Année politique Suisse 1995 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Indirekte Steuern
Am 1. Januar 1995 trat nach ungewöhnlich kurzer Vorbereitungsphase die
Mehrwertsteuer-Verordnung in Kraft. Auch danach wollten die Stimmen nicht verstummen, die kritisierten, dass die Verordnung schärfer ausgefallen sei als der vor der Volksabstimmung vom November 1993 veröffentlichte Entwurf. Im Wettlauf um Änderungen der Mehrwertsteuer wurden zwei Initiativen lanciert. Der Schweizerische Landesverband für Sport (SLS) und gemeinnützige Organisationen lancierten im Frühjahr eine Volksinitiative "
gegen eine unfaire Mehrwertsteuer im Sport und im Sozialbereich". Diese verlangt, dass die Umsätze der nicht gewinnstrebenden Sportveranstaltungen sowie der anerkannten gemeinnützigen Organisationen von der Mehrwertsteuer befreit werden. Die Lega dei Ticinesi, unterstützt von der Autopartei des Kantons St. Gallen, lancierte eine Volksinitiative "
für eine volksnahe Mehrwertsteuer", die verschiedene populäre Forderungen zusammenfasst. So sollen Kurtaxen, Sportanlässe, Hilfswerke, die Leistungen der öffentlichen Dienste sowie der Verkauf von Treibstoffen, Heizöl und Flugbilletten von der Steuer befreit werden. Für den Tourismus sowie Architekten- und Ingenieurhonorare verlangt die Initiative einen reduzierten MWSt-Satz von 2%
[11].
Nach vorgängigem Widerstand, die MWSt-Verordnung bereits im ersten Jahr ihrer Inkraftsetzung abzuändern, sprach sich der Bundesrat im Juni dann doch für Erleichterungen aus und stellte einen
reduzierten Mehrwertsteuersatz von 3% für das Beherbergungsgewerbe im Hotel- und Parahotelbereich in Aussicht. Der Bundesbeschluss, der auf zehn Jahre begrenzt sein soll, stützt sich auf die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung, wonach der Bund für im Inland erbrachte Tourismusleistungen auf dem Gesetzesweg einen tieferen Satz festlegen kann, sofern diese Leistungen in erheblichem Ausmass durch Ausländer konsumiert werden und die Wettbewerbsfähigkeit es erfordert. Der Bundesrat bezifferte die Steuerausfälle auf 130 bis 140 Mio Fr. und betonte, dass das Beherbergungsgewerbe die einzige verfassungsmässig vorgesehene Ausnahmeregelung darstelle. Trotzdem forderte der Schweizer Wirteverband postwendend einen reduzierten MWSt-Satz für sämtliche gastgewerblichen Dienstleistungen. In der Wintersession stimmte der Ständerat als Erstrat dem reduzierten Steuersatz für die Hotellerie mit 27 zu 4 Stimmen zu; ein Nichteintretensantrag Weber (ldu, ZH) hatte keine Chance. Der Ständerat folgte aber dem Vorschlag seiner Kommission, den Bundesbeschluss auf lediglich fünf Jahre zu beschränken. Ein Antrag Beerli (fdp, BE), den Beschluss schon im Laufe des Jahres 1996 in Kraft zu setzen, wurde knapp angenommen
[12].
Fast gleichzeitig mit dem Sondersatz für die Hotellerie machte der Bundesrat mit drei Verordnungsänderungen weitere Zugeständnisse an Steuerpflichtige, die auf den 1. Januar 1996 in Kraft treten und Ausfälle von geschätzten 280 Mio Fr. zur Folge haben werden. Die erste Änderung betrifft die
Lockerung der
Spesenregelung, wonach geschäftlich begründete Unterkunfts- und Reisespesen sowie Ausgaben für beruflich genutzte Personenwagen voll - und nicht mehr nur zur Hälfte - als Vorsteuer abgezogen werden können. Ausgenommen sind die Verpflegungsspesen, die weiterhin nur zur Hälfte geltend gemacht werden können. Reduziert wird ferner die Eigenverbrauchsbesteuerung bei Nutzungsänderungen von Liegenschaften. Schliesslich beschloss der Bundesrat auch
administrative Erleichterungen: Die rund 75 000 steuerpflichtigen Betriebe, die nach Saldosteuersätzen abrechnen (Jahresumsätze bis zu 500 000 Fr.) sollen inskünftig nur halbjährlich anstatt vierteljährlich abrechnen müssen
[13].
Im Juli präsentierte eine Subkommission der nationalrätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK) unter der Leitung von Georg Stucky (fdp, ZG) ihren
Entwurf für ein
Mehrwertsteuergesetz. Sie kam damit einer parlamentarischen Initiative Dettling (fdp, SZ) nach, die ein Gesetz unter Federführung des Parlaments nicht zuletzt aufgrund des gespannten Verhältnisses zu Bundesrat Stich gefordert hatte. Der Entwurf trägt den bisher geäusserten Kritiken an der bundesrätlichen Verordnung weitgehend Rechnung und macht gewichtige
Konzessionen an die Steuerpflichtigen. Gemäss dem Entwurf sollen etwa die Umsätze im Immobilienbereich, der Versicherungen und Spitäler freiwillig der Steuer unterstellt werden, um so den entsprechenden Vorsteuerabzug geltend machen zu können (erweitertes Optionsrecht). Der von der Steuer ausgenommene Kulturbereich soll diese Möglichkeit zum ermässigten Zwei-Prozent-Satz ebenfalls erhalten. Ausserdem nahm die WAK-Subkommission Forderungen der Sportverbände auf und will Startgelder beim Sport und ähnliche Leistungen sowie die Umsätze der Brockenhäuser von der Steuer befreien. Aufatmen können nach dem Willen der Subkommission auch die Städte: Gemeindewesen sollen nicht nach den einzelnen Dienststellen besteuert werden, sondern als einziges Unternehmen. Anders als der Bundesrat will die Subkommission schliesslich auch Verpflegungsspesen voll zum Abzug zulassen, dafür sprach sie sich gegen einen Sondersatz für die Hotellerie aus. Auch die Leasingfirmen gingen leer aus. Der Gesetzesentwurf, der nach neuem Fahrplan Anfang 1998 die bundesrätliche Verordnung ablösen soll, wurde in der Vernehmlassung von Wirtschaftsverbänden und bürgerlichen Parteien grundsätzlich positiv aufgenommen. Der SP ging aber vor allem die Ausdehnung des Optionsrechts zu weit, und im Fall der Geschäftsspesen will sie es beim Vorschlag des Bundesrates belassen. Steuerausfälle von bis zu einer Milliarde Fr. pro Jahr bezeichnete sie als nicht tolerabel. Nicht befriedigt zeigten sich auch die Sportverbände, da der Hauptbereich der verbandsinternen Umsätze der Steuer unterstellt bliebe
[14].
Die ausländischen Mitarbeiter von internationalen Organisationen sowie
Diplomaten und deren Familienangehörige sind in der Schweiz bei Einkäufen von über 100 Fr. künftig
von der Mehrwertsteuer befreit. Eine entsprechende Verordnung setzte der Bundesrat auf den 1. Juli in Kraft. Die Steuerbefreiung steht in Zusammenhang mit dem WTO-Sitz in Genf, für den die Schweiz eine Reihe von Zugeständnissen machte
[15].
Ein Postulat Columberg (cvp, GR), das den Bundesrat aufforderte, Kur- und Verkehrsvereine insoweit von der Mehrwertsteuer zu befreien, als diese unentgeltliche Leistungen im Interesse des Gastes oder der im Tourismus tätigen Unternehmen erbringen, wurde vom Nationalrat überwiesen. Über 100 Schweizer Kur- und Verkehrsvereine traten bis auf weiteres in den Zahlstreik ein. Auch in anderen Branchen kam es zu Boykotten der Mehrwertsteuer. So zahlten die Brockenhäuser gemeinnütziger Organisationen ihre Steuern auf ein Sperrkonto ein. Die Treuhändergesellschaften forderten die Gültigkeit der neuen Spesenregelung rückwirkend auf 1995 und rieten Tausenden von Unternehmen, ihre Abrechnungen mit einem Vorbehalt zu versehen. Insgesamt dürfte es zu rund 20 Musterprozessen vor Bundesgericht kommen; Kläger sind unter anderem die Leasingfirmen, die Hauslieferdienste und die Tierärzte. Gegen 11 000 steuerpflichtige Unternehmen wurde Ende Jahr ausserdem die Betreibung eingeleitet. Damit verlagerte sich die Auseinandersetzung um die Mehrwertsteuer zusehends auf die juristische Ebene.
Im April verabschiedete der Bundesrat seine Botschaft zu einer
Revision des
Mineralölsteuergesetzes, das die Umwandlung der bisher auf Mineralölen und Treibstoffen erhobenen Fiskalzölle in eine Verbrauchssteuer bezweckt und damit jene Verfassungsnorm vollziehen will, die Volk und Stände im November 1993 zusammen mit der Einführung der Mehrwertsteuer gutgeheissen haben. Die Schweiz hatte sich bereits 1972 im mit der EWG abgeschlossenen Freihandelsabkommen verpflichtet, Fiskalzölle zu beseitigen oder in interne Abgaben umzuwandeln. Mit der neuen Mineralölsteuer sollen Treib- und Brennstoffe belastet, gleichzeitig aber die Zölle auf diesen Produkten, einschliesslich des Zollzuschlages auf Treibstoffen, aufgehoben werden. Steuerpflichtig werden im wesentlichen Importeure, Lagerinhaber und Personen, die unversteuerte Waren abgeben oder verwenden. Die aus der Mineralölsteuer erwarteten jährlichen Einnahmen in der Grössenordnung von 4,5 Mia Fr. sollen den Ausfall der heutigen Fiskalzölle haushaltsneutral kompensieren. Neu soll der Bundesrat die Steuern periodisch der Teuerung anpassen können. Die Indexierung des Steuertarifs wurde im Vernehmlassungsverfahren von bürgerlichen Parteien, der Mineralölbranche und den Strassenverbänden (ohne VCS) allerdings heftig kritisiert. In seiner Botschaft sprach sich der Bundesrat auch gegen eine weitere Privilegierung der
Zollausschlussgebiete und damit gegen
Samnaun (GR) aus, da diese mit dem Grundsatz der Rechtsgleichheit nicht in Einklang zu bringen sei. Die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben schlug für das Zollfreigebiet Samnaun eine Übergangszeit von zehn Jahren vor. Der Ständerat entschied in der Wintersession auf Antrag der beiden Bündner Standesvertreter aber mit 20 zu 14 Stimmen, gänzlich am Zollprivileg Samnauns festzuhalten. Ausserdem entschied der Ständerat mit Stichentscheid des Präsidenten, die neue Mineralölsteuer nicht zu indexieren. Eine Ratsmehrheit machte geltend, dass die Indexierung im Widerspruch zum Grundsatz stehe, nach dem die Steuersätze vom Gesetzgeber festzulegen seien. Weiter sprach sich der Ständerat gegen den Willen des Bundesrates auch dafür aus, dass Treibstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen und Biomasse steuerfrei bleiben sollen
[17].
Einer parlamentarischen Initiative Meier (gp, ZH), die eine vollständige
Abschaffung der Zweckbindung für die Mineralölsteuer zum Ziel hatte, wurde vom Nationalrat mit 82 zu 44 Stimmen keine Folge gegeben. Die Kommissionsmehrheit machte geltend, dass 1983 die Zweckbindung des Treibstoffgrundzolles von 60% auf 50% gesenkt worden sei; eine weitere Senkung oder gar die Aufhebung der Zweckbindung sei angesichts der Strassenausgaben des Bundes nicht angebracht
[18].
Ebenfalls aufgrund des Freihandelsabkommens Schweiz-EWG aus dem Jahre 1972 und der dazu im November 1993 geschaffenen Verfassungsgrundlage verabschiedete der Bundesrat im Oktober seine Botschaft zu einem
Automobilsteuergesetz, das auf Anfang 1997 in Kraft treten soll. Mit der Automobilsteuer werden die Automobile belastet und gleichzeitig die Fiskalzölle auf diesen Fahrzeugen aufgehoben. Der Steuer unterliegt neben der Einfuhr auch die Lieferung und der Eigengebrauch bei der Herstellung von Autos im Inland. Der Steuersatz beträgt 4%; die Autoverbände hatten einen Steuersatz von lediglich 3% gefordert. Als Bemessungsgrundlage wird nicht mehr wie bei den Zöllen das Gewicht, sondern der Wert herangezogen. Dem Bund werden aus der Automobilsteuer jährlich Einnahmen von 220 bis 250 Mio Fr. zufliessen, Fiskalzölle in gleicher Höhe fallen aber weg, womit auch diese Vorlage haushaltsneutral gestaltet ist
[19].
Eine Motion Schmid (cvp, AI), die Wettbewerbsverzerrungen in der Biersteuer ausmerzen und die in der Europäischen Union bekannte
Biersteuerstaffel einführen wollte, war letztes Jahr vom Ständerat angenommen worden, wurde aber im Berichtsjahr vom Nationalrat abgelehnt. Eine gleichlautende Motion Tschuppert (fdp, LU) überwies der Nationalrat als Postulat. Er folgte damit dem Bundesrat, der eine Revision des Biersteuergesetzes in Aussicht stellte, sich aber nicht auf die Biersteuerstaffel festlegen wollte
[20].
[11] Zu Problemen mit dem Systemwechsel von der Wust zur MWSt siehe z.B.
NZZ, 10.1.95,
SoZ, 15.1.95 und
SHZ, 16.3.95. SLS-Initiative:
BBl, 1995, III, S. 114 ff.; Presse vom 24.5.95;
Sport, 21.3. und 23.5.95. Lega-Initiative:
BBl, 1995, III, S. 643 ff.;
TA, 29.3.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 124.11
[12]
BBl, 1995, IV, S. 358 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1149 ff.; Presse vom 20.6. und 8.12.95.12
[13] Presse vom 28.6., 18.8. und 19.9.95.13
[14] Presse vom 4.7., 30.8. und 9.12.95. Eine Motion Schüle (fdp, SH), die vom BR bis 1996 ein MWSt-Gesetz verlangte und die letztes Jahr vom StR überwiesen worden war, verwarf der NR auch als Postulat, da bereits das Parlament ein solches Gesetz erarbeite (
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 1945 f.). Vgl.
SPJ 1994, S. 125.14
[15]
NZZ und
Bund, 12.7.95.15
[17]
BBl, 1995, III, S. 137 ff.;
Amtl. Bull. StR, 1995, S. 1260 ff. und 1269 ff.; Presse vom 6.4.95;
BüZ, 17.10.95;
NZZ, 18.12.95; Presse vom 20.12.95;
SGT, 21.12.95. Vgl.
SPJ 1994, S. 128. Zu einer Motion Cavadini (lp, NE), die sich im Rahmen der Einführung des Mineralölsteuergesetzes für die steuerliche Privilegierung von Erdgas stark macht, siehe unten, Teil I, 6a (Produits pétroliers).17
[18]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 922 f.18
[19]
BBl, 1995, IV, S. 1689 ff.;
NZZ, 26.10.95.19
[20]
Amtl. Bull. NR, 1995, S. 856 ff. Vgl.
SPJ 1994, S. 128.20
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