Année politique Suisse 2000 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Sozialhilfe
Acht Städte – Basel, Bern, Biel, Lausanne, Luzern, St. Gallen, Winterthur und Zürich – liessen von einer Beratungsfirma einen Vergleich ihrer Sozialhilfe anstellen. Die Untersuchung kam zum Schluss, dass sich die
Probleme in allen diesen Städten
ähnlich stellen: Die Kosten sind im letzten Jahrzehnt erheblich gestiegen, scheinen sich nun aber zu stabilisieren. Es zeigte sich aber auch, dass ein Vergleich schwierig ist, da die
Systeme von Kanton zu Kanton, oft sogar noch von Ort zu Ort
verschieden sind. Die sogenannte Sozialhilfedichte (Anteil der Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger an der Gesamtbevölkerung) liegt im Mittel der acht Städte bei 5,4%. Biel als Stadt mit besonders hoher Arbeitslosigkeit wies mit 7,5% den höchsten, Winterthur mit 3,6% den tiefsten Wert aus. Kinder und Jugendliche waren überall etwa doppelt so häufig von der Sozialhilfe abhängig wie Erwachsene. Eine wichtige Kennzahl im Vergleich der Fürsorgeämter ist die Dauer der Sozialhilfeabhängigkeit, da sie Auskunft über die Effizienz der getroffenen Integrationsmassnahmen gibt. In Basel wurde mit 39,4% der höchste Anteil von Sozialhilfeempfängern mit einer Bezugsdauer von mehr als drei Jahren festgestellt; am günstigsten schnitt Biel mit 20,8% Prozent ab
[73].
In einer Studie des BFS wurden die Wirkungen und der
Umverteilungseffekt einzelner
Leistungen des Sozialstaates durchleuchtet. Die Studie brachte zum Ausdruck, dass die Transfers in der Schweiz für die Einkommenssicherung in Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen von grosser Bedeutung sind. Transfereinkommen machen in Haushalten aus der untersten Einkommensgruppe fast einen Drittel des Gesamteinkommens aus. Bei einkommensmässig schlecht gestellten Rentnern kommt der AHV und den Ergänzungsleistungen eine existenzsichernde Funktion zu, während die berufliche Vorsorge für Arbeitnehmende in den tiefsten Lohnsegmenten kaum ins Gewicht fällt. Für Alleinerziehende, Erwerbslose nach der Aussteuerung und Geschiedene ist hingegen die Sozialhilfe zentral
[74].
Vor dem zweiten UNO-Sozialgipfel in Genf (siehe oben, Teil I, 2, Organisations internationales) verlangten Hilfswerke, Gewerkschaften und Sozialämter vom Bundesrat ein Programm gegen die schleichende
Verarmung zunehmender Bevölkerungsteile in der Schweiz, die trotz Vollzeitbeschäftigung ihren Lebensunterhalt nicht mehr ohne Sozialhilfe bestreiten können
[75].
Der Bundesrat nahm Ende August Kenntnis vom dritten Bericht über den Vollzug und die Wirksamkeit der Opferhilfe. Die umfangreiche
Evaluation zeigte nicht nur, dass immer mehr Menschen Opferhilfe in Anspruch nehmen, sondern auch, dass sich die Praxis von den Absichten des Gesetzgebers entfernt hat, da die für besondere Fälle konzipierten Genugtuungen zunehmend die im Normalfall vorgesehenen Entschädigungen verdrängen. In einer ersten Vernehmlassung sprachen sich praktisch alle Kantone für eine Konzentration der Opferhilfe auf die eigentliche Idee, eine einheitlichere Anwendung des Gesetzes sowie Einschränkungen bei den Genugtuungszahlungen aus. Aus diesen Gründen und angesichts der Zunahme der Kosten will der Bundesrat eine
Revision des Opferhilfegesetzes in die Wege leiten
[76].
Der Nationalrat nahm ein Postulat Leuthard (cvp, AG) an, das den Bundesrat ersucht, das Opferhilfegesetz derart anzupassen, dass die
Verwirkungsfrist für Opfer von sexuellen Übergriffen auf fünf Jahre verlängert wird. Gleichzeitig soll die Haftung der Kantone als subsidiäre Leistungserbringer für Genugtuungsforderungen auf maximal zwei Drittel beschränkt werden
[77].
Wer im Zeitpunkt eines Verbrechens keinerlei persönliche Beziehung zur Schweiz hat, kann keine Opferhilfe beanspruchen, auch wenn er später in der Schweiz lebt; dies entschied das Bundesgericht im Fall eines
Folteropfers aus dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien. Es schützte damit das Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn, das einem anerkannten Flüchtling aus Bosnien die Übernahme der psychotherapeutischen Behandlung zur Überwindung seiner traumatischen Erlebnisse verweigert hatte
[78].
Im März wurde der Bericht der Bundespolizei über das
Attentat von Luxor (Ägypten) von 1997 veröffentlicht. Vorbehältlich völlig neuer Erkenntnisse oder der Verhaftung des Hauptverdächtigen ist damit der Straffall für die Bundesbehörden abgeschlossen. 78 vom Attentat betroffenen Personen wurden vom Luxor-Fonds des Bundes, der für Schäden aufkommt, die weder durch Sozial- und Privatversicherungen noch durch das Opferhilfegesetz abgedeckt sind, insgesamt 4,5 Mio Fr. zugesprochen
[79].
[73] Presse vom 4.7.00.73
[74]
Lit. Suter / Mathey; Presse vom 28.6.00. Im Vorjahr hatte die OECD eine vergleichende Studie zur Sozialhilfe in der Schweiz und in Kanada publiziert, in der die Schweiz nicht unbedingt Bestnoten erhielt. Dazu nahm im Berichtsjahr die interkantonale Sozialdirektorenkonferenz Stellung; gleichzeitig formulierte sie eine Reihe von Empfehlungen an Bund und Kantone (
CHSS, 2000, S. 335 ff.). Siehe
SPJ 1999, S. 260.74
[75]
TA, 10.6.00. Siehe
CHSS, 2000, S. 221 ff. (Fazit des Sozialgipfels). Vgl.
SPJ 1999, S. 261. Siehe dazu auch oben, Teil I, 7a (Löhne).75
[76] Presse vom 24.8.00.76
[77]
AB NR, 2000, S. 680.77
[78] Presse vom 15.7.00.78
[79] Presse vom 11.3.00;
NZZ, 16.9.00. Siehe
SPJ 1999, S. 261 (FN).79
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