Année politique Suisse 1984 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Strafrecht
Die Bemühungen um eine bundesstaatliche Normierung des Waffenerwerbs und -besitzes waren im Vorjahr angesichts der grossen Widerstände abgebrochen worden. Nach Ansicht massgeblicher Behörden des Tessins, die sich besonders mit dem Problem der grenzüberschreitenden Kriminalität konfrontiert sehen, ist jedoch eine restriktivere Neuregelung nach wie vor dringlich. Dass allerdings auch der Konkordatsweg nicht einfach sein wird, illustrierten die Freiburger Stimmbürger mit der Ablehnung eines neuen Waffengesetzes, gegen welches Schützen und andere Interessierte das Referendum eingereicht hatten [17].
Der Aufbau eines gesamtschweizerischen kriminalpolizeilichen Informationssystems (KIS) ist im Berichtsjahr nicht wesentlich näher gerückt. Zwar sind durch das EJPD die 1981 angekündigten Verbesserungen am Vorentwurf für das dazu erforderliche Bundesgesetz vorgenommen worden, der Text scheint aber noch nicht reif für die Vernehmlassung zu sein. Der probeweise Anschluss von Grenzstellen an das schweizerische Personenfahndungsregister, welches 1983 auf EDV umgestellt worden war, stellt nach Auskünften der Landesregierung kein Präjudiz für ein späteres KIS dar. Dieses automatisierte Register dient allein der Ausschreibung gesuchter Personen, nicht aber dem Einholen und Auswerten weiterer polizeilich interessanter Informationen [18].
Nachdem die Vorschläge der Expertenkommission Schultz für eine umfassende Reform des Strafrechts 1981 im Vernehmlassungsverfahren arg zerzaust worden waren, wurden sie verwaltungsintern überarbeitet und sollen dem Parlament im Sommer 1985 unterbreitet werden. Mit der Zustimmung zu einer Motion der Genfer Sozialdemokratin Christinat bekundete der Nationalrat seine Erwartung, dass in die Reform des Sexualrechts verschärfte Strafbestimmungen für bandenmässig begangene Verbrechen (namentlich Vergewaltigungen) aufgenommen werden [19]. Ein anderer Vorstoss zur Verschärfung der Strafbestimmungen blieb hingegen vollkommen erfolglos: Die im Vorjahr von einer Westschweizer Gruppe lancierte Volksinitiative zur Einführung der Todesstrafe für Händler von harten Drogen erreichte weniger als ein Zehntel der erforderlichen Unterschriftenzahl [20].
top
 
print
Strafvollzug
Da im Zusammenhang mit der wachsenden internationalen Mobilität der Gesetzesbrecher der Anteil der ausländischen Strafgefangenen zunimmt, möchte der Bundesrat das Europaratsabkommen über die Rückführung dieser Personen in ihre Heimatstaaten unterzeichnen. Von einem Strafvollzug im Herkunftsland verspricht man sich nicht zuletzt auch bessere Resozialisierungschancen. Mit einem Vernehmlassungsverfahren sollen allerdings vorerst die politischen Verwirklichungsaussichten dieses Vorhabens abgeklärt werden. Nach der Meinung des schweizerischen Polizeibeamtenverbandes könnten die Resozialisierungschancen von Ersttätern auch dadurch gesteigert werden, dass sie nicht mit sogenannten schweren Fällen in Kontakt kommen. Für letztere schlagen die Polizisten hingegen ein gegenüber heute bedeutend schärferes Vollzugsregime vor. Wie an einer Fachtagung festgehalten wurde, stellt auch der aktuelle Strafvollzug für Verurteilte wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz keine optimale Lösung dar. Die Drogenabhängigen, die rund einen Drittel der Gefängnisinsassen ausmachen, können in den bestehenden Institutionen nicht wirksam therapeutisch behandelt werden und bilden andererseits eine Belastung für das Funktionieren der Anstalten [21].
 
[17] SPJ, 1983, S. 18 (Bundesgesetz). Vat., 13.2.84; Bund, 8.12.84 (Staatsanwalt bzw. Polizeidirektor des Kantons TI). Lib., 21.2.84; 27.2.84; SPJ, 1983, S. 190 (FR).
[18] AS, 1984, S. 956 ff.; Amtl. Bull, NR, 1984, S. 1952 ff. (Interpellation Leuenberger, sp, ZH). Siehe auch SZ, 8.2.84 und 6.10.84, sowie SPJ, 1981, S. 17.
[19] Gesch.ber., 1984, S. 138; SPJ, 1983, S. 18 f. Motion Christinat: Amtl. Bull. NR, 1984, S. 1901 ff. Zur parlamentarischen Behandlung der Zusatzprotokolle des Europarates betreffend internationale Rechtshilfe siehe unten, Teil I, 2 (Institutions européennes).
[20] NZZ, 24.5.84; siehe auch BBl, 1983, IV, S. 106 ff. und SPJ, 1983, S. 144.
[21] Rückführung: NZZ, 24.5.84. Polizeibeamte: BaZ, 16.6.84. Tagung: NZZ, 24.1.84; sowie unten, Teil I, 7b (Produits engendrant la dépendance). Im Kanton VD lehnte das Volk eine Initiative von Franz Weber für eine « Strafjustiz mit menschlichem Antlitz» ab, die namentlich die Verteidigungsrechte der Untersuchungsgefangenen verbessern wollte (24 Heures, 3.2.84; 15.2.84; 22.2.84; 21.5.84; 4.9.84 sowie unten, Teil II, le).