Année politique Suisse 1994 : Parteien, Verbände und Interessengruppen / Verbände und übrige Interessenorganisationen
Arbeitnehmer
Die Forderung der Unternehmerverbände nach einem Moratorium beim Ausbau der
Sozialwerke liess die Arbeitnehmerverbände näher zusammenrücken. Im Februar traten die Spitzen des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), des Christlichnationalen Gewerkschaftsbundes (CNG) und der Vereinigung schweizerischer Angestelltenverbände (VSA) mit einer gemeinsamen Erklärung an die Öffentlichkeit, in welcher sie sich gegen dieses Ansinnen zur Wehr setzten
[10]. Verschiedene Gewerkschaften machten wie bereits im Vorjahr mit
Grossdemonstrationen auf ihre Tarifforderungen aufmerksam. So demonstrierten Ende Mai in Bern rund 15 000 Bauarbeiter für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag mit mehr Lohn und kürzeren Arbeitszeiten. In Zürich gingen einmal 1500 und einmal gut 1000 städtische Angestellte und in Lausanne rund 2000 Lehrerinnen und Lehrer auf die Strasse, um gegen sich verschlechternde Arbeitsbedingungen zu protestieren. Die Gewerkschaften der Druckindustrie führten am 3. November gar einen landesweiten Streik zur Unterstreichung ihrer Tarifforderungen durch
[11].
Die 1986 vom SGB gemeinsam mit der SP eingereichte
Volksinitiative "für eine gesunde Krankenversicherung" wurde in der Volksabstimmung vom 4. Dezember mit einem Nein-Stimmenanteil von 76,5% abgelehnt. Die Delegierten des SGB beschlossen an ihrem Kongress vom 3.-5. November in Montreux (VD), gemeinsam mit dem CNG das Referendum gegen die 10. AHV-Revision zu ergreifen und gleichzeitig eine Volksinitiative zu lancieren, damit die Errungenschaften dieser Revision (vor allem die zivilstandsunabhängige Rente und die Erziehungs- und Betreuungsgutschriften) ohne eine Erhöhung des Rentenalters für die Frauen realisiert werden. Bereits vorher hatte der Kaufmännische Verband (SKV) zusammen mit der VSA die Lancierung einer Volksinitiative für ein flexibles Rentenalter und gegen eine Heraufsetzung des Rentenalters für die Frauen beschlossen
[12].
Im Berichtsjahr stellten die drei gewerkschaftlichen Diskussionsmagazine "Gewerkschaftliche Rundschau", "Revue syndicale" und "Diskussion" ihr Erscheinen ein
[13].
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) hatte im Herbst den altershalber zurücktretenden Präsidenten Walter Renschler zu ersetzen. Als Favoriten zeichneten sich bald die Vorsitzenden der beiden grössten Einzelgewerkschaften,
Christiane Brunner (SMUV) und
Vasco Pedrina (GBI), ab. Doch beide liessen vorerst keine Ambitionen erkennen, dieses ehrenamtlich auszuführende Mandat zu übernehmen. Nationalrätin Brunner (sp, GE), weil sie auf jeden Fall die Leitung der Metallarbeitergewerkschaft behalten wollte, Pedrina, weil er wenig Chancen sah, die von ihm als notwendig erachtete Neuausrichtung des SGB durchzusetzen. Diese Zurückhaltung hat sicher dazu beigetragen, dass sich der SGB auf die Suche nach einem anderen Modell der Verbandsführung machte. Im April erklärten sich Brunner und Pedrina bereit, das
SGB-Präsidium gemeinsam zu übernehmen. Opposition gegen dieses Job-sharing - von dem er einen Verlust an Schlagkraft befürchtet - meldete der drittgrösste Einzelverband, derjenige der Eisenbahner an. Am SGB-Kongress vom 3.-5. November in Montreux (VD) stimmten die Delegierten der Doppelbesetzung des Präsidiums mit Brunner und Pedrina zu
[14].
Die
Frauen befinden sich unter den Gewerkschaftsmitgliedern immer noch deutlich in der Minderheit und konnten ihren Anteil in den letzten zehn Jahren nur geringfügig verbessern (von rund 12% auf 15,4% beim SGB). Bei den Führungspositionen vermochten sie aber ihre Stellung weiter auszubauen. Im Berichtsjahr übernahmen sie nicht nur das Co-Präsidium des SGB. Nachdem bereits die zweitgrösste Einzelgewerkschaft (SMUV) von einer Frau geleitet wird, wählte nun auch die viertgrösste Organisation (VPOD) mit Doris Schüepp eine Frau zur geschäftsleitenden Sekretärin
[15].
Die
Mitgliederzahl des SGB ist 1994 um 0,5% auf 429 024
gesunken. Ohne den Beitritt des rund 3800 Mitglieder zählenden Posthalterverbandes wäre der Rückgang noch stärker ausgefallen. Den absolut grössten Mitgliederschwund wiesen der SMUV (-2724) und der VPOD (-1063) auf
[16].
Die bisher vor allem im Bau und in der Chemie verankerte GBI will vermehrt auch in den
Dienstleistungssektor vordringen, da es hier mit der gewerkschaftliche Organisation - vor allem auch der Frauen - am schlechtesten bestellt ist. Ein ausserordentlicher Verbandskongress beauftragte am 25. Juni die Leitung, bis 1996 Vorschläge für eine diesbezügliche Gesamtstrategie und konkrete Aktionen auszuarbeiten
[17]. Die traditionellerweise im Dienstleistungssektor tätige Gewerkschaft Verkauf, Handel, Transport und Lebensmittel (VHTL) reagierte sofort und heftig auf diese Absichtserklärung. Ihrer Meinung nach sei es nicht zumutbar, dass die seit der Rezession im Baugewerbe unter Mitgliederschwund leidende GBI versuche, den anderen, ebenfalls im SGB organisierten Gewerkschaften die Mitglieder abzujagen
[18].
[10]
LM, 18.2.94. Vgl. auch das "Soziale Manifest" des SGB (Presse vom 31.8.94). Zur lokalen Zusammenarbeit unter den Gewerkschaften siehe auch
Gewerkschaftliche Rundschau, 86/1994, Nr. 3.10
[11] Bern:
Bund, 30.5.94. Zürich:
TA, 8.7. und 6.10.94. Lausanne:
24 Heures, 2.12.94. Bauarbeiter und Drucker: siehe oben, Teil I, 7a (Gesamtarbeitsverträge).11
[12] Siehe oben, Teil I, 7c (Krankenversicherung resp. AHV) sowie
NZZ, 11.10.94 und Presse vom 5.11.94 (Kongress).12
[13]
Gewerkschaftliche Rundschau, 86/1994, Nr. 3, S. 23.13
[14] Kanidaturen:
TA, 1.2.94;
BZ, 21.3. und 22.4.94. Eisenbahner:
BüZ, 29.6.94. Kongress: Presse vom 3.-7.11.94.14
[16]
SGB-Pressedienst, 4.5.95;
24 Heures, 10.9.94 (Posthalter).16
[17]
Bund,
NZZ und
SGT, 27.6.94.17
[18]
NZZ, 28.6.94. Vgl. allgemein dazu auch
SHZ, 21.7.94.18
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