Année politique Suisse 1994 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Grundrechte
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Rassismus
Infolge des von politisch rechtsstehenden Kreisen im Vorjahr eingereichten Referendums musste das Volk zum neuen Antirassismusgesetz Stellung nehmen. Der neue Artikel 261bis StGB will die öffentliche rassistische Hetze und Diskriminierung sowie das Leugnen und Verharmlosen von Völkermord oder anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verbieten. Diese Bestimmungen bilden die Voraussetzung für den Beitritt der Schweiz zur Antirassismus-Konvention der UNO [2].
Dieser Beitritt - der nach nur einen weiteren Schritt zu einer Vollmitgliedschaft bei der UNO darstelle - war denn auch eines der Hauptargumente in der Propaganda der verschiedenen gegnerischen Komitees. Daneben wurde von den Gegnern die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die neuen Gesetzesbestimmungen in den Vordergrund geschoben. Zudem behaupteten sie, dass mit dem neuen Gesetz Massnahmen gegen die Zuwanderung von Ausländern verunmöglicht würden. Aktiv taten sich bei den Gegnern neben notorischen Rechtsaussenpolitikern wie Emil Rahm auch die FP, die SD, die Lega sowie einzelne Nationalräte und Jungpolitiker der bürgerlichen Bundesratsparteien und der LP hervor. Aktiv an der Kampagne beteiligten sich auch sogenannte Revisionisten, d.h. Personen, welche die Judenausrottungspolitik der Nationalsozialisten leugnen oder zumindest relativieren [3].
Obwohl sich neben den vier Bundesratsparteien auch die LP, der LdU, die EVP, die Grünen, die PdA, Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sowie kirchliche, kulturelle und soziale Organisationen für das Antirassismus-Gesetz aussprachen, waren sich die Befürworter ihres Sieges keineswegs sicher [4]. Insbesondere war ungewiss, inwieweit es den Gegnern gelingen würde, die Abstimmung zu einem Plebiszit für eine restriktivere Asyl- und Einwanderungspolitik umzufunktionieren [5].
Bei einer Beteiligung von 45,9% stimmten am 25. September die Stimmberechtigten mit einer Mehrheit von 54,7% dem neuen Gesetz zu. Am stärksten fiel das Ja im Kanton Genf aus, zustimmende Mehrheiten fanden sich aber auch in allen anderen französischsprachigen Kantonen mit Ausnahme des Wallis, wo nur der deutschsprachige Kantonsteil zustimmte. Die Deutschschweiz war ähnlich gespalten wie bei den Abstimmungen im Sommer über die erleichterte Einbürgerung und den Kulturförderungsartikel: die beiden Basel, Zürich und Bern nahmen die Vorlage zusammen mit Schaffhausen, Zug, Graubünden und - für viele überraschend - Obwalden an. Am stärksten fiel die Ablehnung in Schwyz aus. Generell stimmten die Städte - und hier vor allem die bürgerlichen Quartiere - eher zu als ländliche Gebiete [6]. Die Vox-Befragung nach der Abstimmung bestätigte diese ersten Analysen. Zudem stellte sie fest, dass die Frauen wesentlich deutlicher zustimmten als die Männer. Bei den Nein-Stimmenden verfing das Argument am häufigsten, dass das neue Gesetz überflüssig sei; antisemitische oder rassistische Parolen fanden auch bei den Gegnern nur eine geringe Unterstützung. Eine recht grosse Gruppe wollte hingegen mit dem Nein primär ihre Unzufriedenheit über den hohen Ausländeranteil in der Schweiz ausdrücken [7].
Antirassismus-Gesetz
Abstimmung vom 25. September 1994

Beteiligung: 45,9%
Ja: 1 132 662 (54,6%)
Nein: 939 975 (45,4%)

Parolen:
- Ja: FDP, SP, CVP, SVP (7*), GP, LP (1*), LdU, EVP, PdA; Vorort, SBV, SGB, CNG.
- Nein: FP, SD, Lega.
- Stimmfreigabe: EDU (1*).

* Anzahl abweichender Kantonalsektionen
Der Bundesrat setzte die neue Rechtsnorm auf den 1. Januar 1995 in Kraft und gab den Beitritt der Schweiz zur Antirassismus-Konvention der UNO bekannt. Wie er bereits im Abstimmungskampf angekündigt hatte, meldete er dazu zwei Vorbehalte an. Der wichtigere der beiden betrifft die gesetzliche Regelung der Zulassung von Ausländern zum schweizerischen Arbeitsmarkt. Damit will er sich die Möglichkeit freihalten, die Einwanderung aus europäischen und anderen kulturell eng verwandten Staaten bevorzugt zuzulassen [8].
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Menschenrechte
Der Bundesrat beantragte dem Parlament die Ratifikation der Protokolle 9 und 10 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Das erste gibt dem einzelnen Beschwerdeführer das Recht, persönlich seine Sache vor dem Gerichtshof zu vertreten. Das Protokoll 10 befasst sich mit den Entscheiden des Ministerkomitees des Europarates bei Beschwerden, die nicht dem Gerichtshof vorgelegt worden sind. Für diese soll in Zukunft nicht mehr ein qualifiziertes Mehr von zwei Dritteln, sondern das einfache Mehr erforderlich sein. Beide Räte stimmten der Ratifizierung ohne Diskussion zu [9].
Gegen Jahresende beantragte die Regierung ferner die Genehmigung des 11. Protokolls zur EMRK für die Schaffung eines vollamtlichen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser soll die beiden bisherigen nichtständigen Organe (Kommission als Vorprüfstelle und Gerichtshof als definitiv urteilende Instanz) ablösen. Erhofft wird von der Reform eine Beschleunigung des Verfahrens, welche vor allem wegen der Zunahme der individuellen Beschwerdefälle und dem Beitritt ost- und mitteleuropäischer Staaten zur EMRK dringlich geworden ist [10].
 
[2] Vgl. SPJ 1993, S. 20.2
[3] Zu den Gegnern siehe SGT, 29.6.94; WoZ, 15.7.94; Ww, 11.8.94; BZ, 16.8.94. Vgl. auch zu Rahm: WoZ, 13.5.94; TA, 27.7.94 (Leserbrief von Rahm); LNN, 6.9.94; NZZ, 17.9.94. Zu den bürgerlichen Politikern: SoZ, 31.7.94; LNN, 13.8.94; Blick, 17.9.94 (Mauch, fdp, AG). Zu den Jungpolitikern: NZZ, 8.6. und 23.8.94; BaZ, 24.6.94; BZ, 21.8.94. Zu den Revisionisten: SGT, 29.6.94; JdG, 2.7.94; TA, 9.7.94.3
[4] Bei der SVP gaben die Kantonalsektionen LU, AR, AG, SZ, TG, VD und ZG die Nein-Parole aus, bei der LP die Sektion VD; die EDU gab die Stimme frei, ihre stärkste Kantonalsektion (BE) empfahl Zustimmung; der SGV fasste keine Parole (NZZ, 20.9.94). Zur Kampagne der Befürworter siehe Bund, 17.8.94.4
[5] Zur Kampagne siehe Presse von August und September.5
[6] BBl, 1994, V, S. 531 ff.; Presse vom 26.9.94; NQ, 4.10.94.6
[7] D. Schloeth, Analyse der eidgenössischen Abstimmungen vom 25. September 1994, VOX Nr. 54, Adliswil/Bern 1994.7
[8] BaZ, 10.11. und 30.12.94; NZZ, 3.12.94. Vgl. dazu auch unten, Teil I, 7d (Ausländerpolitik). Die rechtsextreme Zeitschrift Eidgenoss, in der auch wiederholt die Massenmorde an den Juden bestritten worden waren, stellte ihr Erscheinen auf Jahresende ein (LNN, 31.12.94 sowie unten, Teil I, 8c, Presse).8
[9] BBl, 1994, II, S. 409 ff.; Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1028 f.; Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2326 ff. Vgl. SPJ 1991, S. 28.9
[10] BBl, 1995, I, S. 999 ff. Vgl. auch NZZ, 14.12.94.10