Année politique Suisse 1992 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
 
Konjunkturpolitik
Die Konjunkturpolitik der Schweiz war auch im Berichtsjahr weitgehend Geldmengenpolitik. Nachdem bereits im Vorjahr die steuerbegünstigten Arbeitsbeschaffungsreserven der Unternehmen freigegeben und die Kredite zur Förderung des preisgünstigen Wohnungsbaus aufgestockt worden waren, kam es – trotz der Forderungen der Gewerkschaften und der SP – im Berichtsjahr zu keinen neuen staatlichen Konjunkturstützungsmassnahmen. Allerdings wirkte die öffentliche Hand insofern einer Verschärfung der Krise entgegen, als sie ihre realen Ausgaben sowohl 1992 wie auch im Budget für 1993 leicht ansteigen liess. Die Geldmengenpolitik der Nationalbank liess sich namentlich in der ersten Jahreshälfte weiterhin als restriktiv charakterisieren. Den Hintergrund für diese Politik bildete nicht nur das Festhalten am Ziel der Bekämpfung der Binnenteuerung, sondern auch das Bemühen, die für das Preisniveau der Importgüter wichtige Wechselkursrelation zur Deutschen Mark relativ konstant zu halten. In der zweiten Jahreshälfte erlaubte dann der Rückgang der Inflationsrate und die für den Schweizer Franken positive Entwicklung auf den Devisenmärkten eine leichte Lockerung [10].
top
 
print
Stabilitätsgesetz
Der Vorentwurf zu einem Gesetz für eine "ausgeglichene Entwicklung der Wirtschaft" (Stabilitätsgesetz), welches das Krisengesetz von 1954 ersetzen soll, kam in der Vernehmlassung unter massiven Beschuss. Der Gewerbeverband und der Vorort kritisierten den Entwurf als überflüssig und warfen ihm vor, zuviel Spielraum für staatlichen konjunktur- und strukturpolitischen Aktivismus zu enthalten. Auch die Nationalbank schloss sich dieser Kritik an und warf dem Projekt zusätzlich vor, die Autonomie der Notenbank zu untergraben. Ahnlich wurde der Expertenentwurf von der FDP und der SVP beurteilt. Grundsätzlich positiv, wenn auch nicht ohne Kritik, waren die Reaktionen demgegenüber bei der CVP, der SP und dem SGB [11]. Auch im Parlament wurde ordnungspolitische Kritik an diesem Entwurf artikuliert. Anlässlich der Diskussion über die Legislaturplanung stimmte der Nationalrat gegen den Widerstand der Linken einer Kommissionsmotion zu, welche forderte, dass dieses Gesetz aus den Richtlinien gestrichen, d.h. nicht prioritär behandelt wird. Der Ständerat korrigierte diesen Entscheid mit der Umwandlung der Motion in ein Postulat, um dem Bundesrat zumindest die verwaltungsinterne Weiterarbeit an diesem Projekt zu erlauben [12].
Auf wenig Gegenliebe stiess im Nationalrat eine im Vorjahr vom Ständerat diskussionslos überwiesene Motion Jelmini (cvp, TI), welche ein neues Gesetz für die Sicherstellung einer wirksamen konjunkturpolitischen Zusammenarbeit von Bund, Kantonen, Wirtschaft und Nationalbank gefordert hatte. Auf Antrag von Binder (svp, ZH), der davon eine zusätzliche und kontraproduktive Regulierung der Wirtschaft befürchtete, lehnte der Rat die Motion mit 75 zu 50 Stimmen ab [13].
top
 
print
Ankurbelungsmassnahmen
Die sich weiter verschlechternde Wirtschaftslage und vor allem der damit verbundene steile Anstieg der Arbeitslosenzahl führten bei den Gewerkschaften und der SP, welche noch im Vorjahr traditionellen staatlichen Konjunkturförderungsprogrammen wenig abgewinnen konnten, zu einer Kehrtwendung. Die Gewerkschaften forderten bereits zu Jahresbeginn vom Bund Investitionsprogramme zur Belebung der Bauwirtschaft. Im Nationalrat reichten die Fraktionen der SP, der CVP und der GP Dringliche Interpellationen zur Wirtschaftslage ein, bei deren Beantwortung sich in der Märzsession eine konjunkturpolitische Debatte entwickelte. Die SP sah zwar den Zeitpunkt für ein umfassendes Konjunkturförderungsprogramm noch nicht gekommen, sie regte jedoch eine zusätzliche staatliche Förderung des Wohnungsbaus in den besonders stark betroffenen Regionen der West- und Südschweiz an und forderte zudem den Bundesrat auf, sich bei der Nationalbank für eine Lockerung der Geldpolitik einzusetzen. Die CVP sprach sich ebenfalls für eine Stützung des Baugewerbes durch Wohnbauprogramme, aber auch durch eine Beschleunigung des Nationalstrassen- und Eisenbahnbaus aus. Gerade letztere Forderung rief die Grünen auf den Plan, die sich gegen Beschäftigungsprogramme für den Tiefbau wandten und verlangten, dass staatliche Förderungsmassnahmen auf jeden Fall ökologischen Kriterien genügen müssten [14].
In seiner ausführlichen Antwort wies Bundesrat Delamuraz darauf hin, dass kurzfristig eigentlich nur eine Verbesserung der Arbeitslosenversicherung sinnvoll sei. Eine expansivere Geldmengenpolitik lehnte er wegen den daraus resultierenden negativen Auswirkungen auf die Teuerungsbekämpfung ab. Skeptisch zeigte er sich auch gegenüber zusätzlichen — über die 1991 beschlossene Aufstockung der Mittel für die Wohnbau- und Eigentumsförderung hinausgehende — Stimulierungsmassnahmen für das Baugewerbe, dessen Kapazitäten seiner Ansicht nach in der vergangenen Hochkonjunkturphase zu stark ausgeweitet worden waren. Grundsätzlich hielt Delamuraz fest, dass für die schweizerische Wirtschaft keine staatlichen Stützungsprogramme nötig seien, sondern die Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit des Standorts Schweiz. Dazu gehörten insbesondere ein zukunftgerichtetes Berufsbildungssystem, der Abbau von Wettbewerbsbeschränkungen, eine gut ausgebaute Infrastruktur und eine Reduktion von staatlichen Regelungen namentlich im Bauwesen. Daneben kündigte er eine Verbesserung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung, insbesondere durch eine Verlängerung der Bezugsberechtigung, an [15].
Diese Antwort des Bundesrats vermochte die meisten Parteien zu befriedigen. Die Vertreter der FDP, der SVP, der Liberalen und insbesondere der AP nutzten die Gelegenheit, um auf ihre Forderung nach einem Abbau staatlicher Reglementierung im Planungs-, Bau- und Mietwesen aufmerksam zu machen und den Interpellanten, also der CVP, der SP und den Grünen, die Schuld an diesen "wirtschaftsfeindlichen" Vorschriften anzulasten [16].
Gewisse Massnahmen zur Ankurbelung der Konjunktur wurden aber auch von wirtschaftsliberaler Seite verlangt: die LP-Fraktion verlangte mit einer Motion einen Nachtragskredit von 100 Mio Fr., um den Nationalstrassenbau in der Westschweiz verstärkt voranzutreiben. Der Nationalrat folgte jedoch Bundesrat Stich, der argumentiert hatte, dass diese Investitionen konjunkturpolitisch wenig bringen würden, da in der Westschweiz nicht der Tief- sondern der Hochbau in der Krise sei, und überwies den Vorstoss lediglich als Postulat [17].
In der Oktobersession lösten Dringliche Interpellationen der Fraktionen der SP, von LdU/EVP, der GP und der SVP im Nationalrat eine weitere Debatte über die Wirtschaftslage, vor allem aber über die Arbeitslosigkeit aus. Der Bundesrat bekräftigte dabei seine Meinung, dass ein Abweichen von der geldwertstabilitätsorientierten Geldmengenpolitik — wie dies von der SP gefordert wurde — ein schlechtes Mittel zu einer dauerhaften Wiederbelebung der Wirtschaft wäre. Weniger ablehnend war seine Haltung zu der ebenfalls von der SP vorgebrachten Forderung nach einem Förderungsprogramm zur Sanierung von Altbauten im Rahmen des Programms "Energie 2000" und einer Neuauflage des 1975/76 eingesetzten Instruments des Investitionsbonus zur Belebung der Bauwirtschaft. Er machte aber auch darauf aufmerksam, dass der Bundesrat für 1993 eine Steigerung der Investitionsausgaben um 19% budgetiert hat und dass zusätzliche staatliche Investitionsprogramme erstens nur mit grosser zeitlicher Verzögerung beschäftigungswirksam würden und zweitens nur über öffentliche Anleihen finanziert werden könnten, was unerwünschte Zins- oder, bei einer expansiven Geldmengenpolitik, Preiserhöhungen zur Folge hätte [18]. An einer vom Vorsteher des EVD einberufenen nationalen Wirtschaftskonferenz anfangs November stiess die auch vom Baugewerbe unterstützte Idee eines Investitionsbonus für Gemeinden und Kantone bei letzteren allerdings auf wenig Interesse, da bei ihnen das Geld für das Vorziehen von Investitionen nicht vorhanden sei [19].
Im Dezember ging die SP-Fraktion endgültig in die Offensive gegen die vom Bundesrat und vor allem von den bürgerlichen Parteien vertretene Strategie, die Krise mit Deregulierungsmassnahmen zu überwinden. Sie reichte ein Paket mit fünf parlamentarischen Initiativen für die Ankurbelung der Konjunktur ein, das mit zusätzlichen Bundesausgaben von jährlich 600 Mio Fr. ein rund zehnmal grösseres Investitionsvolumen auslösen und Beschäftigung für 40-60 000 Personen sichern sollte. Finanzieren liessen sich diese Ausgaben nach Ansicht der Initianten über die damit erzielten Einsparungen bei der Arbeitslosenversicherung. Im einzelnen verlangte die SP ein Investitionsprogramm von 300 Mio Fr. pro Jahr für die energietechnische Sanierung von Altbauten, eine zusätzliche Aufstockung der Kredite für gemeinnützige Bauträger, die Einführung eines Investitionsbonus und einer Innovationsrisikogarantie sowie Beiträge an jugendliche Arbeitslose für Weiterbildungsaufenthalte im Ausland [20].
 
[10] SNB, Geschäftsbericht, 85/1992, S. 8 ff.; Gesch.ber. 1992, Teil I, S. 69 ff. Siehe auch G. Rich, "Die schweizerische Teuerung. Lehren für die Nationalbank", in SNB, Quartalsbericht, 1992, Nr. 1, S. 73 ff. sowie unten, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik).
[11] NZZ, 17.1.92. Siehe auch NZZ, 1.2 (Kritik) und 8.2.92 (Replik von Prof. Tschopp); SNB, Quartalsbericht, 1992, Nr. 1, S. 89 ff. Vgl. SPJ 1991, S. 114.
[12] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1000 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 726 f.
[13] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 582 f.; vgl. SPJ 1991, S. 114.
[14] Gewerkschaften: TA, 8.2 (CNG), 18.2 (SGB) und 7.10.92. Interpellationen: Amtl. Bull. NR, 1992, S. 584 ff.
[15] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 584 ff. Siehe auch die kürzeren Antworten des BR auf Interpellationen von Etique (fdp, JU), Deiss (cvp, FR) und Jeanprêtre (sp, VD) in Amtl. Bull. NR, 1992, S. 646, 676 resp. 1233 f. Zur Arbeitslosigkeit und den Versicherungsleistungen siehe unten, Teil I, 7a (Arbeitsmarkt) und 7c (Arbeitslosenversicherung).
[16] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 594 ff.
[17] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 738 ff. Siehe auch unten, Teil I, 6b (Constructions routières).
[18] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2100 ff.
[19] Konferenz: Presse vom 3.11.92. Baugewerbe: NZZ, 8.12.92.
[20] Verhandl. B.vers., 1992, VI, S. 35 f.; TA und NQ, 19.12.92.