Année politique Suisse 1989 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Wohnungsbau
Der schon in den Vorjahren aufgetretene Wohnungsmangel akzentuierte sich 1989 weiter. Die Wohnbautätigkeit ging gesamthaft um 0,6% zurück; betroffen davon waren jedoch nur die Städte, wo die Abnahme rund 12% betrug, während in den übrigen Gemeinden eine Zunahme von 3,8% erfolgte. Dagegen nahm die Zahl der erteilten Baubewilligungen leicht zu, wobei aber ungewiss bleibt, ob angesichts der stark verteuerten Kredite alle baubewilligten Projekte realisiert werden können. Die Zahl der leerstehenden Wohnungen nahm um rund 12% ab und erreichte einen neuen absoluten Tiefststand, ebenso wie die Leerwohnungsziffer, welche am 1. Juni mit 0,43% in einem Bereich lag, wo Fachleute von Wohnungsnot sprechen. Die Leerwohnungsziffer lag in den Kantonen Zürich und Zug mit 0,09 bzw. 0,17% am niedrigsten.
Der Schweizerische Mieterverband bezeichnete diese Zahlen auch deshalb als dramatisch, weil sie nicht nur Mietwohnungen enthalten, sondern auch solche, welche nur zu kaufen sind. Der Schweizerische Hauseigentümerverband hingegen anerkannte zwar Probleme auf dem Wohnungsmarkt, möchte aber weiterhin nicht von Wohnungsnot, sondern bloss von einer längeren Suchzeit nach einer neuen Wohnung sprechen. Er machte für die Situation namentlich auch gestiegene Wohnraumbedürfnisse verantwortlich. Tatsächlich hat sich der Wohnungsbestand von 1960 bis 1987 von 1 580 930 auf 3 011 525 fast verdoppelt, während gleichzeitig die Bevölkerung nur von 5,4 auf 6,6 Mio Einwohner zunahm. Die Wohnungsbelegung sank entsprechend von 3,4 auf 2,2 Personen pro Wohnung. Auch eine Studie des Bundesamtes für Raumplanung bestätigte diese Abkoppelung der Entwicklung des Wohnungsbaus vom Bevölkerungswachstum, rechnet jedoch in den nächsten Jahren mit einer Trendwende. Als Gründe für den wachsenden Wohnraumbedarf werden allgemein genannt: der zunehmende Wohlstand, die wachsende Zahl der in grossen Wohnungen verbleibenden Pensionierten, der frühere Auszug der Kinder aus dem Elternhaus, die grosse Zahl von Ehescheidungen mit faktischer Verdoppelung der Haushalte (Zunahme der Einpersonenhaushalte zwischen 1970 und 1980 um 75%) sowie die zunehmende Zahl von Zweitwohnungen [18].
Eine prospektive Studie über Wohnungen und Wohnbedürfnisse im Wandel stellte fest, dass 30% der Schweizer heute allein leben und dass zunehmend breitere Schichten der Bevölkerung von der Wohnungsnot betroffen sind. Die Ausgleichsfunktionen des kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungsbaus reichten nicht mehr aus und die öffentliche Hand werde die Diskrepanz zwischen Einkommens- und Wohnkostenentwicklung ausgleichen müssen; soziale Konflikte seien jedenfalls vorprogrammiert [19].
Von besonderer politischer Brisanz sind leerstehende Wohnungen vor allem in grösseren Städten. In Beantwortung einer Einfachen Anfrage Rechsteiner (sp, SG) gab der Bundesrat seinem Verständnis dafür Ausdruck, dass die Bevölkerung leerstehende Wohnungen angesichts des Wohnungsmangels als stossend empfindet. Weil aber die Zahl der unbewohnten Häuser verhältnismässig gering sei und zudem regionale Unterschiede bestünden, erachtet die Landesregierung eine bundesrechtliche Vorschrift, welche Hauseigentümer zur Nutzung zwingen würde, als nicht sinnvoll. Anderer Meinung war die Genfer Regierung, welche mit einer in Aussicht gestellten Gesetzesänderung entsprechende Massnahmen ultimativ androhte [20].
Das seit 1970 geltende Bundesgesetz über die Verbesserung der Wohnverhältnisse in Berggebieten, welches A-fonds-perdu-Beiträge von Bund, Kantonen, Gemeinden und gelegentlich auch von Dritten vorsieht, soll um zehn Jahre verlängert werden. Der Bundesrat verabschiedete eine entsprechende Botschaft, nachdem sich sämtliche Stimmen in der Vernehmlassung positiv geäussert hatten. Vom Inkrafttreten des Gesetzes bis 1988 hat der Bund Finanzhilfen von 244,4 Mio Fr. für die Sanierung von 14 310 Wohnungen ausgerichtet. Gegenwärtig werden jährlich etwa 800 bis 1000 Wohnverhältnisse verbessert. Die Neuauflage des Gesetzes sieht keine Aufstockung der finanziellen Mittel vor, obwohl eine Ausdehnung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Alleinstehende beabsichtigt ist. Dazu sollen neu auch Ergänzungsbauten mit höchstens zwei Wohnungen gefördert werden können, wenn die baulichen Verhältnisse im Hauptgebäude den Einbau einer zweiten Wohnung nicht erlauben. Schliesslich wird ausdrücklich festgehalten, dass die geförderten Bauten den Anforderungen des Natur- und Heimatschutzes, der Raumplanung und des Umweltschutzes entsprechen müssen. Die zugehörige Anderung der Verordnung, welche eines Ausdehnung des Geltungsbereichs auf die Zone I des Viehwirtschaftskatasters vorsieht, wurde vom Bundesrat ebenfalls verabschiedet [21].
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Wohneigentumsförderung
Auf Grund des Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetzes (WEG) sind seit 1975 vom Bund in über 30 000 Fällen Beiträge an den Bau, den Erwerb und die Erneuerung von Wohneigentum sowie für die Bereitstellung preisgünstiger bzw. alters- und behindertengerechter Mietwohnungen geleistet worden. Die entsprechenden Erstellungskostengrenzen wurden auf Anfang 1989 erhöht. Die 1987 vom EVD eingesetzte Expertenkommission für Fragen der öffentlichen Förderung der Altbauerneuerung lieferte ihren Schlussbericht ab, in welchem sie vorschlägt, die Erhaltung der Wohnsubstanz vermehrt und wirksamer mittels einer Verstärkung des WEG zu fördern. Weil durch Sanierungen zunehmend preisgünstiger Wohnraum verlorengehe, müssten vermehrt auch Subventionen für die daraus resultierenden Mietzinssteigerungen ausgeschüttet werden können. Im einzelnen schlug die Kommission vor, neben einer flexibleren Handhabung der Subventionsauflagen, steuerlichen Vergünstigungèn und einer besseren Information die bestehenden Darlehensmöglichkeiten für bedürftige Haushalte mit einem steuerbaren Einkommen bis zu 30 000 Franken zu verbessern [22].
Der neue Entwurf für eine steuerliche Begünstigung des Wohnsparens mit Geldern der sogenannten gebundenen Selbstvorsorge (Säule 3a), der sich vor allem an Selbständigerwerbende richtet, wurde in der Vernehmlassung von den Kantonen und Parteien fast durchwegs begrüsst und von den Befragten mehrheitlich als zu wenig weit gehend bewertet. Einzig die SP hielt ihn für unannehmbar und trat stattdessen für eine befriedigende Regelung der Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge ein. Der Bundesrat trug den Einwänden weitgehend Rechnung und ermöglichte schliesslich mit einer Anderung der Verordnung über die steuerliche Abzugsberechtigung für Beiträge an anerkannte Vorsorgeformen (BVV3) den vorzeitigen und vollumfänglichen Bezug der angesparten Kapitalien für den Erwerb von Wohneigentum zum Eigenbedarf oder zur Amortisation von Hypothekardarlehen, wobei diese Möglichkeit grundsätzlich nur einmal gewährt werden soll [23].
Bisherige Bemühungen zur Wohneigentumsförderung mit Mitteln aus der beruflichen Vorsorge haben sich zumindest vorläufig als unrealisierbar erwiesen. Die Schweizerische Zentralstelle für Eigenheim- und Wohnbauförderung (SZEW), die 1989 ihr 25jähriges Bestehen feiern konnte und die generell für eine breitere Streuung des Wohneigentums mit Geldern aus der Altersvorsorge eintritt, möchte allerdings diese Zielsetzung nicht aus dem Auge verlieren [24]. In beiden Räten wurden gleichlautende Motionen von StR Küchler (cvp, OW) und NR Weber (fdp, SZ) als Postulate überwiesen, welche eine Lockerung des Verpfändungsverbots bei Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum vorschlagen; im weitern sollen die angesparten Mittel der beruflichen Vorsorge bis zur Hälfte des jeweiligen Freizügigkeitskapitals bar bezogen werden können. Bundesrat Koller gab dabei bekannt, dass die Landesregierung noch vor der Revision des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge einen Vorschlag zur Ermöglichung der Verpfändung von Vorsorgegeldern für den Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum unterbreiten werde [25]. Eine parlamentarische Initiative Spoerry (fdp, ZH), welcher eine Kommission des Nationalrats zustimmte, hat ebenfalls den vorzeitigen Bezug von Geldern aus der Altersvorsorge (2. und 3. Säule) zum Inhalt, und möchte als Sicherung im Grundbuch anmerken lassen, welcher Anteil des Kapitals aus Pensionskassenmitteln stammt, damit dieser bei einem späteren Verkauf zurückerstattet werden müsste [26].
 
[18] Wohnbautätigkeit: NZZ, 18.4.90. Leerwohnungsbestand: BaZ, JdG und NZZ, 25.8.89; Die Volkswirtschaft, 62/1989, Nr. 10, S. 47 f. Wohnungsbestand: NZZ, 8.4.89. Studie BA für Raumplanung: vgl. Lit. Hübschle / Hager; Vat., 21.3.89; Presse vom 22.3.89. Vgl. auch SPJ 1988, S. 164 f.
[19] Vgl. Lit. Bassand / Henz; BaZ, NZZ und TA, 29.5.89; Bund, 30.5.89; Vat., 31.5.89.
[20] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1818 f.; NZZ, 7.9.89. Zu Genf vgl. unten, Teil II, 4e.
[21] Gesetz: BBl, 1989, III, S. 412 ff.; NZZ, 28.2.89; SGT, 17.8.89; vgl. SPJ 1988, S. 165. Verordnung: Bund, 26.1.89.
[22] NZZ, 10.1. und 4.2.89.
[23] NZZ, 7.3., 5.5. und 19.9.89; TA, 25.5.89; BaZ, Bund, Vat. und JdG, 19.9.89; BZ, 20.12.89; AS, 1989, S. 1903; vgl. SPJ 1988, S. 165. Eine weitere Ausrichtung ist zulässig, wenn der Vorsorgenehmer sein bisheriges Wohneigentum veräussert und ein anderes für den Eigenbedarf erwirbt. Die Verordnung wurde auf 1.1.1990 in Kraft gesetzt.
[24] Bund und NZZ, 12.5.89; das Präsidium wechselte von NR K. Weber (fdp, SZ) zu NR P. Aliesch (fdp, GR). Vgl. SPJ 1988, S. 165.
[25] Amtl. Bull. NR, 1989, S. 1705 f.; Amtl. Bull. StR, 1989, S. 559 ff.; Vat., 8.7.89; Bund, 5.10.89.
[26] BaZ, 15.7.89; TA, 4.8.89; NZZ, 17.11.89. Weitere Vorstösse im Bereich berufliche Vorsorge und Wohneigentum, vgl. unten, Teil I, 7c (Berufliche Vorsorge).