Année politique Suisse 1996 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Ausländerpolitik
Angesichts des geringen Konsenses, welchen der im Vorjahr vorgelegte Migrationsbericht des ehemaligen Flüchtlingsdelegierten Arbenz in der Vernehmlassung erzielt hatte, beschloss der Bundesrat, eine
Expertenkommission einzusetzen, welche bis Mitte 1997 weitere Vorschläge für eine bessere
Koordination der Asyl- und Ausländerpolitik erarbeiten soll. In ihren Stellungnahmen hatten die angefragten Kreise (Parteien, Wirtschaftsverbände, Hilfswerke und Kantone) der Analyse der Probleme generell zugestimmt, wie sie der Bericht dargelegt hatte (fehlende Kohärenz zwischen einzelnen Politikbereichen, ungenügende Koordination unter den beteiligten Ämtern und mangelhafter Einbezug der Öffentlichkeit), bei den zu treffenden Massnahmen klafften die Meinungen aber entlang den weltanschaulichen Bruchlinien weit auseinander. Divergierend waren vorab die Auffassungen zum Saisonnierstatut, zum Familiennachzug und zum Drei-Kreise-Modell. Auch über die Mittel zur Gestaltung der neuen Migrationspolitik waren sich die Vernehmlasser nicht einig. Nur wenige sprachen sich ausdrücklich für oder gegen die Schaffung eines umfassenden Migrationsgesetzes aus
[1].
Abgeordnete der vier
Bundesratsparteien schlossen sich zu einer
Arbeitsgruppe "Migration" zusammen, um konstruktive Kompromisse in der Ausländerpolitik auszugestalten. Unter der Leitung von Nationalrat Engler (cvp, AI) gehörten der Gruppe zwei Ständerätinnen - Beerli (fdp, BE) und Simmen (cvp, SO) -, zwei Nationalrätinnen - Fankhauser (sp, BL) und Heberlein (fdp, ZH) - sowie drei Nationalräte - Fischer (svp, AG), Seiler (svp, BE) und Strahm (sp, BE) - an. Im Vordergrund ihrer Abklärungen standen die Themen Arbeitsmarkt und Beziehungen zum europäischen Umfeld, Saisonnierstatut, Asylwesen, Rückführung von Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien, Assimilierung der Ausländer und Ausländerinnen sowie ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einheimischer und ausländischer Bevölkerung. Nachdem es im Frühjahr noch nach einem breiten Einvernehmen unter den Parteien ausgesehen hatte, wurde im Herbst klar, dass sich zwischen der SP und ihren bürgerlichen Diskussionspartnern ein tiefer Graben aufgetan hatte. Grundsätzlich war sich die Arbeitsgruppe einig, dass das Drei-Kreise-Modell fallengelassen und durch eine
Nachbarschaftsregelung mit den EU- und Efta-Staaten abgelöst werden sollte. Uneinig waren sich die Parteien aber in der Frage, wie dieses grenzüberschreitende Regelwerk aussehen sollte. Die SP votierte für den EU-Beitritt und damit auch für die Personenfreizügigkeit, währenddem CVP und FDP den Weg der bilateralen Beziehungen gehen wollten und für ein Abkommen mit einer Schutzklausel plädierten; die SVP wollte an den Kontingenten festhalten. Auch in der Frage der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern aus Ex-Jugoslawien blieben die Differenzen unüberbrückbar
[2].
Zu der unter anderem von der Arbeitsgruppe der Bundesratsparteien propagierten
Rückkehrhilfe für unqualifizierte ausländische Arbeitnehmer lief im Kanton St. Gallen ein Pilotprojekt an. Erprobt wurde ein Modell, das sich in einer ersten Phase an 30 arbeitslose B- und C-Aufenthalter aus Restjugoslawien richtet. Begleitet von ebenfalls arbeitslosen Kaderleuten aus der Schweiz sollen die Betroffenen vorerst in ihrer Heimat während sechs Monaten gemeinnützige Hilfe leisten und sich dabei gleichzeitig um eine berufliche Existenz in ihrem Herkunftsgebiet bemühen. Haben sie keinen Erfolg, so können sie nach Ablauf des Projekts wieder in die Schweiz zurückkehren
[3].
Der Zuwachs der ständigen ausländischen Wohnbevölkerung ist per Ende Dezember massiv zurückgegangen. Mit 7007 Personen (+0,5%) lag er deutlich unter der Rate des Vorjahres (+2,3%). Seit 1990 (+5,8%) hat die Zunahme laufend abgenommen. Diese Zahlen sind zum Teil durch die Ausländerpolitik des Bundesrates bedingt, zum Teil aber auch durch die konjunkturelle Entwicklung der vergangenen Jahre.
Die Zahl der permanent in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und Ausländer - internationale Funktionäre, Saisonniers, Kurzaufenthalter, Asylbewerber und vorläufig Aufgenommene nicht mitgerechnet - betrug Ende Jahr 1 337 581 Personen. Der Ausländeranteil an der Gesamtbevölkerung nahm damit nur noch geringfügig auf 19% (1995: 18,9%) zu. Von den rund 1,3 Mio Ausländerinnen und Ausländern stammten 61,3% aus EU- und EFTA-Staaten. Die absolute Zahl der Einwanderer aus Westeuropa (rund 820 000 Personen) ist in den letzten Jahren relativ konstant geblieben. Der Zuwachs der ausländischen Bevölkerung ist fast ausschliesslich auf eine Zunahme der Ausländer aus einem Herkunftsstaat ausserhalb dieses Raumes (namentlich ex-Jugoslawien) zurückzuführen.
Ende Dezember wurden 709 108
erwerbstätige Jahresaufenthalter und Niedergelassene, 13 607 Saisonniers und 146 986 Grenzgänger gezählt. Zusammen umfassen diese vier Aufenthaltskategorien 869 701 Ausländerinnen und Ausländer. Das sind 26 034 Personen resp.
2,9% weniger als im Vorjahr. Der stärkste Einbruch erfolgte erneut bei den Saisonniers (-2 473 Personen bzw. -15,4%). Die erwerbstätigen Jahresaufenthalter und Niedergelassenen verzeichneten einen Rückgang um 19 564 Personen (-2,7%) und die Grenzgänger eine Einbusse von 3 997 Arbeitsplätzen (-2,6%). Ende August, im Zeitpunkt des saisonalen Höchststandes der Beschäftigung, befanden sich lediglich noch rund 45 300 Saisonniers in der Schweiz, 15,7% weniger als ein Jahr zuvor. 1990 hatte ihre Zahl noch gut 120 000 betragen
[4].
Mit schwerem Geschütz fuhr die vom Basler Geschichtsprofessor Georg Kreis präsidierte
Eidg. Kommission gegen Rassismus (EKR) auf, indem sie den Vorwurf erhob, das
Drei-Kreise-Modell, an welchem sich die Ausländerpolitik des Bundesrates seit 1991 orientiert, fördere fremdenfeindliche und
kulturell-rassistische Vorurteile gegenüber den Angehörigen des dritten Kreises, insbesondere jenen aus dem ehemaligen Jugoslawien, da diese Menschen pauschal als nicht integrierbar und deshalb unerwünscht gewertet würden. Die Kommission rügte damit erstmals entsprechend ihrem Mandat eine behördliche Massnahme öffentlich. Sie empfahl dem Bundesrat, ein Zwei-Kreise-Modell einzuführen, welches Integrationsmassnahmen und Rückkehrhilfen, aber kein Saisonnierstatut mehr vorsieht
[5].
In seiner Antwort auf eine im Rahmen der Legislaturplanung eingereichte Motion von Nationalrätin Bühlmann (gp, LU), Vizepräsidentin der EKR, wies der
Bundesrat diesen Vorwurf entschieden zurück. Das 1991 entwickelte Konzept habe seinerzeit im Parlament einen breiten politischen Konsens gefunden. Zur Forderung nach einem neuen Migrationskonzept führte er aus, seiner Ansicht nach hätten die
bilateralen Verhandlungen mit der EU über den freien Personenverkehr
absolute Priorität gegenüber den Diskussionen um ein Zwei- oder Drei-Kreise-Modell. Die Frage nach einer neuen, umfassenden Ausländerpolitik könne ohnehin erst nach der detaillierten Auswertung der Vernehmlassung zum Migrationsbericht angegangen werden. Frau Bühlmann war mit dem Antrag des Bundesrates einverstanden, ihre Motion in ein Postulat umzuwandeln. Dieses wurde jedoch von Baumberger (cvp, ZH) bekämpft und schliesslich mit 45 zu 49 Stimmen knapp abgelehnt
[6].
Für die Verhandlungen mit der EU über den freien Personenverkehr siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE). Zu einem Positionspapier der Grünen Partei zur Ausländerpolitik siehe unten, Teil IIIa (GPS).
Ebenfalls grundsätzliche Kritik an der Politik des Bundesrates übte das Gutachten des Genfer Staatsrechtsprofessors Andreas Auer. Gemäss dem Autor ist die Ausländerpolitik des Bundesrates diskriminierend und verstösst gegen das internationale Abkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung. Zwar habe der Bundesrat seinerzeit bei seiner Ratifizierung der Konvention einen Vorbehalt in bezug auf seine Ausländer- und Arbeitsmarktpolitik angebracht, doch dieser beziehe sich lediglich auf einen einzigen Absatz des Abkommens (Saisonnierstatut ohne Recht auf Familiennachzug) und ändere nichts daran, dass die Schweiz verpflichtet sei, ihre Ausländerpolitik künftig so zu gestalten, dass sie nicht zur Diskriminierung einzelner Ethnien führe. Auer hielt fest, dass die Bevorzugung aller EU- oder Efta-Staatsangehörigen keinerlei rechtliche Probleme verursache. Schliesslich strebe die Schweiz hier längerfristig die gegenseitige Einführung des freien Personenverkehrs an. Auch die Auswahl bestimmter Staaten als traditionelle Rekrutierungsgebiete sei an und für sich zulässig. Doch gehe es nicht an, den Ausschluss bestimmter Staaten damit zu begründen, dass Menschen dieser nationalen oder ethnischen Gruppen nicht fähig seien, sich in der Schweiz zu integrieren. Das Drei-Kreise-Modell sei auch mit dem internationalen Pakt über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte sowie mit der in der Verfassung verankerten Rechtsgleichheit unvereinbar.
Der Staatsrechtler zeigte sodann auf, wie bruchstückhaft die Ausländerpolitik in der Schweiz geregelt ist. Mehrheitlich beruht sie bloss auf vom Bundesrat erlassenen Verordnungen und auf Weisungen der zuständigen Bundesämter. Das treffe insbesondere auch auf das Drei-Kreise-Modell zu, das
in keinem Gesetz rechtlich verankert sei. In einer rechtsstaatlichen Demokratie müssten aber die grossen Linien der Ausländerpolitik vom Parlament und dem Volk festgelegt werden. Das verlange das Legalitätsprinzip. Zwar habe die Bundesversammlung seinerzeit formell Kenntnis vom bundesrätlichen Bericht zur Ausländerpolitik genommen, doch könne dies das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage nicht wettmachen
[7].
Diese grundsätzliche Kritik veranlasste das BIGA, welches seinerzeit das Drei-Kreise-Modell massgeblich mitgeprägt hatte, zumindest beim
Sprachgebrauch über die Bücher zu gehen. Begriffe wie "kulturelle Distanz", "europäischer Kulturkreis" und "traditionelles Rekrutierungsland" sollen verschwinden und durch "enge wirtschaftliche und institutionelle Beziehungen" und die Kriterien ersetzt werden, ob ein Land die Menschenrechte respektiere und ob das Bedürfnis der Schweiz nach Spezialisten auch ohne den Einbezug der Angehörigen dieses Staates befriedigt werde
[8].
Sechs Arbeitgeberorganisationen - Gewerbe, Bauern, Baumeister, Tourismusverband, Hoteliers und Wirte - wehrten sich zusammen mit Gewerkschaften und Angestelltenverbänden gegen den Entscheid des Bundesrates,
Saisonniers aus Ex-Jugoslawien keine weiteren Bewilligungen mehr zu erteilen, es sei denn, sie hätten bereits acht aufeinanderfolgende Jahre beim gleichen Arbeitgeber gearbeitet. Als eine gemeinsame Eingabe an den Bundesrat nichts fruchtete, gaben sie das bereits erwähnte staatsrechtliche Gutachten in Auftrag, welches ihre Kritik am Entscheid des Bundesrates stützte. Eine klare gesetzliche Grundlage für den Ausschluss der Ex-Jugoslawen fehle. Der Entscheid schaffe zudem eine Reihe von Rechtsungleichheiten, die nicht mit Art. 4 der Bundesverfassung zu vereinen seien. So könne ein Saisonnier aus Ex-Jugoslawien frühestens nach acht Jahren eine Jahresbewilligung erhalten, Saisonniers aus anderen Staaten hingegen schon nach 36 Monaten. Zusätzlich werde bei den Ex-Jugoslawen verlangt, dass sie bereits einen Arbeitsvertrag für eine Ganzjahresstelle in der Tasche hätten und ihr Arbeitgeber nachweisen könne, dass sein Unternehmen wirtschaftlich gesund sei
[9].
Der Entscheid des Bundesrates wurde auch von der eidg.
Kommission für Ausländerfragen kritisiert. Viele der Saisonniers aus dem ehemaligen Jugoslawien hätten lange in der Schweiz gelebt und dabei einen grossen Schritt zur Assimilation getan. Es sei zudem ein Irrtum zu glauben, Ausländer aus dem EU-Raum hätten keine Integrationsprobleme. Der Schulerfolg von Portugiesen beispielsweise sei nicht grösser als jener von Kindern aus der Türkei oder aus Ex-Jugoslawien
[10].
Das
Bundesgericht befand hingegen, der vor allem Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien treffende Umwandlungsstopp der Saison- in Jahresbewilligungen sei
weder gesetzes- noch verfassungswidrig. Laut dem Urteil aus Lausanne bestimmt der Bundesrat die Ausländerpolitik (Art. 25 Abs. 1 ANAG); er darf daher im Rahmen der gesetzlichen und verfassungsmässigen Schranken die einmal festgelegten Voraussetzungen für eine Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung nachträglich auch wieder verändern. Dabei sind aus höchstrichterlicher Sicht auch Unterschiede je nach nationaler Herkunft zulässig. Dass die Neuregelung keine Übergangsbestimmungen enthält, wurde ebenfalls nicht beanstandet, da auch diese nichts daran zu ändern vermöchten, dass der Umwandlungsstopp irgendeinmal greifen muss. Eine Verletzung des Vertrauensgrundsatzes oder eine unerlaubte Rückwirkung der neuen Regelung wurden vom Bundesgericht ebenfalls verneint
[11].
Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften appellierten im August erneut an den Bundesrat, zumindest für die seit Jahren in der Schweiz arbeitenden Saisonniers aus Ex-Jugoslawien eine neue Lösung zu suchen. Bis eine definitive Regelung gefunden sei, müsste es den Kantonen freistehen, die Bewilligungen zu erneuern. Gleichzeitig hielten die Wirtschaftsverbände fest, dass sie weder gegen eine Vorzugsstellung von Personen aus dem EU/Efta-Raum noch gegen einen Stopp von Neurekrutierungen im ehemaligen Jugoslawien seien. Der Bundesrat zeigte sich aber entschlossen, seinen Entscheid durchzuziehen. In einem Zeitungsinterview erklärte der Vorsteher des EVD, der Bundesrat sei in dieser Frage schon genügend Kompromisse eingegangen. Wenn er jetzt nicht der Umsetzung des Drei-Kreise-Modells zum Durchbruch verhelfe, verliere er seine Glaubwürdigkeit. Dementsprechend wurden bei der Zuteilung der Kontingente für die Periode 1996/97 die
ex-jugoslawischen Saisonniers
definitiv von der Einreise
ausgeschlossen. Betroffen waren rund 10 000 Arbeitnehmer aus dem früheren Jugoslawien
[12].
Eine im Vorjahr vom Nationalrat knapp angenommene Motion Bühlmann (gp, LU), welche beim Aufenthaltsrecht eine Gleichstellung der Ehefrau eines Ausländers mit Niederlassungsbewilligung mit den mit einem Schweizer verheirateten ausländischen
Frauen verlangte, wurde vom Ständerat nur noch als Postulat übernommen
[13].
Die Eidg. Kommission für Ausländerfragen (EKA) stellte im August einen Integrationsbericht vor, der ein stärkeres Engagement des Bundes und eine glaubwürdige Integrationspolitik verlangt. Die EKA begrüsste den Vorschlag des Bundesrates, bei der Revision der Ausländer- und Asylgesetzgebung die Integrationspolitik gesetzlich zu verankern. Die Assimilation der 1,3 Mio Zugewanderten und der rund 25 000 anerkannten Flüchtlinge werde die Zukunft unseres Landes wesentlich mitbestimmen. Es sei an der Zeit, dass sich Bund, Kantone und Gemeinden solidarisch dieser staats- und gesellschaftspolitischen Herausforderung stellten.
Nach Ansicht der EKA ist die Schweizer Bevölkerung für die Integration der Zuwanderer nicht genügend vorbereitet. Grossen Wert möchte sie deshalb auf eine
verstärkte Information legen. Weitere Schwerpunkte sind für sie eine
gezielte Ausländerbildung und ein vielfältiges Angebot zur
gemeinsamen Freizeitgestaltung. Auch politische Mitsprache gehöre zur gesellschaftlichen Eingliederung, doch seien in diesem Bereich keine raschen Fortschritte zu erwarten. Um den Stellenwert der Integrationspolitik zu erhöhen, regte die EKA unter anderem die Schaffung eines eigenständigen kleinen Bundesamtes oder die Einsetzung eines Beauftragten für Integrationsfragen an
[14].
Zu Einbürgerungen und zum Ausländerstimmrecht siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).
Bern liess als erste grössere Stadt ein
Leitbild zur Ausländer-Integration ausarbeiten. Wenn es in der Vernehmlassung auf ein positives Echo stösst, soll es sukzessive in die Praxis umgesetzt werden. In der Gemeindeordnung soll die Stadt verpflichtet werden, die tatsächliche Assimilation der ausländischen Wohnbevölkerung zu fördern und die Mitwirkung der Ausländerinnen und Ausländer in städtischen Belangen zu unterstützen
[15].
Ein vom italienischen Konsulat zusammen mit dem Basler Justizdepartement iniziiertes Pilotprojekt will dem Umstand Rechnung tragen, dass
ausländische Jugendliche aufgrund ihres Identitätskonflikts zwischen dem traditionell geprägten elterlichen Umfeld und der Realität der schweizerischen Gesellschaft
besonders suchtgefährdet sind. Das umfassende Bildungs- und Beratungsprojekt, das auch den Aspekt der Gewaltprävention umfasst, richtet sich vorerst an italienische Jugendliche sowie an deren Eltern und Lehrer und wird zu einem Drittel von der öffentlichen Hand und zu zwei Dritteln von privaten Stiftungen getragen
[16].
Beim 4. Interkulturellen Forum der Schweizerischen Akademie für Entwicklung (SAD) hatten die ausländischen Jugendlichen der zweiten Generation die Gelegenheit, ihre Probleme zu diskutieren und Forderungen auszusprechen. Dabei zeigte sich, dass es schwierig ist, für eine so heterogene Gruppe allgemeingültige Rezepte zu formulieren. Generell konnte bei den Jugendlichen ein
Identitätsproblem ausgemacht werden, das sich auf zweierlei Arten artikuliert: Einerseits besteht der Druck, sich den Verhältnissen des Gastlandes anzupassen, andererseits das Bedürfnis, die Kultur des Heimatlandes beizubehalten
[17].
Das Statistische Amt des Kantons Tessin präsentierte eine breit angelegte
Studie über die Situation der Grenzgänger aus dem nahen Italien. Sie behandelt nicht nur wirtschaftliche Aspekte, sondern widmet sich auch ausführlicher als andere bisher erschienene Publikationen den soziologischen Begleiterscheinungen der täglichen Migration. Von 1990 bis 1996 schrumpfte die Zahl der "frontalieri" von 40 692 auf 30 829 Personen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes bezeichneten denn auch viele Grenzgänger als ihre grösste Sorge. Diese wird dadurch verstärkt, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Italien in zwei sozialstaatlichen Systemen leben. Sie entrichten die regulären Beiträge an die schweizerische Arbeitslosenversicherung, erhalten bei Arbeitslosigkeit aber nur gerade 30 000 Lire (rund 30 Fr.) pro Tag vom italienischen Staat, obgleich die Schweiz sämtliche von den Grenzgängern in die Arbeitslosenversicherung einbezahlten Gelder nach Rom überweist. Entgegen landläufigen Einschätzungen erklärte eine Mehrheit der "frontalieri", sich in der Schweiz wohlgelitten und integriert zu fühlen. Gemäss dem Autor der Studie steigt die gesellschaftliche
Eingliederung proportional zum Grad der beruflichen Qualifikation. Einen diesbezüglich hohen Grad hätten Pendler vorab im Tessiner Gesundheitswesen erreicht, wo sich bereits jetzt die Arbeitssituation der Zukunft in einem Europa der Regionen abbilde. Hier seien Grenzgänger und Grenzgängerinnen nicht mehr nur billige Arbeitskräfte, sondern eine echte Konkurrenz für einheimisches Personal
[18].
Es widerspricht nicht der Bundesverfassung, Schweizer und Ausländer in der
Sozialversicherung ungleich zu behandeln, sofern dafür ein vernünftiger Grund vorliegt. Das entschied das
Bundesgericht. Rund die Hälfte der Kantone hatte die Ausrichtung von Prämienverbilligungen in der Krankenversicherung auf Schweizer und auf Personen mit Wohnsitz in der Schweiz eingeschränkt. Saisonniers und Kurzaufenthalter wurden von der Anspruchsberechtigung ausgeschlossen. Die Gewerkschaft Bau und Industrie erhob gegen die entsprechende Thurgauer Regelung Beschwerde in Lausanne. Sie argumentierte, der Ausschluss der Saisonniers von der Prämienverbilligung verstosse gegen das Krankenversicherungsgesetz, welches eine Prämienverbilligung für alle Versicherten in bescheidenen finanziellen Verhältnissen vorsehe. Das Bundesgericht befand, eine
Schlechterstellung sei zulässig, weil Saisonniers in der Schweiz keinen Wohnsitz haben und ihr Lebensmittelpunkt nicht in der Schweiz liegt. Die wirtschaftlichen Verhältnisse von Saisonniers und Kurzaufenthaltern seien anders als jene von Personen, die auch ganzjährig mit den hiesigen - in aller Regel höheren - Lebenshaltungskosten konfrontiert seien. Saisonniers und Kurzaufenthalter, die nur vorübergehend in der Schweiz leben, können gemäss Bundesgericht keine Unterstützung aus allgemeinen Steuergeldern erwarten
[19].
[1]
NZZ, 27.1.96;
AT, 12.2.96; Presse vom 11.6.96. Siehe
SPJ 1995, S. 258. Die Kommission wird vom ehemaligen BIGA-Direktor Klaus Hug präsidiert (
NZZ, 12.9.96). Siehe dazu auch A. Koller, "Auf dem Weg zu einer konsensfähigen Ausländer- und Asylpolitik", in
Documenta, 1996, Nr. 3, S. 20 ff.1
[2] Presse vom 9.2., 24.5. und 10.10.96.2
[4] Pressemitteilung des BA für Ausländerfragen;
Die Volkswirtschaft, 70/1997, Nr. 4, S. 22*.4
[6]
Amtl. Bull. NR, 1996, S. 708 ff. und 788 ff. Siehe auch die Ausführungen des BR in
Amtl. Bull, StR, 1996, S. 633 f. Zum Migrationsbericht vgl.
SPJ 1995, S. 258 und oben (Grundsatzfragen).6
[9]
BüZ, 25.1. und 15.3.96;
NZZ, 7.2.96; Presse vom 8.2., 27.2. und 5.8.96;
Bund, 6.6.96.9
[10] Presse vom 30.8.96.10
[12] Presse vom 7.8., 2.9. und 17.10.96;
BüZ, 19.8., 23.8., 24.8. und 28.8.96. Siehe
SPJ 1994, S. 233.12
[13]
Amtl. Bull. StR, 1996, S. 294 ff. Siehe
SPJ 1995, S. 260.13
[14]
Lit. EKA;
TA, 24.7.96; Presse vom 30.8.96. Vgl.
SPJ 1995, S. 260.14
[15]
Bund und
BZ, 10.10.96.15
[17]
SGT, 5.11.96;
SZ, 7.11.96;
Bund, 9.11.96.17
[18]
Lit. Bausch. Zur Lage der Grenzgänger in der Region Basel siehe
BaZ (Dreiland-Zeitung), 6.12. und 20.12.96.18
[19]
BüZ, 10.2.96;
NZZ, 9.12.96.19
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