Année politique Suisse 1997 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
 
Sprachen
Nach kurzer Diskussion beschloss der Ständerat die Ratifizierung der Europäischen Charta über die Regional- und Minderheitensprachen nahezu einstimmig. Bedenken, dieses Abkommen sei zu regelungsdicht und tangiere die nationale Souveränität, wie sie etwa Schmid (cvp, AI) in seinem Nichteintretensantrag vorbrachte, wurden vom Kommissionssprecher und von Bundesrätin Dreifuss entkräftet. Sie wiesen darauf hin, dass die Charta keine Massnahmen von der Schweiz verlangt, die nicht schon ohnehin zum Schutz des Italienischen und des Rätoromanischen ergriffen worden sind, da sich die Signatarstaaten lediglich dazu verpflichten, die geschichtlich gewachsenen nationalen Minderheitensprachen in deren angestammtem Territorium zu schützen. Insbesondere geht es nicht darum, die Dialekte oder die Sprachen der Zuwanderer besonders zu berücksichtigen. Die Konvention begründet keine kollektiven oder individuellen Rechte, und sie ist auch nicht direkt anwendbar. Der Nationalrat schloss sich in seiner Herbstsession dem Ständerat praktisch diskussionslos an. Ein Minderheitsantrag aus SD- und SVP-Kreisen, der mit ähnlichen Argumenten wie Schmid für Nichteintreten plädierte, wurde ganz klar verworfen. Ende Dezember unterzeichnete die Schweiz als siebtes Mitgliedsland des Europarates die Charta und hielt gleichzeitig fest, dass die Konvention in der Schweiz auf das Italienische und Rätoromanische anzuwenden sei [28].
Ausgehend von den Ergebnissen der Volkszählung von 1990 veröffentlichte das Bundesamt für Statistik (BFS) eine Studie zur Sprachenlandschaft Schweiz. Dieser Untersuchung zufolge sind die Grenzen zwischen den vier Landessprachen ziemlich gefestigt. Das Deutsche weist - gemessen an der Gesamteinwohnerzahl - einen Anteil von 63,6% aus, das Französische einen solchen von 19,2%; es hat sich trotz einer hohen Zahl anderssprachiger Zuwanderer gemäss BFS sehr gut behauptet. Der Anteil des Italienischen ist aufgrund des Rückgangs der italienischen Immigration zwar leicht auf 7,6% gesunken, im italienischen Sprachgebiet selber aber angestiegen. Einzig die Rätoromanen leben immer weniger in einem fest umrissenen Gebiet, und für viele von ihnen ist Deutsch zur Umgangssprache geworden. Das BFS konstatierte, dass das Rätoromanische in den beruflich aktiven Jahrgängen untervertreten ist. Generell sei eine Überalterung der Romanischsprechenden festzustellen, was keine besonders günstige Zukunftsprognose ergebe. Hoffnung für das Wiedererstarken der Sprache biete jedoch die Schule, denn bei den Schülern in Gemeinden mit Rätoromanisch als Unterrichtssprache seien überdurchschnittlich hohe Prozentwerte für den Gebrauch dieser Sprache festzustellen. Markant ist der Vormarsch des Englischen im Berufsleben. Rund 15% der Erwerbstätigen gaben an, Englisch in den beruflichen Kontakten häufig zu verwenden; bei Dienstleistungskaufleuten, Medienschaffenden, Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaftern sind es sogar 30%. Trotzdem verständigen sich die Menschen im Beruf zu 95% in der Umgangssprache ihres Sprachgebietes. Aber auch hier bildet das Rätoromanische eine Ausnahme, denn mit 70% ist es als Umgangssprache im Beruf deutlich weniger präsent [29].
Eine Nationalfondsstudie ging der Frage nach, wieviel die öffentliche Hand in den verschiedenen Landesteilen für den Fremdsprachenunterricht an den Schulen ausgibt und welche Prioritäten sie dabei setzt. Dabei zeigten sich signifikante Unterschiede zwischen der Deutschschweiz, der Romandie und dem Tessin. In der deutschen Schweiz werden durchschnittlich pro Schüler und Jahr 1592 Fr. ausgegeben: 778 Fr. fliessen in den Französischunterricht, dicht gefolgt vom Englischen (696 Fr.); bereits weit abgeschlagen figurieren Italienisch (88 Fr.), Spanisch (22 Fr.) und Rätoromanisch (8 Fr.). In den welschen Schulen, wo durchschnittlich 1463 Fr. pro Jahr ausgegeben werden, wird Romanisch überhaupt nicht und Spanisch (3 Fr.) kaum angeboten, während das Italienische (90 Fr.) ungefähr den gleichen - geringen - Stellenwert hat wie in der Deutschschweiz. Im Unterschied zu dieser hat aber der Deutschunterricht ganz klar Vorrang (905 Fr.) vor dem Englischen (465 Fr.). Der Kanton Tessin gibt am meisten für Fremdsprachenunterricht aus, nämlich 1713 Fr. pro Jahr und Schüler. Erste Priorität hat hier das Französische (792 Fr.), dicht gefolgt vom Deutschen (646 Fr.); Englisch wird im Tessin mit 265 Fr. ganz deutlich auf Rang 3 verwiesen [30].
Die interkantonale Konferenz der Erziehungsdirektoren der Westschweiz und des Tessins zeigten sich beunruhigt darüber, dass sich die Deutschschweiz immer offener dafür zeige, Englisch statt Französisch als erste Fremdsprache zu unterrichten. Sie verlangte deshalb eine Debatte über eine einheitliche Politik und forderte, dass die Kantone die in den siebziger Jahren beschlossene Regelung wieder vermehrt beachten, wonach die erste Fremdsprache eine Landessprache sein muss. Ihre Besorgnis erhielt neue Nahrung durch den Entscheid des Erziehungsrates des Kantons Zürich, das Fach Englisch zumindest probeweise als obligatorischen Unterricht an der Volksschuloberstufe sowie an den unteren Klassen der Langzeitgymnasien einzuführen. Die Erziehungsdirektorenkonferenz appellierte an die Kantone, bis zum Vorliegen eines nationalen Fremdsprachenkonzepts, welches für Sommer 1998 in Aussicht gestellt wurde, alle diesbezüglichen Entscheidungen auszusetzen [31].
Der Bundesrat erliess auf den 1. April eine neue Weisung zur Förderung der Mehrsprachigkeit in der Bundesverwaltung. Die französisch- und italienischsprachigen Mitarbeiter der Bundesverwaltung sollen sich bei der Arbeit verstärkt ihrer eigenen Sprache bedienen können [32].
Mit einem Bundesgerichtsurteil wurde erneut der Frage nachgegangen, welchen Stellenwert das Territorialitätsprinzip im zweisprachigen Kanton Freiburg haben soll. Die Lausanner Richter unterstützen das Freiburger Verwaltungsgericht, welches einer deutschsprachigen Familie aus der heute zu gut 40% germanophonen Gemeinde Crissier ein rein auf Deutsch geführtes Gerichtsverfahren verweigert hatte. Das Bundesgericht befand, eine Gemeinde mit so geringer Einwohnerzahl wie Crissier (rund 500 Personen) könne erst nach mindestens zwei Jahrzehnten mit einer starken anderssprachigen Minderheit als echt zweisprachig bezeichnet werden [33].
Als erste Stadt gab sich Biel - mit finanzieller Unterstützung des Kantons Bern - einen "Monsieur Bilingue", welcher das Ende 1996 gegründete Forum für die Zweisprachigkeit leitet. Diese Institution will den Bilinguismus professionell fördern und sich mit den besonderen Problemen des Zusammenlebens verschiedener Sprachgruppen in einer zweisprachigen Stadt und Region befassen [34]. Ebenfalls in Biel nahm eine jahrzehntelange paradoxe Situation ein Ende. Während 42 Jahren lebten das deutschsprachige Gymnasium und das französischsprachige Lycée unter einem Dach, vermieden aber ostentativ jeden Kontakt. Nun rauften sich die Leiter der beiden Lehranstalten zusammen und boten erstmals eine zweisprachige Maturitätsausbildung an [35].
Zum Konzept der SRG zur Förderung des Kontakts unter den Sprachregionen siehe unten, Teil I, 8c (Radio und Fernsehen).
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Deutsch
Analog zur Entwicklung in Deutschland und Österreich wurde auch in der Schweiz die 1996 in Wien unterzeichnete Absichtserklärung über die Rechtschreibereform der deutschen Sprache vor allem von Politikern der äussersten Rechten bekämpft. In seiner Stellungnahme zu einer Interpellation Keller (sd, BL) bezeichnete der Bundesrat die Reform als sehr massvoll, da sie sich weitgehend darauf beschränke, Unsicherheiten und Stolpersteine auszuräumen. Die Behauptung, die Reform führe zu übertriebenen Kosten habe sich in keiner Weise bewahrheitet, da die lange Übergangszeit von rund sieben Jahren eine gleitende Anpassung der Lehrmittel ermögliche [36].
Ein ehemaliger Landrat aus dem Kanton Baselland reichte daraufhin bei einem Gericht im Kanton Bern eine Klage ein, welche verlangte, die Erziehungsdirektoren seien im Sinn einer vorsorglichen und einstweiligen Massnahme anzuweisen, sämtliche Schritte zur Einführung der neuen deutschen Schreibweise zu sistieren, bis in der Bundesrepublik ein endgültiger Entscheid zu dieser Frage gefallen sei. Die Erziehungsdirektorenkonferenz sah sich trotz dieser Klage keineswegs gemüssigt, von ihren Plänen, die Reform ab 1998 schrittweise einzuführen, abzuweichen. Auch sie betonte, die Reform sei sinnvoll, gehe nicht zu weit und bilde vor allem für die Schulen eine Erleichterung. Das Berner Gericht trat auf die Klage ohnehin nicht ein, weil der Kläger nicht glaubhaft machen konnte, dass er durch die Reform in seinen persönlichen Rechten betroffen sei [37].
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Französisch
Bereits zum dritten Mal wurde die Schweiz an dem alle zwei Jahre stattfindenden Frankophonie-Gipfel nicht von der für die Sprachenpolitik zuständigen Bundesrätin Dreifuss, sondern vom jeweiligen Bundespräsidenten vertreten. Damit kommt zum Ausdruck, dass es sich bei den Frankophonie-Gipfeln - zumindest aus Sicht der Schweiz - weniger um ein sprachpolitisches, sondern vielmehr um ein allgemeines aussenpolitisches Forum handelt. Aus diesem Grund werden diese Treffen inskünftig oben, Teil I, 2 (Organisations internationales) behandelt.
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Italienisch
Italienisch wird für die deutschsprachigen Bündner Schülerinnen und Schüler ab dem Schuljahr 1999/2000 zur obligatorischen Frühfremdsprache (ab der 4. Klasse). Diesen Entscheid fällte das Stimmvolk mit einer satten Zweidrittelsmehrheit. Anstelle des Italienischen können die Gemeinden auch das Rätoromanische für obligatorisch erklären. In Genf wird ab dem Schuljahr 1998/1999 neben Deutsch auch Italienisch als erste Fremdsprache angeboten [38].
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Rätoromanisch
Nationalrätin Semadeni (sp, GR) gab mit einer einfachen Anfrage ihrer Besorgnis darüber Ausdruck, dass das Rätoromanische an den 1998 stattfindenden Feierlichkeiten "150 Jahre Bundesstaat" sowie an der Expo 2001 zu kurz kommen könnte. In seiner Antwort bekräftigte der Bundesrat seinen Willen, dass bei den Projekten, die der Bund selber realisiert, das Rätoromanische angemessen berücksichtigt werden soll. Dies gelte insbesondere für Projekte, die auch im rätoromanischen Sprachraum gezeigt würden. Er werde sich darüber hinaus dafür einsetzen, dass einzelne der rund 40 für 1998 von dritter Seite geplanten und mit Bundeshilfe umzusetzenden Projekte ganz oder teilweise auch in Rumantsch Grischun realisiert werden [39].
Ende Jahr wurde erstmals im Bundesblatt der rätoromanische Text einer eidgenössischen Volksinitiative veröffentlicht. Bei der Revision des Sprachenartikels in der Bundesverfassung war 1996 Romanisch zur Teilamtssprache erhoben worden. Gestützt auf diesen Verfassungsartikel und die entsprechende Verordnung verlangten die Urheber des Begehrens "Arbeitsverteilung" eine amtliche Übersetzung ihres Textes in Rumantsch Grischun [40].
Für die Aufnahme des Betriebs einer rätoromanischen Nachrichtenagentur sowie die Lancierung der rätoromanischen Tageszeitung "La Quotidiana" siehe unten, Teil I, 8c (Presse).
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Englisch
Die Eidgenössische Technische Hochschule (ETH) Zürich führte Englisch als die vierte offizielle Unterrichtssprache ein. Jede der 19 Abteilungen wurde beauftragt, mindestens eine Vorlesung auf Englisch anzubieten. Die Dozenten sollen in erster Linie aus dem angelsächsischen Raum kommen, was nicht schwer zu realisieren ist, da dies bereits heute auf 10% der Professorenschaft zutrifft. Ziel der Massnahme sind nicht nur verbesserte Sprachkenntnisse der angehenden Schweizer Ingenieure, Architekten und Naturwissenschafter, was deren Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Arbeitsmarkt erhöht. Es soll auch der zunehmenden Konkurrenz ausländischer Hochschulen begegnet werden. Skandinavische und osteuropäische Lehranstalten bieten schon heute ganze Lehrgänge in Englisch an und locken damit Ausländer (Dozenten und Studenten) an, die nicht bereit sind, die entsprechende Landessprache umfassend zu erlernen [41].
 
[28] BBl, 1997, I, S. 1165 ff.; Amtl. Bull. StR, 1997, S. 648 ff.; Amtl. Bull. NR, 1997, S. 1732 ff.; NZZ, 11.8. und 24.12.97. Siehe SPJ 1996, S. 312.28
[29] Lit. Eidg. Siehe SPJ 1993, S. 260 und 1996, S. 313.29
[30] Lit. Grin / Sfreddo; NQ, 25.8.97.30
[31] SGT, 25.6.97; NZZ, 13.2., 11.10. und 17.12.97; TA, 31.10.97; 24 Heures, 12.11., 13.11. und 27.11.97; NQ, 20.11. und 17.12.97; Bund, 24.12.97; BaZ, 27.10.97. Siehe dazu auch die Antwort auf eine Interpellation Hubmann (sp, ZH): Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2883 ff. In der Romandie wünschen sich Schüler und Eltern grossmehrheitlich Englisch als erste Fremdsprache, doch scheinen die Erziehungsverantwortlichen gewillt, an einer der Landessprachen festzuhalten (Ww, 13.2.97; TA, 22.11.97; SGT, 22.12.97).31
[32] BBl, 1997, II, S. 529 ff.; Presse vom 20.2.97. Siehe dazu oben, Teil I, 1c (Verwaltung).32
[33] Lib., 14.2.97. Siehe SPJ 1993, S. 262.33
[34] Lib., 4.2.97; NQ, 16.7.97; TA, 22.8.97; QJ, 20.9.97.34
[35] NQ, 24.9.97.35
[36] Amtl. Bull, NR, 1997, S. 1580 f. Der BR beantragte dem NR auch, eine entsprechende Motion der FP abzulehnen (Verhandl. B.vers., 1997, V, Teil II, S. 71); TA, 31.7., 19.8. und 29.8.97. Siehe SPJ 1996, S. 312 f.36
[37] Bund, 25.10.97; BüZ, 14.11.97; SZ, 29.12.97.37
[38] BüZ, 19.2., 24.2. und 19.11.97; NLZ, 3.3.97; NZZ, 27.3.97; CdT, 20.2., 4.3. und 7.11.97. Siehe SPJ 1994, S. 268.38
[39] Amtl. Bull. NR, 1997, S. 2927 f.39
[40] BBl, 1997, IV, S. 1348 f. Siehe SPJ 1996, S. 313 f. Zur Initiative vgl. oben, Teil I, 7a (Arbeitszeit).40
[41] TA, 8.4.97. Bisher galt an der ETH in Zürich die Regel, dass ausländische Dozenten während zwei Jahren ihre Lehrveranstaltung auf Englisch halten durften, dann aber zu Deutsch überzugehen hatten. Den Studenten wurde schon seit Jahren die Möglichkeit eingeräumt, ihre Prüfungen auf Englisch abzulegen, doch wurde wegen der Fachausdrücke kaum von diesem Angebot Gebrauch gemacht.41