Année politique Suisse 1982 : Grundlagen der Staatsordnung / Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Totalrevision der Bundesverfassung
Im Frühling sah es aus, als komme die Totalrevision der Bundesverfassung 1982 einen grossen Schritt weiter. Das EJPD unterbreitete nämlich Lösungsvarianten für einige Probleme, welche in der Vernehmlassung besonders umstritten gewesen waren. Die Landesregierung beriet darüber an einer ganztägigen, ausserordentlichen Sitzung im März, entschied aber damals nicht über Sachfragen, sondern erst über das weitere Vorgehen. Bis zu den Sommerferien solle ein bereinigtes Projekt vorliegen, das den Meinungsaustausch im Bundesrat berücksichtige, worauf den Departementen etwa drei Monate für das M:itberichtsverfahren bleiben würden. Noch vor Weihnachten erhalte dann das Parlament einen Verfassungsentwurf samt Botschaft. National- und Ständerat hätten also die Revisionsarbeit zu leisten und nicht ein besonders gewählter Verfassungsrat. Auch wäre sie in einem einzigen Anlauf erfolgt und nicht in mehreren Teilschritten. Bald zeigte es sich jedoch, dass diese
Vorstellungen zu ehrgeizig und zu optimistisch waren. Schon im Mai lehnten es die Spitzen mehrerer Bundesratsparteien bei Gesprächen mit der Landesregierung ab, vor den Wahlen vom Herbst 1983 auf das Geschäft einzutreten. Der Bundesrat nahm deshalb das Thema erst im Dezember wieder auf und besprach Grundsätzliches zum Inhalt der Verfassung. Die Fortsetzung dieser Diskussion ist für das Frühjahr 1983 vorgesehen. Zudem wechselte im Januar 1983 der bisherige Betreuer der Totalrevision, Bundesrat Furgler, vom EJPD ins EVD hinüber. Er hatte sich noch 1982 zu einem Zeitplan bekannt, den er nun nicht einhalten konnte. Danach sollte das Volk 1986 über die neue Bundesverfassung abstimmen, und bei einer Annahme hätte sie 1991 ihre Vorgängerin abgelöst, sozusagen als Geschenk zum 700. Geburtstag der Eidgenossenschaft
[3].
Auch zahlreiche Kantonsverfassungen werden heutigen Gegebenheiten angepasst. So trat im
Aargau anfangs 1982 eine neue Verfassung in Kraft. Dagegen lehnten in
Genf die Stimmbürger und in
Basel-Stadt der Regierungsrat für den jetzigen Zeitpunkt eine Gesamterneuerung ab. In
Graubünden wünschte der Grosse Rat zwar eine Totalrevision, aber nur in der unverbindlichen Form eines Postulates und ohne zeitliche Bindungen. Im Tessin erarbeitete eine Expertenkommission neue Verfassungsartikel, während in
Uri ein Verfassungsrat vorerst «Mängellisten» für das bisher Gültige zusammentrug und in
Glarus ein umfangreicher Kommentar zum bereits früher publizierten Verfassungsprojekt einer vorberatenden Kommission erschien. Die augenfälligsten Fortschritte erreichten 1982 zwei Stände der Nordwestschweiz: Der
Baselbieter Verfassungsrat schickte das Ergebnis seiner Debatten in die Vernehmlassung, an der sich alle Einwohner des Kantons beteiligen können. Der
Solothuner Verfassungsrat hofft, bis Mitte 1984 ungefähr gleich weit zu sein mit seinen Vorarbeiten. Seine Sitzungen wie auch die seiner Kommissionen sind öffentlich. Zudem warb er mit einer populär aufgemachten «Verfassigs-Zytig» in weiten Kreisen für seine Anliegen, was da und dort als staatliche Propaganda kritisiert wurde. Über wichtige Einzelfragen soll im Kanton Solothurn der Souverän Zwischenentscheide fällen, zum Beispiel über die Wünschbarkeit eines Ombudsmannes
[4].
[3] Presse vom 29.-31.3.82; Presse vom 27.5.82; NZZ, 291, 14.12.82 und 297, 21.12.82; vgl. SPJ, 1981, S. 10 f.
[4] Vgl. unten, Teil II, 1a; ferner AG: AT, 1, 4.1.82. Genf: JdG, 224, 27.9.82. Basel-Stadt: NZZ, 262, 10.11.82. GR: NZZ, 47, 26.2.82. TI: CdT, 58, 12.3.82; 146, 1.7.82; 214, 18.9.82; 227, 30.9.82. UR: Vat., 24, 30.1.82; 237, 12.10.82; LNN, 48, 27.2.82. GL: NZZ, 174, 30.7.82. Basel-Land: BaZ, 192 und 193, 19. und 20.8.82; Artikelserie über Einzelfragen: BaZ, 200, 28.8.82 bis 285, 6.12.82. Zum Kreis der Vernehmlassung: BaZ, 184, 10.8.82. Solothurn : SZ, 24, 30.1.82; 88, 17.4.82; 228, 30.9.82. Zum Zeitplan: SZ, 97, 28.4.82; zur «Verfassigs-Zytig»: SZ, 239, 13.10.82; 284, 4.12.82; 296, 18.12.82. Öffentliche Sitzungen: SZ, 98, 29.4.82; Ombudsmann: BaZ, 251, 27.10.82. Vgl. SPJ, 1981, S. I1.
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