Année politique Suisse 1989 : Sozialpolitik / Bevölkerung und Arbeit
 
Arbeitsmarkt
In den Jahren 1983 bis 1988 erhöhte sich in der Schweiz die Zahl der Arbeitsplätze um 250 000 oder 7,8% auf 3,45 Mio. Damit liegt unser Land in der Arbeitsplatzbilanz weltweit an dritter Stelle hinter den USA (+14,2%) und Grossbritannien (+8,4%). Im Berichtsjahr wurde allerdings – sowohl im Industrie- als auch im Dienstleistungssektor – eine Verlangsamung der Tendenz beobachtet. Dies wurde weniger auf eine mangelhafte Dynamik der Arbeitsplatzbeschaffung, als vielmehr auf die Knappheit an Arbeitskräften zurückgeführt [2].
Der Arbeitsmarkt war denn auch weiterhin von einem verstärkten Arbeitskräftemangel geprägt. Die Arbeitslosenquote sank von 0,7% Ende 1988 auf einen Tiefstwert von 0,5% im Juni, auf dem sie bis November verharrte, und betrug im Jahresmittel 0,6% [3]. Damit dürfte – so Biga-Direktor Hug – eine Art Sockelwert erreicht sein, der sich auch bei weiterem Wirtschaftswachstum und anhaltend guter Konjunktur kaum mehr reduzieren lässt [4]. Der Arbeitsmarkt war bei gut und sehr gut qualifizierten Berufsleuten besonders ausgetrocknet: im dritten Quartal meldeten 54% der Betriebe einen Mangel an gelernten, jedoch nur 18% einen solchen an ungelernten Arbeitskräften. Besonders stark unter Arbeitskräftemangel litten die Banken und die Betriebe der Maschinen-, Fahrzeug-, Elektro- und Elektronikbranche [5].
Stellvertretend für den Bundesrat setzte sich Biga-Direktor Hug klar für drei Prioritäten in der Arbeitsmarktpolitik ein: für eine vermehrte Förderung wiedereinstiegswilliger Frauen, für ein Umdenken in der Ausländerpolitik und für eine breit angelegte "Weiterbildungsoffensive", die dem Umstand Rechnung tragen soll, dass in der Wirtschaft eine Umstrukturierung im Gang ist, die in Richtung Verstärkung des Dienstleistungssektors und hochtechnisierter Arbeitsplätze geht – immerhin ist heute bereits jeder vierte Arbeitsplatz computergestützt. Brisant waren dabei in erster Linie die Äusserungen Hugs zur Ausländerpolitik, wo er zu einer kritischen Durchleuchtung derjeniger Branchen aufrief, deren Wertschöpfung pro Mitarbeiter unter dem schweizerischen Durchschnitt liegt. Es gehe nicht mehr an, meinte er, Strukturerhaltung mit unqualifizierten ausländischen Arbeitskräften – in erster Linie Saisonniers – zu betreiben, während der Werk- und Denkplatz Schweiz, in dem eine Ausdehnung des Ausländerkontingents aus politischen Gründen nicht zur Diskussion stehen könne, auf hochqualifizierte ausländische Arbeitskräfte verzichten müsse [6].
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Arbeitsvermittlungsgesetz
In Zeiten der Hochkonjunktur und des ausgetrockneten Arbeitsmarktes erhalten private Personalverleiher besonderes Gewicht. Um die Machenschaften der "schwarzen Schafe" der Branche in den Griff zu bekommen und die Arbeitnehmer besser zu schützen, hatte der Bundesrat 1985 eine Revision des Arbeitsvermittlungsgesetzes (AVG) vorgeschlagen, um deren Ausmass und Ausgestaltung die Räte allerdings heftig rangen. In der Herbstsession fand das Tauziehen ein Ende, "die beiden Kammern einigten sich auf einen Kompromiss und das Gesetz konnte verabschiedet werden. Die Arbeitsvermittlung und vor allem der Personalverleih werden neu einer Bewilligungspflicht unterstellt. Entgegen dem Willen des Ständerates müssen Personalverleiher für die Löhne der von ihnen beschäftigten Personen eine Kaution leisten. Nur die Lohn- und Arbeitszeitbestimmungen der allgemeinverbindlichen Gesamtarbeitsverträge müssen respektiert werden, also nicht alle Bestimmungen und keine Branchen- und Regionalabkommen; in diesem Punkte schwenkte der Nationalrat wieder auf die Linie von Bundes- und Ständerat ein [7].
Am Schluss der Beratungen zeigten sich alle Seiten vom erzielten Kompromiss befriedigt. Für Fritz Reimann (sp, BE), Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) und Präsident der vorberatenden Kommission des Nationalrats konnte mit diesem Gesetz — auch wenn die Gewerkschaften nicht alle ihre Forderungen durchsetzen konnten — der Schutz der Temporärarbeiter erheblich verstärkt werden. Als Vertreter der Arbeitgeber bezweifelte Nationalrat Heinz Allenspach (fdp, ZH) zwar weiterhin die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung, doch erachtete er die erarbeitete Kompromisslösung als akzeptabel und erklärte, die Arbeitgeber würden nicht das Referendum ergreifen [8].
 
[2] SGT, 18.3.89; BaZ, 16.8.89.
[3] NZZ, 24.1.90. Die amtlichen Statistiken weisen die Arbeitslosenquote an einem bestimmten Stichtag aus; eine Untersuchung der Universität Basel, zeigte, dass in den Jahren 1985 und 1986, in denen die offizielle Arbeitslosenquote bei 1,0 bzw. 0,9% lag, über 5% der Bevölkerung mindestens einmal von Arbeitslosigkeit betroffen waren: siehe Lit. Sheldon; Presse vom 15.2.89; Baz, 4.3.89.
[4] Lit. Hug, Dynamik.... Die Zahl der wegen Kurzarbeit ausgefallenen Arbeitsstunden verringerte sich ebenfalls massiv (NZZ, 1.2.90). Für die Zusammensetzung der "Sockelarbeitslosen" und deren menschlichen und sozialen Probleme siehe Presse vom 14.4.89 (Beschäftigungsprogramme des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks); Vr, 17.5.89; TA, 2.5. und 29.6.89; NZZ, 24.1.90.
[5] Lit. Hug, Dynamik...; NZZ, 6.1.90.
[6] Lit. Hug, Arbeitsmarktpolitik; Presse vom 7.1.89 (Pressekonferenz des Biga-Direktors); NZZ, 24.5.89. Für die "Weiterbildungsoffensive" des Bundes siehe unten, Teil I, 8a (Formation professionnelle). Zum computergestützen Arbeitsplatz Schweiz siehe BZ, 31.5.89.
[7] BBl, 1989, III, S. 927; NZZ, 20.1. und 1.9.89 (NRKommission); Amtl. Bull. NR, S. 236 ff., 250 ff., 1247 ff. und 1806; NZZ, 20.5.89 (StR-Kommission); Amtl. Bull. StR, S. 353 und 623. Zur Vorgeschichte siehe SPJ 1987, S. 189 und 1988, S. 192.
[8] BaZ, 22.9.89.