Année politique Suisse 1988 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Strafrecht
Die Kommission des Nationalrats konnte 1988 ihre anfangs des Jahres aufgenommenen Beratungen über die Revision der Bestimmungen über strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, gegen die Sittlichkeit und gegen die Familie nicht abschliessen. In den besonders umstrittenen Fragen Schutzalter, Pornographie und Vergewaltigung sind noch keine Entscheide gefällt worden
[19]. In der Zwischenzeit setzten verschiedene Frauenorganisationen ihre Kampagne gegen die 1987 vom Ständerat verabschiedete Fassung fort. Ihre Kritik richtet sich dabei insbesondere gegen die Beibehaltung der
Straffreiheit für die Vergewaltigung in der Ehe. Eine Delegiertenversammlung der OFRA protestierte aber auch gegen die mit der Unterscheidung zwischen erlaubter weicher und verbotener harter Pornographie angestrebte Liberalisierung im Bereich der Darstellung von sexuellen Handlungen. Ihrer Meinung nach hat die Unantastbarkeit der Würde und Integrität der Frauen im Zentrum der Sexualstrafrechtsreform zu stehen
[20].
Ein wesentliches Anliegen der geplanten Revision des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuchs besteht gemäss den vorliegenden Vorentwürfen von Prof. Schultz in einer
stärkeren Betonung des Ziels der Resozialisierung gegenüber dem Vergeltungsund Abschreckungsprinzip. Vorgesehen ist dabei namentlich der Verzicht auf kurze Freiheitsstrafen zugunsten von sozial abgestuften Tagesbussen und gemeinnütziger Arbeit. Der Bericht der 1987 vom Bundesrat eingesetzten Expertenkommission wird für Ende 1990 erwartet. Nach dem Ständerat überwies nun auch der Nationalrat eine baselstädtische Standesinitiative, welche diese Reformbestrebungen unterstützt
[21].
Nach Probeversuchen gab der Bundesrat grünes Licht für das Führen einer schweizerischen
Strafvollzugsstatistik. Damit ist es zum erstenmal möglich, genaue Zahlen über die Rückfälligkeit von Delinquenten anzugeben. Erste Ergebnisse zeigten, dass diese recht hoch ist, wurden doch von den 1982 aus dem Strafvollzug Entlassenen rund die Hälfte (49%) innerhalb von fünf Jahren erneut zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Statistik für das Jahr 1987 gibt im weitern an, dass die kurzen Freiheitsstrafen von maximal drei Monaten mit einem Anteil von 79% aller Fälle deutlich dominieren. Die häufigsten Delikte bestanden in Verstössen gegen das Strassenverkehrsgesetz (insbesondere Trunkenheit am Steuer) mit einem Anteil von 43%, Vermögensdelikten (27%) und Verurteilungen aufgrund des Betäubungsmittelgesetzes (14%). Die Frauen waren unter den 10 580 Personen, die 1987 eine Freiheitsstrafe antreten mussten, immer noch deutlich untervertreten (5%). Der Anteil der Ausländer entsprach mit 15% demjenigen an der strafmündigen Wohnbevölkerung
[22].
In der Frage der Strafbarkeit der Geldwäscherei haben
die Tagesaktualitäten zu einer Beschleunigung der Gesetzgebungstätigkeit geführt. Nach der grundsätzlich positiv ausgefallenen Vernehmlassung zur Revision des Vermögensstrafrechts hatte der Bundesrat im Februar das EJPD beauftragt, eine Vorlage auszuarbeiten. In diese sollte auch ein Artikel über die Entgegennahme von illegal erworbenen Geldern (sog. Geldwäscherei) eingebaut werden. Im Zusammenhang mit der Verhaftung von Drogengrosshändlern durch die Untersuchungsbehörden des Kantons Tessin wurde im Herbst der bisher grösste Fall von Geldwäscherei publik. Im Rahmen dieser "
Libanon-Connection" genannten Aktivitäten sollen rund 1,5 Mia Fr. auf verschiedenen Wegen aus dem Nahen Osten zwecks Spurenverwischung in die Schweiz transferiert worden sein. Bereits drei Wochen nach dem Bekanntwerden der Affäre beschloss der Bundesrat auf Antrag der Vorsteherin des EJPD, E. Kopp, die Gesetzgebung über die Geldwäscherei aus dem Revisionspaket des Vermögensstrafrechts herauszunehmen und, dringlich zu behandeln. Die unverzüglich eingesetzte Expertenkommission soll bis zum Frühjahr 1988 einen entsprechenden Entwurf ausarbeiten. Neben der eigentlichen Strafnorm soll dieser auch Bestimmungen über die Beschlagnahmung von Geldern und Vermögenswerten, die aus diesen Geschäften stammen, enthalten
[23]. Zum genauen Inhalt der vorgesehenen Bestimmungen und den Auseinandersetzungen darüber, sowie zu der durch die Aufdeckung der "Libanon-Connection" ausgelösten Regierungskrise, welche zum Rücktritt der Justizministerin Kopp führen sollte, informieren wir an anderer Stelle
[24].
[19] Bund, 7.1.88; NZZ, 3.5., 18.8. und 8.9.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 22 f.
[20] SGT, 30.6.88; NZZ, 12.8.88; TA, 26.8.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 23, sowie unten, Teil I, 8c (Medienpolitische Grundfragen).
[21] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1906 ff.; NZZ, 3.5.87; LNN, 9.11.88. Vgl. auch SPJ 1987, S. 23.
[22] TA, 11.6.88; NZZ, 12.7.88.
[23] NZZ, 4.2.88; TA, 4.11. und 29.11.88. Siehe auch SPJ 1987, S. 23 f. und 105 sowie die Debatte im Nationalrat vom 15.12.88 (Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1871 ff.).
[24] Vgl. unten, Teil I, 1c (Regierung) und 4b (Banken).
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