Année politique Suisse 2001 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu zwei mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmungen (Bewaffnung von Armeeangehörigen in Auslandeinsätzen und internationale Ausbildungszusammenarbeit der Armee). Beide Male bestätigte das Volk den Parlamentsentscheid.
Im Jahr 2001 wurde keine einzige neue Volksinitiative eingereicht. Jahre ohne eingereichte Initiativen sind sehr selten und kamen zum letzten Mal 1988 und 1968 vor. Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurden sieben Volksbegehren. Diese wurden alle abgelehnt; einige davon mit sehr hohen Nein-Stimmenanteilen von gegen 80% („30 km/h innerorts“, „Armee-Abschaffung“ und „Ja zu Europa“). Zwei Initiativen wurden zurückgezogen (Arzneimittel-Initiative des Apothekervereins und „für eine freie Arzt- und Spitalwahl“). Damit sank Ende 2001 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf 14 (2000: 23). Neu lanciert wurden 2001 vier Volksinitiativen.
Volk und Stände hiessen zwei von Regierung und Parlament vorgeschlagene Verfassungsänderung gut (Aufhebung des Bistumsartikels und Ausgabenbremse). Insgesamt kam es somit zu
11 Volksabstimmungen (7 Initiativen, 2 obligatorische und 2 fakultative Referenden). Bei allen diesen Entscheiden folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament
[20].
Die SPK-SR konkretisierte ihre früher geäusserte Absicht, wenigstens die kaum umstrittenen Anliegen aus dem im Rahmen der Verfassungstotalrevision gescheiterten „Reformpaket Volksrechte“ weiter zu verfolgen. Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte sie die Einführung der „
allgemeinen Volksinitiative“, deren Ziele auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe realisiert werden können. Ist das Parlament mit der als Anregung formulierten allgemeinen Initiative einverstanden, arbeitet es eine entsprechende Vorlage auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe aus, welche dann dem obligatorischen resp. bei einem Gesetz dem fakultativen Referendum unterstellt ist. Sind die Initianten mit der Umsetzung ihrer Idee durch das Parlament nicht zufrieden, sollen sie sich beim Bundesgericht beschweren dürfen. Lehnt die Bundesversammlung die Initiative ab, findet darüber eine Volksabstimmung statt. Im Unterschied zum ursprünglichen Vorschlag des Bundesrats soll es dem Parlament aber in diesem Fall erlaubt sein, einer allgemeinen Initiative noch vor dem Volksentscheid einen Gegenvorschlag gegenüberzustellen. Damit könnte verhindert werden, dass sich die Stimmberechtigten zweimal (zuerst zur Initiative und später dann noch zum Gegenvorschlag) an die Urne begeben müssen. Als zweite Neuerung schlug die SPK eine
Ausweitung des fakultativen Staatsvertragsreferendums auf alle Abkommen vor, die wichtige rechtsetzende Normen enthalten oder zum Erlass von Gesetzen verpflichten. Bisher waren nur Verträge dem fakultativen Referendum unterstellt, welche eine multilaterale Rechtsvereinheitlichung herbeiführen. Die SPK des Ständerats, welche ja seinerzeit einer Heraufsetzung der Unterschriftenzahl zugestimmt hatte, wollte auch jetzt nicht ganz auf die Erschwerung des Initiativrechts verzichten. Sie beantragte eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen von achtzehn auf zwölf Monate
[21].
Der Bundesrat war grundsätzlich mit diesen Neuerungen einverstanden. Er unterstützte aber einen Antrag der Kommissionsminderheit, dass analog zum Referendumsrecht auch eine
Volksinitiative (inkl. die neue allgemeine Volksinitiative)
von acht Kantonen eingereicht werden kann. Bei der Unterschriftenzahl vertrat er ebenfalls eine etwas andere Position als die SPK: Damit das neue Instrument der allgemeinen Volksinitiative auch benutzt wird, soll es mit einer Unterschriftenzahl von bloss 70 000 attraktiver sein als die normale Volksinitiative. Parallel dazu beantragte er, die für ein Referendum erforderliche Unterschriftenzahl auf 70 000 heraufsetzen
[22].
Der
Ständerat beriet die Vorlage in der Herbstsession. Er stimmte der Einführung der allgemeinen Volksinitiative zu. Hingegen sprach er sich knapp gegen eine Verkürzung der Sammelfrist für Volksinitiativen auf zwölf Monate aus; die erforderliche Unterschriftenzahl wurde gemäss dem Antrag der SPK auch für die allgemeine Volksinitiative auf 100 000 festgelegt. Der Bundesrat vermochte sich mit seinem Antrag durchzusetzen, neu auch den Kantonen das Recht auf die Einreichung einer Volksinitiative zu erteilen. Erfolgreich war der Bundesrat ebenfalls mit seinem Antrag, dass bei völkerrechtlichen Verträgen, welche zwingende Rechtsreformen verlangen, die einzelnen Revisionen im Sinne einer Paketlösung dem Referendum entzogen werden können; dem fakultativen Referendum unterstellt wäre dann nur noch der Vertrag an sich. Die Möglichkeit, dass das Parlament einer allgemeinen Volksinitiative sofort einen Gegenvorschlag gegenüberstellen und gleichzeitig mit der Initiative dem Volk unterbreiten kann, wurde in dem Sinne präzisiert, dass dies nur bei vom Parlament abgelehnten Volksinitiativen möglich sein soll
[23].
Gegen Jahresende beantragte der Bundesrat dem Parlament eine
Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte. Er beabsichtigt dabei insbesondere, die rechtlichen Grundlagen für kantonale Versuche mit der
elektronischen Stimmabgabe (via Internet) zu schaffen. Der Bundesrat soll ferner explizit ermächtigt werden, spezielle Informationskampagnen zur Verbesserung der Wahlchancen von Frauen und jungen Personen durchzuführen. Daneben soll die Bundeskanzlei beauftragt werden, die Unterschriftenlisten für Initiativen und Referenden im Internet bereitzustellen; allerdings nur zum Herunterladen und Ausdrucken und nicht zum direkten Unterzeichnen. Da in der neuen Bundesverfassung die
Parteien rechtlich verankert sind, sollen sie in Zukunft bei den Nationalratswahlen privilegiert behandelt werden. Wenn sie sich bei der Bundeskanzlei
registrieren lassen, würde für sie die Vorschrift nicht gelten, dass für die Wahlteilnahme mit einer Liste eine bestimmte Anzahl Unterschriften (100-400 je nach Kantonsgrösse) eingereicht werden muss. Diese Erleichterung würde allerdings nur registrierten Parteien gewährt, die bei den vorangegangenen nationalen Wahlen im betreffenden Kanton einen Sitz gewonnen oder einen Stimmenanteil von mindestens 3% erreicht haben. Voraussetzung für die Registrierung selbst ist, gemäss dem Entwurf des Bundesrates, die Organisation der Partei als Verein und die Vertretung mit entweder mindestens einem Sitz im Nationalrat oder je drei Sitzen in drei Kantonsparlamenten
[24]. Die vom Ständerat mit der Überweisung eines Postulats seiner SPK formulierte Anregung, das bezahlte Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden zu verbieten, wurde vom Bundesrat nicht in das Reformpaket aufgenommen
[25].
Die SPK des Nationalrats präsentierte ihre Vorschläge zur Umsetzung der im Vorjahr gutgeheissenen parlamentarischen Initiative Stamm (cvp, LU) zur Wahrung der
Lauterkeit in der Abstimmungswerbung. Sie beantragte, mit einer Teilrevision des Gesetzes über die politischen Rechte eine vom Bundesrat ernannte Fachkommission zu schaffen, welche Beanstandungen von Stimmberechtigten überprüft und ihre Stellungnahme dazu öffentlich bekannt macht. Über eine Entscheidbefugnis, z.B. zur Verhinderung von beanstandeten Aussagen, verfügt die Kommission jedoch nicht; auf der anderen Seite ist ihre Stellungnahme auch nicht rekursfähig. Entsprechende Terminvorgaben sollen dafür sorgen, dass diese Stellungnahmen noch vor dem Abstimmungstag publiziert werden. Der Bundesrat lehnte diese von der SPK vorgeschlagene neue Instanz ab, da sie den Regeln der freien Meinungsbildung widersprechen würde. Zudem wies er auf kontraproduktive Effekte einer derartigen Kontrolle hin, welche den Urhebern unlauterer Propaganda zu zusätzlicher Publizität verhelfen könnte
[26].
Bei den
Nationalratswahlen ist in den kleinen Kantonen mit wenigen Mandaten infolge des hohen natürlichen Quorums die
Proporzgerechtigkeit nur bedingt verwirklicht. In den zehn kleinsten Kantonen (AI, AR, GL, JU, OW, NW, SH, SZ, UR und ZG) beträgt diese ‚Sperrklausel‘ zwischen 25% und 50%. Auch wenn die Sitzverteilung im Nationalrat insgesamt relativ gut dem gesamtschweizerischen Kräfteverhältnis der Parteien entspricht, bestehen in einzelnen Regionen starke Disproportionen. Zudem fehlt in diesen kleinen Wahlkreisen oft ein politischer Wettbewerb mit echten Auswahlmöglichkeiten für die Wahlberechtigten, weil kleinere Parteien von vorneherein auf eine Beteiligung an der Wahl verzichten. Nationalrat Vollmer (sp, BE) versuchte mit einer parlamentarischen Initiative diesen Zustand zu verändern und schlug dazu die Zusammenfassung der Kantone zu Wahlkreisverbänden nach dem Vorbild des Kantons Bern vor. Auf Antrag seiner SPK, welche insbesondere vor einer dabei entstehenden Dominanz der kleinen Kantone durch die grossen und durch die Städte warnte, lehnte der Nationalrat diese Forderung ab
[27].
[20] Vgl. auch
AZ, 27.12.00.20
[21]
BBl, 2001, S. 4803 ff.; Presse vom 6.4.01. Vgl.
SPJ 2000, S. 42.21
[22]
BBl, 2001, S. 6080 ff.; Presse vom 6.4.01.22
[23]
AB SR, 2001, S. 483 ff.23
[24]
BBl, 2001, S. 6401 ff.;
AZ, 19.6.01;
BaZ, 1.12.01. Die rasche Einführung der elektronischen Stimmabgabe war im Vorjahr mit parlamentarischen Vorstössen verlangt worden (vgl.
SPJ 2000, S. 37). Der Kanton Genf begann mit den Vorarbeiten zu Testversuchen mit dem E-Voting (
LT, 23.3.01;
Bund, 11.5.01;
TG, 22.12.01).24
[25]
AB SR, 2001, S. 503 f.25
[26]
BBl, 2002, S. 389 ff. und 407 ff.; Presse vom 27.10.01. Vgl.
SPJ 2000, S. 44. Siehe auch Bundeskanzlei (Hg.),
Das Engagement von Bundesrat und Bundesverwaltung im Vorfeld von eidgenössischen Abstimmungen, Bern 2001 sowie
TA und
NZZ, 23.11.01. Ein weiteres Beispiel für falsche Behauptungen lieferten die Gegner der Militärgesetzrevision, welche in Inseraten proklamierten, die geplanten Auslandeinsätze der Armee würden 600 Mio Fr. pro Jahr (statt rund 200 Mio Fr.) kosten (vgl.
TA, 14.6.01).26
[27]
AB NR, 2001, S. 348 ff.27
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