Année politique Suisse 1999 : Bildung, Kultur und Medien / Kultur, Sprache, Kirchen
Kirchen
Der Ständerat sprach sich bereits mehrmals für eine
Abschaffung des Bistumsartikels aus, welcher zur Errichtung neuer oder zur territorialen Veränderung bestehender Bistümer die Zustimmung des Bundes voraussetzt. Nachdem er bei der Verfassungsdiskussion mit seinem Ansinnen gegenüber Bundes- und Nationalrat unterlegen war, hatte er die Landesregierung beauftragt, Entwürfe für eine entsprechende Teilrevision des Grundgesetzes in eine
Vernehmlassung zu geben. Diese fiel bedeutend kontroverser aus als von der kleinen Kammer erwartet. Die vier Bundesratsparteien sprachen sich für eine Abschaffung aus, ebenso die Schweizerische Bischofskonferenz, welche einmal mehr festhielt, dass es sich hier in erster Linie um ein antikatholisches Relikt aus der Zeit des Kulturkampfes handle. Wichtige Basisorganisationen (Römisch-katholische Zentralkonferenz, Katholischer Frauenverband) meldeten hingegen
Widerstand an und meinten, vor einer Abschaffung müssten mit dem Vatikan ganz klare Abmachungen über die Mitsprache des Kirchenvolkes bei der Wahl von Bischöfen stipuliert werden. Auch der Evangelische Kirchenbund und die Christkatholische Kirche lehnten eine bedingungslose Streichung ab; ihrer Meinung nach sollten die Beziehungen zwischen Kirche und Staat in einem speziellen Verfassungsartikel umfassend geregelt werden. Die meisten katholisch dominierten Kantone votierten für die Abschaffung. Bern wollte grundsätzlich am Bistumsartikel festhalten; Zürich und Genf vertraten die Auffassung, eine Aufhebung sei zumindest verfrüht
[28].
Die Ergebnisse der Vernehmlassung bewogen die Staatspolitische Kommission des Ständerates, das Tempo zu drosseln – vorgesehen war ursprünglich eine Volksabstimmung im Lauf des Jahres 2000 – und weitere Interessenvertreter anzuhören. Nach diesen Hearings kam sie zum Schluss, dass eine
isolierte Streichung des Bistumsartikels
unnötige Diskussionen und unerwartete Emotionen auslösen könnte. Die SPK verzichtete deshalb darauf, diese dem Plenum zu unterbreiten. Mit einer Motion wollte sie dagegen den Bundesrat auffordern, eine umfassende Änderung von Art. 72 der Bundesverfassung vorzubereiten und das Anliegen mit einer Vorlage über das generelle
Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften zu erfüllen
[29].
Dieser Zickzackkurs der Kommission war gar nicht nach dem Geschmack des abtretenden Urner CVP-Vertreters Danioth. Er stellte deshalb im Plenum den Antrag, die parlamentarische Initiative von alt Ständerat Huber sei an die Kommission zurückzuweisen mit dem Auftrag, eine neue Vorlage zwecks Streichung des Bistumsartikels vorzulegen. Der
Ständerat teilte zwar die Auffassung, dass der Artikel die römisch-katholische Kirche völkerrechtlich diskriminiert und deshalb nicht in eine moderne Verfassung gehört, wollte aber dennoch die
Frage erst später lösen. Bundesrätin Metzler anerkannte das „emotionale Potenzial“ der Vorlage, gleichzeitig erklärte sie, der Bundesrat sei enttäuscht, dass es offenbar nicht gelinge, die letzte konfessionelle Ausnahmebestimmung rasch aus der Verfassung zu tilgen. Mit 20 zu 18 Stimmen wurde der Antrag Danioth abgelehnt, worauf die oben erwähnte Motion der SPK ohne weitere Diskussion überwiesen wurde
[30].
Das Bundesgericht verneinte einen Anspruch von ausserchristlichen Glaubensgemeinschaften auf
Begräbnismöglichkeiten im öffentlichen Raum, wenn deren Riten den Bestattungsverordnungen in der Schweiz widersprechen, befand aber, dass man insbesondere den Musulmanen die Möglichkeit geben sollte, eigene Friedhöfe zu eröffnen. Dieses Urteil bewog die Gesundheitsdirektion des Kantons
Zürich, den Wunsch der Muslime nach separaten Grabfeldern auf öffentlichen Friedhöfen endgültig abschlägig zu beantworten
[31]. Anders verhielt sich die Stadt
Bern, welche den Moslems ab 2000 auf einem der städtischen Friedhöfe ein eigenes Gräberfeld zur Verfügung stellen wird, in welchem die Gläubigen des Islam zwar nicht vollumfänglich nach den Ritualen ihrer Religion, aber dennoch nach deren wichtigsten Regeln (Ausrichtung auf Mekka, möglichst lange – wenn auch nicht ewige – Grabesruhe) bestattet werden können
[32].
Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates stellte einen Bericht zur Sektenproblematik in der Schweiz vor. Dieser verlangt vom Bundesrat, in diesem Bereich endlich eine unmissverständliche politische Haltung zum Ausdruck zu bringen, eine gesamtschweizerische und konfessionell unabhängige Informations- und Beratungsstelle einzurichten sowie mit Informationskampagnen über die vereinnahmenden Tendenzen solcher Gruppierungen aufzuklären. Nach Ansicht der Kommission lässt sich das Desinteresse der Behörden nicht länger mit dem Verweis auf die Religionsfreiheit rechtfertigen. Der Staat sei hier sehr wohl gefordert, denn die Indoktrinierung durch derartige Bewegungen stelle ein gesellschaftliches Problem dar, dem nicht einfach mit Gleichgültigkeit begegnet werden könne, vor allem da die Schweiz neben England und den Niederlanden das Land sei, in dem proportional zur Bevölkerung am meisten vereinnahmende Bewegungen bestehen.
Gravierende Gesetzeslücken machte die GPK nicht aus, meinte aber, es könnten beim Konsumentenschutz (Täuschung und Übervorteilung), der kantonalen Gesundheitsgesetze (Schutz vor dubiosen Heilverfahren) sowie beim Kinderschutz (wenn die Eltern in Sekten aktiv sind) noch Handlungsmöglichkeiten bestehen; insbesondere dachte die Kommission an gesetzliche Leitplanken, wie sie bei Kleinkrediten oder beim Leasinggeschäft angewendet werden.
Die GPK befasste sich bei ihrer Untersuchung bewusst nicht mit einzelnen Gruppen, sondern mit den
Methoden der Vereinnahmung, der Abhängigkeit der Anhänger, den totalitären Strukturen sowie den finanziellen, arbeitsrechtlichen, sozialen und seelischen Schäden, die Anhänger von vereinnahmenden Bewegungen erleiden können. Namentlich nannte die Kommission die geistige Entmündigung und die Entfremdung von den Familien. Die GPK erhofft sich von ihrer Arbeit vor allem auch einen Aufklärungseffekt. Wie Kommissionspräsident Tschäppät (sp, BE) bei der Präsentation des Berichtes ausführte, soll der Bundesrat mit einer offenen Informationspolitik über Sekten ein klares Signal in der Bevölkerung setzen, den Betroffenen Mut geben, sich öffentlich zu äussern und damit entscheidend zur Prävention beitragen. Gerade in diesem
Graubereich zwischen persönlicher Freiheit und Gesetzesverletzung sei eine klare Haltung des Staates von grosser Bedeutung
[33].
An der Universität Lausanne wurde Ende Jahr ein
„Observatoire des religions“ eröffnet, welches sich vor allem mit der Erfassung von Sektenaktivitäten in der Schweiz beschäftigen wird. Die Idee für dieses Institut geht auf den kollektiven Selbstmord von Anhängern des sogenannten „Sonnentemplerordens“ 1994 und 1995 zurück. Damals hatte alt Nationalrat Zisyadis (pda, VD) vergeblich die Schaffung eines Bundesamtes für Religionsfragen verlangt
[34].
Die gegen die Aktivitäten von
„Scientology“ zielende, 1998 erlassene neue Regelung im Übertretungsstrafrecht des Kantons Basel-Stadt, wonach es auf öffentlichem Grund verboten ist, Passanten unlauter anzuwerben, hielt vor Bundesgericht stand. Ob „Scientology“ als Religionsgemeinschaft zu betrachten ist, wurde von den Lausanner Richtern allerdings nicht abschliessend beurteilt
[35].
[28]
24h, 20.4.99;
BaZ, 5.5.99. Siehe
SPJ 1998, S. 329. Der Widerstand der katholischen Basisbewegung erklärte sich durch die langjährigen Querelen um den äusserst umstrittenen Churer Exbischof Haas (vgl. dazu
SPJ 1997, S. 329 ff.).28
[29] Presse vom 12.5.99;
NZZ, 25.8.99.29
[30]
Amtl. Bull. StR, 1999, S. 900 ff. Siehe
SPJ 1998, S. 329.30
[31] Presse vom 8.5.99;
NLZ, 15.9.99;
TA, 24.9.99.31
[32]
Bund, 12.11.99. Nach wie vor keine Lösung ist für die Hindus abzusehen, welche die Asche ihrer Verstorbenen nach den Gesetzen ihres Glaubens einem fliessenden Gewässer übergeben sollten, was ihnen vom Schweizer Gewässerschutz her verboten ist (
Bund, 10.11.99).32
[33]
BBl, 1999, S. 9884 ff.; Presse vom 3.7.99.33
[34]
24h und
Lib., 10.12.99. Vgl.
SPJ 1995, S. 298 und
1997, S. 331.34
[35] Presse vom 1.7.99;
NZZ, 5.1.99. Siehe
SPJ 1997, S. 331 f.35
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