Année politique Suisse 1992 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Wettbewerb
Obwohl das inländische Kartellrecht vom EWR nicht berührt worden wäre, gingen von diesem Vertrag Impulse für eine intensivere Debatte über die schweizerische Wettbewerbspolitik aus. Dabei wurde verstärkt ein
Systemwechsel von der bisherigen Missbrauchsgesetzgebung zu der in der EG herrschenden Verbotsregelung mit der Möglichkeit von volkswirtschaftlich begründeten Ausnahmen gefordert. Auch der Bundesrat schien einen Systemwechsel zu favorisieren. In seinen Richtlinien zur Legislaturplanung hatte er auf jeden Fall die Vorlage eines entsprechenden Gesetzesentwurfs in Aussicht gestellt. Die von Bundesrat Delamuraz im Dezember eingesetzte Kommission zur Revision des Kartellgesetzes erhielt dann freilich einen wesentlich beschränkteren Auftrag. Der Präsident der Kartellkommission, Prof. Tercier, sprach sich ebenfalls wiederholt für einen Systemwechsel aus
[31].
Der Nationalrat stimmte einer Motion seiner Kommission für Wirtschaft und Abgaben zu, welche unter anderem die Einführung der im EG-Kartellrecht praktizierten
wettbewerbspolitischen Fusionskontrolle verlangte. Der Bundesrat hatte diese Motion ohne Erfolg bekämpft, da sie auch die Ersetzung der Kartellkommission durch ein Bundesamt für Wettbewerb forderte. Er erklärte, dass diese organisatorische Anderung im Rahmen der Vorarbeiten zur eingeleiteten Teilrevision des Kartellgesetzes abgeklärt werde und sich Experten in einem früheren Vorentwurf negativ dazu ausgesprochen hätten. Mit diesem Argument hatte Bundesrat Delamuraz in der Frühjahrssession noch die Umwandlung einer Motion Loeb (fdp, BE) in ein Postulat erreichen können
[32]. Eine von Jaeger (ldu, SG) eingereichte parlamentarische Initiative, welche ein Kartellverbot fordert, ist vom Nationalrat noch nicht behandelt worden
[33].
Im Rahmen der gemeinsam von den bürgerlichen Parteien getragenen Vorstösse für eine Revitalisierung der Wirtschaft hatte die Liberale Partei in beiden Räten Motionen für ein verschärftes Wettbewerbsrecht eingereicht. Diese verlangten insbesondere eine Öffnung der von staatlichen Regiebetrieben dominierten Märkte, eine Liberalisierung der Submissionspraxis und eine Fusionskontrolle, hingegen kein Kartellverbot. Der Nationalrat überwies die von Gros (lp, GE) vertretene Motion in der Dezembersession. Der Ständerat, dem eine identische Motion Coutau (lp, GE) vorlag, schloss sich diesem Entscheid an, allerdings mit einer Ausnahme: die Forderung nach einer Offnung der von staatlichen Unternehmen beherrschten Märkte überwies er bloss als Postulat
[34].
Auch ohne gesetzgeberische Entscheide führte der politische Druck und das Streben nach einer Anpassung an die Verhältnisse in der EG zu einer Auflösung von Kartellen. Nachdem sich 1991 das Bierkartell aufgelöst hatte, folgten im Berichtsjahr die Zigarettenfabrikanten diesem Beispiel
[35].
Die Übernahme des
Acquis communautaire im Zusammenhang mit dem EWR-Vertrag hätte einen Schub
neuer Regelungen zugunsten der Konsumenten gebracht. Inhaltlich beschränkten sich diese Neuerungen jedoch weitgehend auf eine Verbesserung der
Information der Konsumenten. Darüber hinausgehende Forderungen, wie sie in der Schweiz bisher von der Linken und von Konsumentenorganisationen erhoben worden waren, wären hingegen — mit Ausnahme der verschuldensunabhängigen Produktehaftpflicht, deren Einführung das Parlament allerdings bereits unabhängig vom EWR grundsätzlich gutgeheissen hatte — auch mit der Übernahme der EG-Richtlinien nicht erfüllt worden
[36].
Nachdem 1986 der Ständerat das Projekt eines Kleinkreditgesetzes in der Schlussabstimmung scheitern liess, sah nun die Eurolex die Schaffung eines
Konsumkreditgesetzes vor. Dieses beschränkte sich freilich auf die durch EG-Richtlinien vorgegebenen Regelungen und schrieb vor allem eine klare Information des Kreditnehmers über die effektiven Kreditkosten vor. Es ging damit bedeutend weniger weit als die vom Parlament überwiesene Motion Affolter (fdp, SO). Keine Berücksichtigung fanden namentlich Bestimmungen wie die Festlegung von Höchstzinssätzen oder Verbote für die Aufnahme von mehreren Krediten (sog. Kettenverschuldung), wie sie seit 1986 in einen Kantonen eingeführt worden sind
[37].
Ebenfalls im Rahmen der Eurolex wurde der Einführung einer
verschuldensunabhängigen Produktehaftpflicht für Hersteller zugestimmt, wie sie bereits im Vorjahr der Nationalrat mit der fast einstimmigen Überweisung einer parlamentarischen Initiative Neukomm (sp, BE) in die Wege geleitet hatte. Anträge der Linken und der Grünen, welche über die vom EG-Recht her geforderten Vorschriften hinausgehen und die verschuldensunabhängige Produktehaftpflicht auch auf gentechnisch veränderte resp. nach Hors-sol-Methoden produzierte landwirtschaftliche Erzeugnisse ausdehnen wollten, konnten sich, nicht durchsetzen
[38].
Im Rahmen der — nach der Ablehnung des EWR nicht in Kraft getretenen — Eurolex beschloss das Parlament zudem, das 1990 eingeführte
Widerrufsrecht für sogenannte Haustürgeschäfte auch auf solche auszudehnen, die am Arbeitsplatz abgeschlossen werden. Beim Gesetz über den unlauteren Wettbewerb (UWG) wurde es dem Richter ermöglicht, die Beweislast für Werbebehauptungen dem Anbieter aufzuerlegen; für touristische Pauschalreisen wurde eine rechtliche Definition vorgenommen und von den Anbietern einzuhaltende Mindestanforderungen vorgeschrieben
[39].
Seit Jahren haben unseriöse Firmen die in bezug auf die Definition des Betrugstatbestands grosszügige schweizerische Gesetzgebung ausgenützt, um
von hier aus im Ausland mit irreführenden Angaben Dienstleistungen anzubieten. Insbesondere waren Firmen aktiv geworden, welche für Einträge in private Markenregister sowie Telex- und Telefaxverzeichnisse, welche als amtliche Verzeichnisse angepriesen wurden, Rechnung stellten. Dieses Vorgehen gilt in der Schweiz bloss als einfache, d.h. nicht "arglistige" Täuschung und wird nur auf Antrag von Kunden, Konkurrenten, Unternehmer- und Konsumentenorganisationen verfolgt. Geschädigte im Ausland verzichten jedoch oft auf eine Anzeige, weil sie diese Rechtslage nicht kennen oder weil ihnen die Umtriebe zu gross erscheinen. Um derartige Geschäftsmethoden, welche das Ansehen der Schweiz im Ausland beeinträchtigen, wirksamer bekämpfen zu können, hatte der Bundesrat 1991 eine Revision des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG) beantragt. Als Neuerung schlug er vor, dass in Unlauterkeitsfällen, die den guten Ruf der Schweiz im Ausland beeinträchtigen, der Bund ein quasi stellvertretendes Klagerecht erhält. Das Parlament stimmte diesem Vorschlag zu, nachdem es auf Antrag der Nationalratskommission noch ergänzt hatte, dass dem Bund diese Kompetenz nur dann zukommt, wenn die klageberechtigte Person im Ausland ansässig ist
[40].
[31] BBl, 1992, III, S. 68 (Legislaturplanung); Suisse, 9.12.92 (Tercier); BZ, 12.12.92 (Kommission); Bilanz, 1992, Nr. 6, S. 28 ff. Vgl. auch den Länderbericht der OECD, der sich eingehend und kritisch mit dem als ungenügend taxierten Wettbewerb auf dem schweizerischen Binnenmarkt befasst (vgl. NZZ, 13.11.92) sowie B. Schmidhauser in Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 12, S. 40 ff.
[32] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1205 (Loeb) und 1724 f. (Motion der Kommission); SHZ, 25.5.92. Vgl. auch SPJ 1991, S. 117.
[33] Verhandl. B.vers., 1992, VI, S. 31.
[34] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2529 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 1211 ff. und 1234 ff. Allg. zu diesen Revitalisierungsvorschlägen siehe oben (Einleitung).
[35] NZZ, 26.8.92; SHZ, 3.9.92.
[36] Vgl. NQ, 4.6.92; SHZ, 16.7 und 26.11.92.
[37] BBl, 1992, V, 157 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 720 ff. und 942 ff.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1918 ff.; BZ, 28.8.92. Zur Motion Affolter vgl. SPJ 1990, S. 103 und 1991, S. 117; zum Scheitern des Kleinkreditgesetzes von 1986 siehe SPJ 1986, S. 72.
[38] BBl, 1992, V, S. 419 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 879 ff.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1490 ff., 1931 und 2226. Vgl. SPJ 1991, S. 118.
[39] Widerrufsrecht: BBl, 1992, V, S. 388 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 887; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1488 ff. Vgl. SPJ 1990, S. 102. UWG: BBl, 1992, V, S. 178 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 733 f.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1723 f. Pauschalreisen: BBl, 1992, V, S. 775 ff.; Amtl. Bull. StR, 1992,S. 650 ff. und 917 f. ; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1684 ff., 1932 und 2230. Vgl. SPJ 1991, S. 1 17 f.
[40] BBl, 1992, I, S. 355 ff.; Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1 f. und 665; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 136 f. und 303; BBl, 1992, II, S. 844 f.
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