Année politique Suisse 1990 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Volksrechte
Im Berichtsjahr wurden fünf neue Volksinitiativen eingereicht (Landwirtschaftspolitik des Bauernverbandes, Alpentransit, Tierversuche, arbeitsfreier 1. August und Waffenplätze). Sechs Volksinitiativen wurden 1990 an der Urne abschliessend behandelt: eine wurde angenommen (AKW-Moratorium), fünf abgelehnt (Ausstieg aus der Atomenergie, Stopp-dem-Beton und drei Initiativen gegen Nationalstrassen-Teilstücke). Zwei abstimmungsreife Volksinitiativen (Abschaffung von Autobahnvignette bzw. Schwerverkehrssteuer) wurden zurückgezogen ohne dass das Parlament ein Entgegenkommen gezeigt hätte. Verantwortlich war vielmehr die Unlust der Strassenverkehrsverbände, die Abstimmungskampagne für die Begehren des Basler Automobiljournalisten Böhi zu finanzieren. Zurückgezogen wurde auch die Steuerinitiative der FDP, da deren Anliegen nach Ansicht der Initianten inzwischen erfüllt worden sind. Somit verringerte sich die Zahl der Ende 1990 hängigen Volksinitiativen von 19 auf 15.
Die Zahl der
neu lancierten Volksinitiativen hat gegenüber dem Vorjahr von 8 auf 11 zugenommen, bei ihren Themen lassen sich keine Schwerpunkte ausmachen. Eine davon ist bereits weniger als sechs Monaten nach ihrer Lancierung eingereicht worden (Waffenplätze), ein Teil von ihnen wird jedoch mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht zustandekommen. Dieses Schicksal erlitten im Berichtsjahr vier der 1989 gestarteten Volksinitiativen: obwohl die Frist noch nicht abgelaufen war, wurde die Unterschriftensammlung erfolglos abgebrochen (freie Fahrt für Jugendliche, Stammhalter, Hügelstadt Sonnenberg und Behandlungsfristen für Volksinitiativen)
[57].
Im Berichtsjahr wurde auf Bundesebene zweimal das
Referendum ergriffen (Strassenverkehrsgesetz und Entkriminalisierung der Militärdienstverweigerung). In der Volksabstimmung setzte sich beim Strassenverkehrsgesetz der Parlamentsbeschluss durch; über die Militärvorlage wird 1991 abgestimmt werden. Die beiden 1989 eingereichten Referenden waren erfolgreich: sowohl die Reorganisation der Bundesrechtspflege als auch der Rebbaubeschluss fanden in der Volksabstimmung keine Mehrheit
[58].
Der Nationalrat lehnte die 1988 eingereichte parlamentarische Initiative Meier (gp, ZH) für die Einführung des fakultativen
Referendums für grosse Bauprojekte des Bundes und für wichtige Konzessionserteilungen ab. Ebenfalls keine Zustimmung fand eine allgemeiner gehaltene Motion der Kommissionsminderheit, welche den Bundesrat beauftragen wollte, eine Vorlage für einen entsprechenden Ausbau der Volksrechte auszuarbeiten
[59].
Bei der Behandlung der parlamentarischen Initiative Dünki (evp, ZH) für eine
speditivere Behandlung von Volksinitiativen setzte sich der weiter gehende Vorschlag der vorberatenden Kommission durch: Der Nationalrat forderte den Bundesrat mit einer Motion auf, nicht nur die maximal erlaubten Behandlungsfristen zu verkürzen, sondern diese als Gesamtfristen bis zur Durchführung der Volksabstimmung zu erklären. Der Basler Journalist Böhi stellte die Unterschriftensammlung für seine.im Vorjahr lancierte Volksinitiative für eine Verkürzung der Behandlungsfristen ein
[60].
In der Nationalratskommission, welche die Vorarbeiten für die Einführung der
Einheitsinitiative zu leisten hatte, gewann nach Anhörung von verschiedenen Experten die Skepsis Oberhand. Die Kommission beschloss, dem Plenum den Übungsabbruch zu empfehlen, da dieses Instrument zu kompliziert und zu wenig attraktiv sei. Eine Minderheit will allerdings beantragen, die in der Kommission knapp unterlegene Idee der Gesetzesinitiative weiter zu verfolgen
[61].
Der Nationalrat überwies eine Motion des Ständerats und eine identische Motion Zwingli (fdp, SG) für die Vergabe von neutralen
Titeln von Volksinitiativen durch die Bundeskanzlei nur als Postulate
[62]
.
Der knappe Ausgang der Volksabstimmung über die Kantonszugehörigkeit des Laufentals hatte auch die Frage aufgeworfen, ob nicht die Veröffentlichung von Resultaten von
Meinungsumfragen unmittelbar vor einem Urnengang zu verbieten sei, da damit die Meinungsbildung manipuliert werden könne. Der Bundesrat gab sich in seiner Antwort auf eine Interpellation Bonny (fdp, BE) sehr zurückhaltend und wies insbesondere auf die Unterschiede zum Ausland hin, wo zwar zum Teil solche Restriktionen bestehen, die Anzahl der Abstimmungen und Wahlen aber viel geringer ist
[63].
Im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes über die politischen Rechte (siehe unten) soll auch überprüft werden, ob der Bund Regeln über die Höhe und die Verwendung der in Abstimmungskampagnen eingesetzten
finanziellen Mittel erlassen soll. In seiner Antwort auf eine entsprechende Motion Longet (sp, GE) sprach sich der Bundesrat zwar gegen solche Vorschriften aus, er widersetzte sich aber einer Überweisung in Postulatsform nicht
[64]
.
Die 1989 durchgeführte Vernehmlassung über eine Totalrevision des Gesetzes über die politischen Rechte hatte ein breite Zustimmung zur Einführung der
brieflichen Stimmabgabe ergeben. Auch das Parlament wünscht offenbar diese Neuerung: Der Nationalrat, der bereits 1988 einer entsprechenden Motion Segmüller (cvp, SG) zugestimmt hatte, überwies nun auch eine von der kleinen Kammer 1988 gutgeheissene Motion Rhinow (fdp, BL)
[65]
. Die angesprochene Totalrevision selbst wurde vom Bundesrat zurückgestellt, da er zuerst abwarten will, welche tiefgreifenden Anderungen des politischen Systems der Abschluss eines EWR-Vertrags erforderlich machen könnte
[66]
.
[57] Wirtschaftsförderung, Initiativen + Referenden, Zürich 1991; Vat., 24.12.90. Zu Böhi siehe BZ, 11.7.90. Zu den einzelnen Initiativen siehe die entsprechenden Sachkapitel.
[58] Siehe dazu die betreffenden Sachkapitel.
[59] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1881 ff. Siehe SPJ 1988, S. 36.
[60] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1486 ff.; BZ, 11.7.90 (Böhi). Siehe SPJ 1989, S. 35.
[61] NZZ, 3.7. und 12.9.90; BZ, 23.7.90. Siehe SPJ 1989, S. 35 sowie Lit. Lombardi/Wertenschlag.
[62] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 700 und 1467. Vgl. SPJ 1989, S. 35.
[63] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 757 und 894 f. Zum Laufental siehe unten, Teil 1, Id (Territoriale Fragen).
[64] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 1908 f.
[65] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 284. Siehe SPJ 1988, S. 36 und 1989,S. 35. Vgl. auch Lit. Staatskanzlei des Kt. Thurgau.
[66] Amtl. Bull. NR, 1990, S. 895. Siehe dazu auch unten, Teil I, 2 (Europe).
Copyright 2014 by Année politique suisse
Dieser Text wurde ab Papier eingescannt und kann daher Fehler enthalten.