Année politique Suisse 1988 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Unternehmer
Die Schwerpunkte der politischen Arbeit des Vororts des Schweizerischen Handelsund Industrie-Vereins (SHIV) lagen im Berichtsjahr in den Bereichen
Energiepolitik und
Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft vor dem Hintergrund der europäischen Integration. In der Energiepolitik machte er sich gegen die staatliche Lenkung des Verbrauchs stark und warnte vor den negativen Folgen einer künstlichen Verknappung des Angebots. In bezug auf die Europapolitik stimmte der Vorort grundsätzlich der Bestandesaufnahme und den Folgerungen des Bundesrats zu und ergänzte diese mit einer eigenen Lageanalyse. Er sprach sich darin für eine dynamische Vertiefung der Zusammenarbeit mit der EG aus und betonte, dass das oberste Ziel der schweizerischen Integrationsbemühungen die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft sein müsse. Dazu gehöre, dass einerseits in integrationspolitisch bedeutsamen Bereichen Rechtsdisparitäten zur EG vermieden werden, und dass andererseits die innenpolitischen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft möglichst günstig zu gestalten seien
[2].
Zu den fünf eidgenössischen Abstimmungen des Berichtsjahres gab der Vorort durchwegs die Nein-Parole aus. Während dies bei den vier Volksinitiativen den Erwartungen entsprach, tat sich der Vorort mit der Koordinierten Verkehrspolitik (KVP), welcher er durchaus positive Seiten zuerkannte, wesentlich schwerer. Nachdem sich die kantonalen Handelskammern und die interessierten Branchenverbände in einer internen Umfrage weitgehend negativ geäussert hatten, entschloss er sich zur Ablehnung
[3].
In einem der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Vortrag übte am 21. Oktober der Zürcher Unternehmer und SVP-Nationalrat
Christoph Blocher vor dem Bündner Handels- und Industrie-Verein heftige
Kritik am Vorort. Er warf dem Spitzenverband vor, sowohl bei der Formulierung als auch bei der Durchsetzung seiner Politik zuwenig dezidiert und standfest zu sein. Eine wichtige Ursache für die seiner Meinung nach allzu kompromissbereite und zuwenig an ordnungspolitischen Grundsätzen orientierte Haltung des Vororts sieht Blocher in dessen enger Zusammenarbeit mit der Verwaltung. Die widersprüchliche und unklare Politik manifestiere sich namentlich in der Energie- und der Forschungspolitik, aber auch bei den Stellungnahmen des Vororts zur Revision des Aktienrechts. Blocher schlug im weitern dem Vorort vor, nach dem Vorbild des Gewerbeverbandes eine populistischere Politik zu betreiben, welche den Bürgern und Bürgerinnen die bestehenden Interessengegensätze klar vor Augen führe und vermehrt das Referendum gegen missliebige Beschlüsse der Bundesversammlung einsetze. Blocher blieb zwar mit der in seiner bekannt unverblümten Art vorgetragenen Kritik in der Öffentlichkeit allein. Dem Vernehmen nach teilten aber auch einige andere prominente Unternehmer seine Ansichten
[4].
Der Vorort wies die Vorwürfe in einer kurzen öffentlichen Stellungnahme als inhaltlich unbegründet und in der Form bedauerlich zurück. In einer zweiten, etwas längeren Stellungnahme äusserte er sich zu den Zielen und Aktivitäten des SHIV. Er verteidigte darin insbesondere die von Blocher angeprangerte
Mitarbeit in vorparlamentarischen Gremien (Expertenkommissionen etc.) als zwar nicht einziges, aber doch sehr wichtiges Mittel zur Durchsetzung politischer Anliegen. Eine direkte Antwort auf Blochers Forderung nach einem publikumswirksameren Auftreten gab der Vorort nicht. Er hob aber die Bedeutung der sorgfältigen, von fundierter Sachkunde geprägten Arbeit als Voraussetzung für eine erfolgreiche Politik hervor
[5].
Mit seiner Kritik hatte Blocher auch die
Schweizerische Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (wf), deren Aufgabe es ist, das Gedankengut des Vororts, des Arbeitgeberverbandes und der Bankiervereinigung in die Offentlichkeit zu tragen und deren differenzierte Analysen auch ausserhalb der Unternehmerverbände geschätzt werden, ins Visier genommen. Die Wirtschaftsförderung erfülle, so Blocher, ihre Aufgaben nicht mehr zufriedenstellend, und sie unterlasse es genauso wie der Vorort, den Unternehmerstandpunkt klar und eindeutig zu vertreten. Mit dieser Rüge, die insbesondere an den Direktor der Organisation, Nationalrat Reich (fdp, ZH), gerichtet war, fand Blocher Unterstützung beim Präsidenten der Wirtschaftsförderung, von Werra, nicht aber beim Vorstand, welcher Reich das Vertrauen aussprach
[6].
Im Anschluss an die Kritik Blochers am Vorort wurde in einem Grundsatzartikel in der NZZ auch die Idee einer
organisatorischen Straffung der schweizerischen Unternehmerverbände ins Spiel gebracht. Es wurde dabei insbesondere angeregt, die traditionelle Arbeitsteilung zwischen dem Vorort und dem Arbeitgeberverband zu überdenken
[7]. Der Präsident des Zentralverbandes schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen, alt Ständerat Letsch (fdp, AG), nahm in seiner Ansprache an der Jahresversammlung vom 28. Juni gewisse Elemente von Blochers Kritik vorweg, indem er den bürgerlichen Parlamentariern vorwarf, die Anliegen des Unternehmertums zuwenig standfest zu verteidigen. Seiner Meinung nach steigen die Vertreter der bürgerlichen Parteien zu oft bereits mit Kompromissvorschlägen in die politische Ausmarchung ein und verschlechtern damit ihre Verhandlungsposition
[8].
Der
Schweizerische Gewerbeverband (SGV) führte seinen alle drei Jahre stattfindenden Gewerbekongress am 30. September in Montreux durch. Da bei den Ersatzwahlen in die rund 100köpfige Gewerbekammer die Vorschläge des Vorstands stillschweigend gutgeheissen wurden und auch keine Sektionsanträge zu diskutieren waren, nutzten die Spitzenvertreter des SGV die Gelegenheit zu einer politischen Standortbestimmung. Der für eine weitere Amtsperiode bestätigte Präsident, Ständerat Markus Kündig (cvp, ZG), betonte in seiner Ansprache, dass nach Ansicht des SGV der Ausbau des Sozialstaates als abgeschlossen zu betrachten sei. In bezug auf die Finanzpolitik kritisierte er das Wachstum der Staatsausgaben und wandte sich gegen die Einführung einer Energiesteuer oder anderer Lenkungsabgaben. SGV-Direktor Clavadetscher polemisierte in seinem Referat gegen den Einfluss der Wissenschaft und dabei insbesondere der Politikwissenschaft auf die Politik. Es sei nicht zuletzt deren Einfluss zuzuschreiben, wenn das Gewerbe immer mehr von staatlichen Vorschriften und Verboten bedrängt werde
[9].
Bei den Urnengängen vom 12. Juni und 4. Dezember setzte sich der Gewerbeverband für die Ablehnung aller fünf Vorlagen ein
[10].
Die Schweizerische Bankiervereinigung stellte an ihrer Jahresgeneralversammlung vom 23. September das Thema der
europäischen Integration in den Mittelpunkt. Für die bereits heute sehr international tätigen Schweizer Banken bietet die Schaffung eines einheitlichen europäischen Finanzmarktes und der Abbau nationaler Restriktionen keinen Anlass zu besonderer Sorge. Dies gilt um so mehr, als die Schweiz in diesem Bereich ohnehin eine sehr liberale Gesetzgebung kennt. Um im verschärften internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben, erachtet es die Bankiervereinigung aber als äusserst dringlich, dass die Schweiz die steuerliche Belastung des Finanzmarktes abbaut
[11].
Dié Bankiervereinigung geriet mit ihrer Verbandspolitik in Konflikt mit anderen Unternehmerverbänden. Der Schweizerische Anwaltsverband protestierte gegen die 1987 in Kraft gesetzten strengeren neuen Standesregeln der Banken über die Sorgfaltspflicht bei der Entgegennahme von Geldern und verlangte deren Abänderung. In der Frage der vinkulierten Namenaktien setzte sich die Bankiervereinigung im Interesse eines möglichst liberalen Börsenhandels für einen Abbau der erlaubten Verweigerungsgründe für den Eintrag ins Aktienregister ein. Die Gegenposition dazu wurde vor allem vom Vorort vertreten, der das Schutzbedürfnis der Aktiengesellschaften vor unerwünschten Einflussnahmen höher veranschlagte
[12].
[2] P. Borgeaud, Prüfstein der schweizerischen Wirtschaftspolitik: Energie und europäische Integration, Zürich 1988 (Präsidialansprache 1988). Vgl. dazu auch SHIV, Energie– Lebensnerv.der Wirtschaft, Zürich 1988 sowie SHIV, Die Schweizer Wirtschaft vor der Herausforderung des EG-Binnenmarktes 1992, Zürich 1988. Siehe auch SHIV (Vorort), Jahresbericht, 118/1987-88.
[3] wf, Dok., 18, 2.5. und 23, 6.6.88.
[4] NZZ, 22.10.88 (Vortrag); SHZ, 8.12.88 (Interview mit Blocher). Vgl. auch Ww, 3.11.88; Bilanz, 1988, Nr. 12, S. 22 fl.
[5] Informationsblatt des Vororts des Schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins, 1988, Nr. 11 und 12.
[6] Kritik: NZZ, 22.10.88 und SHZ, 8.12.88 (Blocher); SHZ, 22.12.88 (von Werra). Vorstand wf: Politik und Wirtschaft, 1989, Nr. 1 (Dezember 1988), S. 20.
[8] H. Letsch, "Plädoyer für Freiheit und Verantwortung", in SAZ, 30.6.88 (S. 521 f.); NZZ, 26.9.88. Zur Verbandspolitik siehe Zentralverband schweizerischer Arbeitgeber-Organisationen, Jahresbericht 1988 - 81. Berichtsjahr, Zürich 1989.
[9] NZZ, 1.10.88. Siehe auch SGZ, 6.10. (Kongress) und 3.11.88 (Referat Kündig).
[10] TA, 11.6.88; NZZ, 30.11.88.
[11] NZZ, 24.9.88; Schweizerische Bankiervereinigung, Jahresbericht, 76/1987-88, S. 84; vgl. auch SAZ, 22.9.88 (S. 763 f.). Zu den Finanzmarktsteuern siehe oben, Teil I, 4b (Banken) und 5 (Einnahmenordnung).
[12] Vgl. dazu oben, Teil I, 4a (Gesellschaftsrecht) und 4b (Banken).
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