Année politique Suisse 1994 : Wirtschaft / Allgemeine Wirtschaftspolitik
Wettbewerb
Im Rahmen der im Vorjahr eröffneten
Vernehmlassung zu einem neuen Kartellgesetz sprachen sich der SGV und der ihm angehörende Baumeisterverband gegen die beabsichtigte Verschärfung aus und warnten vor negativen Folgen für Klein- und Mittelbetriebe. Die Parteien äusserten sich grundsätzlich positiv. Gemeinsam mit dem Vorort, der Bankiervereinigung - beide begrüssten die Verschärfung des Kartellgesetzes - und dem SGV sprachen sich die drei bürgerlichen Bundesratsparteien allerdings gegen die vorgesehene Fusionskontrolle aus. Die von den erwähnten Gruppierungen vorgebrachte Kritik an der Schaffung eines Bundesamtes für Wettbewerb (anstelle einer verwaltungsunabhängigen Kommission) wurde auch von der SP geteilt
[32].
Ende November verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft für eine Totalrevision des Kartellgesetzes. Er hielt dabei an den Leitlinien des Vernehmlassungsentwurfs fest. Kartelle werden nicht grundsätzlich verboten, da dafür die Verfassungsgrundlagen fehlen. Im Gegensatz zur geltenden Regelung sollen aber nicht mehr Vor- und Nachteile von kartellistischen Absprachen abgewogen werden (Saldomethode), sondern horizontale Absprachen - d.h. solche zwischen Unternehmen, die potentiell miteinander in Wettbewerb stehen - in bezug auf Preise, Mengen und Gebietsaufteilungen generell als Massnahmen zur Verhinderung eines wirksamen Wettbewerbs bezeichnet und deshalb als unzulässig erklärt werden. Ausnahmen von diesem Prinzip sollen aus politischen Gründen zwar möglich bleiben, müssen aber vom Bundesrat beschlossen werden. Übrige Marktvereinbarungen sollen in denjenigen Fällen erlaubt bleiben, wo sie die wirtschaftliche Effizienz verbessern. Das neue Gesetz richtet sich nicht nur gegen Kartelle, sondern soll auch missbräuchliche Praktiken marktbeherrschender Unternehmen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite verhindern.
An der Genehmigungspflicht für Fusionen hielt die Regierung fest. Sie berücksichtigte aber die Kritik des Vororts insofern, als dass sie die Kriterien für die Unterstellung unter die Genehmigungspflicht verstärkt auf die Verhinderung marktbeherrschender Stellungen auf dem Inlandmarkt ausrichtete. Nicht nur der Umsatz der geplanten Vereinigung soll dabei eine Rolle spielen, sondern zusätzlich auch der in der Schweiz erzielte Umsatz der beiden grössten daran beteiligten Unternehmen. Damit ist der Kauf von nur im Ausland tätigen Firmen durch schweizerische Gesellschaften nicht bewilligungspflichtig. Die Genehmigung von Fusionen soll zudem nur verweigert werden dürfen, wenn durch den Zusammenschluss der wirksame Wettbewerb beseitigt würde.
Die in die Vernehmlassung gegebenen Vorschläge für den institutionellen Bereich wurden ebenfalls abgeändert: Nicht ein eigenes Bundesamt soll die Untersuchungen durchführen, sondern das Sekretariat der anstelle der Kartellkommission tretenden
Wettbewerbskommission, welche wie ihre Vorgängerin ein Expertenausschuss bleiben soll. An den Untersuchungen des Sekretariats sollen sich gemäss den neuen Bestimmungen nicht nur direkt geschädigte Unternehmen und ihre Verbände, sondern auch Konsumentenschutzorganisationen beteiligen können. Als weitere Neuerung ist geplant, dass das neue Gesetz auch auf öffentliche Unternehmungen anwendbar ist, soweit in deren Tätigkeitsbereichen Wettbewerb vorgesehen ist; ist dieser nicht vorgesehen, wird die Kommission wie bisher nur Empfehlungen abgeben dürfen. Der Vorschlag des Bundesrats für ein neues Wettbewerbsrecht nähert sich zwar den EU-Normen an, er verzichtet aber weiterhin auf ein Kartellverbot, das eine Verfassungsänderung zur Voraussetzung hätte, und er ist zudem grosszügiger bei der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen
[33].
In Anbetracht der neuen Situation, welche durch die erfolgreich abgeschlossenen GATT-Verhandlungen entstanden war, beschloss der Bundesrat im März, die Revision der
Submissionsverordnung, zu welcher er im Vorjahr eine Vernehmlassung eröffnet hatte, einzustellen und gleich ein neues Gesetz vorzulegen
[34].
Das ab dem 1. Januar 1996 geltende neue Welthandelsabkommen (
GATT-WTO) wird - unter dem Vorbehalt der Gewährung von Gegenrecht - auch eine Liberalisierung des Submissionswesens zur Folge haben. Es dehnt namentlich den Geltungsbereich auf staatliche Unternehmen im Bereich Energie, Wasser- und Verkehrsinfrastrukturen (staatliche Bahn- und Telecom-Betriebe sind allerdings im WTO-Abkommen ausgeklammert) und auf die Kantone aus. Zudem regelt es detailliert das Vorgehen bei der Ausschreibung und der Vergabe und schreibt die Einrichtung einer Rekursstelle vor. Um die nötigen gesetzlichen Anpassungen zu vollziehen, legte der Bundesrat parallel zur Ratifikation des Abkommens den Entwurf für ein
neues Gesetz über das öffentliche Beschaffungswesen des Bundes vor. Dieser Entwurf enthält auch Bestimmungen über die einzuhaltenden Arbeitsbedingungen, um sozial negative Auswirkungen für die inländischen Arbeitnehmer und Konkurrenznachteile für schweizerische Firmen infolge der Gleichbehandlung der Offerten ausländischer Firmen zu verhindern. Diese Bedingungen sollen den am Ort der Leistungserbringung üblichen arbeitsschutzrechtlichen, gesamtarbeitsvertraglichen und anderen Abmachungen entsprechen - sie sind also lediglich für die in der Schweiz ausgeführten Arbeiten verbindlich. Analog dazu wurde auch festgehalten, dass nur Unternehmen von der Liberalisierung profitieren können, welche - bei in der Schweiz erbrachten Leistungen - auf geschlechtsspezifische Diskriminierungen verzichten
[35].
Beide Kammern des Parlaments behandelten das neue Gesetz in der Dezembersession. Die Vorlage wurde grundsätzlich nicht bekämpft, war aber in einigen Punkten recht umstritten. Der
Ständerat beschloss, auf die explizite Erwähnung der Gleichbehandlung von Mann und Frau zu verzichten, da dieser Rechtsgrundsatz in der Verfassung und zukünftig wohl auch im Gleichstellungsgesetz rechtlich verankert ist und seiner Ansicht nach nicht in jedem Spezialgesetz noch gesondert aufgeführt werden muss. Als wettbewerbspolitisch umstrittenster Artikel erwies sich die vom Bundesrat beantragte Einführung von Verhandlungen mit den Anbietern, wenn kein Angebot als das wirtschaftlich günstigste evaluiert werden kann (sog.
Angebotsrunden). Solche Gespräche sind in der Privatwirtschaft üblich und vom WTO-Vertrag für öffentliche Aufträge erlaubt, aber nicht vorgeschrieben. Sie gestatten den Anbietern, ihre in der Offerte genannten Preise nachträglich nach unten zu korrigieren, und verschärfen damit den Konkurrenzkampf. In der Vernehmlassung waren sie vom Gewerbeverband und vom Vorort bekämpft worden. Der Ständerat lehnte zwar das von der Kommissionsmehrheit beantragte Verbot einer Verhandlungsrunde über Preise ab, wollte solche aber bloss unter restriktiven Bedingungen (vorherige Ankündigung oder beim Verdacht auf Absprachen unter den Anbietern) zulassen
[36].
Im
Nationalrat wurde die explizite Erwähnung des Verbots von geschlechtsspezifischen Diskriminierungen von einer aus der SP, der GP, der LdU/EVP-Fraktion und der CVP gebildeten Mehrheit wieder in das Gesetz aufgenommen; allerdings mit der von Sandoz (lp, VD) eingebrachten Präzisierung, dass sich dieses Verbot auf die Entlöhnung beschränkt. In der Frage der Angebotsrunden bei gleichwertigen Offerten setzte sich gegen den Widerstand der FDP, der LP und der FP der Vorschlag des Bundesrates durch, solche generell zuzulassen. In der
Differenzbereinigung schloss sich der Ständerat in allen wesentlichen Punkten dem Nationalrat an; bei den Angebotsrunden brauchte er dazu allerdings zwei Anläufe. In der Schlussabstimmung stimmte der Nationalrat mit 142 zu 35 zu; die Gegenstimmen kamen vor allem aus den Fraktionen der FDP und der FP. Im Ständerat passierte die Vorlage mit 34:5 Stimmen
[37].
Mit dem Einverständnis des Bundesrats überwies der Ständerat eine Motion Bisig (fdp, SZ), welche verlangt, dass neben den bestehenden
Wohnbaupreisindizes auch solche für Verwaltungs- Gewerbe- und Tiefbauten erstellt werden. Der Motionär erhofft sich davon Kosteneinsparungen für die öffentliche Hand, da seiner Meinung nach die heute in Offerten und Voranschlägen übliche automatische Anwendung des Wohnbaupreisindexes der Stadt Zürich die effektive Kostenentwicklung nicht korrekt spiegelt
[38].
Der einheitliche schweizerische Wirtschaftsraum wurde im Prinzip im letzten Jahrhundert mit der Verlagerung der wirtschaftsrechtlichen Kompetenzen auf den Bundesstaat geschaffen. Wegen der im Rahmen der föderalistischen Grundstruktur bei den Kantonen verbliebenen Regelungskompetenzen konnten sich jedoch gewisse
Wettbewerbs- und Mobilitätshindernisse bis in die heutige Zeit halten. So führte beispielsweise die kantonale Anerkennung von Fähigkeitsausweisen für bestimmte Berufe zu einer Segmentierung des Arbeitsmarktes, und der freie Wettbewerb für Anbieter von Gütern und Dienstleistungen wurde durch Wohnsitzanforderungen und andere Vorschriften in den kantonalen Submissionsordnungen behindert. Die im Zusammenhang mit dem EWR-Vertrag geführte Diskussion über den europäischen Binnenmarkt hatte diese Wettbewerbshindernisse auf dem schweizerischen Markt verstärkt ins Bewusstsein gerückt und die Kantone zum Handeln veranlasst. Die kantonalen Erziehungsdirektoren hatten Anfang 1993 eine Vereinbarung über die gegenseitige Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen verabschiedet. Eine von den Kantonen eingesetzte Arbeitsgruppe hatte wenig später Vorschläge für eine vollständige Liberalisierung der Submissionsordnungen vorgelegt
[39].
Auch der Bundesrat war nach dem Nein zum EWR aktiv geworden. Er hatte im Juni 1993 eine Studienkommission eingesetzt und deren Vorschläge für die
Beseitigung kantonaler Wettbewerbsschranken im Winter in die
Vernehmlassung gegeben. Das Ziel der Schaffung eines vollständig liberalisierten Binnenmarktes wurde von den Kantonen, den Parteien und Verbänden prinzipiell unterstützt. Mehrere grosse Deutschschweizer Kantone und die LP zweifelten allerdings an der Verfassungsmässigkeit der vorgeschlagenen Eingriffe in die Regelungskompetenzen der Kantone und befürworteten Konkordatslösungen. Die Reaktionen der Wirtschaftsverbände fielen ebenfalls gemischt aus, wobei aber keine Organisation das Vorhaben grundsätzlich ablehnte. Bei der Liberalisierung der Submissionsregelungen forderten die Gewerkschaften zusätzliche Vorschriften über die Einhaltung der am Ort der Leistungserbringung üblichen Arbeits- und Entlöhnungsbedingungen. Die Unternehmer des Baugewerbes verlangten gar den Verzicht auf eine Liberalisierung des Submissionswesens; zusammen mit dem Gewerbeverband meldeten sie auch Vorbehalte gegen die automatische gegenseitige Anerkennung von kantonalen Fähigkeitszeugnissen an
[40].
Der Bundesrat legte im November - gleichzeitig mit dem Kartellgesetzentwurf - seinen Vorschlag für ein
Binnenmarktgesetz vor. Dieses neue Gesetz hält die Grundsätze für einen freien Marktzugang von in der Schweiz niedergelassenen Personen und Unternehmen fest. Insbesondere verankert es das aus der EU bekannte "Cassis-de-Dijon-Prinzip", das von der
Gleichwertigkeit der kantonalen Vorschriften für die Ausübung von Erwerbstätigkeiten ausgeht und damit die Diskriminierung ausserkantonaler Anbieter verbietet. Im öffentlichen Interesse liegende kantonale Vorschriften über Einschränkungen des freien Zugangs zum Markt könnten zwar unter bestimmten Umständen beibehalten werden, sie dürfen aber keinesfalls eine Besserstellung ortsansässiger Anbieter zur Folge haben. Dieses Prinzip gilt vor allem auch für die öffentlichen Beschaffungen und Aufträge, wo Vorschriften über Domizil oder Eintragung in ein kantonales Handels- oder Berufsregister nicht mehr zulässig sein sollen. Der Bundesrat berücksichtigte in seinem Entwurf die in der Vernehmlassung angemeldeten föderalistischen Einwände der Kantone weitgehend. So anerkannte er ausdrücklich den
Vorrang von interkantonalen Regelungen in den Bereichen des öffentlichen Beschaffungswesens und der Anerkennung von Fähigkeitsausweisen, sofern diese den Mindestanforderungen des Gesetzes genügen. Im weiteren hielt er fest, dass die Vorschrift, dass alle in der Schweiz niedergelassenen Personen gleichermassen und unabhängig von ihrem Wohnort Zugang zu Erwerbstätigkeiten haben müssen, für den öffentlichen Dienst nicht gelte
[41].
Der Bundesrat beantragte dem Parlament, im Rahmen einer Teilrevision des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb (UWG), die seit einiger Zeit als veraltet empfundenen Vorschriften über das
Ausverkaufswesen aufzuheben. Damit dürfen neu sowohl Total- und Teilausverkäufe als auch Sonderverkäufe ohne Bewilligung und Einschränkungen in bezug auf Datum und Häufigkeit durchgeführt werden. Der Schutz der Konsumenten und Konkurrenten vor Irreführung resp. unlauterer Werbung ist nach Ansicht des Bundesrates durch die Bestimmungen des UWG namentlich über die Pflicht der Preisdeklaration und das Lockvogelverbot ausreichend sichergestellt. Der
Ständerat akzeptierte die vorgeschlagene Liberalisierung diskussionslos
[42].
Eine Motion Mühlemann (fdp, TG) für eine Aufhebung der
Registrationspflicht für Handelsreisende wurde vom Nationalrat in ein Postulat umgewandelt. Der Rat folgte damit dem Bundesrat, der zwar eine Revision der Vorschriften ebenfalls befürwortete, eine ersatzlose Streichung aber namentlich mit dem Argument ablehnte, dass dadurch international tätigen Vertretern, für welche bestehende Handels- und Zollverträge eine Legitimation vorschreiben, im Ausland Nachteile erwachsen würden
[43].
Der Ständerat überwies die im Vorjahr von der grossen Kammer gutgeheissene solothurnische Standesinitiative für die rasche Ausarbeitung eines
Konsumkreditgesetzes mit einem auf 15% fixierten Höchstzinssatz und einer maximalen Laufzeit von 24 Monaten ebenfalls
[44].
[32]
NZZ, 1.2.94 (Baumeister);
Bund, 11.2.94 (SGV);
SGT, 10.3.94 (Parteien und Vorort);
JdG, 21.3.94 (Banken);
Bund und
NZZ, 30.6.94. Siehe auch die von Ökonomen geführte Diskussion in
NZZ, 5.10., 11.10., 25.10. und 22.10.94 sowie SNB,
Quartalsbericht, 1994, Nr. 2, S. 151 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 105.32
[33]
BBl, 1995, I, S. 469 ff.; Presse vom 24.11.94;
NZZ, 26.11.94.33
[34]
NZZ, 15.3.94. Vgl.
SPJ 1993, S. 106.34
[35]
BBl, 1994, IV, S. 1149 ff. Zur WTO siehe oben, Teil I, 2 (Organisations internationales). Vgl. auch
SPJ 1993, S. 106 sowie
SHZ, 28.4.94. Die Liberalisierung des öffentlichen Auftragswesens ist auch ein Thema der im Dezember eröffneten bilateralen Verhandlungen mit der EU (siehe dazu oben , Teil I, 2, Europe: EEE et UE).35
[36]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1166 ff.36
[37]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 1314 ff., 1323 ff. und 1360;
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 2276 ff., 2358 f. und 2541 f.;
BBl, 1994, V, S. 1119 ff.37
[38]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 105 f.38
[39] Ausbildungsabschlüsse: vgl.
SPJ 1993, S. 245. Submissionen: vgl.
SPJ 1993, S. 106.39
[40] Presse vom 24.2.94;
BZ, 7.4.94. Siehe auch
BBl, 1995, I, S. 1246 ff. sowie Y. Hangartner, "Ist das Binnenmarktgesetz verfassungskonform?", in
NZZ, 7.7.94.40
[41]
BBl, 1995, I, S. 1213 ff.; Presse vom 24.11.94.41
[42]
BBl, 1994, III, S. 442 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 931 f.;
NZZ, 20.1.94 (Vernehmlassung); Presse vom 13.5.94 (Botschaft). Vgl. auch
SPJ 1993, S. 106.42
[43]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1181 f.43
[44]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 85 f. Vgl.
SPJ 1993, S. 108.44
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