Année politique Suisse 2001 : Bildung, Kultur und Medien / Bildung und Forschung
 
Berufsbildung
Als Erstrat befasste sich im Berichtsjahr die grosse Kammer mit dem revidierten Berufsbildungsgesetz (BBG). Die bundesrätliche Botschaft zum neuen BBG hielt am dualen System von Berufsschule und Lehrbetrieb fest, wobei sie aber eine Forcierung des Schulunterrichts in eher theorielastigen Berufen (so im Hightech-, Gesundheits- und Sozialbereich) vorsah. Das Gesetz stellt zudem die Berufsbildung auf eine neue Finanzierungsgrundlage, indem ein Systemwechsel weg von der am Aufwand orientierten Subventionierung hin zu einer aufgabenorientierten Pauschalfinanzierung der Kantone vollzogen wurde – ergänzt um die gezielte Subventionierung von Neuerungen und besonderen, im öffentlichen Interesse erbrachten Leistungen. Nach 13 Sitzungstagen und Entscheiden zu 211 Änderungsanträgen fand die nationalrätliche WBK einen Kompromiss für das neue BBG. Demnach fusst das neue Rahmengesetz auf einer klaren Kompetenzordnung: Die Wirtschaft ist treibende Kraft für die Reformarbeit, die Kantone sorgen via Berufsbildungsämter für die praktische Umsetzung, und der Bund ist für die Qualitätssicherung zuständig. Das Gesetz soll für alle Berufe ausserhalb der Hochschulen gelten, so dass also neu auch die bisher unter kantonaler Hoheit stehenden Bereiche Gesundheit, Soziales und Kunst darunter fallen. Betreffend der umstrittenen Finanzierung einigte sich die WBK auf eine Erhöhung des Bundesanteils an den Berufsbildungsaufgaben von 16 auf 27,5%, wodurch Mehrkosten in der Höhe von rund 150 Mio Fr. entstehen. Reserviert bleiben davon 10% für Innovationen und Spezialprogramme. Grundsätzlich ist eine ergebnisorientierte Finanzierung entsprechend den Bedürfnissen der Empfänger vorgesehen. Mittels einer Motion wollte die WBK zudem den Bundesrat auf die Schaffung eines separaten Rahmengesetzes zur Regelung der beruflichen Weiterbildung verpflichten. Der Nationalrat beschloss ohne Opposition Eintreten auf die Vorlage. In der Detailberatung lehnte er unter anderem zwei Minderheitsanträge der WBK ab, welche die Wirtschaft, die Kantone und den Bund zur Bereitstellung von Lehrstellen bzw. den Bund zu Gegenmassnahmen bei einem Lehrstellenmangel verpflichten wollten. Bei der Finanzierung folgte der Rat seiner WBK und stimmte einer Erhöhung des Bundesanteils auf 27,5% zu. Auf Zustimmung stiess auch der Artikel zu den Berufsbildungsfonds, welche von den Branchenverbänden selbst geschaffen und geäufnet werden sollen. Dem Bund bleibt dabei die Möglichkeit offen, unter gewissen Umständen einen Fonds für alle Betriebe einer Branche verbindlich zu erklären. Ohne Chance blieb ein Einzelantrag Rechsteiner (sp, SG) auf Schaffung solcher Fonds durch den Bund selbst. In seiner Wintersession verabschiedete der Nationalrat das bereinigte Gesetz einstimmig [21].
Eine vom Bund in Auftrag gegebene Expertenbefragung attestierte dem dualen System, auf dem das Schweizer Berufsbildungswesen mit seiner kombinierten Ausbildung an Berufsschulen und in der betrieblichen Praxis gründet, auch in Zukunft Gültigkeit – wenn es auch partiellen Ergänzungen auf Stufe neuer Schlüsselqualifikationen bedürfe. Die Autoren der Studie regten in ihrer Auswertung an, im Rahmen der Reform des BBG die eigene Fähigkeit zu Wissenserwerb und Weiterbildung zwecks Sicherung der einheimischen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern sowie in den Lehrplänen auch die Formung psychosozialer Kompetenz vermehrt zu berücksichtigen [22].
In Form einer parlamentarischen Initiative verabschiedete die nationalrätliche WBK im April mit 19 zu 3 Stimmen ein Bundesgesetz über die Sondermassnahmen für Umschulungen und Weiterbildung in den Berufen der Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT-Umschulungsgesetz), das den Ein- und Umstieg von Erwachsenen in Berufe der Informatik und Telekommunikation fördern soll. Dank einer Weiterbildungsoffensive, die Beiträge an den Ausbau eines modulartigen Weiterbildungssystems sowie Bildungsgutscheine für Umschulungswillige beinhaltet, wird in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft eine Behebung des Mangels an Fachleuten im Bereich Informatik und Telekommunikation angestrebt. Für diese Massnahmen sollen auf vier Jahre befristet insgesamt 100 Mio Fr. zur Verfügung gestellt werden, wobei 20 Millionen für den Ausbau und je 20 Millionen jährlich für den Betrieb der Weiterbildung vorgesehen sind. Insbesondere seitens der SVP-Vertreter waren in der Kommission Bedenken gegen ein solches Staatsengagement aufgekommen [23]. Als Erstrat trat der Nationalrat in seiner Sommersession auf das Geschäft ein. SP und CVP sprachen sich für das Gesetz aus, die SVP und eine FDP-Mehrheit lehnten es ab – mit der Begründung, die Lage habe sich in den Bereichen Informatik und Telekommunikation entschärft, wohingegen in anderen Bereichen Fachleute auch Mangelware seien. Schliesslich stimmte der Rat dem Gesetz mit 93 zu 49 Stimmen zu. Beim an das Gesetz gekoppelten Finanzierungsbeschluss hingegen verfehlte der Gesamtkredit von 100 Mio Fr. mit einer Zustimmung von 93 zu 53 Stimmen das gemäss Ausgabenbremse erforderliche absolute Mehr. Die Vorlage ging in solch amputierter Form – also ohne die entsprechenden finanziellen Mittel – an den Ständerat, der im Herbst dem Kommissionsantrag auf Nichteintreten folgte [24].
Drei parlamentarische Initiativen Simoneschi (cvp, TI), Strahm (sp, BE) und Theiler (fdp, LU) sowie eine Motion der nationalrätlichen Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF), die alle eine Weiterbildungsoffensive im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie fordern, wurden entgegen dem entsprechenden Antrag der WBK auf Abschreibung vom Nationalrat in der Sommersession überwiesen [25].
Der Nationalrat verfuhr mit der Solothurner Standesinitiative zur Einführung einer nachfrageorientierten Weiterbildungsfinanzierung wie im Vorjahr der Ständerat. Er gab ihr keine Folge und forderte den Bundesrat mit einem Postulat zur Prüfung eines allfälligen Systemwechsels auf [26].
In Form von Postulaten überwies der Nationalrat im Winter zwei Motionen seiner WBK, welche einerseits die Lancierung eines Impulsprogramms zur Förderung des beruflichen Wiedereinstiegs von Frauen sowie andererseits eine Weiterbildungsoffensive für wenig qualifizierte Personen gefordert hatten [27]. Eine dritte Motion der nationalrätlichen WBK, welche die Erarbeitung eines integralen Bundesgesetzes über die Weiterbildung verlangt – wobei der Begriff Weiterbildung sowohl die berufsorientierte Weiterbildung, die allgemeine Erwachsenenbildung als auch die Bildung Erwerbsloser umfasst – wurde von der grossen Kammer als solche überwiesen [28]. Schon in seiner Sommersession hatte der Nationalrat einer Motion seiner Kommission in abgeschwächter Form als Postulat Folge gegeben, wonach die Einführung des Rechtes auf eine Bildungs- und Weiterbildungszeit von drei bis fünf Tagen für alle Beschäftigten geprüft werden soll zur Verhinderung einer Spaltung der Gesellschaft hinsichtlich der Einführung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) [29].
Als Zweitrat überwies auch der Ständerat eine Motion Widrig (cvp, SG) betreffend Bildungsfinanzierung, die den Bundesrat beauftragt, im Rahmen des neuen Berufsbildungsgesetzes für ein erhöhtes Engagement des Bundes – unabhängig von den Kantonsanteilen – zu sorgen [30].
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Lehrstellen
Der Nationalrat beschloss mit 106 zu 55 Stimmen, dem Bundesrat und seiner WBK zu folgen und der Stimmbevölkerung sowie den Ständen die Ablehnung der Volksinitiative „für ein ausreichendes Berufsbildungsangebot“ zu empfehlen. Eine bürgerliche Mehrheit sah die wichtigsten Punkte der „Lehrstellen-Initiative“ mit dem neuen Berufsbildungsgesetz als realisiert an. Die Kommissionsminderheit hatte dagegen gehalten, dass der im BBG vorgesehene Berufsbildungsfonds branchenspezifisch und fakultativ sei, womit er nur in Branchen mit einem hohen Organisationsgrad zum Tragen komme. Gerade neue Berufe im Informatik- und High-Tech-Bereich seien jedoch nicht organisiert. Die WBK hatte im Einklang mit dem Bundesrat entschieden, das BBG explizit zum indirekten Gegenvorschlag zum Volksbegehren zu ernennen [31].
Zur Vermehrung der Ausbildungsplätze in Hightech-Branchen hiess die KVF des Nationalrats eine parlamentarische Initiative Strahm (sp, BE) gut, welche eine Berufsausbildungspflicht auch für konzessionierte Privatanbieter bei Telecom, Post und Bahnen fordert [32].
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Berufsordnungen
Die kleine Kammer überwies im Frühjahr eine Motion Wicki (cvp, LU) für einen Titelschutz für Psychologieberufe zur adäquaten und transparenten Regelung der qualifizierten Psychologieberufe auf eidgenössischer Ebene. Im Winter wurden dieser Vorstoss sowie eine gleichlautende Motion Triponez (fdp, BE) im Nationalrat gutgeheissen. Dem seit Jahren von den Berufsverbänden geforderten staatlichen Schutz des Berufstitels „Psychologe“ konnte damit ein Schritt näher gekommen werden. Hingegen befand sich das 1998 vom Bundesrat in Auftrag gegebene Psychologiegesetz beim Bundesamt für Gesundheit nach wie vor im Anfangsstadium [33].
Nachdem die Ergebnisse der im Herbst 1999 abgeschlossenen Vernehmlassung zum revidierten Medizinalberufsgesetz im Jahr 2000 Gegenstand einer Auswertung durch das Bundesamt für Gesundheit gewesen waren, gab der Bundesrat im Juli des Berichtsjahres einen entsprechenden Gesetzesentwurf in Auftrag. Ziel der Revision ist die Erhaltung und Förderung einer qualitativ hochstehenden medizinischen Versorgung sowie die Sicherstellung der interkantonalen und internationalen Freizügigkeit der schweizerischen Medizinalberufe [34].
 
[21] BBl, 2000, S. 5686 ff.; AB NR, 2001, S. 1543 ff., 1573 ff. und 1740 ff.; NZZ, 20.3., 24.10. und 27.10.01; Presse vom 18.8., 28.11., 29.11. und 7.12.01. Vgl. SPJ 2000, S. 267.21
[22] Presse vom 25.10.01.22
[23] NZZ, 20.3. und 30.4.01.23
[24] BBl, 2001, S. 5644 ff. und S. 5665 ff. (BR); AB NR, 2001, S. 843 ff. und 847 ff.; AB SR, 2001, S. 685; NLZ, 19.6.01; Presse vom 21.6.01.24
[25] AB NR, 2001, S. 855 f.25
[26] AB NR, 2001, S. 335 ff.; SZ, 23.3.01. Vgl. SPJ 2000, S. 269.26
[27] AB NR, 2001, S. 1766 ff.27
[28] AB NR, 2001, S. 1765 ff.; NZZ, 7.12.01.28
[29] AB NR, 2001, S. 520 f.29
[30] AB SR, 2001, S. 127. Vgl. SPJ 2000, S. 267 f.30
[31] AB NR, 2001, S. 1852 ff.; Presse vom 13.12.01. Vgl. SPJ 2001, S. 269.31
[32] NZZ, 15.8.01. Vgl. hierzu auch die Antwort des BR auf die Anfrage Strahm (sp, BE) betreffend einer Umschulungs- und Ausbildungsverpflichtung für Elektrizitätsunternehmen (AB NR, 2001, S. 369).32
[33] AB SR, 2001, S. 11 f.; AB NR, 2001, S. 1536 f.; Presse vom 20.3.01.33
[34] NZZ, 3.7.01. Vgl. SPJ 2000, S. 272.34