Année politique Suisse 1988 : Infrastruktur und Lebensraum / Erhaltung der Umwelt
Natur- und Heimatschutz
Die neuen Bestimmungen des Natur- und Heimatschutzgesetzes (NHG) über einen umfassenden
Biotopschutz, die nicht zuletzt mit Blick auf die Bekämpfung der Rothenthurm-Initiative ausgearbeitet worden waren, traten auf den 1. Februar in Kraft. Sie regeln den Schutz und den Unterhalt von Lebensräumen wie Mooren, Auen und Trockenstandorten und verlangen, dass in intensiv genutzten Gebieten mit naturnaher und standortgemässer Vegetation für ökologischen Ausgleich zu sorgen ist. Dabei entstehende Nutzungseinschränkungen oder Mindererträge werden durch die öffentliche Hand abgegolten. Für die Biotope von nationaler Bedeutung ist der Bund zuständig, für diejenigen von regionaler und lokaler Bedeutung sowie für die Massnahmen des ökologischen Ausgleichs sind die Kantone verantwortlich. In den nächsten zehn Jahren wird mit Gesamtaufwendungen von 120 Mio Fr. für den Biotopschutz gerechnet, wobei mehr als zwei Drittel auf den Bund entfallen
[52].
Nachdem 1987 die Rothenthurm-Initiative angenommen und damit der
Schutz der Moore und Moorlandschaften von besonderer Schönheit und nationaler Bedeutung in der Verfassung verankert worden war, wird eine erneute Revision des NHG nötig. Während die gesetzliche Grundlage für den Schutz einzelner Moore gegeben ist, muss das NHG in bezug auf die Moorlandschaften noch angepasst werden. Zudem sind Ausführungsbestimmungen zum Vollzug der Rothenthurm-Initiative zu erlassen, da unter anderem unklar ist, inwiefern sich der Verfassungsauftrag an den Bund und inwiefern er sich an die Kantone richtet. Um die Probleme mit der Interpretation des neuen Verfassungsartikels zu klären und die damit verbundenen Rechtsunsicherheiten zu beheben, sollen die schützenswerten Moore und Moorlandschaften definiert und in einem Inventar verbindlich bezeichnet werden
[53].
Die Idee, dass der Verzicht auf die wirtschaftliche Nutzung oder gar Übernutzung schützenswerter Landschaften nicht nur durch staatliche Verbote, sondern auch durch Vereinbarungen und finanzielle Anreize gefördert werden sollte, gewinnt immer mehr Anhänger. Im Hinblick auf die Revision des Gewässerschutzgesetzes (GSchG) regte Ständerat Rhinow (BL) an, die gesetzliche Grundlage für Ausgleichsbeiträge des Bundes zur Erhaltung schützenswerter Landschaften von nationaler oder überregionaler Bedeutung ins GSchG einzubauen. In einem offenen Brief an den Ständerat verlangten auch die Umweltorganisationen die Einführung eines
Landschaftsrappens. Nach ihrem Vorschlag soll mit einer Solidaritätsabgabe von höchstens einem Rappen pro Kilowattstunde auf Hydroelektrizität ein eidgenössischer Fonds gespiesen werden, aus dem Gemeinden entschädigt werden, die aufeinen weiteren Ausbau der Wasserkraftnutzung verzichten. Im Ständerat wurde ein Landschaftsrappen grundsätzlich begrüsst. .Weil sich der Rat aber noch nicht im klaren war über den Geltungsbereich und die Auswirkungen einer solchen Bestimmung, zog er es vor, einen von Bundesrat Cotti in Aussicht gestellten umfassenden Bericht zu dieser Frage abzuwarten
[54].
Mit dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen über den Biotopschutz haben die Arbeiten an den
Inventaren der gefährdeten Lebensräume für Pflanzen und Tiere (Moore, Auen, Feuchtgebiete und Trockenstandorte) verstärkte Priorität erhalten. Die Inventare werden für die Grundeigentümer verbindlich sein — im Unterschied zu den Objekten des aufeinen anderen NHG-Artikel abgestützten "Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung" (BLN), das keinen direkten rechtlichen Schutz bewirkt, sondern lediglich als Instrument der Richtplanung auf Bundesebene dient. Das BLN ersetzt und ergänzt stufenweise das Inventar der privaten "Kommission zur Inventarisierung der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung" (KLN), das im Frühling nach 30jähriger Arbeit abgeschlossen wurde. Den Grundstein für dieses Werk hatten der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN), der Schweizer Heimatschutz (SHS) und der Schweizer Alpenclub (SAC) angesichts der Bedrohung zahlreicher Landschaften durch Kraftwerkprojekte in den 50er Jahren gelegt, als es noch keinen Verfassungsartikel über Natur- und Heimatschutz oder eine speziell zuständige Bundesstelle gab
[55].
Eines der ältesten internationalen Abkommen im Naturschutzbereich, das aus dem Jahr 1971 stammende
Übereinkommen von Ramsar zum Schutz von Feuchtgebieten als Lebensraum für Wasser- und Watvögel, soll durch strukturelle Anpassungen grössere Durchschlagkraft erhalten. Beide Räte ermächtigten den Bundesrat zur Ratifikation der Anderung. Das Ramsar-Abkommen war von der Schweiz 1974 unterzeichnet und 1976 ratifiziert worden, doch fehlte dem Bund bisher die Möglichkeit, die eingegangenen Schutzverpflichtungen zu realisieren, weil die Kompetenz dazu bei den Kantonen lag. Gestützt auf die Biotopschutzbestimmungen des revidierten NHG sowie auf das neue, seit dem 1. April geltende Jagdschutzgesetz (JSG), das unter anderem die Ausscheidung von Zugvogelreservaten von internationaler Bedeutung vorsieht, kann der Bund nun die Schutzgebiete nach Anhörung der Kantone im Sinne des Ramsar-Abkommens festlegen
[56].
Eine lückenhafte Vernetzung von Lebensräumen schlägt sich in immer länger werdenden Listen von bedrohten Tierarten nieder. Deshalb ist die langfristige Sicherung aller bestehenden naturnahen Flächen als Teil eines Biotopverbundsystems weiterhin dringend. Um den Artenschwund zu stoppen, führten die Naturschutzorganisationen ihren Kampf für eine umwelt- und naturverträgliche Landwirtschaftspolitik fort und forderten insbesondere einen Ausbau der Direktzahlungen an die Bauern, verbunden mit ökologischen Auflagen. Mit Bewirtschaftungsbeiträgen für die Erhaltung und Wiederbelebung von Trockenstandorten, Feuchtgebieten oder anderer naturnaher und standortgemässer Vegetation sollen Mehraufwand und Ertragseinbussen abgegolten werden. Die Grundlagen für solche Anreize sind im revidierten NHG vorhanden
[57].
Beim 1987 in Kraft getretenen Fuss- und Wanderweggesetz (FWG), das die Planung, Anlage und Erhaltung zusammenhängender Wegnetze bezweckt, zeichnet sich ein
Vollzugsdefizit ab. Bis Ende 1989 müssen die Kantone ihre Pläne für bestehende und vorgesehene Wegnetze ausgearbeitet haben. Bisher reichte jedoch nur der Kanton Zürich einen Entwurf ein. Probleme ergeben sich vor allem bei der Planung des Fusswegnetzes im Siedlungsgebiet, die von den meisten Kantonen an die Gemeinden delegiert wird. Das FWG schreibt die Anlage von untereinander zweckmässig verbundenen Fusswegen, Fussgängerzonen und Wohnstrassen vor
[58].
Das
Inventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) wurde um eine fünfte Serie ergänzt. Neu erfasst wurden Ortschaften aus den Kantonen Solothurn und Aargau sowie der bündnerischen Surselva. Damit steht das ISOS als Planungsinstrument nun für gut die Hälfte der Kantone zur Verfügung
[59].
Bei der eidgenössischen Denkmalpflege konnte der beträchtliche Überhang an
unerledigten Subventionsgesuchen weiter abgebaut werden. Der Bundesrat bekräftigte sein Ziel, die vom Parlament immer wieder kritisierte Dringlichkeitsordnung auf Ende 1989 aufzuheben. Der Entwurf für neue rechtliche Grundlagen im Bereich der Denkmalpflege ist nach gründlichen Diskussionen nunmehr vernehmlassungsreif
[60].
[52] AS, 1988, S. 254 ff.; AT und BZ, 28.1.88; vgl. SPJ 1985, S. 132, 1986, S. 147 und 1987, S. 177.
[53] Amtl. Bull. StR, 1988, S. 298 ff.; NZZ, 2.3. und 5.6.88; BZ, 11.3.88; LNN und Vat., 5.5. und 6.5.88; Ww, 26.5.88; Vat., 21.7.88. Zur Rothenthurm-Initiative siehe SPJ 1986, S. 62 und 1987, S. 90 ff. sowie oben, Teil I, 3 (Constructions militaires).
[54] Interpellation Rhinow: Amtl. Bull. StR, 1988, S. 757 ff.; BüZ, 11.4.88; BaZ, 30.11.88. Zur Frage der Entschädigung für das nicht gebaute Greina-Kraftwerk siehe Amtl. Bull. StR, 1988, S. 775 f.; BZ und NZZ, 8.10.88. Offener Brief: TA, 1.10.88; NZZ, 3.10.88. Zur GSchG-Revision siehe oben, Gewässerschutz. Siehe auch SPJ 1987, S. 177 f. (Vorstösse im NR für einen Landschaftsrappen) sowie oben, Teil I, 6a (Energie hydro-électrique).
[55] Gesch.ber. 1988, S. 98; SGT, 19.7.88; NZZ, 21.9.88; Schweizer Naturschutz, 1988, Nr. 5, S. 20 f.
[56] BBl, 1988, II, S. 1 ff. ; Amtl. Bull. StR, 1988, S. 291 ff. und 942; Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1703 f. und 1977; BBl, 1988, III, S. 1493; NZZ, 18.2., 28.5., 17.6. und 7.12.88. Neues JSG: AS, 1988, S. 506 ff.; vgl. SPJ 1986, S. 101.
[57] NZZ, 13.5.88; BZ, 18.8., 30.8. und 31.8.88; Vat., 6.9.88; SGU-Bulletin, 1988, Nr. 1; Schweizer Naturschutz, 1988, Nr. 3; vgl. oben, Teil I, 4c (Agrarpolitik). Siehe auch die BZ-Serie zum Artenschutz: 31.5., 2.6., 6.6., 9.6., 14.6., 16.6., 20.6., 23.6. und 27.6.88.
[58] Presse vom 18.7.88; BZ, 19.10.88; vgl. Gesch.ber. 1988, S. 99 sowie SPJ 1987, S. 178.
[59] AS, 1988, S. 934 ff.; NZZ, 26.5.88. Zum Schweizerischen Inventar der Kulturgüter von nationaler und regionaler Bedeutung sowie zum Freilichtmuseum Ballenberg siehe unten, Teil I, 8b (Kultur).
[60] Amtl. Bull. NR, 1988, S. 902 f.; Gesch.ber. 1988, S. 80 und 430; vgl. SPJ 1987, S. 178.
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