Année politique Suisse 2001 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Bürgerrecht und Stimmrecht
Die an der Urne gefällten negativen Einbürgerungsentscheide in einigen Deutschschweizer Gemeinden (vor allem diejenigen im Luzerner Vorort Emmen) hatten das Genfer Kantonsparlament veranlasst, mit einer Standesinitiative ein
Verbot für Einbürgerungsentscheide an der Urne oder an der Gemeindeversammlung zu fordern. Gegen den Widerstand der SP lehnten National- und Ständerat dieses Ansinnen ab. Die SPK beider Ratskammern argumentierten, es sei zwar wichtig, Vorkehrungen gegen offensichtlich diskriminierende Entscheide zu treffen, die erwähnten Vorfälle seien angesichts der jährlich rund 30 000 gutgeheissenen Einbürgerungen aber kein Grund, die von der Verfassung garantierte Organisationskompetenz der Kantone und Gemeinden und zudem auch noch die Volksrechte einzuschränken
[7]. Immerhin waren sowohl der Bundesrat als auch die SPK des Nationalrats der Ansicht, dass abgelehnte Einbürgerungsanwärter ein Beschwerderecht wegen der Verletzung verfassungsmässiger Grundrechte (insbesondere das Willkürverbot und die Garantie der Nichtdiskriminierung) bei einem kantonalen Gericht mit Weiterzugsmöglichkeit an das Bundesgericht erhalten sollen. Da die vom Bundesrat vorgesehene Aufnahme dieses Beschwerderechts in eine umfassende Bürgerrechtsrevision (siehe unten) der SPK zu langwierig erschien, brachte sie den Vorschlag als parlamentarische Initiative in den Rat ein
[8].
Der Ständerat überwies in der Frühjahrssession die im Vorjahr vom Nationalrat gutgeheissene Motion Hubmann (sp, ZH) für die automatische Einbürgerung von in der Schweiz aufgewachsenen Ausländern lediglich in Postulatsform
[9]. Zum Zeitpunkt dieses Entscheids lief schon die Vernehmlassung über ein umfassenderes
Projekt des EJPD zur Revision der Einbürgerungsbestimmungen. Ende 2001 unterbreitete der Bundesrat dem Parlament seine Vorschläge. Er beantragte, wie bereits in der am Ständemehr gescheiterten Vorlage von 1994, eine Vereinheitlichung der erleichterten Einbürgerung für in der Schweiz aufgewachsene Jugendliche. Kinder von in der Schweiz wohnhaften Ausländerpaaren, bei denen mindestens ein Elternteil in der Schweiz aufgewachsen ist (sog. 3. Generation), sollen bei der Geburt automatisch eingebürgert werden. Für die ordentliche Einbürgerung soll die Wohnsitzfrist von zwölf auf acht Jahre verkürzt und die Gebühren auf die reinen Verwaltungskosten reduziert werden. Zudem möchte der Bundesrat ein Beschwerderecht gegen Ablehnungsentscheide von kommunalen Behörden einführen. Um ein allfälliges Debakel in der Volksabstimmung zu vermeiden, gliederte der Bundesrat seine Vorschläge in drei separate Revisionspakete (automatische Einbürgerung, erleichterte und ordentliche Einbürgerung, Beschwerderecht); sowohl für die erleichterte als auch für die automatische Einbürgerung sind zudem Verfassungsrevisionen erforderlich. In der vorangegangenen Vernehmlassung hatte sich die SVP gegen die meisten Neuerungen gewehrt; die SD lehnten die ganze Revision ab. Die CVP sprach sich gegen die automatische Einbürgerung der 3. Generation aus und schlug vor, dass in diesen Fällen das Bürgerrecht nur auf Antrag der Eltern ohne weitere Formalitäten erteilt werden soll
[10].
Die
Zahl der Einbürgerungen blieb mit 29 429 leicht unter dem Vorjahreswert (2000: 30 452). Rund ein Drittel davon waren Einbürgerungen nach dem erleichterten Verfahren für ausländische Ehepartner und Kinder mit einem schweizerischen Elternteil. Die grösste Gruppe von Eingebürgerten stellte weiterhin Italien (5777), gefolgt von Personen aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien (3682) und aus der Türkei (3120)
[11].
Die
Genfer Stimmberechtigten lehnten die im Vorjahr vom Parlament beschlossene Einführung des aktiven und des passiven kommunalen
Ausländerstimmrechts mit einer knappen Mehrheit von 52% ab. In
Schaffhausen lehnten 70% der Stimmenden die Einführung des fakultativen Ausländerstimmrechts auf Gemeindeebene ab; dieser Vorschlag war ein Bestandteil der neuen Kantonsverfassung, kam aber separat zur Abstimmung
[12]. Der Verfassungsrat des Kantons
Waadt beschloss in erster Lesung, den niedergelassenen Ausländern das aktive und passive Stimm- und Wahlrecht auf Kantons- und Gemeindeebene zu erteilen. In der zweiten Lesung strich der Rat dann das kantonale Stimmrecht
[13]. Auf Bundesebene lehnte der Nationalrat ein Postulat Rennwald (sp, JU) für die Einführung des Ausländerstimmrechts ab
[14].
[7]
AB SR, 2001, S. 23;
AB NR, 2001, S. 1079 ff. Zu Emmen siehe
SPJ 2000, S. 23. Am 10.6.01 fand in Emmen erneut eine Volksabstimmung über Einbürgerungen statt. Alle 22 Bewerber und Bewerberinnen, darunter auch diejenigen aus dem ehemaligen Jugoslawien, erhielten das Gemeindebürgerrecht (
LT und
NLZ, 11.6.01). Am 2.12. wurden jedoch wiederum Gesuche von Personen aus dem Balkan abgelehnt, bei gleichzeitiger Gutheissung von Anträgen von Einbürgerungswilligen aus anderen europäischen und aussereuropäischen Staaten (
NZZ und
TA, 3.12.01).7
[8]
BBl, 2001, S. 1166 ff. und 1179 f. (BR).8
[9]
AB SR, 2001, S. 24 f. Vgl.
SPJ 2000, S. 22.9
[10]
BBl, 2002, S. 1911 ff.; Presse vom 22.11.01. Zur Vernehmlassung siehe Presse vom 4.1., 1.2. und 28.6.01;
Bund, 15.5.01;
LT, 18.5.01. Zur SVP siehe auch
Bund, 31.7.01.10
[12] GE:
TG, 5.3.01. SH:
SN, 5.3.01. Vgl.
SPJ 2000, S. 24.12
[13]
24h, 3.3. und 8.12.01.13
[14]
AB NR, 2001, S. 1379 f.14
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