Année politique Suisse 2005 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
 
Sozialhilfe
Die Präsidenten des Verbandes schweizerischer Arbeitsämter (VSAA), der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) und der schweizerischen IV-Stellen-Konferenz plädierten Anfang Jahr für eine bessere Kooperation unter den Organisationen der sozialen Sicherheit. Sie forderten die Einrichtung medizinischer und arbeitsmarktlicher Assessment-Zentren, damit die Abklärungen zur Reintegration von Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt zu fallen drohen, möglichst früh erfolgen können. In solchen Zentren soll rasch entschieden werden, wie eine betroffene Person am besten wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden kann. Dabei wäre auch zu klären, welcher Zweig der sozialen Sicherung – Invalidenversicherung, Arbeitslosenversicherung oder Sozialhilfe – die Massnahmen durchzuführen und zu finanzieren hat. Von einem solchen gemeinsamen Vorgehen erwarten die Verbände mehr Effizienz und damit tiefere Kosten [34].
Den Grundsatz der Anreizschaffung zur Rückkehr ins Erwerbsleben übernahmen auch die ebenfalls zu Jahresbeginn verabschiedeten teilrevidierten SKOS-Richtlinien. Diese definieren, wie die Sozialhilfe berechnet wird. Dabei handelt es sich um Empfehlungen zuhanden der Sozialhilfeorgane des Bundes, der Kantone, der Gemeinden sowie der Organisationen der privaten Sozialhilfe. Die SKOS empfahl ihren Partnern, den Grundbedarf von bisher 1076 auf 960 Fr. zu senken, im Gegenzug aber für erwerbstätige Sozialhilfeempfänger einen monatlichen Freibetrag von 400 bis 700 Fr. vorzusehen [35].
Dabei zeigte eine von der SKOS in Auftrag gegebene Studie, dass ein Zusatzeinkommen nicht immer lohnend ist. Steigern Familienhaushalte ihre Erwerbstätigkeit oder teilen Paare die Erwerbsarbeit unter sich auf, hat dies (negative) Auswirkungen bei den Ausgaben für Steuern und Kinderbetreuung, bei der Verbilligung der Krankenkassenprämien und bei anderen Sozialtransfers. Laut der Studie ist der Anreiz für einen Zusatzverdienst nicht nur nach Familientyp (Paarhaushalt, Einelternhaushalt, Ehe, Konkubinat), sehr unterschiedlich. Erheblich sind die Unterschiede auch je nach Wohnort (verglichen wurden die Kantonshauptstädte Zürich, Lausanne und Bellinzona). Generell zeigte sich, dass sich die Aufteilung der Erwerbsarbeit meist nicht lohnt: das Alleinverdienermodell bleibt nach wie vor das finanziell günstigste [36].
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Opferhilfe
Zwei Jahre nach Beendigung der Vernehmlassung legte der Bundesrat Botschaft und Entwurf für eine Totalrevision des Opferhilfegesetzes vor. Hauptziel ist es, die stetig steigenden Kosten für die Opferhilfe, für welche die Kantone aufkommen müssen, durch griffigere Regeln unter Kontrolle zu bringen und den Anspruch auf Genugtuungsleistungen zu beschränken. Für diese schlägt der Bundesrat einen Maximalbetrag von 70 000 Fr. für Opfer und von 35 000 Fr. für Angehörige vor. Opfer von im Ausland begangenen Straftaten sollen weiterhin Hilfe in Form von Beratung, aber keine Geldleistungen mehr erhalten. Im Gegenzug wird die Frist für die Einreichung von Begehren um Entschädigung und Genugtuung von heute zwei auf fünf Jahre verlängert; die Frist für minderjährige Opfer von Straftaten gegen die physische oder sexuelle Integrität wird zusätzlich ausgedehnt [37].
 
[34] Presse vom 4.1.2005. Nach Angaben der drei Verbände beziehen in der Schweiz durchschnittlich rund 145 000 Personen Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, ungefähr 260 000 Menschen erhalten eine IV-Rente und ca. 300 000 werden ganz oder teilweise mit Leistungen aus der Sozialhilfe unterstützt. Bezieht man die Familienmitglieder mit ein, sind rund 10% der Bevölkerung auf eines der drei Auffangnetze der sozialen Sicherheit angewiesen (NZZ, 4.1.05). Zur 5. IV-Revision, die ebenfalls auf eine rasche Reintegration in den Arbeitsmarkt setzt, siehe unten, Teil I, 7c (Invalidenversicherung).
[35] NZZ, 19.1.2005. Die SKOS konnte im Berichtsjahr ihr 100-jähriges Jubiläum feiern (NZZ, 3.6.05). Lit. Menschenwürdig. Eine im Rahmen des NFP 45 „Probleme des Sozialstaates“ publizierte Studie warnte, die wachsende Zahl der Working Poor bedeute sozialen Sprengstoff. Bei den Familien mit mehreren Kindern sei der Anteil der Working Poor in den 90er Jahren von 11 auf 17% gestiegen, bei den Alleinerziehenden habe er sich von 15 auf 30% sogar verdoppelt (NZZ, 18.1.05).
[36] Presse vom 31.1.05.
[37] BBl, 2005, S. 7165 ff. Siehe SPJ 2003, S. 219. Da er dies selber so vorsah, war der BR bereit, eine Motion Markwalder (fdp, BE) entgegenzunehmen, welche eine längere Verwirkungsfrist als die geltenden zwei Jahre verlangte; der Vorstoss wurde aber von Stamm (svp, AG) bekämpft und der Entscheid deshalb verschoben (AB NR, 2005, S. 1507).