Année politique Suisse 1997 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
Grundschulen
Eine komplete Übersicht zu den kantonalen Gesetzen im Bildungsbereich befindet sich im Teil II, 6a-d.
Eine Teilstudie des Nationalen Forschungsprogramms "Wirksamkeit unserer Bildungssysteme", in der die Leistungen von 13 000 Schweizer Jugendlichen des 6. bis 8. Schuljahres im internationalen Vergleich ausgewertet wurden, stellte dem Schweizer Schulsystem bezüglich
Naturwissenschaften nur
mittelmässige Noten aus. Während Schweizer Schüler in Mathematik zwar hinter Ostasien, aber in Europa doch an der Spitze stünden (Rang 8), so besetzten sie bei den Naturwissenschaften lediglich Rang 18 und seien damit auch in Europa nur Mittelmass. Als Hauptgrund nennt die Studie eine der weltweit niedrigsten Stundenzahlen in Naturwissenschaften (2,5 Std.)
[1].
Um im Schulunterricht den Blick für globale Umwelt- und Entwicklungsfragen zu schärfen und damit einer Forderung der "Agenda 21" nachzukommen, gründeten die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK), private Hilfswerke und Lehrerverbände die
Stiftung "Bildung und Entwicklung". Das Budget soll 1998 2,1 Mio Fr. betragen, woran sich der Bund mit 1,6 Mio Fr. beteiligen will
[2].
Der
Trend zu erweiterten Lernformen und zur ganzheitlichen Beurteilung von Schülerinnen und Schülern, zur Einführung der
Fünftagewoche und zur Neukonzipierung des Fremdsprachenunterrichts (zweisprachiger Unterricht, frühere Einführung der ersten Fremdsprache) fand Eingang in weitere kantonale Schulreformen
[3].
Der
Walliser Grosse Rat nahm in erster Lesung eine weitreichende Schulreform "Education 2000" an, die einen individualisierten Unterricht mit zweijährigen Lernzyklen, "Lehrerteams" sowie eine Teilautonomie für Schulen bringen soll. Kritik löste jedoch insbesondere die angestrebte Verkürzung der Dauer des Gymnasiums von fünf auf vier Jahre aus; künftig sollen die Gymnasiasten das neunte Schuljahr in einem Maturitätszug an der Orientierungsschule (7. bis 9. Schuljahr) absolvieren. Generell soll das Schema mit sechs Primar-, drei Oberstufen- und vier Gymnasiumsklassen gelten, fähige Schüler sollen die Primarschule in fünf Jahren durchlaufen können. Der
Aargauer Grosse Rat beschloss in erster Lesung die erste von drei Etappen einer Revision des Schulgesetzes und schuf damit die Grundlagen für die Einführung von Tagesschulen und der Fünftagewoche, eine flexible Einschulung, integrative Schulungsformen, das Klassen-Überspringen und die Anhebung der Mindestschülerzahl in Primarschulen kleiner Gemeinden (von 6 auf 12)
[4].
In
Baselstadt löste im Herbst die Weiterbildungsschule (8. und 9. Schuljahr) die bisherige Real- und Sekundarschule ab. 71% der Schüler traten von der Primar- und Orientierungsschule - diese hatte vor drei Jahren ihren Betrieb aufgenommen - in die Weiterbildungsschule über, der Rest in das neu fünf Jahre dauernde Gymnasium. Drei Fächer werden an der Weiterbildungsschule in zwei Niveaus erteilt. Eine breit angelegte Konsultation der Baselbieter Regierung zur Zukunft der Sekundarstufe I und zur Integration von Progymnasium, Sekundar- und Realschule ergab in
Baselland wenig Zustimmung, hingegen wurde ebenfalls mehr Durchlässigkeit zwischen den Stufen gefordert. Die
Zürcher Stimmbürger nahmen eine
Oberstufenreform an, wonach Gemeinden künftig wählen können, ob sie Jugendliche zwischen dem 7. und dem 9. Schuljahr in eine - dem traditionellen Muster folgende - dreiteilige Oberstufe (Sekundar-, Real- und Oberschule) oder in das seit zwanzig Jahren entwickelte gegliederte Modell für die Oberstufe der Volksschule schicken wollen. Mit dieser salomonischen Lösung wurde ein langjähriger Streit über das bessere System beendet. Das gegliederte Modell kennt zwei Stammklassen mit unterschiedlichen Anforderungen und drei Niveaugruppen für einzelne Fächer. Auch beim traditionellen dreiteiligen Modell wurde die Durchlässigkeit zwischen den Stufen aber erhöht
[5].
In St. Gallen wurden die
Fünftagewoche für die ganze Volksschule
und
Blockzeiten für die Primarschule ab dem Sommer Realität. Auch Thurgau und Glarus beschlossen die Streichung des Samstagunterrichts, während die Regierung Schaffhausens, wo seit 1994 Versuche mit der Fünftagewoche laufen, deren definitive Einführung in die Vernehmlassung gab. Appenzell Innerrhoden führte eine Konsultativabstimmung zur Fünftagewoche durch. Die Aargauer Regierung sprach sich zuerst dafür aus, die Einführung der Fünftagewoche und Blockzeiten den Gemeinden zu überlassen, wie dies etwa auch Zürich kennt, schwenkte aufgrund der Vernehmlassungsergebnisse dann aber auf eine Kantonslösung mit Dispensmöglichkeit für infrastrukturell überforderte Gemeinden ein. Baselstadt beschloss die definitive Einführung der Blockzeiten an den Primarschulen, die seit 1995 als Versuch laufen. Für die Genfer Primarschülerinnen und Primarschüler gilt seit dem Sommer gar die
Viertagewoche [6].
Die Schwyzer Regierung machte einen Reformschritt von 1993, wonach
Hausaufgaben in der Primarschule in den Schulunterricht integriert werden sollen, wieder rückgängig. Von seiten der Lehrer wie der Eltern bestanden Ängste bezüglich Leistungsabbau und dem Verlust der Brücke zwischen Schule und Elternhaus. Der Kanton St. Gallen wollte an den Volksschulen ein neues Notensystem einführen, das
Fleiss und soziales Verhalten aufwerten und gar der Leistungsnote gleichsetzen sollte. Weil sich viele Lehrer aber dagegen wehrten, wurde die Einführung verschoben. Im Aargau löste ein Vorschlag der Regierung, Notenzeugnisse erst ab der dritten Klasse und später nur ein Zeugnis pro Jahr abzugeben, in Lehrerkreisen Protest aus
[7].
Im Tessin lancierten die Privatschulen eine Initiative für die freie Schulwahl und die Einführung eines
Bildungsbonus. Zwei Monate später konnten sie die auch von der CVP unterstützte Initiative mit fast 25 000 Unterschriften einreichen. Familien, die ihr Kind an eine Privatschule schicken, sollen vom Kanton einen Beitrag in der Höhe von 20 bis 50% derjenigen Kosten erhalten, auf die sich die staatliche Schule belaufen hätte
[8].
Die Stimmbürger Graubündens stimmten einer Teilrevision des Schulgesetzes zu, wonach auch die deutschsprachigen Schülerinnen und Schüler bereits in der
Primarschule eine
Zweitsprache erlernen sollen. Sie waren gesamtschweizerisch die einzigen, die erst auf der Sekundarstufe eine Zweitsprache erlernten. Die Gemeinden können ab 1999 entscheiden, ob sie von der vierten Klasse an Italienisch oder Romanisch als obligatorische Zweitsprache erteilen wollen. Der Erziehungsrat des Kantons Zürich eröffnete eine Vernehmlassung zur Einführung des
obligatorischen Englischunterrichts an der Volksschuloberstufe und in den unteren Klassen des Langzeitgymnasiums. Dafür sollte der Französischunterricht um eine Wochenlektion reduziert werden. Der geplante Abbau beim Französisch löste landesweit Proteste aus. Nachdem sich in der Vernehmlassung jedoch eine klare Mehrheit für einen möglichst frühen Unterricht in der Weltsprache aussprach, entschied der Erziehungsrat, dass auf 1999 hin Englisch ab dem 7. Schuljahr obligatorisch wird. Eine Expertenkommission soll prüfen, wie Englisch in den Fremdsprachenunterricht integriert werden kann, ohne dass Französisch und Italienisch deklassiert werden
[9].
In verschiedenen Kantonen wurde eine
Neuverteilung der Aufgaben zwischen Kanton und Gemeinden im Bereich Volksschule diskutiert, jedoch vorläufig ohne konkrete Auswirkungen. In Baselland wehrten sich Lehrerkreise erfolgreich gegen mehr Entscheidungsbefugnisse für die Gemeinden, da sie uneinheitliche Anstellungsbedingungen fürchteten. Aber auch die Forderung einer Zentralisierung beim Kanton hatte im Landrat keine Chance. Klar stimmten die Baselbieter in einer Volksabstimmung jedoch der Übernahme der Realschul-Trägerschaft durch den Kanton zu. In Schaffhausen löste der Vorschlag des Finanzdepartements, die Volksschule zu kommunalisieren, beim Erziehungsdepartement wenig Freude aus. Der Solothurner Regierungsrat setzte eine zweite Arbeitsgruppe zur Kommunalisierung der Volksschule ein, nachdem sich eine erste Arbeitsgruppe für mehr kantonale Entscheidungskompetenzen ausgesprochen hatte. Die Luzerner Regierung legte ein Gesetz über die Volksschulbildung vor, das die Volksschule zur Verbundaufgabe von Kanton und Gemeinden machen will
[10].
Im Kanton Zürich lief das Projekt "
teilautonome Volksschulen" an. 20 Primar- und Oberstufenschulen erhielten ein Globalbudget und vollständige Freiheit in der Gestaltung der Stundenpläne. 1999 sollen die Grundsatzentscheide über eine allgemeine Einführung fallen
[11].
In diversen Kantonen kam es wegen Sparmassnahmen und der Streichung von Stellen zum Konflikt zwischen Regierung und Lehrern. Der Basler Erziehungsrat sah sich aufgrund einer Sparvorgabe gezwungen, die
Lektionenzahl vom fünften Schuljahr an um 5% zu reduzieren. Den Rektoraten steht frei, ob sie grössere Klassen einführen oder auf Wahlfächer verzichten wollen. Zusätzlich wurde die Pflichtstundenzahl für Lehrkräfte um eine Lektion erhöht. Lehrerkreise ergriffen das Referendum. Im Kanton Luzern müssen die Lehrkräfte der Sekundarstufe II und des Untergymnasiums ab 1998 wöchentlich ein bis zwei Lektionen und in Obwalden die Gymnasiallehrer zwei Lektionen mehr erteilen. Mehrere Kantone diskutierten zudem die Einführung von
Leistungslöhnen für Lehrer; die Zürcher Regierung gab ein konkretes Beurteilungsmodell in die Vernehmlassung. Aufgrund der verschiedenen Reformen im Kanton Zürich forderten rund 1200 Volksschullehrer an einer Kundgebung "weniger Reformhektik und mehr Mitsprache". In einem Punkt entgegen kam die Berner Regierung den Primarlehrern: Um der hohen
Lehrerarbeitslosigkeit zu begegnen, können sich diese 1998 mit 60 Jahren ohne Renteneinbusse pensionieren lassen
[12].
Aufgrund der Annahme der Empfehlungen zur Lehrerbildung und zu den Pädagogischen Hochschulen der EDK von 1995 sind alle Kantone daran, ihre Lehrerbildung neu zu gestalten und
kantonale, regionale und interkantonale Pädagogische Hochschulen zu errichten (Tertiärisierung). Als letzter Zentralschweizer Kanton stimmte die Schwyzer Regierung einer Pädagogischen Hochschule
Zentralschweiz zu, an der alle künftigen Lehrpersonen für den Kindergarten und die obligatorische Schulzeit ausgebildet werden sollen. Insbesondere in Zug und Luzern ist der Widerstand gegen eine einheitliche Lehrerausbildung, die die Auflösung der Seminare zur Folge hätte, jedoch gross. In Luzern wurde eine kantonale Initiative für den Erhalt der Seminare auf Primarlehrerstufe lanciert. Die Regierungen der Kantone Aargau, Zürich, St. Gallen und Graubünden gaben die Grundlagen für je eine eigene Pädagogische Hochschule in die Vernehmlassung. Zürich prüfte die Ausbildung aller Lehrkräfte auf Volksschulstufe zu
Fächergruppenlehrern; die Abschaffung der Formel "Pro Klasse eine Lehrkraft" und des Allrounderprinzips stiess in der Vernehmlassung bei Lehrkräften jedoch fast durchweg auf Ablehnung. Auf Primarstufe, nicht aber auf Oberstufe, nahm die Regierung deshalb Abstand von diesem Konzept. Auch St. Gallen will künftig alle Lehrkräfte zu Klassenlehrern ausbilden. Damit würde die Ausbildung der Handarbeits- und Hauswirtschaftslehrerinnen aufgegeben
[13].
[1] Presse vom 14.6.97. Die Schweiz hatte 1995 am bisher grössten internationalen Bildungsforschungsprojekt teilgenommen, bei dem die mathematischen und naturwissenschaftlichen Schulleistungen von rund einer halben Million Jugendlichen aus über 40 Ländern getestet wurden.1
[2] Presse vom 19.2.97. Die "Agenda 21" wurde 1992 an der UNO-Konferenz von Rio verabschiedet und strebt die nachhaltige Entwicklung an.2
[3]
Lit. EDK (Reformprojekte Schule Schweiz).3
[4] VS:
NF, 14.10. und 18.10.97;
NZZ, 24.10.97. AG:
AZ, 10.6. und 17.10.97.4
[5] BS:
BaZ, 27.2. und 12.8.97. BL:
BaZ, 8.1.97. ZH:
NZZ und
TA, 13.9.97.5
[6] SG:
SGT, 2.7.97. TH:
SGT, 23.10.97. GL:
TA, 5.5.97. SH:
SN, 11.12.97. AI:
SGT, 22.2.97. AG:
AZ, 11.1. und 10.6.97. BS:
BaZ, 13.11.97. GE:
JdG, 22.8.97.6
[7] SZ: Presse vom 25.2.97. SG:
SGT, 19.6.97. AG:
BaZ, 20.11.97.7
[8]
CdT, 25.2., 14.3. und 29.4.97. Namhafte Politiker publizierten daraufhin ein Manifest für die Verteidigung der öffentlichen Schulen (
CdT, 3.6. und 27.9.97).8
[9] GR:
BüZ, 7.2. und 3.3.97. ZH: Presse vom 13.2. und 17.12.97. BE, BL, VD und JU kennen ein Englisch-Obligatorium ab dem 7. Schuljahr bereits. Für Aufsehen sorgte auch ein von der Regierung wohlwollend aufgenommener FDP-Vorstoss im Zürcher Kantonsrat, der Englisch bereits ab der zweiten Primarklasse fordert (
TA, 29.8.97). Zur nationalen Sprachendiskussion Englisch-Französisch, die aufgrund des Zürcher Modells ausbrach, siehe auch unten, Teil I, 8b (Sprache).9
[10] BL:
BaZ, 16.5. und 29.9.97. SH:
SN, 20.12.97. SO:
SZ, 30.6.97. LU:
NLZ, 11.12.97.10
[12] BS:
BaZ, 28.10. und 6.12.97. LU:
NLZ, 9.9.97. ZH:
TA, 29.10. und 27.11.97. BE:
BZ, 30.10.97.12
[13] Innerschweiz:
NLZ, 8.1. und 24.9.97. AG:
AZ, 14.10.97. GR:
BüZ, 2.5.97. ZH:
NZZ, 6.8.97. Vgl.
SPJ 1995, S. 278 und
1996, S. 293.13
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