Année politique Suisse 1996 : Allgemeine Chronik / Öffentliche Finanzen
Indirekte Steuern
Auf dem Motionsweg äusserte Nationalrat Baumberger (cvp, ZH) in zwei Punkten
rechtsstaatliche Bedenken gegenüber der MWSt-Verordnung. Er beanstandete die Bestimmungen über die solidarische Mithaftung für die MWSt sowie das Sanktionssystem der MWSt-Verordnung, da diese über das hinausgingen, was im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung sonst gültig ist. Der Nationalrat überwies den Vorstoss gegen den Willen des Bundesrates
[11].
Der Bundesrat vereinfachte die MWSt-Abrechnung erneut: Auf den 1. Januar 1997 wird die Umsatzlimite für die Anwendung von
Saldosteuersätzen von 500 000 Fr. auf 1,5 Mio Fr. hinaufgesetzt. Die Steuerlast darf indes 30 000 Fr. im Jahr nicht übersteigen
[12].
In der Frühlingssession folgte der Nationalrat als Zweitrat dem Ständerat und Bundesrat und stimmte einem
MWSt-Sondersatz von 3% für Beherbergungsleistungen, befristet bis ins Jahr 2001, zu. Bei einem Stimmenverhältnis 102:86 trat er allerdings wesentlich zurückhaltender auf die Vorlage ein als die kleine Kammer. Eine bürgerliche Ratsmehrheit wollte dem notleidenden Tourismus kurzfristige Hilfe nicht verweigern. Sie argumentierte in erster Linie damit, dass Tourismusleistungen dem Export von Waren gleichgestellt werden sollten und führte zudem ins Feld, dass 13 europäische Tourismusländer einen Sondersatz für die Hotellerie kennen. Ein Antrag Ledergerber (sp, ZH), der die jährlich rund 140 Mio Fr. Steuergelder, die der Hotellerie erlassen werden, gezielt während zehn Jahren für ein Innovations- und Modernisierungsprogramm des Tourismus einsetzen wollte, wurde mit 115:61 Stimmen abgelehnt. Auf den 1. Oktober trat der neue MWSt-Satz in Kraft
[13].
Der Entscheid zugunsten der Hotellerie gab dem
Feilschen um weitere Sondertarife Auftrieb. Nationalrat Wiederkehr (ldu, ZH) reichte eine parlamentarische Initiative ein, die einen Sondersatz für den
öffentlichen Verkehr fordert, da dieser ebenso notleidend wie die Hotellerie sei. Nationalrat Scherrer (edu, BE) forderte auf dem Motionsweg die MWSt-Befreiung für gemeinnützige Brockenstuben, da diese sonst in ihrer Existenz gefährdet seien. Der Nationalrat folgte mit 44:32 Stimmen aber dem Bundesrat, der geltend machte, dass Brockenstuben Warenumsätze tätigen und damit steuerpflichtig sind. Ein Postulat Schmid (cvp, VS), das die
Spitex-Dienste von der MWSt ausnehmen will, wurde vom Nationalrat hingegen an den Bundesrat überwiesen
[14].
Ein Postulat Bührer (fdp, SH), das eine volle MWSt-Rückerstattung im
Reisenden- und Grenzverkehr oder zumindest eine Herabsetzung des geltenden Mindestbetrages von 500 auf maximal 100 Fr. an Waren und Dienstleistungen forderte, wurde vom Nationalrat gegen den Willen des Bundesrates ebenfalls überwiesen
[15].
Im Mai reichten die Dachverbände des Sports und die Schweizer Hilfswerke mit rund 175 000 Unterschriften die Volksinitiative "
gegen eine unfaire Mehrwertsteuer im Sport und im Sozialbereich" ein. Die Initianten fordern im Bereich Sport, dass Startgelder für Volkssportanlässe, Lizenzeinnahmen, verbandsinterne Umsätze und Sponsorleistungen von der Steuer befreit werden. Auch auf die Besteuerung der Vermietung von Sportanlagen soll verzichtet werden. Während rund 26 000 im Breitensport und in der Jugendarbeit tätige Vereine und Verbände vollständig vom administrativen Aufwand der MWSt-Steuerpflicht zu befreien seien, sollen Sportvereine im professionell-gewerblichen Bereich vom Optionsrecht Gebrauch machen und sich freiwillig der Steuer unterstellen können. Die Initianten stellten einen Rückzug ihres Begehrens in Aussicht, falls ihre Wünsche im vom Parlament in eigener Regie erarbeiteten MWSt-Gesetz berücksichtigt werden. Der Forderungskatalog der Sportler würde für den Bund Steuerausfälle von jährlich 10 bis 20 Mio Fr. verursachen
[16].
Ende August verabschiedete die WAK des Nationalrates mit 12:8 Stimmen ihren
Entwurf für ein
Mehrwertsteuergesetz, das die geltende Verordnung des Bundesrates ablösen soll. Diese sei "pro Fiskus" ausgefallen und punktuell sogar verfassungswidrig. Die Kommission übernahm im neuen Gesetz weitgehend die Systematik der Verordnung, sieht aber wesentliche Steuererleichterungen vor. Von Bedeutung ist dabei insbesondere die
Erweiterung des Optionsrechts: Neu sollen sich alle MWSt-befreiten Unternehmen und Institutionen freiwillig einem reduzierten MWSt-Satz von 2% unterstellen können, im Gegenzug könnten sie die Vorsteuern auf getätigte Ausgaben in Abzug bringen. Gelten soll diese Regelung u.a. für gemeinnützige Organisationen, die Immobilienbranche, Schulen, Spitäler und den Kultur- und Sportbereich. Den in einer Volksinitiative formulierten Anliegen der Sportverbände und Brockenhäuser würde mit dieser Regelung Rechnung getragen, zumal die WAK auch die Startgelder von der MWSt befreien möchte. Verwaltungsratsmandate sollen ebenfalls von der MWSt-Pflicht befreit werden. Weiter tritt die Kommission für die
volle Abzugsberechtigung der Geschäftsspesen ein, da die gegenwärtige 50%-Regelung nicht verfassungskonform sei
[17]. Den Sondersatz für die Hotellerie von 3%, befristet bis ins Jahr 2001, übernahm sie ins Gesetz, lehnt aber eine analoge Behandlung des öffentlichen Personenverkehrs ab. Eine gewichtige Veränderung schlägt sie schliesslich bei der Pauschalbesteuerung vor, indem sie die Umsatzlimite auf 5 Mio Fr. (bzw. 75 000 Fr. Steuern) erhöhen will. Die WAK schätzte die mit dem Gesetz verbundenen jährlichen Steuerausfälle auf einige hundert Mio Fr.
Der Gesetzesentwurf stiess bei den vier Bundesratsparteien auf
Kritik. Während die SP das Gesetz als "Vorlage für Steuervermeidungsspezialisten" rundweg ablehnte, bezeichneten die bürgerlichen Bundesratsparteien Steuerausfälle in dieser Höhe als politisch nicht opportun. Vehement gegen dieses Gesetz wehrten sich insbesondere auch die Reisebüros, die neu zur Kasse gebeten werden, indem sie Auslandreisen besteuern müssten. Damit hätten sie jährliche Mehraufwendungen von 20 Mio Fr. zu übernehmen. Im Oktober errechnete die Eidg. Steuerverwaltung die Steuerausfälle des vorgeschlagenen MWSt-Gesetzes auf 470 Mio Fr.
[18].
Als Zweitrat hatte der Nationalrat über die
Revision des Mineralölsteuergesetzes (MinöStG) zu entscheiden, mit welcher die bisherigen Fiskalzölle auf Mineralölen und Treibstoffen im Ausmass von rund 4,5 Mia Fr. ertragsneutral in interne Verbrauchssteuern umgewandelt werden. Die neue Steuer wird die bisherigen Einfuhrzölle ablösen, die die Schweiz gemäss den Bestimmungen des Gatt/WTO-Abkommens ab Januar 1997 nicht mehr erheben darf. Umstritten war in der Beratung insbesondere das Privileg des einzigen Zollfreigebietes der Schweiz,
Samnaun (GR), das der Bundesrat nach einer Übergangsfrist abschaffen wollte. Der Nationalrat folgte aber, entgegen dem Antrag seiner WAK, mit 85:81 Stimmen knapp dem Ständerat und verschont Samnaun damit definitiv vor der Mineralölsteuer. Dem Bund entgehen so Zolleinnahmen von jährlich zwischen sechs und 20 Mio Fr. Auf verlorenem Posten kämpfte Bundesrat Villiger auch in der Frage der Indexierung der Mineralölsteuer. Der Nationalrat folgte ebenfalls dem Ständerat und verweigerte dem Bundesrat die Kompetenz, die Mineralölsteuer nach einer Teuerung von 7% anzupassen. Zusätzlich nahm der Nationalrat eine Steuerbefreiung von Treibstoffen für vom Bund konzessionierte Transportunternehmungen (KTU) auf. Eine weitere Differenz schuf der Nationalrat, indem er die vom Ständerat beschlossene generelle Steuerbefreiung für Treibstoffe aus erneuerbaren pflanzlichen Energieträgern und Biomasse, die Einnahmenausfälle von über 100 Mio Fr. zur Folge hätte, strich. Der Ständerat schränkte in zweiter Lesung auf einen Antrag Seiler (svp, SH) hin ein, dass Bio-Treibstoffe nur steuerfrei sein sollen, wenn sie für Dieselmotoren der Land- oder Forstwirtschaft oder der Fischerei bestimmt sind. Der Nationalrat lehnte aber auch diese Bestimmung ab und blieb dabei, die Befreiung auf Pilot- und Versuchsanlagen zu beschränken. Der Ständerat gab schliesslich nach. Bei der Frage der Privilegierung der KTU fügte der Ständerat die Bestimmung ein, dass die Steuerbefreiung "ganz oder teilweise" erfolgen kann. Der Nationalrat war mit dieser Abschwächung einverstanden
[19].
Ebenfalls im Rahmen der Gatt/WTO-Verpflichtung, bis Januar 1997 Einfuhrzölle in interne Abgaben umzuwandeln, kam eine
Revision des
Automobilsteuergesetzes (AStG) vor das Parlament. Als Erstrat beriet der Ständerat das Gesetz und folgte einstimmig dem Entwurf des Bundesrates, der einen Einheitssteuersatz von 4% vorsieht, um die Haushaltneutralität zu gewährleisten. Dem Nationalrat ging diese Anpassung zuwenig weit. Eine Mehrheit bestehend aus den Fraktionen der CVP, SP, Grünen und LdU/EVP baute zwei ökologische Lenkungselemente ein und beschloss, dass der Bundesrat den Steuersatz verbrauchsabhängig differenzieren kann. Anstelle des Einheitssatzes von 4% sollte die Steuer verbrauchsarmer Fahrzeuge auf bis zu 2% reduziert werden, während benzinfressende Wagen mit bis zu 6% hätten besteuert werden können. Weiter nahm der Nationalrat mit 93:56 Stimmen die Elektromobile ganz von der Steuer aus. In der Differenzbereinigung schwenkte er aber auf den vom Bundesrat vorgeschlagenen und vom Ständerat angenommenen Einheitssatz ein, da der administrative Aufwand beträchtlich gewesen wäre. Bezüglich der Elektromobile gab er sich mit einer Kann-Formulierung zufrieden
[20].
Eine Expertenkommission des Bundes prüfte die Einführung einer allgemeinen
Alkoholsteuer, die nebst den gebrannten Wassern und dem Bier neu auch den Wein erfassen soll. Bund und Kantone sollen die Alkoholsteuer dabei so erheben, dass mit den Erträgen die sozialen Kosten des Alkoholkonsums besser gedeckt werden können. Der Bundesrat leitete den Bericht der Kommission zur weiteren Prüfung an das EFD weiter
[21].
[11]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 260 ff.11
[12]
BaZ, 27.8.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 143.12
[13]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 235 ff. und 635 f.;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 135 und 281;
BBl, 1996, I, S. 1350; Presse vom 13.3.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 143.13
[14]
Verhandl. B.vers., 1996, I, S. 35;
SoZ, 17.3.96. (Wiederkehr);
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 267 ff. (Scherrer) und 585 (Schmid).14
[15]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 270 f.15
[16]
BBl, 1997, I, S. 644 f.; Presse vom 24.5.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 142.16
[17] Wegen der rückwirkenden Kraft des Spesenentscheids müsste der Bund einmalige Rückerstattungen in der Höhe von 900 Mio Fr. leisten. Ausserdem ist zur Frage der Verfassungswidrigkeit der jetzigen Geschäftsspesenregelung ein Bundesgerichtsentscheid ausstehend, der, falls das Bundesgericht bejaht, den Bund auch ohne neues MWSt-Gesetz zu Rückzahlungen in dieser Höhe zwingen würde (Presse vom 24.5.96). Auch die Bestimmungen für Leasing-Güter müssen vom Bundesgericht beurteilt werden, da die Kumulation von Wust und MWSt auf jenen Gütern, die auf die Zeit vor 1995 zurückgehen, von Leasingfirmen als verfassungswidrig bezeichnet wird. Sie werfen dem Fiskus eine ungerechtfertigte Steuerbereicherung von 300 Mio Fr. vor (
NZZ, 23.4.96).17
[18]
BBl, 1996, V, S. 713 ff.; Presse vom 29.8. und 31.8.96;
NZZ, 11.9. und 4.10.96;
BZ, 28.9.96 (Reisebüros). Vgl.
SPJ 1995, S. 143 f.18
[19]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 423 ff., 879 ff. und 1279;
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 311 ff.; 479 f. und 588;
BBl, 1996, III, S. 53 ff.; Presse vom 20.3.96;
SGT, 5.6.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 144 f. Zusätzlich überwies der StR ein Postulat seiner WAK, wonach der BR eine Besteuerung der Treibstoffe nach Energiegehalt anstatt nach Gewicht prüfen soll (
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 321 f.).19
[20]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 28 ff., 478 f. und 589;
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 870 ff., 1104 und 1279;
BBl, 1996, III, S. 75 ff.; Presse vom 13.6.96;
Bund, 20.6.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 145.20
[21] Presse vom 17.5.96. Zur Teilrevision des Alkoholgesetzes siehe oben, Teil I, 4c (Production végétale).21
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