Année politique Suisse 1994 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Stellung der Frau
Nationalrätin von Felten (sp, BS) ersuchte den Bundesrat mit einem überwiesenen Postulat, den vom Bundesamt für Statistik ausgearbeiteten Bericht über die Situation der Frauen und Männer in der Schweiz aus statistischer Sicht periodisch zu aktualisieren und mit weiterem Datenmaterial zu ergänzen
[21].
Für die Bestrebungen, das Rentenalter der Frauen sukzessive jenem der Männer anzugleichen, siehe oben, Teil I, 7c (AHV).
Eine parlamentarische Initiative Bär (gp, BE), welche verlangte, beiden Geschlechtern sei eine
angemessene Vertretung im Bundesrat zu garantieren, wurde mit 93:53 Stimmen recht deutlich abgelehnt. Frau Bär erachtete ihren Vorschlag als die "Zauberformel der Zukunft" und verwies auf die Akzeptanz anderer "Quoten", wie etwa partei-, sprach- oder regionalpolitische. Mit dieser Argumentation erhielt sie aber nur gerade die Unterstützung ihrer eigenen Partei sowie jene der SP- und der LdU/EVP-Fraktion. Die Mehrheit des Rates stellte sich hinter die Erwägungen ihrer staatspolitischen Kommission, welche den Vorschlag der Berner Grünen als eine weitreichende Beeinträchtigung des aktiven und passiven Wahlrechts erachtete. Sie befand, gerade angesichts der von Bär ins Feld geführten Vorgaben bei Bundesratswahlen sollte die Bundesversammlung ihre Wahlfreiheit nicht noch zusätzlich einschränken
[22].
Unter der Führung von Gret Haller (sp, BE), die im Berichtsjahr als Nationalratspräsidentin höchste Schweizerin war, und von Bundesrätin Ruth Dreifuss wurde das
Solidaritätsnetz der politisch verantwortlichen Frauen weiter ausgebaut. Ende März trafen sich auf Einladung Hallers rund 120 nebenamtliche Präsidentinnen von Gemeinde- und Kantonsräten in Bern, um über ihre politischen Erfahrungen zu diskutieren. Im Mai lud Dreifuss jene Frauen zu einem Gedankenaustausch ein, die hauptamtlich ein Exekutivamt bekleiden. Im September schliesslich folgten die Parlamentspräsidentinnen von Deutschland, El Salvador, Grenada, Finnland, Island, Italien, Japan und Südafrika der Einladung Hallers zu einer internationalen Konferenz. Die Politikerinnen befassten sich mit der Rolle der Frau in der Politik, aber auch mit Fragen der Nord-Süd-Solidarität und des Minderheitenschutzes
[23].
Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Statistik (BFS), welche die Resultate der Frauen bei den Nationalratswahlen von 1971 bis 1991 verglich, hat sich die Frauenvertretung seit den 70er Jahren sowohl in parteipolitischer wie regionaler Hinsicht stark verändert. Nach der Einführung des Frauenstimmrechts teilten sich FDP, CVP und SP vorerst zu ungefähr gleichen Teilen in die Frauensitze. Der Frauenanteil der bürgerlichen Bundesratsparteien stagnierte aber ab den 80er Jahren; 1991 war ihre Frauenvertretung im Nationalrat mit 12 Mandaten zusammen nur noch gleich gross wie jene der SP allein. Seit 1983 stammen 55 bis 60% aller in die grosse Kammer gewählten Frauen aus den Reihen der SP und den Allianzen von POCH und Grünen, obwohl diese Parteien dort nur 26 bis 28% der Sitze halten. Noch nie seit Einführung des Frauenstimmrechts wurde eine Frau der EVP, der nationalistischen Rechtsparteien oder der Autopartei (heute Freiheitspartei) in den Nationalrat gewählt.
Die Unterscheidung nach
Sprachregionen wies eine deutliche Verschiebung der Frauenvertretung von der Romandie in die Deutschschweiz nach. In den 70er Jahren war der Anteil der in den Nationalrat gewählten Frauen in den französischsprachigen Kantonen deutlich grösser (8,9%) als in den deutschsprachigen (4,1%). Während danach der Frauenanteil in der Deutschschweiz kontinuierlich anstieg und 1991 21,5% erreichte, sank er in der Westschweiz seit 1983 und kam 1991 mit 8,3% auf seinen Tiefststand. In den kantonalen Parlamenten lassen sich hingegen keine sprachregionalen Unterschiede feststellen, die Führungsrolle wechselt hier immer wieder von einem Landesteil zum andern
[24].
Für die Resultate der Frauen bei kantonalen und kommunalen Wahlen siehe oben, Teil I, 1e sowie die Tabellen im Anhang.
Das im Vorjahr von der Landesregierung vorgelegte
Bundesgesetz über die Gleichstellung von Frau und Mann ("Gleichstellungsgesetz"), welches den seit 1981 in der Bundesverfassung stehenden Gleichstellungsartikel umsetzen und die Frauen im Wirtschaftsleben vor direkten und indirekten Diskriminierungen schützen soll, wurde bereits von der vorberatenden Kommission des Nationalrates
in wichtigen Punkten abgeschwächt. Wie umstritten die ganze Vorlage war, ging schon nur daraus hervor, dass dem Plenum ein Nichteintretensantrag Sandoz (lp, VD) und zwei Rückweisungsanträge Aubry (fdp, BE) und Bortoluzzi (svp, ZH) sowie mehr als 30 Abänderungsanträge zu dem 18 Artikel umfassenden Gesetz vorlagen. Nach einer rund vier Stunden dauernden und teilweise emotional geführten Eintretensdebatte, in der aber doch die sachlichen Argumente und die Einsicht überwogen, dass dieses Gesetz überfällig sei, wurden der Nichteintretens- bzw. die Rückweisungsanträge deutlich abgelehnt
[25].
In der ebenfalls sehr ausführlichen Detailberatung schloss sich das Plenum in den meisten Punkten den Anträgen der Mehrheit der bürgerlich dominierten Kommission an. So sprach sich die grosse Kammer nach einem längeren Rededuell für eine engere Definition des Tatbestandes der sexuellen Belästigung aus und wollte dafür die Beweislast allein bei den Betroffenen belassen. Vergeblich monierten Sprecherinnen von SP, GP und LdU/EVP, die Stellung der Frauen werde dadurch im Vergleich zur heutigen Praxis verschlechtert.
Gegen die Kommissionsmehrheit konnten sich lediglich Anträge durchsetzen, welche die Vorlage noch weiter abschwächten. Eine von Nationalrat Ducret (cvp, GE) angeführte Minderheit erreichte so, dass anstelle eines generellen Diskriminierungsverbotes mit einer erklärenden Aufzählung eine restriktivere, abschliessende Auflistung von Diskriminierungen eingeführt wurde, wobei Stellenausschreibung und Anstellung aus dem Katalog gestrichen wurden. Unter das Diskriminierungsverbot sollten nur noch Aufgabenzuteilung, Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung fallen.
Auch in der Frage der Beweislastumkehr wurde die Haltung der Kommissionsmehrheit übernommen. Die generelle Erleichterung der Beweislast zugunsten der Frauen war als eine Art "Schicksalsartikel" der gesamten Vorlage erachtet worden. Die Kommissionsmehrheit wollte das Prinzip jedoch lediglich bei Lohngleichheitsklagen gelten lassen. Sie argumentierte, dass einzig die Lohnungleichheit objektiv mess- und feststellbar sei, in den anderen Bereichen hingegen von vagen Vermutungen ausgegangen werden müsse.
Zu harten Diskussionen kam es beim Verbandsbeschwerderecht, ein weiterer Grundpfeiler des Gleichstellungsgesetzes. Von rechtsbürgerlicher Seite wurde verlangt, den Verbänden sei das Klagerecht nur mit Einwilligung der betroffenen Frauen zuzugestehen. Nachdem Bundesrat Koller darauf aufmerksam gemacht hatte, dass das Bundesgericht bereits heute das Klagerecht der Berufsverbände nicht vom Einverständnis der Betroffenen abhängig macht, wurde dieser Passus des Gesetzes schliesslich in der ursprünglichen Fassung angenommen, allerdings auf Antrag Spoerry (fdp, ZH) in dem Sinne präzisiert, dass die Verbände vor einer Klage das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen müssen.
Im Bereich des
Kündigungsschutzes setzten sich die Vorschläge des Bundesrates durch. Demnach kann die Kündigung einer Arbeitnehmerin, die aus Rache für eine vorgängige Gleichstellungsbeschwerde ausgesprochen wird, angefochten werden. Keine Chance hatte ein Antrag von Felten (sp, BS), Rachekündigungen seien schlechthin für nichtig zu erklären. Klar wurde auch die
Aufwertung des eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann gutgeheissen. Das Büro soll direkt dem Departement des Innern unterstellt werden, um Dienstwege zu verkürzen und ihm mehr Gewicht zu verschaffen. Trotz dem Hinweis einiger Ratsmitglieder auf die leere Bundeskasse fanden auch die gesetzlichen Bestimmungen für
Finanzhilfen an Förderungsprogramme und Beratungsstellen für Frauen Zustimmung. In der Gesamtabstimmung passierte das neue Gesetz mit 114 zu 35 Stimmen
[26].
Der Ständerat erwies sich als bedeutend frauenfreundlicher und machte die Entschärfungsversuche des Nationalrates in weiten Teilen rückgängig. In der Eintretensdebatte wandte sich niemand gegen die Vorlage. Die Standesvertreter warnten allerdings vor übertriebenen Hoffnungen. Den Tenor der Diskussionen fasste der Basler SP-Ständerat Plattner zusammen, als er sagte, das Gesetz werde in jedem Fall weit hinter den Hoffnungen der Befürworter zurückbleiben - aber auch weit hinter den Befürchtungen der Gegner.
In der Detailberatung beschloss der Ständerat, wieder zu der vom Bundesrat vorgeschlagenen generellen und nicht abschliessenden Definition des Diskriminierungsverbotes zurückzukehren, um den Richtern die Möglichkeit zu geben, neu auftauchende Diskriminierungen in Zukunft ebenfalls zu erfassen. Als Mittelweg zwischen Bundes- und Nationalrat entschied er, dass die Frauen inskünftig von der Anstellung bis zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses vor geschlechtsbedingter Benachteiligung geschützt werden sollen. Ein Antrag Coutau (lp, GE), gleich wie der Nationalrat die Anstellung vom Tatbestand der Diskriminierung auszunehmen, wurde mit der Begründung abgelehnt, dass damit das Gesetz zum Papiertiger verkomme, da es im Extremfall dadurch umgangen werden könnte, dass man einfach keine Frauen einstellt. Die Stellenausschreibung wurde hingegen vom Katalog ausgenommen, da es erwiesenermassen Aufgaben gebe, die geschlechtsspezifisch seien.
Eine Differenz zum Nationalrat schuf der Zweitrat auch bei der erleichterten Beweisführung in Zusammenhang mit Diskriminierungsklagen (Beweislastumkehr). Er dehnte den Grundsatz, wonach die Arbeitnehmerin die Diskriminierung nur glaubhaft zu machen hat, worauf es dann am Arbeitgeber ist, das Gegenteil zu beweisen, wieder auf alle Sachverhalte zwischen Anstellung und Auflösung des Arbeitsverhältnisses aus. Vorbehalten blieb nur die sexuelle Belästigung. In dieser Frage vertrat der Ständerat einhellig die Meinung, Klägerin und Angeklagter hätten hier einen ebenbürtigen Wissensstand, da anders als in den anderen Bereichen die Beweismittel nicht allein in der Hand des Arbeitgebers konzentriert seien. Um die Stellung der Frauen dennoch zu verbessern, verstärkte die kleine Kammer den Schutz vor sexueller Belästigung im Obligationenrecht (Art. 328 OR).
Unbestritten war, wie schon im Nationalrat, der Schutz vor Rachekündigungen sechs Monate über das gerichtliche Verfahren hinaus. Beim
Verbandsklagerecht wurde ein Antrag Coutau (lp, GE), dieses nur unter der Bedingung der expliziten Zustimmung der betroffenen Personen zuzulassen, gleich wie im Erstrat deutlich abgelehnt. In der Gesamtabstimmung wurde die Vorlage schliesslich einstimmig angenommen
[27].
19 Basler Kindergärtnerinnen, Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen gewannen ihren
Kampf um Lohngleichheit. Auf eine staatsrechtliche Beschwerde des Basler Regierungsrates trat das
Bundesgericht nicht ein, womit es beim Urteil des baselstädtischen Verwaltungsgerichts blieb, welches diese vorwiegend von Frauen ausgeübten Berufe als zu tief entlöhnt erachtet hatte. Der Kanton wollte jedoch den Entscheid des Bundesgerichtes vorerst nur auf die erfolgreichen Klägerinnen anwenden, während die übrigen Staatsangestellten der gleichen Berufskategorien keine Lohnnachzahlung erhalten und vorderhand auch nicht in eine höhere Lohnklasse eingestuft werden sollten. Die Berufsverbände der Klägerinnen stellten für diesen Fall eine Massenklage in Aussicht, worauf die Kantonsregierung insofern einlenkte, als sie auf 1. August die Gehälter aller rund 600 Basler Kindergärtnerinnen, Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen jenen der 19 Klägerinnen anglich
[28].
Eine Untersuchung des Bundesamtes für Statistik zeigte, dass von den Frauen ab 15 Jahren 55% erwerbstätig sind, die Hälfte davon in einer Teilzeitstelle. Auch von den Müttern im Alter zwischen 29 und 39 Jahren gehen über 50% einer Erwerbstätigkeit nach. Bei den Männern sind 79% erwerbstätig, aber nur 5% von ihnen arbeiten teilzeitlich. 15% aller angestellten Frauen sind in Kaderpositionen, gegenüber 35% bei den Männern. Diese unterschiedliche Karrieresituation erklärt aber nur zum Teil das im Schnitt um einen Viertel
niedrigere Lohneinkommen der Frauen. Weitere Gründe sind das tiefere Ausbildungsniveau, die überproportionale Vertretung in Branchen mit tiefem Lohnniveau, kürzere Berufserfahrung und Lohndiskriminierung
[29].
Mit einer Motion verlangte Nationalrätin Goll (sp, ZH) die regelmässige statistische
Erfassung der gesamtgesellschaftlich geleisteten Arbeit von Frauen und Männern sowie eine Schätzung des Verhältnisses zwischen der Wertschöpfung bezahlter und unbezahlter Arbeit als Ergänzung zur nationalen Buchhaltung. Sie begründete ihren Vorstoss damit, dass eine frauengerechte Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik nur im Wissen um die effektiv geleistete, gesamtgesellschaftliche Arbeit formuliert werden könne. Der Bundesrat anerkannte durchaus die grosse Bedeutung der unbezahlten Arbeit, verwies jedoch auf methodische und finanzielle Probleme bei der Erstellung von derartigen Statistiken. Auf seinen Antrag wurde die Motion nur als Postulat verabschiedet
[30].
Als erster Arbeitgeber in der Schweiz erliess
Radio DRS konkrete
Richtlinien, mit welchen Frauen vor sexuellen Übergriffen geschützt werden sollen. In jedem der drei Radiostudios ist inskünftig eine Vertrauensfrau für Gespräche im Falle von
sexuellen Belästigungen zuständig. Kommt es zu einer offiziellen Beschwerde, klärt eine mehrheitlich aus Frauen zusammengesetzte Kommission den Fall ab und kann der Radiodirektion Sanktionen vorschlagen. Für die klagende Frau und ihre Zeuginnen besteht ein Kündigungsschutz
[31].
[21]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1191 f. Vgl.
Lit. Bundesamt. Siehe
SPJ 1993, S. 237.21
[22]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1853 ff. Zu der im Vorjahr lancierten Quoteninitiative siehe
WoZ, 6.5.94;
Bund, 8.10. und 11.11.94;
DAZ, 22.12.94. Vgl. auch oben, Teil I, 1c (Regierung).22
[23] Presse vom 26.3., 15.5. und 15.9.94.23
[25] Eine parlamentarische Initiative Sandoz für die Festschreibung der Lohngleichheit im OR als Ersatz für das neue Gesetz wurde diskussionslos verworfen (
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 570 ff.).25
[26]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 228 ff., 247 ff., 480 ff., 495 ff. und 509 ff. Vgl.
SPJ 1993, S. 236 f.26
[27]
Amtl. Bull. StR, 1994, S. 808 ff.27
[28]
Bund, 3.3.94;
NZZ, 9.3.94;
WoZ, 11.3.94. Siehe
SPJ 1993, S. 237. Auch im Kanton Zürich deponierten 16 Handarbeitslehrerinnen eine Lohngleichheitsklage beim Verwaltungsgericht (
TA, 6.7.94).28
[29]
Lit. Bundesamt und
Lit. Eidg. Büro. 29
[30]
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1881 f. In ähnliche Richtung zielte auch ein überwiesenes Postulat Fankhauser (sp, BL), welches anregte, die ehrenamtlichen Tätigkeiten seien ebenfalls in die Arbeitskräfteerhebung (SAKE) einzubeziehen (
Amtl. Bull. NR, 1994, S. 1902).30
[31] Presse vom 16.5.94.31
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