Année politique Suisse 1993 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Wohnungsbau
Mit Stichtag 1. Juni 1993 wurde in der Schweiz ein
Leerwohnungsbestand von 29 755 Einheiten ermittelt. Dies sind 7525 Wohnungen oder ein Drittel mehr als im Vorjahr. Mit 0,92% nähert sich die Leerwohnungsziffer erstmals seit 1978 wieder der 1 %-Marke. Der Wert von 0,5%, welcher vom Bundesrat als Indikator für Wohnungsnot angesehen wird, wurde ausser von Zürich und den beiden Basel nur noch von Uri, Obwalden und den beiden Appenzell unterschritten. Dagegen sind die Leerbestände in den nichtdeutschsprachigen Kantonen durchschnittlich am stärksten gestiegen. An der Spitze liegen die Kantone Waadt, Tessin und Genf sowie Neuenburg und Solothurn mit Werten deutlich über einem Prozent. Es sind dies jene Kantone, die unter dem Einbruch der Konjunktur und der Rezession in der Baubranche besonders gelitten haben. Mit 0,78% liegt der Leerwohnungsbestand in den Städten unter dem Landesdurchschnitt, wobei in Krisenregionen wie Genf (1,7%), Le Locle (4,6%) oder Martigny (4,6%) überdurchschnittliche Werte zu verzeichnen sind. Unter dem Gesichtspunkt der Wohnungsgrösse betrachtet, stieg der Leerbestand bei Kleinwohnungen mit bis zu zwei Zimmern mit 29,7% überdurchschnittlich stark (1992: 25%), während der Anteil leerstehender Grosswohnungen mit über vier Zimmern rückläufig war. Ob sich darin lediglich die Verlagerung der Wohnungsproduktion hin zu kleineren Wohneinheiten widerspiegelt oder auch ein gesellschaftlicher Wandel, nach welchem junge Menschen, zum Teil aus wirtschaftlicher Notwendigkeit, länger bei ihren Eltern wohnen bleiben, ist vorläufig noch nicht sicher zu beantworten
[28].
Der
Wohnungsbau ging, zumindest in den grösseren Ortschaften, auch 1993 weiter zurück. Insgesamt wurden im Berichtsjahr in den 269 Gemeinden mit über 5000 Einwohnern 16 303 Wohneinheiten erstellt. Das waren 1,6% weniger als im Vorjahr (Rückgang des Vorjahres: -3,7%). Während die Städte (Gemeinden mit über 10 000 Einwohnern) einen Rückgang um 433 Neuwohnungen (–4,1 %) hinnehmen mussten, stieg der Anteil neuerstellter Wohnungen in den Gemeinden mit 5000 bis 10 000 Einwohnern um 162 Einheiten (2,7%). Die Wohnbautätigkeit war in den ersten beiden Quartalen des Jahres, welche positive Wachstumsraten aufwiesen, intensiver als in der zweiten Jahreshälfte
[29].
Die vom Hauseigentümerverband im Vorjahr lancierte
Volksinitiative "Wohneigentum für alle" wurde mit 161 899 Unterschriften eingereicht. Die Initiative verspricht sich eine Erhöhung der Wohneigentumsquote durch ein generelles Einfrieren des Eigenmietwerts und die Möglichkeit, für den Erwerb von Wohneigentum verwendete Spargelder von der Steuer abzusetzen
[30].
Ende 1992 waren von der sozialdemokratischen Fraktion fünf parlamentarische Initiativen hinsichtlich eines dringlichen Investitionsprogramms zur Linderung von Arbeitslosigkeit und zur Entlastung der Arbeitslosenkasse eingereicht worden, deren Forderungen von der zuständigen Kommission des Nationalrats im Januar 1993 in zwei eigene Kommissionsinitiativen übernommen worden waren. Ziel der Initiativen war einerseits die Schaffung eines Investitionsbonus für Kantone, Gemeinden und öffentliche Institutionen und Investitionen für die energetische Sanierung von Gebäuden, andererseits ein
zeitlich befristetes Investitions- und Beschäftigungsprogramm im Wohnungsbau. Mit letzterem sollten die im Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz festgelegten Mittel für die Jahre 1993/94 um zusätzliche 50 Mio Fr. erhöht werden. Die Gelder sollten allen Bauträgern offenstehen und zur Deckung des Wohnungsbedarfs benötigte, aus Finanzknappheit nicht in Angriff genommene Projekte in Milliardenhöhe auslösen. Beide Räte stimmten den Anträgen mit leichten Abänderungen zu
[31].
Leise Zweifel an der Dringlichkeit der zur Förderung des Wohneigentums verwendeten Bundesgelder äusserte eine
Studie des Nationalfonds "zur Wirksamkeit der staatlichen Wohneigentumsförderung". Darin geben 65% der befragten Bezieher von Bundesgeldern an, ohne staatliche Hilfe keine Möglichkeit besessen zu haben, Wohneigentum zu erwerben. Nach den Autoren der Studie muss diese Zahl allerdings als zu hoch angesehen werden, da Zahlreiche der Betroffenen die Inanspruchnahme der Gelder legitimieren wollten, ohne tatsächlich darauf angewiesen zu sein. Gemäss ihren Schätzungen benötigt bis zur Hälfte aller Bezieher keine Bundeshilfe
[32].
In der Frühjahrssession wandelte der Ständerat eine Motion seiner Kommision, in welcher der Bundesrat angehalten wurde, bis Ende 1993 Projekte im Sinne einer subsidiären und zeitlich befristeten Subjekthilfe im Wohnungsbau vorzulegen, in ein Postulat um
[33].
Eine Motion, welche gleichlautend von den Ostschweizern Engler (cvp, AI) und Rüesch (fdp, SG) in den jeweiligen Räten vorgetragen wurde, forderte den Bundesrat auf, die betreffenden Artikel des Bundesgesetzes über die
direkte Bundessteuer sowie des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden dergestalt zu ändern, dass Fremdkapital nicht als Eigenkapital aufgerechnet wird und Schuldzinsen auf Fremdkapital nicht zum steuerbaren Gewinn gerechnet werden. Den Motionären ging es in erster Linie um eine
Entlastung von Wohnbaugenossenschaften, welche durch die bestehende Gesetzgebung letztlich in den Ruin getrieben würden, wodurch die Wohnbau- und Eigentumsförderungspolitik des Bundes gefährdet sei. Hatte sich Bundesrat Stich in der Ständekammer noch — vergeblich — für eine Umwandlung des Vorstosses in ein Postulat gewehrt, gab er im Nationalrat seinen Widerstand angesichts der Unterstützung der Vorlage durch alle Fraktionen auf und nahm die Motion als solche entgegen
[34].
Das Parlament nahm die Beratung des im August 1992 vom Bundesrat vorgelegten Entwurfs über ein Bundesgesetz für die Wohneigentumsförderung mit Mitteln der beruflichen Vorsorge auf. Der Nationalrat, welcher sich als erster mit der Vorlage befasste, hatte dabei über den Antrag einer rot-grünen Minderheit seiner vorberatenden Kommission zu befinden, das Gesetz nach Eintreten an den Bundesrat zurückzuweisen. In deren sowie im Namen seiner Fraktion erhob de Dardel (sp, GE) zwei grundlegende Einwände gegen die Gesetzesvorlage: Aus Sicht der Wohnbauförderung bringe das Gesetz weniger eine breitere Streuung des Wohneigentums als die Möglichkeit zur Schuldtilgung für bereits erworbene Immobilien, da der Rückgriff auf Kapital der zweiten Säule auch für Wohneigentümer möglich ist. Damit stelle die Vorlage aber kaum einen Anreiz für den Wohnungsbau dar. Aus sozialpolitischer Sicht stosse sich das vorliegende Gesetz mit Artikel 34quater der Bundesverfassung, welcher zum Zweck der Wohneigentumsförderung die Gelder der dritten Säule vorsehe, während die zweite Säule für die Finanzierung des Ruhestands konzipiert worden sei. Diese Aufgabe könne der Besitz von Immobilien aber weit weniger erfüllen, als die Auszahlung von Renten. Für die Grünen brachte Hafner (gp, BE) zudem Bedenken gegenüber einer möglichen Vergrösserung des Baulandangebots oder einer Riickzonung von naturnahem Land an.
In der Debatte sprach sich neben den grossen bürgerlichen Parteien und der AP auch die Fraktion von LdU/EVP für ein Eintreten auf die Vorlage aus. Auch in der folgenden Detailberatung vermochte die Minderheit der Kommission ihre Vorstellungen nicht durchzubringen, verzichtete jedoch auf Ablehnung der Vorlage, so dass das Gesetz im Sinne der Kommissionsmehrheit und des Bundesrates einstimmig angenommen wurde. Auf Antrag des Bundesrates schrieb der Rat auch die zugehörigen parlamentarischen Vorstösse ab, darunter auch die parlamentarische Initiative Carobbio (sp, TI) für die Finanzierung zinsgünstiger Wohnungen durch die zweite Säule, auf welche sich die oben bezeichnete Kommissionsminderheit als Alternative zur Vorlage über die Wohnbauförderung mit Mitteln der zweiten Säule berufen hatte.
Im
Ständerat warnten die meisten Votanten zwar vor einer Überbewertung der positiven Auswirkungen der Massnahme. In der Detailberatung stimmte die Ständekammer jedoch weitgehend der Version des Nationalrats zu. Das Gesetz wurde
nach der kurzen Differenzbereinigung von beiden Räten einstimmig verabschiedet
[35].
[28] Die Volkswirtschaft, 66/1993, Nr. 11, S. 49 ff. (in dieser Statistik ist La Chaux-de-Fonds (NE) nicht enthalten).
[29] Die Volkswirtschaft, 67/1994, Nr. 4, S. 4 (von dieser Statistik wird etwa 60% des gesamten Wohnungsbaus erfasst).
[30] Presse vom 23.10.93; vgl. SPJ 1992, S. 180.
[31] Siehe dazu oben, Teil I, 4a (Konjunkturpolitik).
[33] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 208 f.
[34] Amtl. Bull. StR, 1993, S. 361 f.; Amtl. Bull. NR, 1993, S. 1254 f. und 1363 f.
[35] Amtl. Bull. NR, 1993, S. 473 ff., 1496 ff. und 2589; Amtl. Bull. StR, 1993, S. 438 ff., 747 ff., 793 und 1130; BBl, 1993, IV, S. 580 ff. Initiative Carobbio: Amtl. Bull. NR, 1993, S. 486 ff. Vgl. auch SPJ 1992, S. 182.
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