Année politique Suisse 1992 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Voranschlag 1993
Der Voranschlag 1993 des Bundes sah zuerst einen
Aufwandüberschuss von 2,47 Mia Fr. in der Finanzrechnung vor, während in der Erfolgsrechnung ein Defizit von 3,45 Mia Fr. erwartet wurde. Nachdem jedoch einerseits das Parlament die Erhöhung des Treibstoffzolls von 25 auf 20 Rappen pro Liter herabgesetzt und dem Beschluss die Dringlichkeit abgesprochen hatte und andererseits unvorhergesehene zusätzliche Ausgaben entstanden waren, musste der vom Bundesrat genehmigte Entwurf zum Voranschlag 1993 revidiert werden. In der Finanzrechnung wurde gemäss den überarbeiteten Zahlen ein Defizit von 4,31 Mia Fr. erwartet. Das Ausgabenwachstum lag mit 8,3% weit über dem optimistisch geschätzten Zuwachs von 5% des nominellen Bruttoinlandproduktes, während der Einnahmenzuwachs nur auf 1,5% geschätzt wurde. Die Bundesstaatsquote würde gemäss der überarbeiteten Fassung 11,2% betragen. Eine hohe Zuwachsrate von 11,6% verzeichnete das ausgabenstärkste Aufgabengebiet der sozialen Wohlfahrt. Die Ausgaben für Finanzen (Passivzinsen und Emissionskosten) erreichten einen Rekordwert von 3280 Mio Fr., was einen Zuwachs von 42,5% gegenüber dem Vorjahr bedeutet
[25].
In den
parlamentarischen Beratungen zeigte die grosse Kammer als erstbehandelnder Rat ihren Sparwillen und kürzte das schon überarbeitete Budget noch um 625 Mio Fr. In den Bereichen Landwirtschaft, Forschungsbeiträge zugunsten des Nationalfonds und Hilfsmassnahmen für osteuropäische Länder akzeptierte der Nationalrat jedoch die milder ausfallenden Kürzungen, welche der Ständerat beschlossen hatte. Auch beim Nationalstrassenbau gab die grosse Kammer dem Ständerat nach und verzichtete gänzlich auf Kürzungen. Gleichzeitig nahm sie den Antrag Frey (fdp, NE) knapp an, wonach im Falle einer Annahme der Treibstoffzollvorlage in der Volksabstimmung weitere 100 Mio Fr. für den Nationalstrassenbau bewilligt werden sollen; dieser Beschluss wurde von der kleinen Kammer bestätigt. Ein längeres Seilziehen hatten die unterschiedlichen Kürzungsvorschläge betreffend das EMD zur Folge: Nachdem der Nationalrat auf Kürzungen in der Höhe von 150 Mio und der Ständerat auf solchen von 100 Mio Fr. beharrt hatten, wurde in der Einigungskonferenz die Kompromisslösung einer Kürzung von 125 Mio Fr. akzeptiert. Nach Abschluss des Differenzbereinigungsverfahrens beliefen sich die Einsparungen gegenüber der überarbeiteten Budgetvorlage des Bundesrates auf rund 475 Mio Fr., womit der Voranschlag 1993 mit einem Defizit von 3,085 Mia Fr. rechnete. Im übrigen befürworteten beide Räte den Vorschlag des Bundesrates, die EWR-Budgetposten von ca. 195 Mio Fr., welche nach der Ablehnung des EWR-Vertrags nicht mehr ihrem ursprünglichen Zweck dienen konnten, vorläufig zu sperren
[26].
Aufgrund der Ausgabenfreudigkeit des Parlaments, der strukturellen Schwächen der Bundeseinnahmen, der hohen Teuerung und der im Vergleich zu früheren Perioden höheren Zinssätze sowie der anhaltenden Rezession in der Weltwirtschaft
prognostizierte der Legislaturfinanzplan 1991-1995 Defizite bis zu 5 Mia Fr. im Jahre 1995, was 1,3% des BIP ausmachen, und somit den Rekordwert von 1,1% aus dem Jahre 1979 noch übertreffen würde. Die Ausgaben werden gemäss Legislaturfinanzplan durchschnittlich um 7,1% zunehmen, während unter Annahme eines nominellen BIP-Wachstums von 5% (ab 1993) und einer Teuerung von 3% das durchschnittliche Wachstum der Einnahmen nur 4% betragen wird. Die Bundesstaatsquote würde sich somit bis 1995 auf 11,1% erhöhen, was beinahe dem bisherigen Rekord von 1976 entsprechen würde. Auf der Ausgabenseite werden für die Bereiche "Finanzen und Steuern", "Beziehungen zum Ausland" sowie "soziale Wohlfahrt" durchschnittlich die höchsten Zuwachsraten prognostiziert. Auf der Einnahmenseite wird für die direkte Bundessteuer mit einer durchschnittlichen Zuwachsrate von 7,5% gerechnet, alle anderen Posten versprachen ein geringeres Wachstum; die Stempelabgaben werden aufgrund der teilweise kompensationslosen Streichung gewisser Emissionsabgaben und Finanzmarktsteuern durchschnittlich um 7,7% geringer ausfallen
[27].
Um die im Jahre 1995 erwartete Haushaltslücke von ca. fünf Milliarden zumindest teilweise zu schliessen und die Bundesstaatsquote wieder auf 10% zu senken, beantragte der Bundesrat dem Parlament ein Massnahmenpaket, welches einerseits mittels Stärkung des Steuersubstrats und andererseits durch Ausgabenkürzungen in allen Bereichen kurzfristig den zu erwartenden Defiziten entgegenwirken soll. Der Bundesrat verzichtete darauf, eine Verknüpfung von Sanierungsprogramm und neuer Finanzordnung vorzunehmen, um eine komplizierte Paketlösung mit entsprechenden Risiken einer Ablehnung in einer Volksabstimmung zu vermeiden. Einerseits sollten auf der Ausgabenseite bis 1995 durch gezielte Abbauvorschläge und lineare Kürzungen Einsparungen von 1,5 bis 2,1 Mia Fr. realisiert werden. Dazu enthielt der Entwurf des Bundesgesetzes über den Abbau von Finanzhilfen und Abgeltungen zehn gezielte referendumspflichtige Sparvorschläge; drei nicht dem Referendum unterstellte Sparmassnahmen schlug der Bundesrat in Form eines einfachen Bundesbeschlusses vor, ebenso wie die linearen Beitragskürzungen von 10%, befristet auf drei Jahre.
Andererseits sollte das Budget durch
Mehreinnahmen aus den Bereichen Treibstoffzoll und Tabaksteuer sowie durch eine erhöhte Gewinnausschüttung der Nationalbankerträge (450 bis max. 600 Mio Fr.) in der Höhe von insgesamt 1,9 bis 2,3 Mia Fr. entlastet werden..Diese Massnahmen sollten durch die Anderung von zwei Bundesgesetzen sowie durch die 10. AHVRevision (Tabaksteuer) realisiert werden. Dabei ging es beim Nationalbankgesetz nicht um die Erhöhung der Gewinnausschüttung an sich, sondern um die Einführung eines Finanzausgleichsmechanismus zugunsten der finanzschwachen Kantone. Das vorgeschlagene Sparpaket würde das auf fünf Milliarden prognostizierte Defizit im Jahre 1995 um vier Milliarden entlasten. Die Aufhebung des Spielbankenverbots sollte als zusätzliche Einnahmequelle erst ab 1996 wirksam werden. Der Bundesrat beabsichtigte auch, eine dauerhafte Ausgabenbremse in der Verfassung zu verankern; Ausgabenbeschlüsse des Parlaments, welche über die Anträge der Regierung hinausgehen, sollten demgemäss nur von der Mehrheit aller Ratsmitglieder beschlossen werden können
[28].
Die
Beratungen in der kleinen Kammer ergaben eine teilweise Abschwächung der vorgeschlagenen Sparmassnahmen. Im Paket A der Vorlage (Abbau von Finanzhilfen und Abgeltungen) sollten die Ausmerzbeiträge gemäss Viehabsatzgesetz entgegen dem Antrag des Bundesrates einerseits auch nach 1994 noch ausbezahlt werden und andererseits sollte die Plafonierung bei 30 Mio Fr. über den Zeitraum 1993-1995 beibehalten werden. Auf Antrag der Kommissionsmehrheit wurde das Waldgesetz aus dem Paket herausgelöst; die geplanten Einsparungen sollten in das Programm der linearen, befristeten Kürzungen aufgenommen werden. Im Teil B der Vorlage billigte der Rat der Kulturstiftung "Pro Helvetia" 14 Mio Fr. mehr zu, als dies der Bundesrat wollte. Im Teil C der Vorlage, welche den Bundesbeschluss über die lineare Beitragskürzung in den Jahren 1993-1995 beinhaltete, wurden sowohl die Bundesbeiträge an die kantonalen Hochschulen als auch die Beiträge für die Kultur- und Sprachpflege in Graubünden von den Kürzungen ausgenommen. Bei der Anderung des Nationalbankgesetzes kritisierten Vertreter der reichen städtischen Kantone den vorgeschlagenen Finanzausgleich und forderten die Beibehaltung der bisherigen bevölkerungsproportionalen Verteilung. Der Regierungsvorschlag setzte sich aber durch, nachdem der Rat den Anteil, der nach Finanzausgleichskriterien verteilt wird, auf drei Achtel beschränkt hatte. Auf den Bundesbeschluss über die Ausgabenbremse trat der Ständerat gar nicht ein. Insgesamt bewirkten die Beschlüsse der kleinen Kammer eine Verringerung der Sparvorgabe um über 40 Mio Fr.
[29].
Nachdem der Nationalrat jedoch praktisch alle vom Bundesrat vorgeschlagenen Sparmassnahmen im Rahmen des Bundesgesetzes und des Bundesbeschlusses über den Abbau von Finanzhilfen und Abgeltungen sowie des Bundesbeschlusses über die lineare Beitragskürzung in den Jahren 1993 bis 1995 gutgeheissen hatte, schwenkte der Ständerat auf die vollumfänglichen Kürzungen in den Bereichen Land- und Waldwirtschaft, Kultur, Bildung und Forschung ein. Nachdem die grosse Kammer den Bundesbeschluss über die Ausgabenbremse gemäss bundesrätlichem Vorschlag angenommen hatte, trat der Ständerat zum zweiten Mal nicht auf die Vorlage ein; infolgedessen wurde die Vorlage von der Geschäftsliste gestrichen. Zu den Verhandlungen bezüglich der Treibstoffzollerhöhung und der Aufhebung des Spielbankenverbots siehe oben
[30].
Das gesamte derart
beschlossene Sparmassnahmenpaket sollte inklusive der für drei Jahre verlängerten Einsparungen des Budgets 1992 eine Verminderung des Defizits zwischen 2,9 und 3,9 Mia Fr. bis 1995 ergeben
[31].
Der Ständerat überwies ein Postulat seiner Finanzkommission, welches dem Bundesrat unter anderen vorschlägt, ab dem Jahre 1993 im verwaltungseigenen Bereich weitere Kürzungen vorzunehmen sowie den Personalbestand bis 1995 auf den Stand von 1990 zu reduzieren
[32].
[25] Überarbeitete Zahlen des Voranschlages 1993 in Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2297. Vgl. auch L'Hebdo, 8.10 und 22.10.92 sowie L. Boas, "Grund zur Panik?" in Bresche Magazin, 1992, Nr. 10, S. 7 ff.
[26] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2297 ff., 2326 ff., 2352 ff. 2547 ff., 2584 ff. und 2633 f.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 1163 ff., 1192 ff., 1256 ff., 1289 f. und 1299; NZZ, 16.12.92; wf-Dokumentation, 16.11.92; wf-Pressedienst, 21.12.92.
[27] BBl, 1992, III, S. 140 ff.; wf-Dokumentation, 4.5.92; Die Volkswirtschaft, 65/1992, Nr. 11, S. 41 ff. Vgl. auch SPJ 1991, S. 145.
[28] BBl, 1992, III, S. 349 ff.; Presse vom 16.1, 25.1 und 3.4.92; wf-Dokumentation, 3.2 und 25.5.92. Wirtschaftskreise vermissten die Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens zum Sanierungsprogramm (siehe dazu wf, Pressedienst, 17.1.92).
[29] Amtl. Bull. StR, 1992, S. 546 ff.; Presse vom 18.6.92. Zur Erhöhung des Treibstoffzolls und der Aufhebung des Spielbankenverbots siehe oben, Indirekte Steuern.
[30] Amtl. Bull. NR, 1992, S. 1783 ff., 1801 ff., 1848 ff., 1977 ff., 2039 ff. und 2217 f.; Amtl. Bull. StR, 1992, S. 948 ff . , 1011 f. und 1070; BBl, 1992, VI, S. 102 ff., 113, 142 f. und 147 f. Siehe auch oben, Teil I, 4b (Geld- und Währungspolitik) und 4c (Politique agricole, Production animale, Sylviculture) sowie unten, Teil I, 8a (Hautes écoles) und 8b (Kulturpolitik). Vgl. auch Lit. Stich.
[32] Amtl. Bull. StR, 1992, S. 591.
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