Année politique Suisse 1993 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Strukturpolitik
Nachdem das Parlament 1991 die Beratungen über die
Revision des Patentgesetzes abgebrochen hatte, um zuerst die Entwicklungen im Bereich der Gentechnologie und den Volksentscheid zu diesbezüglichen Volksinitiativen abzuwarten, unternahm der Bundesrat nun einen neuen Anlauf. Dabei verschob er den Erlass von Regelungen zur Patentierung von gentechnologischen Erfindungen auf eine spätere Phase. Sonst übernahm er eine Anzahl von technischen Regelungen aus dem seinerzeitigen Entwurf. Zudem schlug er die rechtliche Verankerung von sogenannten Schutzzertifikaten für Arzneimittel vor. Diese weitgehend von der EU übernommene Neuerung erlaubt eine zeitliche Ausdehnung der Patentschutzdauer
[16].
Der Bundesrat schlug dem Parlament eine
Teilrevision des Gesetzes über die Kontrolle des Verkehrs mit Edelmetallen und -metallwaren vor. Er entsprach damit dem Wunsch der Edelmetall- und der Uhrenbranche, das aus dem Jahre 1933 stammende Gesetz vollständig an die Entwicklung der internationalen Normierung anzupassen. Der Nationalrat hiess die vorgeschlagenen Änderungen gut
[17].
Als Teil der nach der EWR-Ablehnung angestrebten Revitalisierung der schweizerischen Wirtschaft legte der Bundesrat im Sommer ein Aktionsprogramm für die
Harmonisierung der schweizerischen technischen Normen mit denjenigen der EU vor. Damit sollen die Voraussetzungen für die gegenseitige Anerkennung von Zulassungen und Prüfungen geschaffen werden, um technische Handelshindernisse sowohl beim Import als auch beim Export auszuräumen. Ein guter Teil derjenigen Normen, über die der Bundesrat in eigener Kompetenz entscheiden kann, soll unmittelbar nach dem Inkrafttreten des EWR-Vertrags an die EU-Bestimmungen angepasst werden. In einer zweiten Phase sollen dem Parlament im Jahre 1994 erforderliche Gesetzesänderungen unterbreitet werden
[18].
Der Nationalrat und nach ihm auch der Ständerat überwiesen eine weder vom Plenum noch vom Bundesrat bestrittene Motion der CVP-Fraktion für eine durchgängige Anerkennung internationaler technischer Normen durch die Schweiz
[19]. Der Nationalrat stimmte ebenfalls einem Postulat zu, das verlangt, im Rahmen des neuen, auf den 1. April in Kraft gesetzten Markenschutzgesetzes ein Konzept für den
Schutz von typischen Produkten der Bergregionen auszuarbeiten
[20].
Am 7. März
stimmte das Volk über die Aufhebung des in der Bundesverfassung verankerten Spielbankenverbots ab. Die Kampagne warf keine hohen Wellen. Das gegnerische Komitee, das sich vor allem aus Vertretern der SP und der EVP zusammensetzte, begründete seine Haltung hauptsächlich damit, dass es verwerflich sei, wenn der Staat aus der Spielsucht Profit zu ziehen versuche, und dass zudem Spielbanken zur Geldwäscherei missbraucht würden. Die Befürworter legten das Schwergewicht ihrer Propaganda auf die Tatsache, dass spielfreudige Schweizer heute ihr Geld in den zahlreichen grenznahen ausländischen Kasinos verspielen und dem Bund somit wichtige Einnahmen entgingen. Zudem begrüssten sie — mit dem Verweis auf Osterreich — die Zulassung von Kasinos auch als wichtige Erweiterung des touristischen Angebots. Von den politischen Parteien unterstützten FDP, CVP, SVP, die AP, die LP und der LdU die Vorlage; die SP entschied sich ebenso für Stimmfreigabe wie die GP und die PdA, während die EVP und die SD Ablehnung empfahlen
[21].
Aufhebung Spielbankenverbot. Abstimmung vom 7. März 1993
Beteiligung: 51,2%
Ja: 1 665 247 (72,5%) / 20 6/2 Stände
Nein: 633 203 (27,5) / 0 Stände
Parolen :
— Ja: FDP, CVP, SVP (1*), LP, LdU, AP, Lega; ZSAO, SGV.
— Nein: EVP, SD.
— Stimmfreigabe: SP (2*), GP (1 *), PdA; SGB.
*In Klammer Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Der Entscheid, ob die Schweiz als eines der letzten Länder Europas Spielbanken zulassen solle, fiel an der Urne eindeutig aus: mit einem
Ja-Stimmenanteil von insgesamt 72,5% wurde die Vorlage in allen Kantonen angenommen. Am deutlichsten stimmten die Genfer zu (81,1%), am schwächsten die Jurassier (66,7). Die Vox-Umfrage ergab, dass die Verbotsaufhebung von beiden Geschlechtern, aber auch allen Altersklassen und sozialen Schichten (mit Ausnahme der etwas skeptischeren Landwirte) gleich gut unterstützt wurde; in bezug auf Parteisympathie waren die Befürworter bei der SP – trotz Stimmfreigabe dieser Partei – und dem Freisinn etwas häufiger als bei der CVP und der SVP
[22].
Unmittelbar nach der Abstimmung gingen beim Bundesrat
über 40 Gesuche für die Konzessionierung eines Spielkasinos ein. Bevor diesbezügliche Entscheide getroffen werden können, bedarf es freilich noch einer entsprechenden Gesetzgebung. Der Bundesrat beauftragte eine Expertenkommission mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs
[23].
Im Anschluss an die kritischen Voten anlässlich der Parlamentsdebatte über die
Beiträge an die Schweizerische Verkehrszentrale (SVZ) veranlasste das EVD eine Evaluation dieser schwergewichtig mit der Tourismuswerbung befassten Organisation. Die Evaluation diagnoszierte insbesondere zu komplizierte Führungsstrukturen und empfahl neben einer Reorganisation auch eine Konzentration auf den Marketingauftrag im Ausland. Die Leitung der SVZ übernahm diese Empfehlungen und leitete die nötigen Reformschritte ein
[24]
Der Nationalrat überwies oppositionslos sowohl die vom Ständerat im Vorjahr verabschiedete Motion Bloetzer (cvp, VS) für eine
umfassende Revision des regionalpolitischen Instrumentariums als auch eine ähnliche Motion Brügger (sp, FR)
[25]. Um die Auswirkungen der regionalpolitischen Massnahmen besser abschätzen zu können, verabschiedete der Nationalrat eine Motion der WAK, welche vom Bundesrat verlangt, alle vier Jahre einen Bericht über die Entwicklung der regionalen Disparitäten vorzulegen und einem Anwachsen von Ungleichheiten mit einer Revision des regionalpolitischen Instrumentariums zu begegnen. Der Ständerat lehnte diesen Vorstoss ohne Diskussion ab. Zustimmen konnte er hingegen einer im Vorjahr vom Nationalrat gutgeheissenen Motion Etique (fdp, JU), welche eine regional gegliederte Ubersicht über die durch öffentliche und halböffentliche Aktivitäten und Geldströme ausgelösten volkswirtschaftlichen Impulse fordert
[26].
Wie zuvor bereits mehrere Parlamentarier hatte 1992 auch der Kanton Wallis den Bund aufgefordert, den
Finanzausgleich zugunsten der ärmeren Kantone zu verbessern, die Förderungsmassnahmen für das Berggebiet auszubauen und die Tourismuswerbung im Ausland stärker zu subventionieren. Da der Bundesrat bereits entsprechend beauftragt ist, beschlossen sowohl der National- als auch der Ständerat, dieser Standesinitiative zwar keine Folge zugeben, aber ein gleichlautendes Postulat zuhanden des Bundesrates zu verabschieden. Im Ständerat bekämpften mehrere Abgeordnete aus sogenannt reichen Kantonen die Initiative mit dem Argument, dass angesichts der Aufgabenlast und der schlechten Finanzlage der grossen Städte weitere Forderungen der Berggebiete unangebracht seien
[27].
Im Sommer gab der Bundesrat den Vorentwurf für eine
Neufassung des 1994 auslaufenden Bundesbeschlusses über Finanzierungsbeihilfen für wirtschaftlich bedrohte Regionen in die Vernehmlassung. Als Neuerung ist vorgesehen, dass der Bund in den neu definierten Regionen die Umstrukturierung und Neugründung von privaten Unternehmen mit der Gewährung von Bürgschaften und Steuererleichterungen – hingegen nicht mehr mit Zinsverbilligungen – unterstützen kann. Zudem soll der Zugang von kleinen und mittleren Betrieben zu Informationen über den europäischen Binnenmarkt und über technologische Innovationen erleichtert und die Werbung für den Wirtschaftsstandort Schweiz im Ausland unterstützt werden. In ersten Reaktionen lehnten die SVP und der Gewerbeverband den Entwurf als unnötigen Interventionismus ab, die SP, die CVP und auch die meisten Kantone beurteilten ihn hingegen vorwiegend positiv
[28]. Der Nationalrat überwies diskussionslos ein Postulat Zwahlen (cvp, BE) für eine Ausdehnung des Geltungsbereichs dieses Bundesbeschlusses auf die ganze französischsprachige Schweiz und das Tessin, da diese Regionen eine viel höhere Arbeitslosenrate aufwiesen als die Deutschschweiz
[29].
Die CVP-Fraktion unternahm einen neuen Anlauf, die 1985 vom Volk abgelehnte
Innovationsrisikogarantie sowie zusätzlich auch steuerliche Erleichterungen für Investitionen einzuführen. Nachdem sich der Bundesrat dazu skeptisch geäussert hatte, wandelte der Nationalrat den Vorstoss in ein Postulat um
[30].
[16] BBl, 1993, III, S. 707 ff. Vgl. SPJ 1991, S. 115.
[17] BBl, 1993, II, S. 1033 ff.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 2434 ff.
[18] Presse vom 6.7.93; SHZ, 19.8.93.
[19] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 576; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 932 f.
[20] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1400. Zum Markenschutzgesetz siehe SPJ 1992, S. 110 und SHZ, 1.4.93.
[21] Presse vom 1.2.-8.3.93. Contra: TA, 13.1.93; NZZ, 10.2.93. Pro: Bund, 20.1.93; LZ, 16.2.93 (Tourismus). Parteien: NZZ, 25.2.93. Vgl. SPJ 1992, S. 110 f. Zu den finanzpolitischen Aspekten siehe unten, Teil I, 5 (Indirekte Steuern).
[22] BBl, 1993, I, S. 1587 ff.; Presse vom 8.3.93; Vox, Analyse der eidgenössischen Abstimmung vom 7. März 1993, Adliswil 1993.
[23] Bund, 8.5. und 27.12.93; LZ, 5.8.93. Vgl. auch Ww, 7.10.93.
[24] Presse vom 18.9.93; NZZ, 12.11.93. Vgl. auch SPJ 1992, S. 111.
[25] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1315 (Bloetzer) und 2139 ff. (Brügger). Vgl. SPJ 1992, S. 111 f.
[26] WAK: Amtl. Bull. NR, 1993, S. 316;Amtl. Bull. StR, 1993, S. 627. Etique: Amtl. Bull. NR, 1992, S. 2528 f.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 364.
[27] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1317 ff.; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 623 ff.
[28] NZZ, 2.6.93. Reaktionen: NZZ, 2.9.93. Vgl. SPJ 1992, S. 112 sowie Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 8, S. 21 ff.
[29] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 591.
[30] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1958 f. Vgl. SPJ 1985, S. 62 f. und 1992, S. 110.
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