Année politique Suisse 1986 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Grundrechte
Für den Schutz der Grundrechte stellt — in den westlichen europäischen Staaten — die vom Europarat geschaffene
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) das wesentliche Garantie- und Kontrollinstrument dar. Gleichzeitig mit dem 1974 erfolgten Beitritt zur EMRK hatte die Schweiz auch die Zusatzprotokolle Nr. 2, 3 und 5, welche sich mit Verfahrensfragen befassen, ratifiziert. Die Ratifizierung der Zusatzprotokolle Nr. 1 und 4, welche die Liste der von der EMRK garantierten Rechte ergänzen, ist vom Bundesrat nach dem negativen Verlauf der Vernehmlassung (1985) resp. nach dem Scheitern des neuen Ausländergesetzes in der Volksabstimmung (1982) vorläufig zurückgestellt worden. Im Berichtsjahr beantragte der Bundesrat die Ratifizierung der zwischen 1982 und 1985 entstandenen Zusatzprotokolle Nr. 6, 7 und B. Das erste würde die Schweiz verpflichten, die Todesstrafe in Friedenszeiten nicht wieder einzuführen. Das zweite bringt eine Ergänzung der EMRK im Bereich der bürgerlichen und politischen Rechte. Namentlich geht es um Verfahrensgarantien für Ausländer, denen die Ausweisung droht, um das Recht auf Prüfung einer Verurteilung durch eine übergeordnete Instanz, um das Verbot, eine Person wegen derselben Handlung mehr als einmal gerichtlich zu belangen und um den Anspruch auf finanzielle Entschädigung bei Fehlurteilen. Schliesslich verlangt Artikel 5 des Zusatzprotokolls Nr. 7 die Gleichberechtigung der Ehepartner hinsichtlich der privatrechtlichen Beziehungen untereinander und zu ihren Kindern. Das Zusatzprotokoll Nr. 8 bezweckt im wesentlichen organisatorische und verfahrensmässige Verbesserungen der Arbeit der Europäischen Menschenrechtskommission und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte
[1].
Der Nationalrat stimmte den drei Zusatzprotokollen ohne ernsthafte Opposition zu. Ein Nichteintretensantrag Steffen (na, ZH), welcher mit der Kritik ail den Bestimmungen über die Verpflichtung zur Nichtwiedereinführung der Todesstrafe begründet wurde, vermochte lediglich drei Stimmen auf sich zu vereinigen. Entgegen dem Antrag des Bundesrates unterstellte die Volkskammer ihre Beschlüsse zu den Protokollen 6 und 7 jedoch dem fakultativen Staatsvertragsreferendum
[2]. Ohne jegliche Einwände ratifizierte das Parlament das 1984 von der Generalversammlung der UNO beschlossene «Internationale Übereinkommen gegen die Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe»
[3].
Die vom Bundesrat mit der Überholung des Entwurfs für ein
Datenschutzgesetz beauftragte Arbeitsgruppe setzte im Berichtsjahr ihre Tätigkeit fort. Sie befasste sich dabei hauptsächlich mit den vorgesehenen Bestimmungen für den nichtstaatlichen Bereich, die von Teilen der Wirtschaft anlässlich des Vernehmlassungsverfahrens heftig kritisiert worden waren
[4]. Da bis zur Inkraftsetzung dieses Gesetzes noch einige Jahre verstreichen werden, hat der Bundesrat die seit 1981 gültigen Richtlinien für die Bearbeitung von Personendaten in der Bundesverwaltung auf unbestimmte Zeit verlängert. Im weitern veröffentlichte das EJPD erstmals eine Liste der in der Bundesverwaltung unterhaltenen Sammlungen von Personendaten mit Angaben über Zweck und Art der Daten. Damit wird für interessierte Personen die Wahrnehmung des Rechts auf Information über allfällige Registrierungen wesentlich erleichtert. Im Zusammenhang mit der Verzögerung der gesetzgeberischen Arbeiten sind ferner die im Berichtsjahr verabschiedeten Verordnungen über das Nationale Zentralbüro INTERPOL, den Erkennungsdienst der Bundesanwaltschaft und das militärische Kontrollwesen zu sehen, enthalten diese doch auch Datenschutzbestimmungen
[5]. Obwohl das eidgenössische Datenschutzgesetz aus Gründen der kantonalen Autonomie im Organisationsrecht für den Bereich der kantonalen und kommunalen Verwaltungen nicht anwendbar sein wird, hält sich die Eigeninitiative der Kantone in Grenzen. 1986 sind Datenschutzgesetze im Kanton Bern vom Parlament und in Basel und Thurgau von der Regierung verabschiedet worden. In Zug beschloss die Exekutive hingegen, wie dies bereits 1985 in Solothurn geschehen war, die Vorarbeiten bis zum Vorliegen einer bundesstaatlichen Regelung einzustellen
[6].
[1] BBl, 1986, II, S. 589 ff. Vgl. auch SPJ, 1976, S. 14 und 1985, S. 42 f. Siehe auch O. Jacot-Guillarmod, «La convention européenne des droits de l'homme en Suisse», in Schweiz. Zeitschrift für Staats- und Gemeindeverwaltung, 87/1986, S. 49 fr.; D. Thürer, « Europäische Menschenrechtskonvention und schweizerisches Verwaltungsverfahren» in a.a.O., S. 241 ff. sowie Schweiz. Evangel. Kirchenbund und Nationalkommission Justitia et Pax, Menschenrechte. Der Auftrag der Christen für ihre Verwirklichung, Bern 1986. Zum dritten Mal seit Anerkennung der EMRK wurde die Schweiz vom Europ. Gerichtshof verurteilt. Grund der Klage bildete ein zu langes Verfahren und ungenügende Rechte auf Stellungnahme bei einer Auslieferungshaft (BaZ, 22.10.85). Zur Anwendung der EMRK auf das schweizerische Recht siehe auch unten (Gerichte).
[2] Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1230 ff. Namentlich zur divergierenden Interpretation von Art. 893 BV (Staatsvertragsreferendum) siehe unten, Teil I, 2 (Droits de l'homme).
[3] Amtl. Bull. StR, 1986, S. 11 f. ; Amtl. Bull. NR, 1986, S. 1335 ff. Zum Inhalt der Konvention vgl. SPJ, 1985, S. 14. Siehe auch unten, Teil I, 2 (Droits de l'homme).
[4] Amtl. Bull. NR, 1986, S. 608; NZZ, 22.7.86. Vgl. auch SPJ, 1985, S. 15 sowie U. Nef, « Persönlichkeitsrecht und Datenschutzgesetzgebung», in NZZ, 30.6.86.
[5] Richtlinien: NZZ, 2.12.86; vgl. auch SPJ, 1981, S. 13. Register: BBl, 1986, II, S. 117 ff.; BaZ, 24.5.86; 19.7.86. Verordnungen: AS, 1986, S. 2318 ff., 2346 ff. und 2353 ff.; siehe auch Bund, 2.12.86.
[6] Bern: SPJ, 1985, S. 15.; TW, 26.7.86. Basel: BaZ, 27.8.86; 16.10.86. Thurgau: SGT, 20.8.86. Zug: LNN, 12.5.86. In NE wurde das 1982 verabschiedete Gesetz in Kraft gesetzt (Gesetzgebung des Bundes und der Kantone, 17/1986, Nr. 4, S. 9). Siehe auch unten, Teil Il, 1d.
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