Année politique Suisse 1996 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
 
Raumplanung
Die im vergangenen Herbst vom Parlament beschlossene Teilrevision des Raumplanungsgesetzes (RPG) bezüglich des Rechts auf Privaterschliessung und der Beschleunigung der Baubewilligungsverfahren wurde im Berichtsjahr erst teilweise in Kraft gesetzt. Während die Bestimmungen über private Erschliessungen ab dem 1. April wirksam wurden, wird die Bestimmung über die Vereinfachung, Beschleunigung und Koordination der Verfahren erst am 1. Januar 1997 wirksam werden. Damit soll jenen Kantonen entgegengekommen werden, die ihre Baubewilligungsvorschriften noch an die neuen Bestimmungen anpassen müssen [1].
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Landwirtschaftszonen
Ende Mai stellte der Bundesrat die Elemente der künftigen Raumordnungspolitik der Schweiz vor. Er leitete dem Parlament eine Teilrevision des RPG zu, die auf eine "kontrollierte" Lockerung der Bau- und Nutzungsvorschriften in den Landwirtschaftszonen abzielt und dafür sorgen soll, dass die Landwirtschaft künftig besser auf die neuen Herausforderungen reagieren kann. Die Revisionsarbeiten gehen auf eine Motion des Berner SVP-Ständerates Ulrich Zimmerli zurück. Die Teilrevision schlägt Änderungen auf zwei Ebenen vor: Zum einen soll die Zonenkonformität für Bauten und Anlagen in der multifunktionellen Landwirtschaftzone neu umschrieben werden, zum anderen sollen Bauten, die infolge des Strukturwandels für den bisherigen Zweck nicht mehr benötigt werden, unter strengen Voraussetzungen auch zu landwirtschaftsfremden Zwecken umgenutzt werden dürfen. Kernstück der Neuumschreibung der Zonenkonformität bildet der künftige Verzicht auf die Unterscheidung zwischen bodenabhängiger und bodenunabhängiger Bewirtschaftung. Als zonenkonform sollen künftig all jene neuen Bauten und Anlagen gelten, die unabhängig von der Produktionsweise für Landwirtschaft oder Gartenbau unerlässlich sind und im Interesse einer längerfristigen Betriebsführung erstellt werden. Damit werden Hors-sol-Gewächshäuser und Mastbetriebe künftig gleich behandelt wie bodenabhängige Landwirtschaft. Der Bundesrat unterstrich jedoch, dass ihr Entwicklungspotential beschränkt bleiben solle und hielt die Kantone dazu an, Landwirtschaftszonen weiterhin zu unterscheiden.
Als weiterer wichtiger Revisionspunkt wird die Möglichkeit eröffnet, funktionslos gewordene Bauten zu landwirtschaftsfremden Zwecken umzunutzen. So sollen Landwirte nicht mehr benötigte Bauernhäuser als Wohn- und Ferienhäuser nutzen können. Möglich sind bauliche Veränderungen, um etwa Ferien auf dem Bauernhof anbieten zu können, Kantone dürfen künftig aber auch rechtskonform zulassen, dass leerstehende Bauernhäuser von Personen bewohnt werden, die nicht oder nicht mehr in der Landwirtschaft tätig sind. Die Umnutzung bleibt aber auf das zum Zeitpunkt der Bewilligungserteilung vorhandene Bauvolumen beschränkt. Mit dieser Regelung würden auch zahlreiche ohne Bewilligung in Ferienhäuser umgebaute Rustici und Maiensässen legalisiert. Schliesslich soll die Landwirtschaftszone für gewerbliche Nutzungen zugänglich gemacht werden. Dabei beharrte der Bundesrat aber darauf, dass eine gewerbliche Nutzung eng an die Landwirtschaft angelehnt sein und die gewerbliche Tätigkeit - gemessen am Haupterwerb - von untergeordneter Bedeutung bleiben muss. Von der Kompetenz vollständiger Zweckänderungen bestehender Gebäude für beliebige gewerbliche Tätigkeiten in der Landwirtschaftszone, wie sie die von Adalbert Durrer (cvp, OW) präsidierte Expertenkommission vorgeschlagen hatte, und die von Gewerbekreisen im letztjährigen Vernehmlassungsverfahren stark kritisiert worden war, sah er ab.
Die Natur- und Umweltschutzverbände sowie einzelne Kantone hatten in ihren Vernehmlassungen insbesondere die Zulassung bodenunabhängiger Landwirtschaftsbetriebe kritisiert. Dass der Bundesrat daran festhielt, stiess auf erneute massive Kritik der Naturschützer; sie drohten mit dem Referendum. Der Schweizerische Bund für Naturschutz (SBN) bezeichnete die Revision als unnötig, nicht praktikabel und nicht verfassungskonform. Die kontrollierte Öffnung der Landwirtschaftszone für zusätzliche Bauten verletze den Verfassungsgrundsatz der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet. In der Landwirtschaft finde mit der Revision ein Wechsel von der Flächenbewirtschaftung zur Gebäudenutzung als Produktionsbasis statt. Ferner entspreche der Vorschlag nicht der am 9. Juni von Volk und Ständen getroffenen Weichenstellung, mit der man sich für eine ökologie- und marktorientierte Landwirtschaft entschied. Die Intensivierung der Produktion konkurrenziere die naturnah produzierenden Bauern. Die Schweizerische Stiftung für Landschaftsschutz und Landschaftspflege (SL) warnte vor einem "Zersiedlungs-Boom" und einer markanten Zunahme der Bautätigkeit im Nichtbaugebiet. Es drohten hangarähnliche, charakterlose Bauten als Masthallen oder Gewächshäuser auf der grünen Wiese. Weiter warnte der SL vor zusätzlichen Infrastrukturkosten durch eine weitere Dezentralisierung des Wohnens. Der Schweizer Heimatschutz schliesslich sah mit der Revision die Bemühungen des Heimatschutzes im ländlichen Raum in Frage gestellt [3].
Das Bundesgericht verdeutlichte in einem Grundsatzurteil die massgebenden Gesichtspunkte für das Bewilligen von bäuerlichen Wohngebäuden ausserhalb der Bauzone gemäss dem RPG von 1980. Die bisherige bundesgerichtliche Praxis anerkannte zusätzlichen Wohnraum für landwirtschaftliche Betriebe nur dann als zonenkonform, wenn es sich um einen Betrieb mit existenzsichernder Bewirtschaftung handelt. Das bernische Verwaltungsgericht berief sich bei einem Entscheid über die Erhaltenswürdigkeit eines Bauernbetriebs jedoch allein auf das 1994 in Kraft getretene Bundesgesetz über das bäuerliche Bodenrecht, welches dem erzielten Ertrag keine Bedeutung zumisst und dann von einem landwirtschaftlichen Gewerbe spricht, wenn für die Bewirtschaftung jährlich mindestens die halbe Arbeitskraft einer Familie (2100 Arbeitsstunden) geleistet wird. Gegen diesen Entscheid rief das Bundesamt für Raumplanung das Bundesgericht an. Dieses lehnte eine schematische Anwendung des Kriteriums Arbeitsaufwand ab und führte an, dass wichtige Anliegen der Raumplanung - insbesondere die Verhinderung der Zersiedelung - ebenfalls zu respektieren seien. Ein Kriterium für die Zonenkonformität sei etwa, ob die Bauernfamilie ständig auf dem Hof präsent sein müsse, oder ob sie den Betrieb von einer nahen Bauzone aus bewirtschaften könne. Zu beachten seien der Typ, die Grösse und die Lage eines Betriebs [4].
Eine parlamentarische Initiative Bignasca (lega, TI) mit dem Titel Retten der "Rustici" forderte, dass typische ländliche Bauten in kulturgeschichtlich wertvollen Landschaften der Kantone renoviert, umgebaut oder wiederaufgebaut sowie als Zweitwohnungen verwendet werden können, ohne dass dafür die entsprechende Infrastruktur - namentlich ein Anschluss an eine Kläranlage - geschaffen werden muss. Der Nationalrat gab der Initiative, u.a. weil sie gegen die Raumplanungs- und Gewässerschutzartikel der Bundesverfassung verstosse, mit 86 zu 1 Stimme keine Folge und verwies auf die eigenen Möglichkeiten des konkret betroffenen Kantons Tessin. Dieser präsentierte denn auch einen Vorschlag, wie die geschätzten 400 in Wochenendhäuser umgebauten Rustici mit den gesetzlichen Bestimmungen in Einklang gebracht werden können. Durch eine Erweiterung der Gesetzesgrundlagen im Tessiner Richtplan soll die Zweckbestimmung von Rustici geändert werden können, wenn dadurch der Erhalt von schützenswerter Bausubstanz gewährleistet wird. Unter dieser Voraussetzung sollen auch ehemalige landwirtschaftliche Nutzgebäude bewohnt werden können, die ausserhalb der Bauzone stehen. Die baulichen Eingriffe müssten jedoch grundsätzlich dem geltenden Bundesrecht entsprechen [5].
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Grundzüge der Raumordnung Schweiz
Gleichzeitig mit der Teilrevision des RPG legte der Bundesrat den Bericht über die "Grundzüge der Raumordnung Schweiz" und darauf aufbauende konkrete Massnahmen für 1996 bis 1999 vor. Nach diesem soll die räumliche Entwicklung der Schweiz nach neuen Zielen ausgerichtet werden, künftig geordneter und nachhaltiger vonstatten gehen und die Nation stärker zusammenhalten. Im Mittelpunkt steht das Konzept eines vernetzten Systems von Städten und ländlichen Räumen durch effiziente Verkehrs- und Kommunikationswege. Mittlere und kleine Städte sollen durch Vernetzung mit den grossen Zentren des Mittellandes in die Lage versetzt werden, Entwicklungsimpulse aufzunehmen und eigenständig umzusetzen, in peripher gelegenen ländlichen Gebieten werden die Regionalzentren durch die Vernetzung mit den wachstumsstarken Zentren gestärkt. Das vernetzte Städtesystem soll das Zusammenwachsen von Siedlungsräumen vermeiden, gleichzeitig soll eine Siedlungsentwicklung nach innen bestehende Siedlungen besser nutzen, erneuern und durchmischen. Grundgerüst der Agglomerationsentwicklung ist der öffentliche Verkehr. Zentrales Ziel des neuen Raumkonzepts ist die Stärkung der gesamten Schweiz als internationaler Standort, wobei neben dem Grossraum Zürich auch Genf und Basel die Attraktivität des Wirtschaftsstandortes Schweiz massgeblich mitbestimmen sollen, da sich die Schweiz im internationalen Standortwettbewerb mit einer dezentralen Vernetzung besser behaupten könne als mit einem einzigen grossen Zentrum. Das Schweizer Städtesystem soll Teil des europäischen Städteverbundes und beispielsweise ins Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahnen integriert werden. Für die ländlichen Räume schlägt der Bundesrat unterschiedliche Strategien vor, die auf die spezifischen Entwicklungspotentiale der Regionen ausgerichtet sind. In den ländlichen Regionen des Mittellandes gelte es etwa, das eigenständige Dorfbild und die Wohnlichkeit zu erhalten, wobei eine sanfte Nachverdichtung möglich sei. Der Jurabogen soll als Standort für Klein- und Mittelbetriebe des industriell-gewerblichen Sektors weiter gestärkt und in das vernetzte Städtesystem eingebunden werden, während im Voralpenraum die unternehmensbezogene Infrastruktur in den Regionszentren verbessert werden soll. Der Alpenraum schliesslich soll als Lebens- und Wirtschaftsraum gestärkt werden. Als wichtige Voraussetzungen nannte der Bericht die Sicherung der Grundversorgung des öffentlichen Verkehrs, die Förderung des umweltfreundlichen Tourismus und die Sicherung der Berglandwirtschaft. Im Realisierungsprogramm 1996-1999 setzte der Bundesrat Prioritäten fest. So soll die Verwaltung bei Sachfragen künftig koordinierter vorgehen und intensiver mit den Kantonen, Regionen und Städten diskutieren. Raumplanung und Regionalpolitik seien besser aufeinander abzustimmen. Zudem stellte er die Vorantreibung der Planung in Infrastrukturbereichen und die Entwicklung eines Landschaftsschutzkonzeptes in Aussicht.
Eine im letzten Jahr vom Ständerat angenommene Motion Maissen (cvp, GR), die eine verbesserte Koordination zwischen Raumplanung und Naturschutz forderte, wurde mit 79 zu 58 Stimmen auch vom Nationalrat überwiesen. Eine links-grüne Kommissionsminderheit sah in der Forderung, sämtliche raumwirksamen Aufgaben des Bundes im Bereich des Natur- und Heimatschutzes in die ordentlichen raumplanungsrechtlichen Verfahren einzubinden, den Versuch, den Naturschutz der Raumplanung unterzuordnen und den Biotopschutz des Bundes abzuschwächen. Auch eine Motion Bisig (fdp, SZ), die mehr Kohärenz im raumwirksamen Handeln und Entscheiden des Bundes forderte, wurde vom Nationalrat überwiesen. Bundesrat Arnold Koller begrüsste beide Motionsbegehren und räumte ein, dass beim Bund selber wie auch im Verhältnis zwischen Bund und Kantonen eine bessere Koordination der verschiedenen raumwirksamen Planungen unbedingt nötig sei [7].
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Bauzonen
Im letzten Jahr hatte der Nationalrat knapp eine Motion Fischer (fdp, AG) angenommen, die verlangt, dass die Bestandesgarantie für bestehende Nutzungspläne weiterhin aufrechterhalten bleibt. Damit würden Gemeinden, deren Bauzonen - gemessen an den Vorschriften des RPG aus dem Jahre 1979 - immer noch überdimensioniert sind, von einer Anpassung ihrer Bauzonen auf ein gesetzeskonformes Mass dispensiert. Als Zweitrat folgte der Ständerat mit 25 zu 6 Stimmen aber klar dem Bundesrat, der davor warnte, dass damit jene Gemeinden desavouiert würden, die ihre Bauzonen angepasst haben [8].
Gemäss einer Studie des Bundesamtes für Raumplanung ist die Veränderungsdynamik ausserhalb der Bauzonen gross. Jährlich werden 2000 Bauernbetriebe aufgegeben, deren Bausubstanz dann zum grossen Teil von Nicht-Landwirten genutzt wird. Nur noch ein Drittel der rund 560 000 Menschen, die in den Zonen ausserhalb städtischer oder dörflicher Bauzonen leben, hat direkt mit der Agrarwirtschaft zu tun. Der Dienstleistungssektor ist zum stärksten Erwerbszweig geworden. Ausserhalb der Bauzone stehen rund 540 000 Gebäude, von denen rund ein Drittel dem Wohnen dient; jährlich kommen 2000 Wohnungen dazu [9].
Der WWF kritisierte die bestehende Raumplanung als zuwenig wirksam. Jährlich werde in der Schweiz noch immer eine Fläche von der Grösse des Murtensees (rund 2400 Hektaren) zubetoniert. Gemäss dem WWF liegt das zentrale Problem darin, dass die traditionelle Raumplanung Flächen zum ökologischen Nulltarif zur Verfügung stellt, wenn Landwirtschaftsflächen in Bauland umgewandelt werden. Der bei der Umzonung in Bauland entstehende Gewinn solle deshalb mit einer "Bodenabgabe" zumindest teilweise abgeschöpft und zur Renaturierung und Entsiegelung von Bodenflächen genutzt werden. Der WWF forderte eine Halbierung der Baulandreserven, die auch dann noch auf Jahrzehnte hinaus reichen würden. Knapp die Hälfte des Bedarfs an baulicher Nutzfläche könne innerhalb des bereits bestehenden Siedlungsgebietes abgedeckt werden, etwa durch verdichtetes Bauen oder durch die Nutzung von brachliegenden Industriearealen [10].
 
[1] NZZ, 13.3.96. Vgl. SPJ 1995, S. 192 f.1
[3] NZZ, 24.8.96. Vgl. SPJ 1995, S. 193. Zum im Juni zur Abstimmung gekommenen Landwirtschaftsartikel siehe oben, Teil I, 4c (Politique agricole).3
[4] Presse vom 5.1.96.4
[5] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 381 f.; NZZ, 28.3.96.5
[7] Amtl. Bull. NR, 1996, S. 356 ff. Vgl. SPJ 1995, S. 194.7
[8] Amtl. Bull. StR, 1996, S. 528 ff. Vgl. SPJ 1995, S. 194.8
[9] NLZ, 30.11.96; Lit. BA für Raumplanung.9
[10] Presse vom 21.5.96; Lit. Knoepfel.10