Année politique Suisse 1991 : Grundlagen der Staatsordnung / Wahlen
Eidgenössische Wahlen
Aus den noch häufiger als vor vier Jahren durchgeführten Wahlprognosen im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen konnten keine klaren Tendenzen herauskristallisiert werden. Je näher der Wahltermin rückte, desto vorsichtiger wurden die Aussagen bezüglich einer Veränderung der Zusammensetzung des Parlaments; so wagte die "Schweizer Illustrierte" drei Monate vor den Wahlen gemäss ihrer Umfrage den Grünen einen gewaltigen Wähler- und Sitzanteilgewinn zuzusprechen, während CVP und FDP 6% resp. 7% verlieren würden; kurz vor dem Wahlgang jedoch prognostizierte sie keine Veränderung der politischen Landschaft mehr. Geringe Verschiebungen der politischen Kräfte wurden von den meisten Meinungsumfragen übereinstimmend vorausgesagt: Dem LdU wurde aufgrund der starken Verluste in kantonalen Wahlen ein weiterer Rückschlag prognostiziert; für die bürgerlichen Regierungsparteien wurden kleinere Verluste, für die Sozialdemokraten hingegen ein geringer Zuwachs angekündigt
[1].
Der Ausgang der Wahlen stimmte in dem Sinne mit den Prognosen überein, als die FDP und die CVP Verluste an Wähleranteilen hinnehmen mussten, wobei allerdings die hohe Anzahl an verlorenen Sitzen die Erwartungen übertraf. Die Erosion der Zentrumsparteien sowie das Erstarken der populistischen Kräfte am rechten Rand des politischen Spektrums überraschten zum Teil durch ihr Ausmass. Entgegen den Prognosen und eher enttäuschend aufgrund der eigenen Erwartungen stagnierte die SP um die 18,5%. Der 1987 festgestellte Trend weg von den Regierungsparteien hielt weiter an, allerdings nicht zugunsten von grünen Gruppierungen, sondern eher in Richtung von populistischen Protestgruppen und rechtsnationalistischen Parteien. Die Frauenvertretung konnte von 29 auf 35 verbessert werden (am Ende der Legislaturperiode sassen 32 Frauen im Nationalrat); ihr Anteil erhöhte sich somit seit den letzten Wahlen von 14,5% auf 17,5%.
Insgesamt 62 Parlamentarierinnen und Parlamentarier verzichteten auf eine Verteidigung ihres Mandats; darunter waren sechs bisherige Nationalräte, welche nun für den Ständerat kandidierten. Namentlich unter den zurücktretenden Zürcher Deputierten fanden sich einige bekannte Persönlichkeiten. Der zusammen mit Helmut Hubacher (sp, BS) amtsälteste Nationalrat
Paul Eisenring (cvp) zog sich nach 28 Jahren zurück; mit dem freisinnigen Nationalratspräsidenten
Ulrich Bremi (16 Jahre im Parlament),
Sigmund Widmer (ldu, 17 Jahre im Parlament), Peter Spälti (fdp, 8 Jahre im Parlament) und der sozialdemokratischen
Liliane Uchtenhagen (20 Jahre im Parlament) verabschiedeten sich vier weitere bekannte Persönlichkeiten aus der Volkskammer. Andere prominente zurücktretende Nationalratsangehörige waren der ehemalige SGB Präsident
Fritz Reimann (sp, BE), der Oststaatenexperte Peter Sager (svp, BE), der Finanzexperte Hans-Rudolf Feigenwinter (cvp, BL), Felix Auer (fdp, BL) und Paul Zbinden (cvp, FR). Von den 32 Nationalrätinnen traten neben der oben erwähnten Lilian Uchtenhagen auch Susi Eppenberger (fdp, SG), Françoise Pitteloud (sp, VD) — sie war mit 40 Jahren die jüngste abtretende Nationalrätin — und die 43jährige Grüne Susanne Leutenegger Oberholzer (BL) zurück. Im Ständerat verzichteten unter anderem Esther Bührer (sp, SH),
Jakob Schönenberger (cvp, SG), Bruno Hunziker (fdp, AG), Robert Ducret (fdp, GE) und
Arthur Hänsenberger (fdp, BE) auf eine weitere Kandidatur
[2].
Von den
2561 Personen (ohne Majorzkantone, davon 814 allein im Kanton Zürich), die für den Nationalrat kandidierten, waren auf 248 (1987: 222) Listen 834 Frauen; gegenüber dem Wahljahr 1987 erhöhte sich der
Frauenanteil von 29,4% auf
32,2%
[3]. Frauenkandidaturen kamen im linken und grünen Spektrum häufiger vor als im bürgerlichen. Bei der Grünen Partei betrug der Anteil der Frauen 51% und bei der SP 45%. Im bürgerlichen Lager erreichte der Frauenanteil bei der CVP 28%, bei der FDP 27% und bei der SVP 17%. Die Auto-Partei brachte es auf einen Anteil von 8% Frauenkandidaturen. Reine Frauenlisten gab es in sieben Kantonen, wovon vier auf die SP (ZH, BE, FR, GE) entfielen und je eine auf die FDP (SO), das Grüne Bündnis (SG), die Liste "Frauen macht Politik (FraP)" (ZH) und die SD (BL). Von den am Ende der Legislaturperiode amtierenden 32 Nationalrätinnen stellten sich 28 zur Wiederwahl; für den Ständerat waren es vier von fünf Bisherigen
[4].
Das Durchschnittsalter der Kandidatinnen und Kandidaten sank von 44 Jahren bei den letzten Wahlen auf 42 Jahre; unter den über 2500 Kandidierenden fanden sich 28 18- und 19jährige, welche zum ersten Mal wählen und sich als Kandidaten aufstellen lassen konnten
[5].
Die
Zunahme der Listenanzahl von 222 im Jahre 1987
auf 248 (ohne Majorzkantone) bewirkte unter anderem auch eine Erhöhung der Anzahl Bündnisse zwischen den verschiedenen Listen. Insgesamt wurden 86 Wahlallianzen geschlossen, wovon 54 auf Listen- und 32 auf Unterlistenverbindungen entfielen (1987: 47 Listen- und 17 Unterlistenverbindungen). Abgesehen von den Majorzkantonen kam nur in . Appenzell Ausserrhoden keine Listenverbindung zustande; jene im Kanton Jura war nicht parteiübergreifend. An der Spitze lagen die Kantone Bern und Zürich, gefolgt von 'Solothurn, Aargau und Thurgau
[6].
In Bern kamen für die Nationalratswahlen je ein bürgerliches und ein rot-grünes Bündnis zustande. Zum ersten Mal seit 1848 entstanden auch in Neuenburg Bündnisse sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite. Im Kanton Genf ging die SVP dank einer Ausnahmeregelung der nationalen Parteiführung eine Listenverbindung mit der Auto-Partei ein; beide Parteien kandidierten zum ersten Mal im Kanton Genf
[7]. Die SVP des Kantons Zürich hatte drei Monate vor den Wahlen noch ein Bündnis mit der AP erwogen mit der Begründung, die SP marschiere schliesslich auch mit der extremen Linken zusammen; nach heftiger Kritik seitens der übrigen bürgerlichen Parteien verzichtete sie schliesslich darauf
[8]. Obwohl die Schweizer Demokraten eine grundlegend andere Umweltschutzpolitik als die Auto-Partei vertreten, gingen sie in den Kantonen Baselland, Aargau, Thurgau und Zürich (inklusive die von der SD getrennt kandidierende Nationale Aktion gegen die Überfremdung) , eine Listenverbindung mit ihr ein
[9].
Die unabhängigen christlichsozialen Parteien der Kantone Freiburg und Graubünden präsentierten eigene Listen und gingen keine Listenverbindung mit der CVP ein
[10].
Im Kanton Tessin ist der Partito socialista unitario (PSU), welcher aus dem Partito socialista autonomo (PSA) und Teilen der SP hervorgegangen ist, zum ersten Mal eine Listenverbindung mit der sozialdemokratischen Partei eingegangen
[11].
Die
Schätzungen über den finanziellen Aufwand der Wahlkampagnen waren wie in jedem Wahljahr nicht übereinstimmend, es wurde aber angenommen, dass der Betrag von 20 Mio Fr. (inklusive die Einberechnung von unentgeltlichen Dienstleistungen öffentlicher Institutionen) für die nationalen und kantonalen Kampagnen überschritten wurde. Ungefähr 13 Mio Fr. wurden von den Parteien selbst getragen. Der Rest setzte sich aus Beiträgen von privater Seite, Interessenverbänden sowie unentgeltlichen Leistungen (von öffentlichen Institutionen wie der SRG, PTT, der Kantone und Gemeinden) zusammen. Der Professionalisierung des Wahlkampfes sind in der Schweiz engere Grenzen als im Ausland gesetzt, da hier die Unabhängigkeit der Kantonalparteien, Sektionen und der Einzelmitglieder gegenüber den nationalen Parteizentralen grösser als anderswo ist. Die
Werbeagenturen wurden zwar für die Planung und Durchführung der Kampagnen eingesetzt, konnten aber sowohl Konzept als auch Erscheinungsbild nur teilweise auf nationaler Ebene durchsetzen. Die CVP Schweiz hatte laut einer Umfrage der Schweizerischen Depeschenagentur (SDA) ein Budget von 1,7 Mio Fr. zur Verfügung. In der Westschweiz sollten die Wählerinnen und Wähler durch eine Inseratenkampagne mit der Aussage "50 000 Arbeitslose? Nein!" aufgerüttelt werden. Die Zürcher CVP warb hingegen mit dem Reim "Mittelstand. Mitenand in Stadt und Land" um die Wählergunst. Die FDP, welche wie die SVP und die SP zwischen 2,2 und 2,4 Mio Fr. für den Wahlkampf aufwandte, bot ihren Kantonalsektionen über das Generalsekretariat eine Fülle von Gestaltungsvorlagen und Werbeartikeln für den Wahlkampf an. Die nationale Losung "Freiheit gewinnt" wurde in den meisten Sektionen mehr oder weniger abgeändert oder ergänzt, so in Zürich mit dem Wahlspruch "Politik, die Sinn macht". Der individuellen Ausgestaltung des Wahlkampfes durch die einzelnen Kandidaten und Kandidatinnen kam relativ grosse Bedeutung zu. Neuartig war der von der FDP eingeführte Telefonservice zur Partei- und Kandidatenvorstellung. Bei der dritten bürgerlichen Regierungspartei, der SVP, waren praktisch keine Anstrengungen eines nationalen, einheitlichen Wahlkampfes festzustellen; in der Berichterstattung der Medien dominierte freilich die Kampagne der zürcherischen Kantonalsektion. Die SP liess durch eine Werbeagentur ein Konzept ausarbeiten, welches die Wählerschaft personenorientiert mit dem Slogan "Wir haben die besseren Leute" ansprach. Ausserdem bildeten thematische Broschüren, welche in einer Auflage von 100 000 Exemplaren frühzeitig an Sympathisanten versandt wurden, einen Schwerpunkt in der Kampagne. Das alte Logo mit Faust und Rose wurde in der deutschen Schweiz durch einen nüchternen Balken mit Schriftzug ersetzt. Die LP – sie hatte mit rund 0,625 Mio Fr. gleichviel Geld zur Verfügung wie die Grüne Partei –, welche ausser in Baselstadt nur in der Westschweiz (VD, VS, NE, GE) antrat, fiel mit einem kantonalen "Negativ-Campaining" in Basel auf; so wurde auf einem Plakat unter dem Titel "Dunkle Kapitel roter Politik" Helmut Hubacher (sp, BS) gezeigt, der Erich Honecker, Staats- und Parteichef der ehemaligen DDR, die Hand schüttelt
[12].
Laut Werbespezialisten hat aber der Einsatz von Geld den Geist der Wahlwerbung nicht entscheidend beeinflusst; im Vergleich zur kommerziellen Werbung zeige sich die politische Werbung gesamthaft immer noch von einer sehr biederen Seite. Der Anteil parteigebundener Wähler beträgt in der Schweiz gemäss wissenschaftlichen Untersuchungen, nur rund 50%. Dadurch sind alle Parteien gezwungen, auch eine parteiungebundene Wählerschaft anzusprechen, die ausserdem nur unregelmässig an Wahlen und Abstimmungen teilnimmt. Eine Strategie verschiedener Parteien bestand auch in diesem Wahljahr darin, in der Öffentlichkeit schon weitherum
bekannte Persönlichkeiten ins eigene Programm einzubinden und möglichst medienwirksam an vorderster Front wirken zu lassen, wie dies im Falle der Fernsehmitarbeiter Werner Vetterli (svp), Norbert Hochreutener (cvp) oder Tiziana Mona (sp) geschehen ist. Eine weitere Profilierungsstrategie vor allem der bürgerlichen Parteien bestand darin, bekannte Persönlichkeiten aus dem
Sport als Kandidaten auf ihre Listen zu nehmen. So haben beispielsweise ein bekannter Fussballspieler auf einer jungfreisinnigen Liste, ein ehemaliger Eishockey-Nationaltrainer sowie die Zentralpräsidentin des Tennisverbandes auf einer SVP-Liste und der Eishockeyverbandspräsident René Fasel auf einer CVP-Liste kandidiert. Das linke und grüne Parteienspektrum steht dem Hochleistungssport in der Regel skeptisch gegenüber; dies mag erklären, weshalb bekannte Spitzensportler und Sportfunktionäre eher selten auf ihren Listen kandidieren
[13].
Im Gegensatz zum Wahljahr 1987 präsentierten die Umweltschutzorganisationen im Berichtsjahr
keine Wahlempfehlungen anhand von sogenannten Umwelttarifen, sondern boten der Wählerschaft Orientierungshilfen in Form von Wahlplattformen an
[14].
Die
Asyl- und Drogenpolitik bildeten die zentralen Themen im Wahlkampf, welche von der SVP und der Auto-Partei mehr oder weniger monopolisiert wurden. Die Umweltschutzpolitik als Hauptthema der "Hoffnungswahlen" von 1987 geriet im Wahlkampf 91 klar ins Hintertreffen. Jene Parteien, die einfache und kurze Antworten auf komplexe — aber von allen sichtbare und wahrnehmbare Probleme — bereit hatten, konnten die aktuelle Arbeitsplatzunsicherheit und Zukunftsängste auf die Asylanten und Drogenabhängigen abschieben, welche damit eine Sündenbockfunktion einnahmen; aus diesem Grund sprachen gewisse Kommentatoren auch von den "Angstwahlen"
[15].
Das Thema der
europäischen Integration spielte eher die Rolle eines Un-Themas oder Negativ-Themas. Die tiefe Spaltung der Gesellschaft und die — oftmals durch einen Bruch zwischen Basis und Parteielite hervorgerufenen — zögernden Stellungnahmen der Mehrheit der Parteien erlaubten es der Gegnerschaft, die hauptsächlich aus Teilen der SVP sowie aus den Grünen, der AP und den SD bestand, themenbestimmend zu wirken. Die SP hatte sich zwar im April für einen EG-Beitritt ausgesprochen, wagte es aber nicht, diese Forderung ins Zentrum ihrer Wahlkampagne zu stellen. Nur der LdU zeigte ein unmissverständliches Pro-EG-Profil. Die FDP und die CVP zögerten, im Wahlkampf ihre Positionen zur Beitrittsfrage zu klären
[16]. Bedeutend war in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Schlussverhandlungen sowohl des EWR-Vertrags als auch des Transitabkommens zwischen der Schweiz und der EG erst unmittelbar nach den eidgenössischen Wahlen stattfanden, und somit für die Wählerschaft und die Parteien Unsicherheit in bezug auf die künftige Europapolitik vorherrschte
[17].
Die Regierungsparteien versuchten im Wahlkampf, auch möglichst viele Rentnerinnen und Rentner anzusprechen und zugunsten ihrer Parteien zu mobilisieren. Dabei spielte die Diskussion um die
10. AHV-Revision eine nicht unwesentliche Rolle. Kurz vor den Wahlen warfen sich FDP, SP und CVP gegenseitig vor, eine rasche finanzielle Besserstellung der Rentner verhindert zu haben. Aus der VOX-Analyse im Anschluss an die Wahlen ging unter anderem hervor, dass die FDP von allen Parteien den grössten Teil dieser Personengruppe mobilisieren konnte
[18].
In den Augen vieler Wahlbeobachter spielten auch die Mutmassungen über eine vom Bundesrat geplante Benzinzollerhöhung von 25 bis 35 Rappen pro Liter, welche während den Sommermonaten diskutiert wurde und in der letzten Woche vor den Wahlen durch die Presse an die Öffentlichkeit gelangte, eine wichtige Rolle in der Meinungsbildung vieler, zu jenem Zeitpunkt noch unentschlossener Wählerinnen und Wähler. Ein direkter Zusammenhang zwischen dem Erfolg der AP sowie der Lega dei Ticinesi einerseits und der durch gewisse Medien geschürten Angst vor einer massiven Benzinpreiserhöhung andererseits liess sich in der VOX-Umfrage nicht nachweisen
[19].
Die Wahlbeteiligung sank im Vergleich zu 1987 um einen halben Punkt auf 46% und erreichte somit einen neuen Tiefststand seit der Einführung des Proporzwahlrechts 1919. Allerdings zeichnete sich eine Verlangsamung des Rückgangs in der Beteiligung ab; ohne die Erweiterung des Kreises der Wahlberechtigten durch die sich stark unterdurchschnittlich beteiligenden 18- und 19jährigen hätte das Niveau der letzten Wahlen wohl gehalten werden können. In elf Kantonen nahm die Wahlbeteiligung gegenüber 1987 ab; deutliche Abweichungen im Vergleich zu den nationalen Tendenzen ergaben sich unter anderem im Tessin, wo die Beteiligung von einem traditionell hohen Niveau noch um über sieben Prozentpunkte auf 67,5% anstieg; das spektakuläre Auftreten einer neuen Partei (Lega) in der traditionellen Tessiner Parteienlandschaft kann als Grund für diese Entwicklung gelten. Im Kanton Jura hingegen sank die Beteiligung um 8,2 Prozentpunkte auf 43,4%. In diesem jungen Kanton scheint die anfänglich sehr hohe politische Mobilisierung wegen des Konflikts um die Kantonsgründung abzuklingen. Die übrigen grösseren Veränderungen – in den Kantonen Glarus, Uri, Obwalden und den beiden Appenzell – betrafen die kleinen Wahlkreise, in denen die Möglichkeit der Auswahl unter mehreren Kandidaten – im Gegensatz zu reinen Bestätigungswahlen – in hohem Masse die Beteiligung bestimmt. Weit überdurchschnittliche Beteiligungen wiesen, abgesehen von den Kantonen Tessin und Schaffhausen – letzterer kennt den Stimmzwang – auch Luzern, Wallis und Solothurn auf. Deutlich unterdurchschnittlich war die Wahlbeteiligung wie schon in früheren Jahren in den protestantischen Kantonen der welschen Schweiz und in Graubünden.
Drei Motive können für die abnehmende Wahlbeteiligung ausgemacht werden. Das erste betrifft das in der Schweiz verbreitete Phänomen, dass sich Enttäuschung über die Regierung nicht vorwiegend im Wechsel zu Nichtregierungsparteien ausdrückt, sondern sich auch in der vorübergehenden oder dauerhaften Abstinenz manifestiert. Ein zweites Motiv liegt in der aus institutionellen Gründen geringeren Bedeutung von Wahlen in der halbdirekten Demokratie. Sachabstimmungen, aber auch Initiative und Referendum bieten für viele genügend Ausdrucksmöglichkeiten für politische Präferenzen. Ausserdem haben die Wahlen in der Schweiz keinen direkten Einfluss auf die Besetzung der Regierung. Schliesslich können in den grossen Wahlkreisen wie Zürich oder Bern die Flut von Listen und Kandidaturen eine derart unübersichtliche Situation schaffen, dass eine Auswahl schwierig wird
[20].
Die Resultate für die Nationalratswahlen wurden von den Medien generalisierend unter dem Begriff der
Protestwahl zusammengefasst.
Populistische und rechtsnationale Parteien und Bewegungen konnten – allerdings nur in der deutsch- und italienischsprachigen Schweiz – zum Teil recht grosse Wähleranteile für sich gewinnen und auf Kosten der bürgerlichen Parteien, vor allem der FDP und der CVP, Sitzgewinne verzeichnen. So gelang es
der Auto-Partei ihren Wähleranteil von 2,6% auf 5,1% zu steigern und ihre Mandatszahl von zwei auf acht zu erhöhen, womit sie Fraktionsstärke erreicht hat; hohe Wähleranteile zwischen 11% und knapp 16% erreichte sie in den Kantonen Schaffhausen, St. Gallen, Aargau und Appenzell Ausserrhoden. In bezug auf die Wählerschaft der AP änderte sich die geschlechtermässige Zusammensetzung. gegenüber 1987: Sie erreichte die gesamtschweizerischen Durchschnittswerte von 54% Männern und 46% Frauen. Hinsichtlich des Alters blieb die AP eine Partei der Jungen ; fast 50% ihrer Wähler sind weniger als 40 Jahre alt. Die Vertreter selbständiger und handwerklicher Berufe sowie Arbeiter bilden die stärksten Gruppen innerhalb ihrer Wählerschaft. Die
Schweizer Demokraten gewannen zwei Sitze hinzu, um mit neu fünf Mandaten als Fraktion ins Parlament zu ziehen. Ihren Wähleranteil konnten sie allerdings nur um 0,8% auf 3,3% (ohne Vigilance GE) verbessern
[21].
Im Tessin sorgte die Protestbewegung "Lega dei Ticinesi" mit einem Wähleranteil von über 23% und zwei Sitzgewinnen für eine erdrutschartige Verschiebung im Parteiengefiige; da ihre Gewinne vor allem zulasten der CVP gingen, rutschte diese hinter die FDP auf den zweiten Platz. Ein erstaunliches Protestpotential am äussersten rechten Spektrum manifestierte sich im Kanton Schwyz, wo unter der Listenbezeichnung "Partei der Zukunft" der Führer der rechtsextremen "Patriotischen Front", Marcel Strebel, 6,4% der Wählerstimmen erreichte, was allerdings nicht für einen Sitz ausreichte.
Die FDP und die CVP mussten ihre Verluste – insgesamt 3,4% Wählerstimmen und dreizehn Sitze –
vor allem dort hinnehmen, wo rechtspopulistische Parteien Erfolg hatten (TI, SG, AG, TG). Bei der FDP und der CVP, welche seit der Einführung des Proporzwahlrechtes 1919 die schlechtesten Resultate erzielten, fielen die Ergebnisse in den einzelnen Kantonen sehr unterschiedlich aus. Die FDP verlor beispielsweise überdurchschnittlich viele Wähler in ihren Hochburgen Schaffhausen und Solothurn, aber auch im Aargau und in St. Gallen. Hingegen gewann sie Stimmen in traditionell nicht freisinnig dominierten Gebieten; die CVP erlitt am meisten Verluste in den Kantonen Tessin, Aargau, Thurgau, St. Gallen und Schwyz. Die
SP konnte den Abwärtstrend stoppen ; sowohl sitzmässig als auch in bezug auf ihre Wähleranteile verharrte sie auf dem Niveau von 1987 und verfehlte somit ihr erklärtes Ziel von 20% Wähleranteil deutlich. Von der Wählerstruktur zeigte sich die SP bei den diesjährigen Wahlen verstärkt als eine Partei der Jungen; 39% ihrer Wählerinnen und Wähler waren jünger als 40 Jahre und nur 13% standen im Rentenalter. Die
SVP konnte ihre Sitzzahl halten und an Wähleranteilen zulegen. Nachdem sie bereits bisher stärkste politische Kraft in den Kantonen Bern und Thurgau war, rückte sie nun auch in den Kantonen Zürich und Aargau zur ersten Partei bei nationalen Wahlen vor. Die
GP konnte in drei Kantonen (LU, SO, SG), in welchen sie bisher noch keinen Sitz hatte, ein Mandat erobern; in den Kantonen Aargau und Baselland hatte in der Legislaturperiode 1987-1991 der Wechsel je eines Sitzes des Grünen Bündnisses resp. der POCH zur GP stattgefunden. Ihren
Wähleranteil konnte die GP
von 4,9% auf 6,1% erhöhen, wobei sie in der Westschweiz ausser im Kanton Neuenburg überall Anteile verlor.
Auf der Gewinnerseite stand die LP, welche sowohl die Mandatszahl (+1) als auch den Wähleranteil (von 2,5% auf 3,0%) ehöhen konnte. Der LdU gehörte hingegen zu den Verlierern. Er wurde am stärksten im Kanton Zürich getroffen, wo er fast die Hälfte seines Wähleranteils und zwei seiner vier Sitze einbüsste; im Kanton Bern verlor er sein einziges Mandat
[22].
Die FDP blieb trotz ihren Verlusten stärkste Partei und sprach als einzige mehr als 20% der Wählenden an. Die SP rückte mit einem gemessen am Wähleranteil knappen Vorsprung, jedoch mit deutlich mehr Sitzen als die CVP auf die zweite Position vor; vierte Partei blieb die SVP. Seit Bestehen der Zauberformel haben alle vier im Bundesrat vertretenen Parteien zusammen und auch einzeln erstmals keine Sitze gewinnen können. 146 der 200 Nationalrätinnen und Nationalräte gehören einer dieser vier Parteien an; zusammen erhielten sie 79% der Stimmen. An fünfter Stelle rangiert die GP mit 6,1 % und neu 14 Sitzen. Gemessen am Wähleranteil folgen darauf die AP und die SD. Mit lediglich 3% Wähleranteil erreichte die auf wenige Kantone beschränkte LP zehn Sitze. Die im Parlament eine Fraktionsgemeinschaft bildenden LdU und EVP erzielten 2,8% resp. 1,9% der Stimmen und 5 resp. 3 Sitze. Erstmals in der Bundesversammlung vertreten ist die EDU, welche gesamtschweizerisch auf einen Stimmenanteil von 1% kam. Nicht mehr im Nationalrat vertreten sind hingegen die POCH; die Grün-Alternativen sind es nur noch dank der FraP (ZH). Ihre Kandidatinnen und Kandidaten waren teilweise von der SP, teilweise von der GP aufgenommen worden. Hingegen konnte die PdA in der Waadt mit dem Kantonalpräsidenten Zisyadis einen zweiten Sitz ergattern. Nach politisch-ideologischen Lagern analysiert, haben sich die rot-grünen Kräfte etwa halten können, die politische Mitte ist weiter geschrumpft und das rechte, ausserhalb der Regierung politisierende Lager ist klar gestärkt aus den Wahlen hervorgegangen.
Durch
Zusammenschlüsse auf Fraktionsebene haben sich die Sitzverteilungen im Nationalrat und die Wähleranteile noch leicht verändert; die Sozialdemokraten nahmen den Vertreter der PSU (TI), Werner Carobbio, und die FraP-Vertreterin Christine Goll (ZH) in ihre Reihen auf, womit sie zusammen 19,1 % Anteil erhalten. Die ursprünglich vorgesehene Absprache einer Fraktionsgemeinschaft zwischen Vertretern und Vertreterinnen des links-grünen "DACH"-Bündnisses und der PdA kam, bedingt durch das schlechte Abschneiden der alternativen Linken, nicht zustande; die beiden Nationalräte der PdA blieben fraktionslos. Der einzige Gewählte der EDU, Werner Scherrer (BE), verblieb auch ausserhalb der Fraktionen. Die CVP nahm den Vertreter der unabhängigen Christlichsozialen Partei des Kantons Freiburg, Hugo Fasel, auf (37 Mandate, 18,6%). Der LdU bildete wie bisher zusammen mit der EVP und dem parteilosen Herbert Maeder (AR) eine neunköpfige Fraktion (5%). Die SD schliesslich schlossen ein Zweckbündnis mit der Lega dei Ticinesi (7 Mandate)
[23].
Unter den vierzehn nicht mehr Wiedergewählten befanden sich unter anderem auch prominente Nationalratsmitglieder wie die SP-Vizepräsidentin Ursula Ulrich (SO), Monika Stocker (gp, ZH) und drei gleichzeitig für den National- und Ständerat Kandidierende, Paul Günter (ldu, BE), Hans Zbinden (sp, AG) und René Longet (sp, GE). Mit fünf nicht Wiedergewählten war der Anteil der Frauen besonders hoch. Dabei wurden sechs Bisherige (3 Frauen) durch parteiinterne Konkurrenten verdrängt (Antille (fdp, VS), Déglise (cvp, FR), Fierz (gp, BE), Kuhn (evp, ZH), Longet (sp, GE) und Paccolat (cvp, VS)). Die übrigen acht verloren ihr Mandat durch den Sitzverlust ihrer Partei (Baerlocher (pob, BS), Günter (ldu, BE), Portmann (cvp, GR), Stocker (gp, ZH), Ulrich (sp, SO), Widrig (cvp, SG), Wyss (svp, BE) und Zbinden (sp, AG)). Mit 67 Neuen wurde die grosse Kammer zu einem Drittel erneuert (1987: 68 inklusive die zwei Ersatzleute, welche für die in den Ständerat gewählten Yvette Jaggi und Monika Weber nachrückten).
Von der 35köpfigen
Zürcher Delegation sind vierzehn neu im Rat; zum ersten Mal wurde eine Frau der SVP gewählt. Der sowohl für den National- wie auch den Ständerat kandidierende Werner Vetterli (svp) schaffte den Sprung in die grosse Kammer. Für die SP kamen neu die als eher radikal eingestuften Andreas Gross, unter anderem GSoA-Gründungsmitglied, und Hans Steiger dazu. Bei der EVP überflügelte der populäre Pfarrer Ernst Sieber den erst 1990 ins Parlament nachgerückten und erneut kandidierenden Niklaus Kuhn, der damit ausschied. Die AP sowie die SD gewannen je einen zusätzlichen Sitz. Neu ist die Liste "Frauen macht Politik (FraP)" durch die Journalistin Christine Goll vertreten. Der bürgerlich-rechte Parteienblock ging mit zwei zusätzlichen Mandaten gestärkt aus den Wahlen hervor, wobei vor allem das rechtsnationalistische und populistische Lager profitieren konnte. Verlierer waren die FDP und der LdU, dessen Sitzzahl halbiert wurde
[24].
Im Kanton
Aargau fiel der
Rechtsrutsch deutlicher aus als im schweizerischen Durchschnitt. Die CVP und die SP büssten je einen Sitz zugunsten der AP ein, welche einen Wähleranteil von 13,2% erreichte. Die Verluste an Wähleranteilen waren bei der CVP und FDP mit 4,3% resp. 3,9% am grössten. Die innerhalb der Mutterpartei zum rechten Flügel zählende Aargauer SVP konnte ihren Wähleranteil um über 2% steigern, womit sie zur stärksten Partei des Kantons wurde (17,9%). Trotzdem erzielten die rechts von der SVP stehenden Parteien (AP, SD, EDU) im Aargau mit über 19% den gesamtschweizerisch höchsten Stimmenanteil
[25].
Der Rechtsrutsch machte sich auch in den beiden Basler Halbkantonen bemerkbar. Im Baselbiet gewannen die SD einen Sitz zulasten der CVP; diese gewann wiederum in Baselstadt den Sitz des früheren POCH-Vertreters. Unter den bürgerlichen Parteien waren wähleranteilmässig in beiden Halbkantonen die Freisinnigen jene, die am meisten zulegen konnten.
Im Kanton
Bern haben die drei grossen Parteien SVP, SP und FDP sowie der LdU je einen Sitz verloren. Die Verluste an Wähleranteilen betrugen für diese Parteien über 6%. Nutzniesser waren die zur GP gehörende Freie Liste, die SD, die AP und die EDU, welche je einen Sitz gewannen. Prominentester Verlierer war der Bisherige Paul Günter (ldu), welcher ebenso für beide Räte kandidiert hatte wie die bekannteste Persönlichkeit auf der Gewinnerseite, die ehemalige Regierungsrätin Leni Robert (gp). Der Berner CVP-Sitz wechselte vom deutschsprachigen Kantonsteil in den Südjura, wo die CVP-Liste als Sammelbecken der Autonomisten diente. Dank einer Unterlistenverbindung zwischen der südjurassischen CVP, der Jungen CVP und der CVP des Laufentals wurde der dissidente Freisinnige JeanClaude Zwahlen, der allerdings in die CVP-Fraktion eintrat, gewählte
[26].
In der
Ostschweiz gehörten die SP, die Grünen und die AP zu den Gewinnern; auf der Verliererseite standen die CVP und die FDP. In St. Gallen eroberte die AP und die GP je einen Sitz. In Glarus ging der einzige Nationalratssitz von der SVP an die SP über. In Graubünden konnte die SP, dank einer Listenverbindung mit den Grünen, der CVP einen Sitz abnehmen. In Schaffhausen blieb die Sitzverteilung unverändert, obwohl die FDP, die CVP und die SP Wähleranteile zugunsten der AP und des Grünen Bündnisses verloren. Gleiches gilt in bezug auf die Sitzverteilung auch für den Thurgau, wo insbesondere die CVP massiv Wähleranteile einbüsste
[27].
In der
Romandie fielen die Resultate sowohl sitzmässig wie wähleranteilmässig sehr uneinheitlich, in vielen Fällen den nationalen Trends widersprechend, aus. So verlor die FDP in Genf über 5%, legte aber im Wallis, im Jura und in Neuenburg zu. Die CVP verlor in allen welschen Kantonen Anteile, ausser im Jura, wo sie sich bei Abwesenheit der PCSI um drei Prozent verbessern konnte. Einen grossen Sprung nach vorn machten die Sozialdemokraten in Genf, wo sie von 18,6 auf über 26% vorrückten, jedoch die GP gleichzeitig knapp 5% verlor. Im Jura gewann die SP ebenfalls drei Prozent und beinahe gleichviel verlor sie in Freiburg. Herausragend waren auch die Gewinne an Wähleranteilen der SD in Neuenburg und der Liberalen in Genf. Die Freisinnigen verloren in der Waadt und in Genf je ein Mandat, die SP verlor einen Sitz . in der Waadt und gewann einen in Genf hinzu. Überraschend eroberte die PdA wieder ein Mandat in der Waadt, wo auch die Liberalen ihre Sitzzahl um einen auf drei ausbauen konnten
[28].
In fünf Kantonen gewannen vier Parteien 1991 Sitze, die sie 1987 bei der Restmandatverteilung knapp verpasst hatten (GP in Solothurn und Luzern, AP im Aargau, LP in der Waadt, SVP in Zürich). Umgekehrt haben folgende Parteien 1991 Mandate verloren, welche sie im Jahre 1987 als Restmandate gewonnen hatten (LdU in Zürich; SP in Bern, Solothurn, Aargau, Waadt; SVP in Bern; FDP in Luzern, Solothurn, Waadt, Genf• CVP in St. Gallen, Freiburg und Tessin)
[29].
Das Resultat für die Wahlen von 37 der 46 Ständeratssitze war von der
Niederlage der SP und dem
schlechten Abschneiden der Frauen gekennzeichnet. In den Kantonen Freiburg und Tessin erreichte im ersten Wahlgang überhaupt kein Kandidat das absolute Mehr. Nach Durchführung eines zweiten Wahlganges in sieben Kantonen (AG, BE, BS, FR, TG, TI, VS) stand der Sieg der Freisinnigen fest: Die FDP erlangte neu 18 Mandate (+4) und erreichte damit wieder das Niveau von 1931; die CVP verlor drei (neu: 16) und der SP verblieben nur noch drei (-2) Sitze. Uberraschend gewann die Lega dei Ticinesi einen Sitz. Bei den übrigen im Ständerat vertretenen Parteien (SVP, LP, LdU) ergaben sich keine Verschiebungen. Vierzehn Sitze der kleinen Kammer wurden erneuert (37,8%), wovon neun auf Rücktritte, einer auf die nachträgliche Besetzung des Sitzes des im Frühjahr verstorbenen Max Affolter (fdp, SO) und vier auf Abwahlen entfielen. Unter den Neugewählten waren auch sechs ehemalige Nationalräte (Willy Loretan (fdp, AG), Gilles Petitpierre (fdp, GE), Gilbert Coutau (lp, GE), Kurt Schäle (fdp, SH), Sergio Salvioni (fdp, TI) und Rolf Büttiker (fdp, SO)). Im Kanton Zürich konnte Monika Weber (ldu) ihr Resultat von 1987 noch verbessern und plazierte sich mit über 195 000 Stimmen zum zweiten Mal an erster Stelle, währenddem es dem SP-Kandidaten Elmar Ledergerber nicht gelang, Werner Vetterli (svp) trotz dessen relativ niedriger Stimmenzahl vom dritten Platz zu verdrängen. In Bern verfehlte die auf Arthur Hänsenberger nachfolgende Kandidatin der FDP, Christine Beerli, das absolute Mehr um 2000 Stimmen und trat im zweiten Wahlgang mit Erfolg gegen Leni Robert (gp) an. Uberraschend war die Abwahl des CVPVertreters Xaver Reichmuth (seit 1983) in Schwyz. Die übrigen nicht Wiedergewählten waren Yvette Jaggi (sp, VD) und die beiden Tessiner Camillo Jelmini (cvp), der seinen Sitz an die Lega verlor, sowie Franco Masoni (fdp). Der Frauenanteil verschlechterte sich mit nur noch vier Gewählten auf 8,7% (1987: 10,9%)
[30].
Die Erneuerung der beiden Kammern betrug mit 80 Neugewählten (unter Einbezug der sechs Übertritte aus dem National- in den Ständerat) 32,5%. Mit den neuen Nationalratsmitgliedern ergab sich
bei den Freisinnigen und der SVP eine Verschiebung nach rechts. Sowohl im Kanton Zürich, wo die zwei neuen freisinnigen Ratsmitglieder Rolf Hegetschweiler und Oskar Fritschi gewählt wurden, als auch im Kanton Baselland — mit Christian Miesch — hatten die Kandidaten des konservativen Parteiflügels Erfolg. Ein Gegengewicht dazu bilden allerdings in der FDP die ebenfalls neu gewählten Peter Tschopp (GE), Marc Suter (BE) sowie der bisherige Walliser Regierungsrat Bernard Comby. Innerhalb der SVP konnte die zum rechten Parteiflügel zählende Zürcher Delegation zahlenmässig zur bisher dominierenden, als gemässigter geltenden Berner Vertretung aufschliessen
[31].
Der ehemalige SP-Präsident Helmut Hubacher ist im neuen Parlament mit 65 Jahren der Älteste und gleichzeitig auch der Amtsälteste (28 Jahre). Das jüngste Mitglied blieb der 32jährige Markus Ruf (sd, BE; seit 1983 im Rat); er erhielt aber Konkurrenz durch den gleichaltrigen neugewählten Marco Borradori (Lega dei Ticinesi)
[32].
Die
Grossunternehmer bilden im neu zusammengesetzten Nationalrat nur noch eine Vierer-Gruppe (der neu gewählte Gerold Bührer (fdp, SH) und die Bisherigen Christoph Blocher, Walter Frey (beide svp, ZH) und François Loeb (fdp, BE)). Am meisten zulegen konnte die Kategorie der
Gewerbetreibenden und der Freiberuflichen, vor allem dank den Vertretern der AP: dem Architekten Walter Steinemann (SG), dem Transportunternehmer Ulrich Giezendanner (AG) und dem Elektromonteur Peter Jenni (BE). Die
Juristen dominieren aber im neuen Parlament vor den
Unterrichtsberufen und den
Landwirten
[33].
Mit 6 zusätzlichen Sitzen (neu 35)
erhöhte sich der Frauenanteil im Nationalrat im Vergleich zu den letzten Wahlen auf 17,5% (1987: 14,5%). Allerdings konnten die Frauen nur in der Deutschschweiz zulegen. In der Romandie ging ihr Anteil von 10,4% auf 8,3% zurück, während er in der Deutschschweiz von 16,6% auf 21,5% anstieg. In den Kantonen St. Gallen und Luzern wurde ein Drittel aller Sitze von Frauen besetzt, gefolgt vom Kanton Solothurn mit 28,6%. In den bevölkerungsreichsten Kantonen Zürich und Bern liegt der Anteil bei 25,7% resp. 24,1%. Insgesamt blieben vierzehn Kantone ohne weibliche Vertretung. Die GP ist mit 57,1% Frauenanteil an der Spitze, gefolgt von der auf einem Anteil von 28,6% stagnierenden SP. Unter den bürgerlichen Regierungsparteien konnte die SVP ihren Frauenanteil mit einer Verdreifachung auf 12% erhöhen und damit die FDP und die CVP, welche gar ein Frauenmandat verlor, knapp überholen
[34].
[1] Schweizer Illustrierte, BZ und Suisse. 22.7.91; BZ, 8.10.91; Klartext, 1991, Nr. 5.
[2] LNN, 6.7.91; TA und Blick 5.10.91. Vergleichszahlen Rücktritte (NR/StR): 1975: 33/8; 1979: 45/14; 1983: 43/8; 1987: 49/16; 1991: 53/9.
[3] BBl, 1991, IV, S. 671 ff.
[4] TA, 11.10.91; SGB-Pressedienst, Nr. 26, 29.8.91 und Nr. 27, 19.9.91. Vgl. auch Broschüre Frauen sind mehr als die bessere Hälfte, hg. von der Frauenzentrale des Kantons Bern, September 1991. Vergleichszahlen zu Kandidaturen/Frauen/Listen siehe SPJ 1987, S. 41.
[5] Suisse, 8.10.91. Zur Senkung des Wahlrechtsalters siehe oben, Teil I, 1b (Stimm- und Wahlrecht).
[6] BBl, 1991, IV, S. 641 ff.; vgl. SPJ 1987, S. 42 f.
[8] TA, 12.7. und 26.8.91.
[9] BBl, 1991, IV, S. 671 ff. AG: AT, 16.8.91. SO: SZ, 1.10.91. ZH: TA, 25.7.91.
[10] BBl, 1991, IV, S. 671 ff.
[12] Suisse, 11.8.91; BZ, 23.8. und 9.10.91; Ww, 3.10.91; WoZ, 11.10.91; TA, 23.8., 12.10. und 18.10.91; Klartext, 1991, Nr. 5.
[13] NZZ, 17.8.91. Vgl. auch Sport, 4.10.91.
[14] BZ, 28.8.91; vgl. auch SPJ 1987, S. 43 f.
[15] BZ, 31.8.91; TA, 17.10.91.
[16] Wahlkampf: LNN, 27.7.91 (SVP); NZZ, 27.9.91; LNN, 1.10.91; Europa, Nr. 2/1991. Vgl. auch die Umfrage bei Kandidierenden in Politik und Wirtschaft, 1991, Nr. 11, S. 20 ff.
[17] Presse vom 23.10.91; vgl. auch unten, Teil I, 2 (Europe) und 6b (Politique des transports).
[18] Siehe Lit. Longchamp / Hardmeier; BZ, 7.10.91.
[19] NQ, 25.10.91. Vgl. auch unten, Teilt 5 (Indirekte Steuern) und 6a (Produits pétroliers) sowie 6b (Trafic routier).
[20] Siehe auch Lit. Longchamp / Hardmeier.
[21] Zu den Resultaten siehe die Tabellen in
anhang_1991.pdf; BBl, 1991, IV, S. 671 ff.; Lit. Seitz sowie die Presse vom 21.10.-23.10.91. Vgl. auch "Unser Parlament", Beilage zu TA, 2.12.91.
[22] Presse vom 21.- 23.10.91. Zur CVP: CVP-Dokumentation, 21.10.91 und CVP-Pressedienst, 23.10.91. Zur AP und M. Dreher siehe auch Politik und Wirtschaft, 1991, Nr. 12, S. 26 ff. Zur Wählerschaft der Parteien siehe Longchamp / Hardmeier.
[23] Vgl. zur EDU: BZ, 6.11.91; zu Christine Goll: NZZ, 18.11.91; zu Hugo Fasel: BZ, 20.11.91; zur Lega: NZZ, 28.11.91.
[25] LNN, 22.10.91; vgl. dazu auch P.-A. Schmitt, "Aargau: Wertewandel in der Wiege des Liberalismus", in Politik und Wirtschaft, 1991, Nr. 12, S. 32 ff.
[26] Presse vom 22.10.91.
[28] Presse vom 22.10.91. Vgl. auch unten, Teil III a.
[29] BBl, 1991, IV, S. 671 ff. Zu den Restmandaten 1987 siehe Statistisches Handbuch zu den National- und Ständeratswahlen 1991, hg. vom FSP, Bern 1991.
[30] Presse vom 21. und 22.10.91. Zu den 2. Wahlgängen: Für AG, Presse vom 4.11.91; für TI und BE Presse vom 11.11.91; für TG, FR und BS Presse vom 18.11.91. Vgl. auch Freisinn FDP, Nr. 11, November, 1991.
[33] NZZ, 23.10.91; Ww, 24.10.91; Politik und Wirtschaft, 1991, Nr. 12, S. 23.
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