Année politique Suisse 2001 : Bildung, Kultur und Medien / Medien
 
Medienpolitische Grundfragen
Die jährliche Umfrage „Baromedia 2001“ wies einen starken Aufwärtstrend bei der Internetnutzung aus. 45% der Schweizer Bevölkerung nutzte das Internet regelmässig. Das Radio blieb zwar mit 73% regelmässiger Nutzung auf Platz eins, gefolgt vom Fernsehen mit 66%, der Tagespresse mit 61% und der Gratispresse mit 48%, doch das Internet hatte im Vergleich zum Vorjahr um 8 Prozentpunkte zulegen können. 84% der Befragten gaben an, dem an sich schwach genutzten (18%) Teletext am meisten Vertrauen entgegen zu bringen; als vertrauenswürdig wurde an zweiter Stelle das Radio (75%), dann erst das Fernsehen (69%) und die Presse (67%) genannt [1].
Nach der kleinen Kammer bewilligte auch der Nationalrat das zivile Bauprogramm 2002 des Bundes mit einem Bauvolumen von 345 Mio Fr., wovon 42,5 Mio Fr. für ein Medienzentrum, das bis 2005 an der Bundesgasse in Bern entstehen soll, vorgesehen sind. Anträge seitens der SVP, den Betrag für das geplante Medienhaus aus der Vorlage zu streichen, wurden abgelehnt [2].
Das Bundesgericht bestätigte den Schuldspruch des Zürcher Obergerichts gegen einen „Blick“-Reporter im Zusammenhang mit Recherchen über den Fraumünster-Postraub und löste damit eine heftige Kontroverse aus. Der Reporter hatte eine Verwaltungsbeamtin der Zürcher Staatsanwaltschaft nach den Vorstrafen der Verdächtigten gefragt und wurde deshalb der Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung bezichtigt. Journalistinnen und Journalisten kritisierten den Bundesgerichtsentscheid als „Maulkorb-Urteil“ und fürchteten eine Einschränkung der Recherchierfreiheit, wenn blosses Fragen schon strafbar sein kann. Der „Blick“ zog das Urteil nach Strassburg weiter. An einer Tagung des Medieninstituts des Verbands Schweizer Presse zum Thema „Medienrecht aktuell“ warnte Peter Studer, neuer Präsident des Schweizer Presserates, vor einer Verrechtlichung des Medienalltags, die der Pressefreiheit mitunter sehr enge Grenzen setze. Studer nannte das Bundesgerichtsurteil „skandalös“ [3].
Gemäss seiner schriftlichen Urteilsbegründung im Fall Jagmetti kam das Bundesgericht im weiteren zum Schluss, daß die Veröffentlichung einer in vertretbarer Weise für geheim erklärten Information grundsätzlich strafbar bleibt. Damit lehnte es das Gericht ab, eine grosszügigere Gesetzesauslegung im Hinblick auf die Meinungsäusserungsfreiheit für zulässig zu erklären. Die "SonntagsZeitung" hatte 1997 eine vertrauliche Lageanalyse von US-Botschafter Carlo Jagmetti über die Forderungen jüdischer Organisationen im Zusammenhang mit den Holocaust-Geldern zitiert, worauf dieser zurücktrat. Die „SonntagsZeitung“ zog ihre Verurteilung wegen Veröffentlichung vertraulicher Dokumente des ehemaligen Botschafters an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiter [4]. In Strassburg blitzte die SRG mit ihrer Beschwerde gegen das sogenannte „Kassensturz“-Urteil des Bundesgerichts ab. Im Jahr 1998 hatte dieses einen Entscheid des bernischen Handelsgerichts bestätigt, wonach der Sendung "Kassensturz" eine isolierte Berichterstattung über das Schmerzmittel "Contra-Schmerz" verboten wurde, weil die Nebenwirkungen nicht nur bei diesem Medikament, sondern bei einer ganzen Medikamentenkategorie auftreten [5].
Das Prinzip der staatlichen Presseförderung stand im Berichtsjahr erneut im Kreuzfeuer der Kritik. Von der Befürchtung ausgehend, die gegenwärtigen Entwicklungen im Mediensektor gefährdeten die angemessene Meinungsbildung im schweizerischen direktdemokratischen Staat, plädierte unter anderem Nationalrat Fehr (sp, SH) für den Erlass eines Vielfaltgesetzes, das die Subventionierung jener Radios, Fernsehsender, Pressetitel und Online-Medien regeln soll, die zur Erhaltung von „demokratiegerechten Öffentlichkeiten“ erforderlich sind. Die Tatsache, dass die Regulierung von Radio und Fernsehen ein ganzes Gesetz beanspruche, wohingegen für die Presse nur ein einziger Artikel im Postgesetz vorgesehen sei, zeuge von der falschen Grundüberzeugung, dass die Presselandschaft vom Markt allein, die elektronischen Medien hingegen vom Staate geformt werden sollten. Mittelfristig seien für den Erhalt der Medienvielfalt weitergehende gesetzgeberische Massnahmen – losgelöst vom Postgesetz wie auch vom RTVG – zu ergreifen. Kurzfristig müsse angesichts der Zunahme regionaler Medienmonopole eine Neuverteilung der gegenwärtig 100 Mio Fr. Bundesgelder zur Verbilligung der Posttaxen für den Zeitungsversand angestrebt werden. Tatsächlich profitierten von den indirekten Subventionen vorrangig die Kundenblätter der Grossverteiler Coop und Migros, die Mitgliederzeitung des TCS sowie die grossen Zeitungen aus den Konzernen Ringier, Edipresse, NZZ und Tamedia. In eine ähnliche Richtung zielte die Kritik seitens der SPK des Nationalrates an der indirekten Presseförderung als „Giesskannenprinzip“. Eine von der SPK eingesetzte Subkommission „Medien und Demokratie“ unter der Leitung des Zürcher Nationalrats Gross (sp) arbeitete an einem Entwurf für eine entsprechende Verfassungsgrundlage. Absicht der SPK war es, im Rahmen einer Kommissionsinitiative den Einsatz der 100 Mio Fr. an staatlicher Presseförderung künftig zur Förderung der Vielfalt, Qualitätssicherung sowie Aus- und Weiterbildung zu erwirken. Das Fazit einer vom UVEK in Auftrag gegebenen Studie lautete denn auch, dass die vom Bundesrat gewünschte nachhaltige Förderung der Lokal- und Regionalpresse nur über einen Systemwechsel zur gezielten, direkten Förderung von wirtschaftlich bedrohten regionalen und lokalen Presseerzeugnissen zu erzielen sei [6]. Die Presseförderung stand auch an der Jahrestagung des Verbands Schweizer Presse im September zur Diskussion, wobei insbesondere direkte staatliche Unterstützungsmassnahmen umstritten blieben [7].
Im November kam es zu heftiger Kritik an den Sparplänen der Subkommission der nationalrätlichen Finanzkommission, bereits im Bundesbudget 2002 erhebliche Kürzungen der Pressefördergelder vorzunehmen. Vorgesehen waren Einsparungen von 30 Mio Fr. jährlich, indem Zeitungen und Zeitschriften mit einer Auflage von über 100 000 Exemplaren vom heutigen System der Presseförderung ausgeschlossen werden sollen. Titel mit Auflagen bis zu 50 000 Exemplaren hingegen sollen in den Genuss eines höheren Rabatts auf dem Grundpreis kommen. Gegen das als überstürzt und überfallartig empfundene Vorgehen – den betroffenen Kreisen wurde der entsprechende Vorschlag der Subkommission zuhanden der Finanzkommission nur für eine Kurzkonsultation von wenigen Tagen unterbreitet – lehnten sich der Schweizerische Dachverband der Zeitungsverleger, der Westschweizer Verlegerverband Presse Romande, aber auch Vertreter der Lokal- und Regionalzeitungen, Vertreter der Post und nicht zuletzt die Subkommission „Medien und Demokratie“ auf [8].
In einem Musterprozess gab das Berner Obergericht sieben grossen Zeitungshäusern recht, die gegen die MMS Media Monitoring Switzerland AG wegen Verletzung des Urheberrechts geklagt hatten. Die 1998 gegründete MMS hatte täglich rund 100 Zeitungen in ihre Datenbanken eingescannt und auf diesen Daten basierend Trend- und Inhaltsanalysen angeboten sowie nach individuellen Kundenwünschen zusammengestellte Zeitungsartikel via Fax oder Email vertrieben. Das Obergericht stützte die Klage und hielt fest, dass das Einscannen und digitale Abspeichern urheberrechtlich geschützter Werke ganz klar zu den Vervielfältigungsrechten des Urhebers gehöre. Die MMS stellte aufgrund dieses Urteils per Ende Juni des Berichtsjahres ihren Betrieb ein [9].
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Qualitätssicherung und Selbstkontrolle
Beim Presserat gingen im Berichtsjahr erneut mehr Beschwerden ein als in den vergangenen Jahren. Hatten 1999 noch 39 Klagen behandelt werden müssen, war die Zahl im Jahr 2000 auf 55 gestiegen und belief sich im Berichtsjahr auf 68. Zwei Fälle griff der Presserat von sich aus auf, und 70 Verfahren wurden abgeschlossen. Die Mehrarbeit wurde unter anderem auf die wachsende Bedeutung des Rats als Organ der medialen Selbstreflexion zurückgeführt. Die Statistik widerspiegelte zudem die vermehrte Bereitschaft, das Gremium auch wegen unbedeutenderen Angelegenheiten anzurufen: die Zahl der abgewiesenen Beschwerden stieg auf 25 (1999: 11; 2000: 17) sowie diejenige der zurückgezogenen Beschwerden auf 15 (1999: 4; 2000: 9). Im Präsidialverfahren, das im Jahr 2000 zur Entlastung des Presserats von Fällen untergeordneter Bedeutung eingeführt worden war, konnten 32 Fälle erledigt werden. Gutgeheissen wurden 6, teilweise gutgeheissen 18 Beschwerden. Von den 54 Stellungnahmen, die der Rat im Berichtsjahr veröffentlichte, betrafen 20 den Persönlichkeitsschutz, wobei es in etlichen Fällen nicht „nur“ um die Privat-, sondern auch um die Intimsphäre gegangen war. Unlautere Recherchen und die Behandlung von Leserbriefen standen an zweiter bzw. dritter Stelle [10].
Peter Studer, ehemaliger Chefredaktor des Schweizer Fernsehens DRS sowie des „Tages-Anzeigers“ und seit Februar des Berichtsjahres neu gewählter Präsident des Presserates, legte die künftige Agenda des Rates dar. Dabei betonte er unter anderem die Wichtigkeit eines stärkeren Einbezugs der Verleger in die mediale Selbstkontrolle, einer besseren Berücksichtigung der Medienethik in der hausinternen Aus- und Weiterbildung sowie einer dezidierten Abwehr von Verrechtlichungstendenzen im Mediensektor [11].
Der Presserat stellte in der Kriminalberichterstattung eine Zunahme rassistischer Vorurteile fest und empfahl, auf die Nationalitätennennung zu verzichten, ausser diese sei für den Kontext einer Tat relevant. Die Medienschaffenden hätten bei Berichten über kriminelle Ereignisse besonders darauf zu achten, dass einzelne Gruppierungen nicht diskriminiert würden. Rassistisch und deshalb zu unterlassen sei die Zuordnung von negativen Eigenschaften als typisch für die Angehörigen einer Nation, Ethnie oder Religion [12]. Für einiges Aufsehen sorgte die Rüge des Presserats an die Adresse des Chefredaktors des Westschweizer Wirtschaftsmagazins „Bilan“. Dieser hatte eine Uhr im Wert von über Fr. 1000 zum 70% tieferen Fabrikpreis erworben und sich für einen Foto-Auftritt im Jahresbericht eines Westschweizer Unternehmens ablichten lassen. Obwohl Medienschaffende durch öffentliche Auftritte das Image ihres Mediums fördern dürfen, sei es ihnen laut Presserat untersagt, sich zugunsten von Werbung für Dienstleistungen oder Produkte Dritter einspannen zu lassen [13].
An der Konferenz der Chefredaktoren rief der ehemalige Präsident des Presserats, Roger Blum, zur Einrichtung flächendeckender Ombudsstellen auf. Der Schweizer Presserat sei als nationales Selbstkontrollorgan finanziell zu sichern und auszubauen, denn eine Branche, die als mächtiger als der Staat angesehen werde, bedürfe auch der Kontrolle. Der neue Präsident der Konferenz, Chefredaktor des Schweizer Fernsehens DRS Filippo Leutenegger, sprach sich gegen eine Verrechtlichung des Presserats aus. Dieser müsse eine publizistische Instanz sein und nicht zum juristischen Gremium verkommen. Den Tendenzen zur Überregulierung sei die Selbstkontrolle entgegenzuhalten [14].
Die AZ-Medien Gruppe setzte erstmals einen Ombudsmann für ihre Zeitungen und Online-Auftritte ein. In das Amt wurde Josef Rennhard, ehemaliger Chefredaktor des „Beobachters“, gewählt. Der Ombudsmann soll zwischen Nutzerinnen und Nutzern, von Medienberichten betroffenen Personen und Institutionen sowie den Macherinnen und Machern der AZ-Medien vermitteln. Dabei hat er für eine Weiterentwicklung der Diskussionskultur wie auch für Verständnis gegenüber den Regeln und Gesetzesmässigkeiten des Medienalltags zu sorgen [15].
Der Schweizer Verband der Journalistinnen und Journalisten (SVJ) legte Ende des Berichtsjahres ein neues Reglement für das Berufsregister (BR) zuhanden der beiden anderen Mediengewerkschaften comedia und Schweizer Syndikat Medienschaffender (SSM) vor. Ziel ist es, ein neues und gesamtschweizerisch einheitliches BR für Medienleute zu schaffen, wobei die wichtigsten Änderungen eine Flexibilisierung des Registers sowie eine Betonung der ethischen Aspekte anstreben und insbesondere die Aufnahmebedingungen in das Register betreffen: Nicht mehr die Einkommenshöhe, sondern die eingesetzte Zeit (mindestens 50% während zweier Jahre) definiert die „hauptberufliche Tätigkeit“. Zudem gilt die journalistische Tätigkeit an sich und nicht das Medium als Aufnahmekriterium. Aufnahmewillige müssen sich künftig auf die Standesregeln des Berufs verpflichten [16].
 
[1] Presse vom 9.6.01; NZZ, 15.6.01. Seit März des Berichtsjahres wird die Internetnutzung in der Schweiz kontinuierlich erhoben. Analog zur Fernseh- und Radiokontrolle ermittelt die MMXI Switzerland bei 4800 Nutzerinnen und Nutzern mittels einer auf dem PC installierten Software sämtliche Bewegungen im Internet und offline (Presse vom 29.3.01).1
[2] BBl, 2001, S. 4643 ff.; AB NR, 2001, S. 1656 ff.; AB SR, 2001, S. 595 ff.; BBl, 2001, S. 6552 ff.; TA, 16.6.02; NZZ, 28.9. und 27.10.01; BaZ, 4.12.01; vgl. SPJ 2000, S. 297.2
[3] TA, 31.5., 13.9. und 15.11.01; Presse vom 5.6.01; Bund, 6.6.01; NZZ, 7.6. und 8.6.01.3
[4] Presse vom 11.1.01; NZZ, 22.1.01; vgl. SPJ 1997, S. 333.4
[5] Presse vom 2.5.01; NZZ, 4.5.01; vgl. SPJ 1998; S. 333.5
[6] Lib., 19.1.01; LT, 22.2. und 23.5.01; WoZ, 1.3.01; TA, 2.3.01; SoZ, 18.3.01; NZZ, 18.7. und 23.8.01; Presse vom 16.8.01; Ww, 6.9.01; vgl. SPJ 2000, S. 295 f.6
[7] AZ, 19.9.01; Presse vom 22.9.01.7
[8] Lib. 9.11.01; NZZ, 13.11.01; LT, 14.11.01; TA, 15.11.01.8
[9] Bund, 22.5. und 3.7.01; NZZ, 23.5. und 6.7.01.9
[10] NZZ, 18.1.02; Bund, 13.4.02. 10
[11] TA, 25.1.01; NZZ, 26.1. und 20.4.01; AZ, 3.2.01; Presse vom 8.2.01. Entgegen Studers Empfehlung entschied sich die Trägerschaft des Presserats jedoch gegen einen Einbezug der Verlegerseite und lehnte die Erweiterung des Stiftungsrats durch Verleger und Veranstalter der elektronischen Medien ab (ssmgazette, 3/2001, S. 16 f.). 11
[12] Bund, 13.3.01; NZZ, 16.3.01; AZ, 22.3.01; TA, 12.7.01. 12
[13] Presse vom 1.3.01; NZZ, 2.3.01. 13
[14] NZZ, 15.6. und 23.11.01; TA, 16.6.01. 14
[15] AZ, 22.12.01. 15
[16] ssmgazette, 3/2001, S. 4 f.; Bund, 30.10.01; TA, 1.11.01; NZZ, 2.11.01. 16