Année politique Suisse 1982 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Medienpolitische Grundfragen
Die für die Ausarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für eine Medienordnung [1] eingesetzte Expertenkommission, die ihren Auftrag 1978 vom Gesamtbundesrat erhalten hatte und von Hans W. Kopp präsidiert wurde, konnte ihre Arbeit im Frühjahr mit der Verabschiedung eines 700seitigen Berichts abschliessen. Dieser versteht sich als Gesamtschau mit der Funktion eines politischen Beratungsinstruments, dessen Vorschläge für den Bundesrat nicht verbindlich sind. Allerdings hatte die Landesregierung verschiedene medienpolitische Entscheide zurückgestellt, weil sie zuerst den Kommissionsbericht abwarten wollte. In diesem sind auch diejenigen Minderheitsstandpunkte wiedergegeben, welche die Unterstützung von mindestens einem Drittel der anwesenden Kommissionsmitglieder erhalten hatten. Der Bericht enthält in einem ersten Teil eine umfassende Analyse von Zustand und Entwicklungstendenzen im Bereich der Kommunikation und der Medien. Der zweite Teil formuliert ein für die Gesamtheit aller Medien geltendes Zielsystem, das verschiedene Varianten der Konkretisierung offen lässt. Zwei gegensätzliche Modellabläufe, zu denen die Kommission nicht Stellung nimmt, repräsentieren die beiden Pole politischer Forderungen in diesem Bereich: ein «Alternativ-Modell» stützt sich auf demokratische, dezentrale Steuerung und Kontrolle und ist auf aktive Bürgerbeteiligung angelegt, während ein «Wettbewerbs-Modell» dem freien publizistischen Wettbewerb, durch Werbung finanziert und kontrolliert, Priorität einräumt. Schliesslich wird ein eigentliches Gesamtkonzept mit verschiedenen medienübergreifenden und medienspezifischen Teilkonzepten entworfen. Der dritte Teil des Berichts enthält Vorschläge zur Realisierung der Gesamtkonzeption, so vor allem drei Varianten zur verfassungsmässigen Regelung des Medienwesens und zur rechtlichen Ausgestaltung der einzelnen Teilbereiche. Als Instrumente zur Verwirklichung sollen eine Eidgenössische Medienkommission, ein Medienfonds und ein Medienunterstützungsgesetz geschaffen werden. Die Kommission sprach sich ebenfalls zur Gewichtung der einzelnen Vorschläge aus. Dem Radio- und Fernsehartikel in der Bundesverfassung sowie der Inkraftsetzung einer Rundfunk-Versuchsordnung werden erste Priorität zugewiesen, während in zweiter Priorität Fragen der inneren und äusseren Medienfreiheit sowie des Journalismus (Quellenschutz, Ausbildung) geregelt und alle übrigen Vorschläge in dritter Priorität behandelt werden sollen [2].
Der Bericht stiess in der Öffentlichkeit nicht gerade auf grosses Interesse. Die meisten Parteien anerkannten ihn als brauchbare Arbeitsgrundlage, zu der vereinzelt Vorbehalte angebracht wurden. Aus Kreisen der Kommission selbst erhob sich Kritik, die darauf hinwies, dass sich der Bericht vor allem mit der Freiheit der Medien vom Staat und zu wenig mit der Freiheit von der Wirtschaft befasse. Andere Stimmen attestierten dem Bericht, dass er zwar ein kohärentes Mediensystem entwerfe, das aber nur für diejenigen annehmbar sei, die eine Ausdehnung des Wettbewerbssystems auf die neuen Medien befürworten. Die FDP wandte sich gegen die bevorstehende Regelungsdichte im Medienwesen und bedauerte, dass auch gesellschaftspolitische Kriterien miteinbezogen wurden. Die entsprechenden Passagen im Bericht sind aber keineswegs daraufhin angelegt, zuerst das gesellschaftlich Wünschenswerte zu bestimmen und diesem entsprechend das technisch Mögliche im Mediensektor auszuwählen. Sie scheinen vielmehr die Funktion zu erhalten, die nur auf die Ausnützung der technischen Möglichkeiten gerichteten Entscheide mit dem Hinweis auf die im Bericht enthaltene Gesamtschau zu legitimieren [3].
Der Bundesrat gedenkt, die Medien-Gesamtkonzeption in mehreren aufeinander abgestimmten Teilschritten zu verwirklichen. Ein Dreierausschuss aus den Vorstehern des EJPD, des EDI und des EVED soll dabei die nötige Koordination gewährleisten. Die Landesregierung erteilte aufgrund des Berichts, der keiner allgemeinen Vernehmlassung unterzogen wird, die ersten Aufträge. Das EJPD soll auf Verfassungsstufe die Rechtsetzung unter Berücksichtigung der BV-Totalrevision prüfen und die parlamentarische Initiative zur Presseförderung beurteilen, während sich das EDI mit der Frage einer Revision des BV-Filmartikels zu befassen hat. Auf Gesetzesstufe werden eine Revision des Filmgesetzes, das Informations- und Geheimhaltungsrecht, die Revision des Pressestrafrechts sowie eine Änderung des Telefonverkehrsgesetzes mit Tarifvergünstigungen als indirekte Medienförderungsmassnahme als vordringlich erachtet. Als Sofortmassnahmen sieht der Bundesrat eine Erhöhung des Filmförderungskredits im Budget 1983, die Berücksichtigung der Medien- und Kommunikationsforschung in einem nationalen Forschungsprogramm, die Förderung der Medienpädagogik und die Einsetzung einer speziellen Kommission zur Begleitung der laufenden Versuche mit Bildschirmtextsystemen vor.
Ohne direkten Zusammenhang mit dem Bericht der Medienkommission wurden zudem weitere Reformbestrebungen eingeleitet. Der Ständerat überwies eine Motion Guntern (cvp, VS) für die Schaffung eines Bundesamts für Medienwesen an eine vorberatende Kommission. Der Bundesrat seinerseits verabschiedete eine Teilrevision des Zivilgesetzbuchs und des Obligationenrechts, mit der ein Gegendarstellungsrecht eingeführt werden soll. Wer sich durch Tatsachendarstellungen in periodisch erscheinenden Medien, insbesondere in Presse, Radio und Fernsehen, in seiner Persönlichkeit unmittelbar betroffen fühlt, hat in Zukunft Anspruch auf eine Gegendarstellung, die bis anhin nur durch eine richterliche Verfügung möglich war. Im weitem sollen die Verfahrensvorschriften vereinheitlicht werden. Im Gegensatz zu einem ersten Vorentwurf verzichtete die Landesregierung auf die Einführung einer besonderen Kausalhaftung (Schadenersatz und Genugtuung) durch die Medien wie auch auf besondere Vorschriften über den Datenschutz [4].
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Amtliche Informationspolitik
Mit dem Gegendarstellungsrecht wird eine der Forderungen der Motion Binder (cvp, AG) erfüllt, die 1982 nun auch vom Nationalrat überwiesen wurde. Diese will die Funktion der Presse betreffend Information und öffentlicher Kontrolle sicherstellen und verlangt eine Überprüfung der Geheimhaltungsvorschriften und der Geheimhaltungspraxis der Bundesbehörden [5]. Die Kommission Kopp befürwortete eine radikale Umkehr der bisherigen Doktrin und schlägt vor, vom Grundsatz der öffentlichen Verwaltung mit Statuierung einer Informationspflicht der Behörden auszugehen. Das Bundesgericht hingegen tendiert in die andere Richtung. In Bestätigung der Urteile der Vorinstanzen. zu Indiskretionsfällen aus parlamentarischen Kommissionen gelangte es zum Schluss, dass Geheimhaltung immer dann angebracht ist, wenn Gesetz oder Behörden dies bestimmen, und zwar unabhängig davon, ob die bekanntgegebene Tatsache wirklich geheim bzw. für die Offentlichkeit bestimmt gewesen sei oder nicht. Der Verband der Schweizer Journalisten (VSJ) kritisierte, dass damit das Bundesgericht einem fragwürdigen Geheimnisbegriff den Vorzug gegenüber der Pressefreiheit gegeben habe [6].
Die nationalrätliche Kommission für eine Parlamentsreform sprach sich ihrerseits für eine offene Information über die Arbeit der Kommissionen aus, lehnte jedoch eine Öffentlichkeit der Sitzungen wie auch die Zulassung der Presse zu Hearings ab. Die auch 1982 nicht abreissenden Indiskretionsfälle sind für die Bundesverwaltung zwar lästig, rechtfertigen aber nach ihrer Ansicht keine radikalen Massnahmen. Die in einem Falle eingeschaltete Bundesanwaltschaft, die bei der Besetzung von heiklen Positionen in der Verwaltung auch Informationen über die politische Vergangenheit eines Bewerbers einzieht, möchte vor allem den Aktenfluss in der Verwaltung selbst eindämmen, wozu sich die Bundeskanzlei allerdings skeptisch äusserte. Vizekanzler Casanova gab im weitem zu verstehen, die Erläuterungen des Bundesrats zu eidgenössischen Abstimmungen müssten nicht in dem Sinne ausgewogen sein, dass den Gegnern der Vorlage gleich viel Platz eingeräumt wird wie der Landesregierung. Diese habe fast keine anderen Möglichkeilen, ihre Meinung vor dem Urnengang nach aussen zu vertreten [7].
 
[1] Publikationen zu verschiedenen Aspekten der Medien : Verschiedene Beiträge in Schweizerisches Jahrbuch für Politische Wissenschaft, 22/1982: Medien und politische Kommunikation, Bern 1982; Die Voraussetzungen der Freiheit in den Medien, Muri bei Bern 1982; H. Fehr, Das Zeugnisverweigerungsrecht der Medienschaf enaen, Jona 1982; Wem dient die Medienfreiheit, Bern 1981; L. Schürmann, «Grundsätze einer Medienpolitik», in Schweizer Monatshefte, 62/1982, S. 305 ff.; U. Jäggi, «Kein Interesse an einer neuen Welt-Kommunikationsordnung?», in Reformatio, 31/1982, S. 377 ff.; Klartext, 2/1982; «Stichworte zur Schweizer Medienpolitik», in TA, 73, 29.3.82.
[2] Medien-Gesamtkonzeption. Bericht der Expertenkommission für eine Medien-Gesamtkonzeption, Bern 1982; A. Wittener, Notre bain quotidien. Les media en Suisse... Le rapport minoritaire à la Commission fédérale des media, Lausanne 1982; Presse vom 27.3.82 und 6.4.82; JdG, 132-135, 10-14.6.82; vgl. SPJ, 1981, S. 163.
[3] Presse vom 6.4.82; Klartext, 2/1982, Nr. 2, S. 3 ; L. Schlumpf, «Die Medienordnung muss der Bevölkerung dienen», in Documenta, 1982, Nr. 3, S. 19 f.
[4] Bundesrat: Presse vom 21.5.82. Zum Filmkredit vgl. oben, Teil I, 8b (Film). Motion Guntern (cvp, VS): Amtl. Bull. StR, 1982, S. 55 ff.; TA, 22, 28.1.82; Presse vom 29.1.82; Vr, 23, 3.2.82; Ww, 5, 3.2.82. Gegendarstellungsrecht: BBl, 1982, II, S. 636 ff. ; Presse vom 6.5.82.
[5] Motion Binder (cvp, AG): Amtl. Bull. NR, 1982, S. 222 ff.; Vat., 53, 5.3.82; 24 Heures, 53, 5.3.82; TA, 79, 5.4.82; vgl. SPJ, 1981, S. 163. Der StR genehmigte seinerseits die bereits vom NR überwiesene Motion Jelrnini (cvp, TI) betr. Überprüfung der Aktenklassifikation: Amtl.Bull.StR, 1982, S. 58 f.; BaZ, 24, 29.1.82; vgl. SPJ, 1981, S. 163, Anm. 21. Die Kommission des NR zur Behandlung der pari. Initiative Bäumlin (sp, BE) betr. Zeugnisverweigerungsrecht für Medienschaffende beantragte, der Initiative keine Folge zu geben und das Anliegen im Zusammenhang mit einer umfassenderen Medienrechtsrevision zu lösen (NZZ, 148, 30.6.82; vgl. SPJ, 1981, S. 163).
[6] Kommission Kopp: NZZ, 80, 6.4.82; TA, 174, 30.7.82; vgl. SPJ, 1980, S. 158. Bundesgericht: NZZ, 15, 20.1.82; 83, 10.4.82; Vat., 15, 20.1.82; Ww, 3, 20.1.82; Bund, 38, 16.2.82; 256, 2.11.82. Zur Beurteilung standen Indiskretionen um ein SRG-Papier der Geschäftsprüfungskommission (vgl. SPJ, 1979, S. 164 ; 1980, S. 159) sowie im «Fall Nef» (vgl. SPJ, 1980, S. 159).
[7] Kommissionssitzungen: NZZ, 93, 23.4.82; 121, 28.5.82; vgl. SPJ, 1981, S. 164 und oben, Teil I, 1c (Parlament). Die Kommission beantragt, der pari. Initiative Gerwig (sp, BS; vgl. Verhandl. B. vers., 1982, V, S. 13) betr. Gewährleistung von Pressefreiheit und Redaktionsgeheimnis im Geschäftsreglement des NR keine Folge zu leisten, da bereits andere Vorstösse in dieser Sache traktandiert oder überwiesen worden sind. Prävention von Indiskretionen: TA, 174, 30.7.82. Casanova: NZZ, 243, 19.10.82; 260, 8.11.82. Anlass zu dieser Feststellung war der Protest der Initianten, des LdU und der SP gegen die ihrer Meinung nach einseitigen Darstellung der Volksinitiative zur Preisüberwachung in den offiziellen Abstimmungserläuterungen.