Année politique Suisse 1999 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Medienpolitische Grundfragen
Eine Univox-Studie über das Medienverhalten der Schweizerischen Bevölkerung wies einen Bedeutungszuwachs des Fernsehens aus. Knapp 40% der befragten Personen gaben an, in erster Linie die SRG-Kanäle zu nutzen, um sich zu informieren; hingegen waren es nur 22%, welche die Zeitung als erste Informationsquelle nannten. Dieser seit 1988 beobachtbare Wandel zugunsten des Fernsehens manifestierte sich auch in einem Bedeutungsverlust der SRG-Radios, wobei die DRS-Sender in der Deutschschweiz gegenüber den Westschweizer Schwesterprogrammen mehr Beachtung fanden. Trotz rückläufiger Tendenz blieb die Tageszeitung aber dennoch das am häufigsten genutzte Medium. Zwei Drittel der Erwachsenen lesen sie fast täglich. Seit 1986 stabil war die Zufriedenheit des Publikums mit Presse, Radio und Fernsehen (92% Zufriedene) [1].
Angesichts des sich fortsetzenden Wandels in Richtung Personalisierung und Kommerzialisierung in der politischen Kommunikation wurden im Berichtsjahr die Auswirkungen der medialen Begleitung der Bundesrats- und Nationalratswahlen Gegenstand wissenschaftlicher Debatten. Die Kritik wendete sich insbesondere gegen eine „Amerikanisierung der Berichterstattung“. Bundesrat Leuenberger forderte überdies die Einsetzung eines Medienrats mit angesehenen Fachleuten – nicht zur Behandlung von Beschwerden oder zur Ausübung von Zensur, sondern als Anstoss für eine Qualitätsdiskussion. Mit der Überweisung eines Postulat Weigelt (fdp, SG) beauftragte der Nationalrat den Bundesrat, die Schaffung eines Medienrats im Vorfeld der anstehenden Revision des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) zu prüfen [2].
Eine Subkommission der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates (SPK) unter Peter Vollmer (sp, BE) erarbeitete eine Vorlage zur Förderung der Qualität journalistischer Arbeit, der Aus- und Weiterbildung sowie der Forschung und der Meinungsvielfalt. Die SPK verabschiedete Anfang Juli eine parlamentarische Initiative, die eine verfassungsmässige Verankerung dieser Forderungen verlangt. Die Initiative ging auf eine in ein Postulat umgewandelte Motion Zbinden (sp, AG) zurück, die den Bundesrat zu einer Regelung der Presseförderung im Rahmen der bevorstehenden Nachführung des Bundesverfassung angehalten hatte. Auf Wunsch der Kommission eröffnete der Bundesrat eine Vernehmlassung zu drei neuen Verfassungsartikeln, welche die Medien im allgemeinen, die Presse im besonderen sowie die Verankerung des Öffentlichkeitsprinzips in der Verwaltung betreffen. In ihren Vorschlägen hatte die Kommission bewusst auf direkte staatliche Eingriffe in den Wettbewerb verzichtet; hingegen sollte der Staat für Transparenz in den Medienunternehmen sorgen, Beobachtungs- und Beurteilungsaufgaben wahrnehmen sowie Schiedsrichter bei Streitigkeiten zwischen Medien und Privaten spielen. Ein besonderes Anliegen der Subkommission war zudem die Förderung und Sicherung der Qualität der journalistischen Arbeit durch Anreize zur besseren Beachtung von Sorgfalt, Fairness und Medienethik gewesen. In diese Richtung zielte auch der Vorschlag, mit einem „Wahrheitsgremium“ irreführenden Argumenten in Abstimmungskämpfen entgegenzutreten. In der Vernehmlassung umstritten war allem voran die Verankerung der Medienförderung in der Verfassung. Verleger und bürgerliche Parteien gaben ihrer Furcht vor staatlicher Einmischung Ausdruck; der Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ), deren Presserat und die Mediengewerkschaft Comedia begrüssten den Medienartikel, lehnten aber neue Gremien wie ein Medienrat oder ein Mediationsorgan für die Presse ab. Anders als Presserat und SVJ wollte aber die Comedia den Schutz der Informations- und Meinungsvielfalt durch den Bund zwingend festschreiben. Schliesslich lehnten acht Kantone, fünf Parteien (FDP, CVP, SVP, LPS und SD) sowie 18 interessierte Dritte, darunter der Vorort, die Initiative der Kommission grundsätzlich ab. Auch der Verlegerverband und die SRG konnten einer verfassungsmässigen Verankerung der Presseförderung nichts abgewinnen. Nur den Bereichen Weiterbildung und Forschung sowie dem Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung waren widerspruchslose Zustimmung vergönnt [3].
Der Verband Schweizer Privatradios (VSP) präsentierte im Hinblick auf die Revision des Radio- und Fernsehgesetzes ein Positionspapier, in welchem der Verband eine Übernahme des EU-Rechts im Werbebereich sowie eine programmliche und technische Gleichstellung der Privaten mit der SRG forderte. Hinsichtlich der verbreitungstechnischen Bedingungen seien die Privatradios gegenüber der SRG als öffentliche Veranstalterin massiv benachteiligt. Der VSP verlangte eine Gleichstellung notfalls auch unter Aufgabe von SRG-Frequenzen sowie die Erstellung eines entsprechenden Inventars der Empfangsmöglichkeiten. Die stark gestiegenen Kosten für die Programmverbreitung wollte der Verband den Privatradios durch Gebührengelder abgelten, würden diese doch auch Service-Public-Leistungen erbringen [4].
Der Ständerat überwies eine Motion Reimann (svp, AG) betreffend Persönlichkeitsschutz im Medienrecht als Postulat, nachdem der Motionär selbst eine entsprechende Umwandlung des Vorstosses beantragt hatte. Obwohl sich der Bundesrat gegen eine Verschärfung des Medienrechts stellte, sprach Bundesrätin Metzler einer Überweisung als Postulat das Wort: Dem Ständerat sei damit die Möglichkeit gegeben, ein Zeichen zu setzen und sich demonstrativ vor jene Politikerinnen und Politiker zu stellen, die in jüngster Vergangenheit von den Medien in persönlichkeitsverletzender Art und Weise angegriffen worden waren [5]. Im Berichtsjahr war es zu „Schlammschlachten“ unter anderem gegen Bundesrat Villiger im Zusammenhang mit der Buchpublikation einer ehemaligen Prostituierten gekommen. Zu Kritik an den Medien gaben im weiteren die Medienberichterstattung über die Affäre Bellasi, eine beleidigende Photomontage von Bundesrätin Dreifuss auf der Titelseite des Tessiner Lega-Blattes „Mattino Della Domenica“ sowie ein fiktiver Briefwechsel zwischen Bundesratskandidatin Rita Roos (cvp, SG) und Bundesrätin Ruth Metzler in „Le Temps“ Anlass [6].
Denis Barrelet, Bundeshauskorrespondent bei „24 heures“ und Medienrechtsexperte, sowie Bruno Vanoni, Bundeshauskorrespondent vom "Tages Anzeiger“, wurden durch das Berner Obergericht zweitinstanzlich von der Anklage auf „Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen“ freigesprochen. Die Bundesanwaltschaft hatte gegen beide ermittelt, nachdem vertrauliche Depeschen von Botschafter Defago an den Bundesrat bekannt geworden waren [7]. Freigesprochen wurde auch ein Journalist der „Sonntags-Zeitung“, dem die Bundesanwaltschaft die Veröffentlichung geheimer Unterlagen in der Mossad-Affäre vorgeworfen hatte [8]. Wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses verurteilte das Bezirksgericht Zürich einen früheren Beamten der Bundesanwaltschaft, der 1997 gegen Zusicherung eines Spesenersatzes in der Höhe von 3000 Fr. Redaktionsmitglieder der Zeitschrift „Facts“ in als geheim taxierte Informationen eingeweiht hatte. Der Artikel erregte in der Folge nicht wegen seines Inhalts, sondern aufgrund des offensichtlich gewordenen „Checkbuchjournalismus“ Aufsehen [9].
Zur Diskussion einer Revision des Gesetzes über den Unlauteren Wettbewerb im Zusammenhang mit kritischen Medienberichten über einzelne Produkte siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).
top
 
print
Qualitätssicherung und Selbstkontrolle
Im Frühjahr gründeten Vertreter der Journalistenverbände, der Medienwissenschaft, der Verleger und interessierte Medienschaffende den Verein „Qualität im Journalismus“. Eine entsprechende, die wesentlichen qualitätssichernden Prinzipien enthaltende Charta wurde durch die Mitgliederversammlung im November verabschiedet. Die Beherrschung des Handwerks, die charakterliche Eignung als Grundlage journalistischen Handelns sowie die Etablierung gewisser Standards mittels eines ethischen Diskurses standen dabei im Vordergrund. Doch wurde auch der Einbezug des Publikums in die Qualitätsdebatte betont [10].
Der Presserat als Organ journalistischer Selbstkontrolle wurde auf eine breitere personelle Basis gestellt und in eine Stiftung umgewandelt. Statt wie bis anhin nur der Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) sollen sich ab Januar 2000 am Presserat künftig auch das Syndikat Schweizer Medienschaffender (SSM), die Mediengewerkschaft Comedia und die neu geschaffene Konferenz der Chefredaktoren beteiligen. Die im Dezember gegründete Stiftung mit Sitz in Freiburg bzw. deren Stiftungsrat wählte 21 Mitglieder in den Presserat, wovon 15 Medienschaffende und 6 Publikumsvertreter sind. Im Stiftungsrat stellten die drei Journalistenverbände neun, der Chefredaktorenverband drei Mitglieder [11].
Für den Presserat fiel im Berichtsjahr mehr Arbeit an als je zuvor. 39 neue Beschwerden gingen bei ihm ein, wobei Ende Jahr noch 18 Verfahren hängig waren. Die 23 Beanstandungen, auf welche der Presserat eintrat, betrafen vor allem die Missachtung der Privatsphäre sowie unfaires Verhalten und ungerechtfertigte Anschuldigungen der Medien [12]. Unter anderem empfahl der Presserat den Redaktionen die Zurückweisung von Leserbriefen mit rassistischen oder diskriminierenden Tendenzen. Der Rat wies darauf hin, dass eine angeheizte Stimmung in der Öffentlichkeit den Spielraum der Meinungsäusserungsfreiheit einschränke und die Sorgfaltspflicht der Redaktionen erhöhe [13].
Die Schweizerische Kommission Medientransparenz (SKM) wurde aufgelöst. Ab 2000 sollen ihre Aufgaben von der Schweizerischen Lauterkeitskommission, das ausführende Organ der Stiftung der Schweizer Werbewirtschaft für die Lauterkeit in der Werbung, wahrgenommen werden. Die Kommission ist paritätisch aus Vertretern von Werbung, Konsumentenschaft und Medienschaffenden zusammengesetzt und steht für mehr Transparenz in den Medien bzw. eine bessere Kontrolle der Trennung zwischen kommerzieller und redaktioneller Kommunikation ein [14].
 
[1] NZZ, 21.1.00.1
[2] Amtl. Bull. NR, 1999, S. 507 f.; Bund, 13.3.99; NZZ, 16.3.99; TA, 19.3.99; SZ, 3.7.99; Ww, 2.9.99; Presse vom 13.10.99.2
[3] BBl, S. 5317; Presse vom 3.7. und 19.7.99; Ww, 8.7.99; NZZ, 9.7., 1.10., 6.11. und 13.11.99; BaZ, 20.7. und 3.12.99; TA, 21.7.99; AZ, 25.8.99. Zur Argumentation seitens Vertreterinnen und Vertreter der Lokal- und Regionalpresse, die insbesondere ein benachteiligendes Ungleichgewicht im bestehenden System der Medienförderung zugunsten der elektronischen Medien kritisierten, siehe NZZ, 25.11.99. Betreffend Motion Zbinden vgl. SPJ 1996, S. 318.3
[4] NZZ, 1.4. und 17.12.99. Vgl. auch die Antwort des BR auf eine Interpellation Weigelt (fdp, SG) betreffend die Vergabe von UKW-Frequenzen an private Veranstalter (Amtl. Bull. NR, 1999, S. 2250 f.).4
[5] Amtl. Bull. SR, 1999, S. 1059 f.; Bund, 8.12.99.5
[6] TG, 25.6.99; Presse vom 5.8. und 23.9.99; NZZ, 7.8.99; AZ, 10.8.99; NLZ, 4.9.99; SGT, 24.9.99; SZ, 25.9.99.6
[7] Bund, 19.3.99; Presse vom 25.3., 28.4. und 8.5.99; TA, 4.2.99; vgl. SPJ 1998, S. 333.7
[8] NZZ, 1.11. und 23.11.99; vgl. SPJ 1998, S. 332 f.8
[9] NZZ, 17.9.99; Bund, 18.9.99.9
[10] Bund, 19.3.99; NZZ, 17.9.99; BaZ, 18.9.99.10
[11] Presse vom 25.9.99; Bund, 27.9.99; NZZ, 23.10.99; Presse vom 22.12.99.11
[12] Vgl. Sammlung der Stellungnahmen 1999 des Schweizer Presserates, Freiburg 2000; Presse vom 19.4.99.12
[13] Presse vom 23.12.99.13
[14] Bund, 1.12.99; TA, 2.12.99.14