus und der Finanzierung des Rohstoffonds auf der Linie der den Anliegen der Dritten Welt aufgeschlossenen Industrienationen bewegte, zeigte sie sich in bezug auf das Problem des Technologietransfers eher zurückhaltend
[84].
[67] Vgl. oben. (Bilaterale Beziehungen, Iran).
[68] BaZ, 50. 28.2.79; TW, 66, 20.3.79.
[69] 1979 verringerte sich das Vermögen noch einmal von 337 Mio Fr. auf 225 Mio Fr.; vgl. Gesch. ber., 1979. S. 237.
[70] TA, 206. 6.9.79; NZZ, 208. 8.9.79: Bund, 210, 8.9.79; SGT, 303, 29.12.79.
[71] Chinareise: BaZ, 63, 15.3.79; TA, 67, 21.3.79. Irak: JdG, 259. 6.11.79; NZZ, 264. 13.11.79.
[72] NZZ, 28, 3.2.79; BaZ, 31, 6.2.79; Brückenbauer, 6, 9.2.79. Vgl. SPJ, 1976, S. 49.
[73] BaZ, 63, 15.3.79; TA, 67, 21.3.79.
[74] BaZ, 35, 10.2.79; JdG, 34, 10.2.79; NZZ, 34, 10.2.79; TW, 35, 10.2.79: Vat., 34, 10.2.79.
[75] Investitionen in den USA: z. B. Asuag (TA, 75, 30.3.79); «Zürich» (TA, 96.26.4.79); Schindler (Vat., 170. 25.7.79): Nestlé (NZZ, 271, 21.11.79); Berna (NZZ, 282. 4.12.79); vgl. auch «Industriestandort Schweiz oder Auslandverlagerung». in wf, Notizen zur Wirtschaft. 1979, Nr. 2 ; sowie H. W uffli, « Der bedrängte Werkplatz», in Schweizer Monatshefte, 59/1979. S. 713 ff.
[76] Mitteilung/ Konjunkturfragen, Nr. 262.
[77] Vgl. SPJ, 1978. S. 65.
[78] Vgl. geplante Akquisition der Sandoz (McCormick) im Unfang von rund 0.5 Mia Fr. (NZZ, 241, 17.10.79: 256, 3.11.79).
[79] Antwort des BR auf Einfache Anfrage Hubacher (Amtl. Bull. NR, 1979, S. 445); vgl. auch Bund, 276, 24.1 1.79 ; Vat., 286. 11.12.79.
[80] Amtl. Bull. NR, 1979, S. 964 ff.; 1026 ff.; Amtl. Bull. StR, 1979, S. 86 ff. Vgl. SPJ. 1972, S. 53 f.: 1978, S. 69.
[81] Vat., 120, 25.5.79 ; vgl. auch EFTA-Bulletin, 1979, Nr. 5. S. I fl:
[82] NZZ, 202. 1.9.79; 282. 4.12.79: vgl. unten, Teil I, 6b (Gesamtverkehrskonzeption).
[83] Amtl. Bull. NR, 1979. S. 1617 f.: Amtl. Bull. StR, 1979. S. 544 fr.
[84] Bund, 109. 11.5.79 Ww, 20. 16.5.79: TLM, 131, 4.5.79; 24 Heures, 127, 3.6.79: LNN, 129. 6.6.79. Vgl. auch P.R. Jolles, «Nord-Süd-Dialog: Wie soll es weitergehen?», in Documenta, 1979. Nr. 2. S. 6 ff. sowie ders.. «Die Handelspolitik der achtziger Jahre». in Documenta, 1979, Nr.2. S. 39 ff.
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