Année politique Suisse 1988 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Medienpolitische Grundfragen
Das Angebot an Radio- und Fernsehprogrammen und dessen Nutzung hat in den letzten Jahren markant zugenommen und sich auch qualitativ verändert. Ein Aspekt dieser Veränderungen ist die tendenzielle Abkehr vom öffentlich-rechtlich hin zum privatwirtschaftlich organisierten Rundfunk. Wie dieses Jahr in einem Aufsatz dargelegt wurde, zeigt sich diese Abkehr in ganz Europa einerseits in der Zunahme der privaten, meist über Satelliten und Kabelnetze verbreiteten Fernsehprogramme, andererseits aber auch in der Neigung der öffentlich-rechtlichen Veranstalter, ihre Leistungsaufträge zu vernachlässigen und umzuinterpretieren, um sich im zunehmenden, teilweise jedoch antizipierten Konkurrenzkampf um Einschaltquoten behaupten zu können. Diese Tendenz führt nicht nur zu einer Nivellierung der Art und der Qualität der Programme unter den verschiedenen Anbietern, sondern auch zu einer Nivellierung der Programmangebote der einzelnen Sender. Immerhin sind nationale Unterschiede je nach dem Grad der Liberalisierung und des Schutzes der öffentlich-rechtlichen Veranstalter durchaus noch auszumachen. Ein weiteres Phänomen ist der Hang eingesessener Printmedien-Verlage, auf den Rundfunkmarkt zu expandieren, wodurch die Gefahr publizistischer Vormachtstellungen erhöht und die Meinungsvielfalt beeinträchtigt wird. Frühere Vorstellungen hinsichtlich der Reichweite des Satellitenfernsehens mussten jedoch korrigiert werden, da offenbar nur ein kleiner Kreis von Zuschauern überhaupt bereit ist, fremdsprachige Programme zu rezipieren. Andererseits scheint sich das Publikum in den drei schweizerischen Sprachregionen vermehrt den Programmen des jeweils benachbarten Auslandes zuzuwenden. Dies könnte zu einer Verminderung der gemeinsamen schweizerischen Kommunikationsinhalte und in der Folge zu einer Desintegration der drei Sprachregionen beitragen.
Wenn auch in der bisherigen Medienpolitik die Tendenz zur transnationalen Verflechtung der Massenkommunikation noch wenig beachtet wurde, hat doch das wachsende Angebot an einstrahlenden Programmen Auswirkungen auf den schweizerischen Handlungsspielraum. So bezeichnete etwa der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu einer Motion, welche Massnahmen gegen die an sich illegale Alkohol-, Tabak- und Medikamentenwerbung durch in der Schweiz verbreitete ausländische Fernsehprogramme verlangte, die Situation als "rechtlich und politisch prekär", wollte jedoch vorläufig nicht eingreifen und die im Entstehen begriffene europäische Fernsehkonvention abwarten. Kirchliche und linksstehende Organisationen und Medienleute empfanden als stossend, dass sich die Medienlandschaft in den letzten Jahren so rasant verändert hat, ohne dass diese Entwicklung in der Schweiz Eingang in eine öffentliche Diskussion gefunden hätte. Sie protestierten zudem dagegen, dass das Entstehen einer diesbezüglichen Rechtsordnung bisher weitgehend der demokratischen Kontrolle entzogen war, und dass die ökonomischen Anliegen der Medienunternehmen bei den inzwischen geschaffenen Präjudizien eingehend berücksichtigt, gesellschaftspolitische Aspekte dagegen vernachlässigt wurden [1].
Angesichts der zunehmenden Ausbreitung von pornographischen und Gewalt darstellenden Videofilmen – gemäss einer im Kanton Uri durchgeführten Studie haben bereits 60% der 12–15jährigen Jugendlichen "Brutalos" gesehen – und angesichts der nur langsam voranschreitenden Revision des Strafgesetzbuchs, das deren Vertrieb verbieten will, sind bereits mehrere Kantone daran gegangen, auf ihrem Gebiet den Verleih und den Verkauf von Darstellungen grausamer Gewalt gegen Menschen und Tiere zu untersagen. Obwohl man sich von solch kleinräumigem Handeln kaum Wirkungen verspricht und der Vollzug dieser Verbote auch im eigenen Zuständigkeitsbereich angesichts euphemistischer Filmtitel und einer fehlenden Bundesgerichtspraxis schwierig ist, werden entsprechende Vorstösse meist von allen Fraktionen unterstützt, da man sich von ihnen wenigstens eine symbolische Wirkung erhofft. Problematisch ist auch die Abgrenzung gegenüber von gesellschaftlich tolerierten Gewaltdarstellungen, die willkürlich bleiben muss; zudem kann die Wirkungsforschung keine zwingenden direkten Auswirkungen des "Brutalo"-Konsums nachweisen und empfiehlt deshalb eher pädagogische Massnahmen.
In Basel-Stadt, das seit 1987 ein solches Verbot kennt, sprach nun aber das Polizeigericht zwei angeklagte Videohändler frei, da für die Verordnung des Regierungsrates, die im April 1988 vom Grossen Rat verlängert wurde, keine rechtliche Grundlage bestehe. In Baselland verlangt die CVP-Landratsfraktion ein entsprechendes Verbot, doch ist der Regierungsrat der Meinung, dass das bestehende Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch ausreiche, gegen die Verbreitung dieser Videos vorzugehen. St. Gallen verbietet seit 1985 den Vertrieb von "Brutalos", doch machen hier Definitionsprobleme den Vollzug schwierig. In Obwalden haben sich vier der fünf Videothekare einer Vereinbarung der kantonalen Medienkommission angeschlossen und verzichten so freiwillig darauf, die entsprechenden Produkte in ihrem Sortiment zu führen. Gegen den Willen des Regierungsrates, der die Durchsetzbarkeit anzweifelte und deshalb lieber auf die Bundesregelung gewartet hätte, überwies der Grosse Rat in Luzern eine Motion der SP-Fraktion im Zeichen des Jugendschutzes. Im Kanton Aargau hielt die Gemeinde Neuenhof in ihrer Polizeiverordnung fest, dass auf Gemeindegebiet solche Filme nicht gehandelt werden dürfen; in zwei weiteren Gemeinden sowie im Kantonsrat waren Ende 1988 analoge Vorstösse hängig. Bereits seit 1971 besteht im Kanton Solothurn ein Gesetz, das die Herstellung und Verbreitung von verrohenden Filmen untersagt und auch auf Videos angewandt werden kann [2].
Die von der bundesdeutschen Zeitschrift "Emma" lancierte Debatte über die Pornographie brachte im Berichtsjahr eine umfangreiche Publizistik hervor. Fragen bezüglich der gesellschaftlichen Schädlichkeit der Pornographie – vor allem hinsichtlich frauenfeindlicher Wirkungen – wurden auch in der Schweiz diskutiert. Das Thema wirkte vor allem innerhalb eines sich als fortschrittlich, links und feministisch verstehenden Kreises polarisierend, da feministische Forderungen nach einem Verbot jeder Pornographie nicht nur der Pressefreiheit und der Freiheit des künstlerischen Ausdrucks entgegenstehen, sondern auch der im Gefolge der 68er Bewegung erhobenen Forderung nach Liberalisierung der Sexualität widersprechen. Die Organisation für die Sache der Frau (Ofra) verlangte in einer Resolution zur Sexualstrafrechtsrevision ein Verbot jeglicher, also auch sogenannt "weicher", nicht mit Gewalt verbundener Pornographie, da diese die Frau als verfügbares Objekt darstelle und deshalb eine für die Emanzipation der Frau nachteilige Wirkung habe [3].
top
 
print
Offizielle Informationstätigkeit und Pressefreiheit
Die Informationstätigkeit von Bundesrätin Kopp hinsichtlich der von ihr im Amt vertretenen privaten Interessen und die Verantwortung der Medien für den Rücktritt der Justizministerin bildeten den Anlass zu recht polemischen Diskussionen. Während das Verhalten der Magistratin und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Spannungsfeld zwischen persönlichen Loyalitäten und öffentlichem Interesse noch untersucht werden soll, war man mit Urteilen zur Rolle der Massenmedien schneller zur Stelle. Diese wurden teilweise des infamen "Kloakenjournalismus" (alt-Bundesrat Friedrich) bezichtigt, der dazu führen könne, dass sich immer weniger fähige Leute für hohe politische Amter noch zur Verfügung stellten, da sie in einer "Mediokratie" — einer Herrschaft der Medien und der Mittelmässigkeit — zwangsläufig untergehen würden. Andere Stimmen betonten dagegen, dass man den Medien keinen Vorwurf machen dürfe, wenn sie sich eines Skandals annähmen, denn in einer Demokratie falle ihnen ein Wächteramt zu; allenfalls sei der reisserische Stil zu verurteilen, mit dem die Affäre Kopp begleitet worden sei, und teilweise wurde gar kritisiert, die Medien seien vor der Wahl von Frau Kopp zu wenig kritisch gewesen und hätten das Umfeld der Kandidatin zu wenig genau untersucht. Eine vom Schweizerischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverband angeregte Studie ergab, dass keine böswillige Pressekampagne stattgefunden habe, und dass die Medien im Gegenteil die Frage eines allfälliges Rücktritts von Frau Kopp sehr vorsichtig angesprochen hätten [4].
Hinsichtlich der Information der Bevölkerung in Krisenlagen hielt Bundeskanzler Buser auf eine Interpellation im Ständerat hin fest, dass der Bund aus den Unfällen von Tschernobyl und Schweizerhalle und aus den Vorfällen mit listerienverseuchtem Käse seine Lehren gezogen habe. Die Bundeskanzlei sei deshalb beauftragt, eine Informationszentrale zu schaffen, um die Koordination auf Bundesebene und zwischen den Kantonen zu gewährleisten. Gemäss einem Bericht der "Wochenzeitung" soll diese Informationszentrale im Katastrophenfall von einer Spezialtruppe der Armee unterstützt werden [5].
Die Verurteilung eines Journalisten, der über den geplanten Bau einer militärischen Anlage im Wallis berichtet hatte, führte zu einer Interpellation im Nationalrat. Bundesrat Koller räumte dabei ein, dass zwischen dem legitimen Interesse der Armee an der Geheimhaltung und dem ebenso legitimen Interesse der Bevölkerung an Information ein gewisses Spannungsverhältnis bestehe. Er stellte deshalb in Aussicht, dass die Revision des Artikels über landesverräterische Verletzung militärischer Geheimnisse im Militärstrafrecht vorgezogen werden könnte. Für das bis spätestens 1989 zusätzlich versprochene neue Geheimhaltungskonzept war dann aber gemäss einem Bericht des "Journal de Genève" Ende des Jahres noch nicht einmal eine entsprechende Kommission eingesetzt worden [6]. Im weitern bestätigte das Bundesgericht die Verurteilung eines Journalisten, der aus einem vertraulichen Referat des Generalstabschefs zitiert hatte, und in Zürich wurden Fernsehjournalisten dafür verurteilt, dass sie den Namen einer Prostituierten nicht preisgaben, die in einer Sendung zugegeben hatte, Freier möglicherweise mit AIDS angesteckt zu haben [7].
 
[1] Vgl. dazu Lit. Hänni / Loretan / Meier sowie Meier / Schanne / Bonfadelli; C. Torracinta in Le Temps stratégique, 1988, Nr. 24, dazu TA, 3.6.88. Die erwähnte Motion Zwygart (evp, BE) wurde vom NR als Postulat überwiesen: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 661 f.; dazu NZZ, 12.1.88 und JdG, 13.1.88. Vgl. auch unten, Radio und Fernsehen.
[2] Studie von R. Stadler: TA, 1.12.88; vgl. auch SZ, 29.2.88. Basel-Stadt: Baz, 7.4. und 5.8.88; Baselland: BaZ, 29.6.88; St. Gallen: SGT, 25.8.88; Obwalden: Vat., 27.8.88; LNN, 29.8.88; Luzern: Vat., 14.9.88; Aargau: AT, 4.2. und 19.8.88; Solothurn: SZ, 11.3.89. Vgl. auch oben, Teil I, 1b (Strafrecht) und SPJ 1987, S. 234.
[3] Vgl. Lit. über Pornographie. Zur Diskussion in der Schweiz: WoZ, 15.4., 22.4. und 12.8.88. Ofra: WoZ, 8.7.88. Vgl. auch oben, Teil I, 1b (Strafrecht und SPJ 1987, S. 22 und 234.
[4] TA, 15.12., 20.12., 21.12. und 27.12.88; Presse vom 16.12.88; AT, 17.12.88; SGT, 21.12.88. Vgl. auch Lit. Gantenbein / Kähr / Schanne (dazu TA, 29.4.89; 24 Heures, 1.5. und 5.5.89; BaZ, Suisse und JdG, 5.5.89), Béguin, Boventer und Luchsinger sowie oben, Teil I, 1c (Regierung).
[5] Amtl. Bull. SIR, 1988, S. 6 ff.; BaZ, 1.3.88; WoZ, 30.3.88. Vgl. auch die einfache Anfrage von U. Bäumlin (sp, BE) zur Informationspolitik des Delegierten für das Flüchtlingswesen in: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 480; siehe auch Lit. von Sury.
[6] Urteil: NF, 5.3.88; JdG, 7.3. und 11.7.88; 24 Heures 7.7. und 8.7.88; NZZ, 7.7.88; TA und BaZ, 8.7.88; Bund, 9.7.88; vgl. auch TA, 27.7.88; Klartext, 8/1988, Nr. 4, S. 15 f. Koller: Amtl. Bull. NR, 1988, S. 1438 und 1442; Presse vom 7.10.88; JdG, 28.12.88.
[7] Bundesgericht: TA, 8.6.88; NZZ und WoZ, 10.6.88. Zürich: TA, 5.2. und 8.3.88.