Année politique Suisse 1987 : Grundlagen der Staatsordnung
Politische Grundfragen und Nationalbewusstsein
Der Schlussbericht zum nationalen Forschungsprogramm über "Entscheidungsvorgänge in der schweizerischen Demokratie" präsentierte eine Synthese der zwölfjährigen Forschungsanstrengungen. Als Hauptergebnis wurde hervorgehoben, dass die im vorparlamentarischen Verfahren auftretenden Interessenvertreter und die am Vollzug beteiligten Organisationen und Kantone insgesamt einen grösseren Einfluss auf die politische Gestaltung haben als das Parlament. – In der Innerschweiz führten Volksabstimmungen zu einer massiven Ablehnung der Kredite für die "CH 91". Der Bundesrat verlangte in der Folge eine grundsätzliche Neuorientierung bei der Planung einer Zentenarfeier.
 
1976 hatte der Bundesrat beim Schweizerischen Nationalfonds ein Forschungsprogramm über Entscheidungsvorgänge in der schweizerischen Demokratie in Auftrag gegeben. Von den insgesamt 25 in der Folge durchgeführten Forschungsprojekten wurden einige bereits in früheren Jahrbüchern der "Schweizerischen Politik" vorgestellt [1]. 1987 konnte nun das Forschungsprogramm mit einer zusammenfassenden Gesamtschau des Projektleiters W. Linder abgeschlossen werden. Als ein wesentliches Resultat ergab sich dabei vorerst einmal eine Ausweitung des ursprünglichen Problemfeldes auf den Vollzug, da die Forscher zur Erkenntnis gelangt waren, dass Entscheidungsvorgänge nicht mit der Gesetzgebung enden, sondern einen Kreislauf bilden, dessen wiederkehrende Stationen von der Lancierung politischer Anliegen über das vorparlamentarische und das parlamentarische Verfahren, über allfällige Volksabstimmungen bis zu dem ebenfalls dynamischen und rechtsbildenden Prozess des Vollzugs reichen, von wo dann wiederum Impulse auf den Anfang des Kreises ausgehen. Als solche Impulsgeber treten immer seltener die etablierten Parteien auf, häufiger jedoch neue soziale Bewegungen, die mit Basisaktivitäten Druck auszuüben vermögen. In der vorparlamentarischen Phase werden dann die massgebenden Weichen gestellt, da hier die Experten und die (oftmals mit diesen identischen) Interessenvertreter auftreten und die wegleitenden Kompromisse aushandeln. Dass dabei allgemeine und langfristige Interessen im Gegensatz zu kurzfristigen Gruppeninteressen wenig berücksichtigt werden, ist nach Linder nicht unbedingt nachteilig, sondern entscheidend für den späteren Erfolg des Vollzugs. Das Parlament, wegen der grossen Zahl und der Komplexität der Vorlagen an der Grenze seiner Informationsverarbeitungsfähigkeit angelangt, vermag nun in den meisten Fällen nur noch Akzente zu setzen, wesentliche Korrekturen werden von ihm selten mehr angebracht. Bei einer allfälligen Volksabstimmung erhalten dann die Parteien die Funktion als "Wegweiser", da die meisten Leute nicht auf Grund von Sachkenntnissen, sondern nach Massgabe der über die Werbung rezipierten Parolen stimmen. Der diesbezügliche Erfolg der Parteien ist jedoch auch im Schwinden begriffen, da die Parteibindungen abnehmen und die Zahl jener steigt, deren Entscheid an der Urne nur noch vom erhofften persönlichen Nutzen abhängt. Als eigentliche Schwachstelle im Gesetzgebungsprozess sieht Linder die Konfliktverarbeitung und die Lernfähigkeit der Beteiligten, da die Konsensfindung bei der feststellbaren Zunahme der Konflikte schwieriger geworden ist. In Gefahr scheint insbesondere das Konkordanzsystem zu sein, da der beobachtbare Übergang von wechselnden zu starren Mehrheiten zu einer sinkenden Glaubwürdigkeit und Repräsentativität aller Konkordanzkräfte führt.
Hinsichtlich des Vollzugs wird festgehalten, dass dieser als Anwendung des Rechts immer zugleich auch eine Schöpfung neuen Rechts ist. Unter Vollzug ist also nicht ein linearer Durchsetzungsprozess, sondern eher ein sozialer Verhandlungs- und Umsetzungsprozess mit einer Vielzahl von Akteuren zu verstehen. Dies konnte insbesondere beim Vollzug der Gesetze in den Kantonen nachgewiesen werden: Indem die Kantone selber als Programminstanzen auftreten und das Bundesprogramm für eigene Interessen instrumentalisieren, haben Bundesgesetze hier oft völlig unterschiedliche Auswirkungen. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich einerseits, dass die Erfolgschancen eines Gesetzes nicht überschätzt werden dürfen, andererseits aber auch, dass staatliche Programme bereits unter Vollzugsgesichtspunkten konzipiert werden müssen. Diese dürfen dabei nicht nur unter dem Stichwort "Akzeptanz" diskutiert werden, sondern sollten den Vollzug als dynamischen sozialen Prozess, der kollektive Lernmöglichkeiten bietet, antizipieren [2].
Die Aufnahme des Schlussberichts fiel eher kontrovers aus. Da er kurz nach der Abstimmung über die Mutterschaftsversicherung veröffentlicht wurde, welche von einer polemischen Werbeoffensive der schliesslich obsiegenden Gegner begleitet worden war, entbrannte zunächst erneut die Diskussion um die Käuflichkeit von Abstimmungen. Die entsprechende Untersuchung von Gruner und Heilig hatte schon 1983 einen statistischen Zusammenhang zwischen Werbebudget und Abstimmungserfolg nachgewiesen und einen Kausalzusammenhang vermutet. H. Tschäni, der Autor des 1983 erschienenen Buches "Wer regiert die Schweiz?", fand seine Thesen durch den Schlussbericht bestätigt und forderte erneut eine Umsetzung der Erkenntnisse in einer totalrevidierten Bundesverfassung. Politiker, die zum Bericht Stellung nahmen, beklagten zum Teil jedoch gerade den Mangel an konkreten Handlungsanweisungen. Im übrigen aber forderten Parlamentarier hauptsächlich den Ausbau der ihnen zur Verfügung stehenden Infrastruktur, um sich besser und rationeller dokumentieren zu können, und wiederholten ihr Bekenntnis zum Milizparlament [3].
Die eidgenössischen Wahlen vom Herbst boten Gruppen und einzelnen den Anlass, grundsätzlich über den Zustand von Umwelt, Gesellschaft, Staat und Demokratie nachzudenken und gemäss den Befunden Ziele zu formulieren. Eine tief gespaltene Welt, ja sogar das Bestehen von zwei verschiedenen Wirklichkeiten diagnostizierte die Berner SP-Politikerin Gret Haller: Die "alte Wirklichkeit" bringt sie in Zusammenhang mit patriarchalen Hierarchien, Industrialisierung und Umweltzerstörung, die alle das Ergebnis eines "sektoriellen Denkens" seien. Ein "ganzheitliches Denken", Grundlage der in Ansätzen bereits vorhandenen "neuen Wirklichkeit des Hegens und Pflegens", berücksichtige demgegenüber alle Konsequenzen des Handelns. In dem daraus hervorgehenden nachpatriarchalen Zeitalter stünden dann die Entfaltung des Individuums, Netzstrukturen, die Pflege der Umwelt und eine erweiterte Demokratie im Zentrum.
Die millenaristisch angehauchte Stimmung kam auch in einem Buchtitel zum Ausdruck, der ein Streitgespräch zwischen zwei Vertretern dieser beiden Denkungsarten, der Zürcher Stadträtin Ursula Koch und dem Wirtschaftsmanager Michael Kohn, benennt: "Titanic oder Arche Noah". Der engagierte und unversöhnliche Dialog wurde über die Wünschbarkeit eines technischen Fortschritts, der eine Eigendynamik zu entwickeln und der menschlichen Kontrolle zu entgleiten droht, sowie über Fragen der Macht zur Durchsetzung politischer Programme geführt. Frau Koch äusserte als Vertreterin des "ganzheitlichen Denkens" neben allgemeinen Bedenken gegenüber einer als bedrohlich empfundenen, vom Menschen abgespaltenen Technik auch die Befürchtung, der technologische Fortschritt in der "ersten Welt" würde die Kluft zur "dritten" noch vergrössern und sei deshalb einzuschränken. Demgegenüber verteidigte Kohn das Ziel, eine Synthese zwischen dem technisch-materiellen und dem menschlichen System herzustellen, um so die Technik möglichst ohne Schaden für den Menschen nutzbar zu machen.
Dem Vorwurf Kohns an die Adresse des anderen Lagers, es würde aus ideologischen Motiven eine Katastrophenstimmung schüren, stand im Sommer eine Publikation gegenüber, die mit ihrem Titel "Hoffnungswahl" nicht nur auf neue Mehrheiten im zu wählenden Parlament, sondern gewissermassen auch auf das Anbrechen des neuen Zeitalters anspielte. Je sechs Autorinnen und Autoren analysierten darin den in bestimmten sozialen Schichten auftretenden Wandel von "materialistischen" (Wohlstand, Sicherheit) zu "postmaterialistischen" Werthaltungen (Wohlfahrt, Selbstverwirklichung, Solidarität), warnten vor der Zerstörung der Umwelt oder gar der Erde durch die Anwendung gefährlicher Technik und riefen zum Wahlgang für eine neue Mehrheit auf. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums wurde die Gefahr als nicht gar so drängend angesehen, und man bezichtigte den politischen Gegner gar, eine apokalyptische Katastrophenstimmung entweder aus ideologischen Erwägungen zu schüren oder aber diese selbst zu einer neuen Ideologie zu machen. So wandte sich etwa die "Neue Zürcher Zeitung" mehrmals gegen die Anmassung der moralisierenden Umweltschützer, im besseren Recht zu sein und verlangte die Rückkehr zu einer "politischen Kultur", in der alle Meinungen als gleichwertig diskutiert werden können. Auch der Zürcher Philosoph Hermann Lübbe wandte sich in einem schmalen Bändchen gegen den "Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft", den er als Merkmal sowohl von Mitläufern in totalitären Regimes, von Terroristen in westlichen Demokratien als auch von radikalen Umweltschützern betrachtet. Nach ihm besteht heute auch angesichts der Umweltzerstörung keine Zielkrise, sondern eine Steuerungskrise, welche nicht durch moralisierende Planer alternativer Lebensziele, sondern durch Pragmatismus überwunden werden müsse [4].
 
Totalrevision von Verfassungen
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Bundesverfassung
Nachdem sich der Ständerat im Vorjahr lediglich für eine formale Revision der Bundesverfassung ausgesprochen hatte, gelangte das Geschäft im Sommer an den Nationalrat. Hier setzte sich eine Minderheit aus FDP und NA für den Abbruch des vor über zwanzig Jahren begonnenen Unterfangens ein, da eine tragende Idee im Volk nicht zu erkennen sei. Auch die Kommissionsmehrheit war der Ansicht, die gegenwärtige Zeit der Wende und der Neubesinnung hätte der Totalrevision den Stellenwert genommen, den sie in den sechziger Jahren noch gehabt hätte. Wegen der offensichtlichen formaljuristischen Mängel, die die bereits 127mal teilrevidierte Verfassung aufweist, beantragte die Kommissionsmehrheit aber doch, dem Beschluss des Ständerates zu folgen. Nur die Ratslinke setzte sich, zusammen mit der LdU/EVP-Fraktion, für eine materielle Totalrevision ein, die den geänderten gesellschaftlichen Verhältnissen Rechnung tragen sollte, indem sie zum Beispiel die Sozialrechte — etwa im Bereich des Ausländerrechts — und ökologische Notwendigkeiten neu definiere. Die Ratsmehrheit wandte sich jedoch gegen den Versuch, chancenlose Partialrevisionen im Schutz einer Totalrevision zu verwirklichen. Bundesrätin Kopp, die sich für den Beschluss des Ständerates einsetzte, erhielt schliesslich den gewünschten Auftrag, die bestehende Verfassung formal zu revidieren und mit dem bestehenden ungeschriebenen Verfassungsrecht (etwa dem System des Vernehmlassungsverfahrens) zu ergänzen. Sie behielt sich aber vor, auch sich aufdrängende Neuerungen, wie etwa die Gesetzes- oder die Einheitsinitiative, als Varianten vorzuschlagen.
Fünf Monate nach diesem Beschluss des Nationalrates wurde als Pionierwerk die erste Teillieferung eines umfangreichen, von bekannten Staatsrechtlern verfassten Kommentars zur geltenden Bundesverfassung vorgestellt. Als Ziele ihrer Anstrengung nannten die Herausgeber das Ausmerzen bestehender Rechtsunsicherheiten und das Erreichen einer höheren normativen Lenkungskraft der Verfassung. Der Kommentar bezieht sich nicht nur auf das geschriebene, sondern auch auf das durch die Verwaltungspraxis oder durch Bundesgerichtsentscheide entstandene ungeschriebene Verfassungsrecht. Da die letzte Teillieferung ungefähr zu jenem Zeitpunkt erscheinen sollte, zu dem auch der Entwurf einer totalrevidierten Verfassung diskussionsreif sein dürfte, wurde der Verdacht geäussert, das gross angelegte Werk sei zur Unterstützung der bestehenden Grundordnung gedacht. Die Autoren bekannten sich jedoch zur anstehenden Totalrevision und betonten, dass auch die künftige Verfassung zu vielleicht zwei Dritteln auf der bestehenden aufbauen werde. Ausserdem könne der Kommentar die Diskussion um die neue Verfassung befruchten, da er die dazu unabdingbare Kenntnis der alten erhöhe [5].
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Kantonsverfassungen
In etlichen Kantonen wurden in den letzten Jahren die zumeist aus dem letzten Jahrhundert stammenden Verfassungen einer Totalrevision unterworfen, wobei das Unterfangen beim Stimmvolk oft nur auf geringes Interesse stiess. So ging dieses Jahr im Kanton Thurgau nach einem flauen Abstimmungskampf nur ein fünftel der Stimmberechtigten an die Urne, und die Zustimmung war bei einem Anteil von nur 50,1 % äusserst knapp. Gegnerschaft war der Vorlage einerseits seitens der kleinen Parteien erwachsen, die den Ersatz des obligatorischen Referendums durch das fakultative trotz der geringen Schwelle von 2000 beizubringenden Unterschriften ablehnten. Auf wenig Begeisterung stiess in zahlreichen Gemeinden auch die vorgesehende Aufhebung des Gemeindedualismus. Der zuständige Regierungsrat versprach denn auch nach der Abstimmung ein "sehr subtiles" Vorgehen bei der Bildung der neúen politischen Gemeinden. Vorher muss das neue Grundgesetz aber eine weitere Hürde nehmen, da ein von den kantonalen Instanzen abgelehnter Rekurs gegen die Abstimmung noch vom Bundesgericht entschieden werden muss [6].
 
Nationalbewusstsein
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Infragestellung der Armee
Das Nationalbewusstsein war im Berichtsjahr mehrmals Anfechtungen ausgesetzt. Zweimal waren dabei die Armee beziehungsweise deren hohe Repräsentanten das Ziel der — je nach Standpunkt — Verunglimpfung und Beleidigung oder der kritischen Entmythologisierung. Der Historiker und Schriftsteller Niklaus Meienberg setzte sich, zuerst in einer Artikelserie in der "Weltwoche" und anschliessend auch in Buchform, auf Grund von vor allem persönlichen Dokumenten Ulrich Willes mit diesem und dessen Familie auseinander. Meienberg zeichnete dabei den General des ersten Weltkrieges als einen zunehmend senilen Menschen mit einem übertriebenen, autoritären Machtgehabe, der den preussischen Drill in der Armee einführte, mit dieser den Generalstreik von 1918 provozierte, nicht ohne Einfluss auf den als schwach verspotteten Bundesrat war und, dank seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zur politischen Führungsschicht Deutschlands, dem Ansinnen seines Generalstabschefs Sprecher von Bernegg, an der Seite Deutschlands in den Krieg einzutreten, nicht immer ganz abgeneigt schien. Wenn Meienbergs Ausführungen die bisherige Geschichtsschreibung auch nicht auf den Kopf zu stellen vermochten, so provozierten doch sein hämischer Stil und die zahlreichen Reminiszenzen aus dem Privatleben dieses "Clans", der Hitler zu seinen Gästen zählte und auch im zweiten Weltkrieg seine Germanophilie nicht ablegte, empörte Reaktionen gegen den Boten der unerwünschten Kunde.
Eine Schelte seitens des EMD-Vorstehers musste sich sodann das Erste Deutsche Fernsehen gefallen lassen, da es einen Dokumentarfilm des Schweizers Roman Brodmann über die hiesige Armee und die Volksinitiative "für eine Schweiz ohne Armee" ausgestrahlt hatte. Die Sendung war von mehreren Nationalräten anlässlich der Fragestunde als bedenkliche Diffamierung der Schweizer Armee und als Verletzung des Ehrgefühls vieler Landsleute gewertet worden. Die emotionale Reaktion Bundesrat Kollers im Parlament und sein sachlich unhaltbarer Angriff gegen die "staatliche Anstalt", welche eine zentrale Einrichtung eines befreundeten Landes angreife, wurden dann aber weit herum als ungeschickt und undemokratisch gewertet [7].
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"CH 91 "
Konsternation hinterliessen Ende April bei den Promotoren der "CH 91" die in den Kantonen Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden und Zug durchgeführten Abstimmungen über die für die Jubiläumsveranstaltungen zu gewährenden Kredite. Die Parlamente hatten in allen Kantonen den Anträgen ihrer Regierungen deutlich zugestimmt, die Volksabstimmungen brachten jedoch ebenfalls in allen Kantonen so deutliche Nein-Mehrheiten, dass in den Kommentaren von einem regelrechten Scherbenhaufen gesprochen wurde. Die ablehnende Front scheint vor allem auf Grund von Umweltschutzanliegen zustande gekommen zu sein. Namentlich die zu erwartende Bautätigkeit und die prognostizierten Verkehrsströme in die Innerschweiz wurden in den Abstimmungskämpfen immer wieder als unerwünschte Belastung hervorgehoben. Daneben wurde oft auch die Befürchtung geäussert, die ursprünglich als Stätten der Begegnung vorgesehenen "Kernereignisse" in den Innerschweizer Kantonen würden von den Organisatoren mehr und mehr zu gigantischen kommerziellen Landesausstellungen umfunktioniert [8].
Der Bundesrat betonte nach dem Abstimmungssonntag, er wolle an einer "würdigen und kraftvollen" Feier zum 700-Jahr-Jubiläum der Eidgenossenschaft festhalten. Die Stiftung "CH 91 ", der inzwischen ausser Luzern alle Kantone und der Bund angehörten, verfasste darauf einen Bericht an den Bundesrat und schlug drei Varianten für das weitere Vorgehen vor. Die Organisation von landesweiten Veranstaltungen und der eigentlichen Jubiläumsfeier in Schwyz sowie der Anlage des "Weges der Schweiz" rund um den Urnersee bildete die erste Variante, die Beschränkung auf den "Weg" und die Jubiläumsfeier in Schwyz die zweite und eine Neugestaltung mit einem vage als "historisch-traditionell" und einem als "zukunftsgerichtet" bezeichneten Teil die dritte. Der Bundesrat setzte darauf eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Historikers U. Altermatt ein, die bis Anfang 1988 neue Vorschläge für die Gestaltung des Jubiläums unterbreiten soll. Neben dieser "Groupe de réflexion" begannen sich auch private Kreise mit eigenen Vorstellungen zu organisieren, um im Jahre 1991 Beiträge an eine landesweite Feier zu leisten. Die Stiftung "CH 91" wurde dagegen zu einem Sekretariat mit nur noch drei Angestellten redimensioniert [9].
 
Weiterführende Literatur
Die im Text erwähnten Ergebnisse des nationalen Forschungsprogramms über Entscheidungsvorgänge in der schweizerischen Demokratie sind zusammengefasst in W. Linder, Politische Entscheidung und Gesetzesvollzug in der Schweiz: Schlussbericht des Nationalen Forschungsprogramms Nr. 6 "Entscheidungsvorgänge in der schweizerischen Demokratie ", Bern 1987. Als Teilergebnisse wurden im Berichtsjahr noch publiziert: Projekt Geser: H. Geser, Kommunales Regieren und Verwalten, Grüsch 1987; H. Geser / P. Farago u.a., Gemeindepolitik zwischen Milizorganisation und Berufsverwaltung, Bern 1987. Projekt Klöti: U. Klöti / K. Nüssli / E. Rüegg, Neokorporatismus und Konkordanz – Chancen und Grenzen organisierter Interessenvermittlung in der Schweiz, Zürich 1987; dass das Vernehmlassungsverfahren zunehmend zur vorgezogenen plebiszitären Veranstaltung zum Abtasten der politischen Chancen eines Gesetzesvorhabens wird, beschreibt U. Klöti auch in einem Aufsatz: U. Klöti, "Das Vernehmlassungsverfahren – Konsultation oder Ritual?", in Schweizer Monatshefte, 67/1987, S. 463 ff. Projekt Perrin: B. Bastard / L. Cardia-Voneche, Le divorce à Genève. Une étude sociologique de la pratique judiciaire, Lausanne 1987. Projekt Riklin: A. Ochsner, Die schweizerische Bundesversammlung als Arbeitsparlament, Entlebuch 1987 (Diss. St. Gallen).
Das Schweizerische Jahrbuch für Politische Wissenschaft, 27/1987 über Abstimmungen und Wahlen (Redaktion W. Linder, Bern 1987) beinhaltet Beiträge zum Wahl- und Abstimmungsverhalten, zur Volksinitiative als Institution, zur Landsgemeinde und zu einem Beispiel der demokratischen Mitwirkung des Volkes bei der Planung. Erwähnt sei hier auch eine Sammlung von Aufsätzen über aktuelle politische Probleme: D.-Ch. Dicke / T. Fleiner-Gerster (Hg.), Staat und Gesellschaft, Festschrift für Leo Schürmann zum 70. Geburtstag, Freiburg 1987.
An ein breiteres Publikum wendet sich leicht verständlich und mit viel graphisch aufbereitetem Zahlenmaterial: R. H. Strahm, Wirtschaftsbuch Schweiz. Das moderne Grundwissen über Okonomie und Okologie in der Schweiz, Zürich (Ex Libris) 1987. Als bedeutende populärwissenschaftliche Darstellung der Schweizer Geschichte angekündigt, leider aber unsorgfältig gedruckt ist: Chronik der Schweiz, Red. Ch. Schütt / B. Pollmann, Dortmund/Zürich (Ex Libris) 1987. Die ursprünglich in der NZZ erschienenen Portraits der Schweizer Kantone sind inzwischen in Buchform greifbar: K. Müller (Hg.), Bausteine der Schweiz – Portraits der 26 Kantone, Zürich 1987. Eher mit Belustigung zu lesen sind die Resultate einer breit angelegten Bevölkerungsumfrage über die Ansichten und die Charakterzüge der Schweizerinnen und Schweizer: F. Dunand, Dessine-moi un Suisse, Lausanne 1987.
Die im Text erwähnten ideologischen Diskussionen wurden geführt von: G. Haller, Streitbare Friedfertigkeit, Bern 1987; M. Kohn / U. Koch, Titanic oder Arche Noah, Gespräche zu Energie, Technik und Gesellschaft, Zürich 1987; R. Blum / P. Ziegler (Hg.), Hoffnungswahl, 12 Stimmen zum eidgenössischen Wahlherbst 1987, Zürich 1987; H. Lübbe, Politischer Moralismus. Der Triumph der Gesinnung über die Urteilskraft, Berlin 1987. Die in den Diskussionen oft anklingende Skepsis gegenüber der Technik war auch ein Gegenstand wissenschaftlicher Forschung: Th. Freudenberg, Technikakzeptanz. Eine vergleichende Analyse, Zürich 1986. Zum Sammelband mit politischen Analysen des bekannten Journalisten H. Tschäni (R. Aschinger / R. Blum u.a. (Hg.), Gegensteuer. Wider die Arroganz der Mächtigen. Zeugnisse aus der Arbeit eines Journalisten, Zürich 1987) verfasste auch ein erklärter politischer Gegner (Nationalrat Reich, fdp, ZH) eine recht wohlwollende Rezension (SGT, 16.3.87).
Zur Totalrevision der Bundesverfassung vgl. E. Kopp, "Gedanken zur Totalrevision der Bundesverfassung", in Documenta, 1987, Nr. 1, S. 8 ff.; U. Pfister, "Leitplanken für eine neue Bundesverfassung", in Schweizer Monatshefte, 67/1987,
535 ff. Das Bundesamt für Justiz veröffentlichte die Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens zum Expertenentwurf von 1977 in zwei Publikationen: Zusammenfassung sämtlicher Vernehmlassungen, 4 Bände, zweisprachig; Systematisierte Vernehmlassungsergebnisse, zweisprachig. Der Kommentar zur Bundesverfassung wird in vier Lieferungen erscheinen,
wovon die erste 1987 publiziert wurde: J.-F. Aubert / K. Eichenberger u.a. (Hg.), Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 3 Ordner, Basel, Zürich, Bern 1987(-89).
Im Text erwähnt wurde sodann: N. Meienberg, Die Welt als Wille und Wahn. Naturgeschichte eines Clans, Zürich 1987. Aufschluss über das nationale Forschungsprogramm 21 über "kulturelle Vielfalt und nationale Identität" gibt Info 21. Die bisher wechselvolle Geschichte der "CH 91" beschreibt G. Kreis, "'Wissen, wo die Fahnen stehen' – Vom langen Weg zum Bundesjubiläum von 1991 ", in Schweizer Monatshefte, 67/1987, S. 589 ff.
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L.M.
 
[1] Projekt Kriesi/Heintz: SPJ, 1981, S. 8 und 1983, S. I I ; 1985, S. I O f. Projekt Freiburghaus/Zimmermann: SPJ, 1985, S. 11. Projekt Gruner/Hertig: SPJ, 1983, S. 10 f. Für die 1987 neu hinzugekommenen Projekte vgl. Lit.
[2] Vgl. Lit. Linder. Für eine ausführlichere Zusammenfassung vgl. NZZ, 30.12.87.
[3] H. Tschäni: TA, 9.1.88, vgl. auch SPJ, 1983, S. 11; SoZ, 24.1.88 (H. Fagagnini); Zürichsee-Zeitung, 23.1.88 (R. Jagmetti, V. Spoerri-Toneatti, M. Leuenberger) und 25.1.88 (M. Weber).
[4] Vgl. Lit. Haller, Kohn/Koch, Blum/Ziegler, Lübbe.
[5] Amtl. Bull. NR, 1987, S. 626 ff.; BBl, 1987, II, S. 963 ff.; NZZ, 27.2.87 (Stellungnahme von BR Kopp); Presse vom 4.6.87 (NR-Debatte); Presse vom 6.I 1.87 (zum BV-Kommentar; vgl. dazu Lit. Aubert).
[6] Vgl. unten, Teil II, Allgemeine Gesichtspunkte und 1 a (Thurgau).
[7] Vgl. Lit. Meienberg. Zu den Reaktionen siehe Ww, 18.6.87. Zum Film von R. Brodmann: Amtl. Bull. NR, 1987, S. 706 f.; NZZ und TA, 3.6.87; Presse vom 5.6., 10.6. und 11.6.87; Ww, 11.6.87.
[8] Presse vom 27.4., 28.4., und 30.4.87.
[9] Presse vom 25.6., 27.6. und 29.10.87; SZ und TA, 12.12.87; BaZ und SZ, 15.12.87; Vat., 19.12.87.
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