Année politique Suisse 2006 : Infrastruktur und Lebensraum / Energie
Kernenergie
Eine Umfrage des Instituts Demoscope im Auftrag von Swissnuclear, dem Zusammenschluss der Kernkraftwerkbetreiber, kam zum Ergebnis,
dass die Mehrheit der Bevölkerung (70%) die Atomenergie als notwendig für die Energieversorgung der Schweiz betrachtet. Der Ersatz der bestehenden Atomkraftwerke durch neue Anlagen, wenn diese den Betrieb einstellen müssen, wurde aber nur von 46% der Befragten befürwortet. Fast 54% der Befragten vertraten die Ansicht, die Lagerung hochradioaktiver Abfälle könne geregelt werden, 2001 waren es 46,3% gewesen
[15].
Im Oktober verabschiedete der Bundesrat die Botschaft zur
Neuorganisation der nuklearen Sicherheitsaufsicht. Der Entwurf des Bundesrats sieht vor, die Hauptabteilung für die Sicherheit von Kernanlagen aus dem Bundesamt für Energie auszugliedern und in ein unabhängiges Eidgenössisches Nuklear-Sicherheitsinspektorat umzuwandeln. Gleichzeitig soll die Kommission für die Sicherheit von Kernanlagen (KSA) abgeschafft werden. Die KSA ist ein beratendes Organ des Bundesrats und hat heute die Aufgabe, Fragen der Sicherheit zu prüfen, den Betrieb der Kernanlagen zu verfolgen und zu Bewilligungsgesuchen Stellung zu nehmen. Mit der rechtlichen Verselbständigung der Aufsicht über die Atomkraftwerke erfüllt die Schweiz ein internationales Übereinkommen, das vorschreibt, dass Aufsichtsbehörden und Stellen, die sich mit Nutzungs- und Wirtschaftsaspekten der Kernenergie befassen, getrennt werden müssen. In der Vernehmlassung war die Neuordnung der Atomaufsicht grundsätzlich befürwortet worden, bei atomkritischen Kreisen stiess aber die Abschaffung der KSA auf Kritik. Die KSA hatte sich als eigenständiges, unabhängiges Gremium profiliert und daher befürchteten sie, dass durch ihre Abschaffung die Atomaufsicht in die Hände von atomenergiefreundlichen Fachleuten fallen würde
[16].
Im Juli traten vier neue
Kernenergieverordnungen in Kraft. Diese betreffen die Mindestanforderungen an die Qualifikation und Ausbildung des Personals von Kernanlagen, die Personensicherheitsprüfungen, die Ausrüstung und Bewaffnung von Wachen sowie spezifische Anforderungen an die druckführenden Teile von Kernanlagen
[17].
Weil die
Betriebsbewilligung für das Kernkraftwerk Mühleberg (BE) 2012 ausläuft, reichte die BKW 2005 beim UVEK ein Gesuch für eine unbefristete Betriebsbewilligung ein. Das UVEK lehnte im Berichtsjahr das Gesuch ab und verlangte, dass für den Betrieb des Kernkraftwerks über das Jahr 2012 hinaus ein atomrechtliches Bewilligungsverfahren nach dem neuen Atomgesetz durchzuführen sei. Die BKW legte gegen den Entscheid Rekurs ein. Sie vertrat die Ansicht, dass das alte verfahrensrechtlich weniger aufwändige Atomgesetz für ihr Gesuch noch anwendbar sei
[18].
Das neue Kernenergiegesetz verpflichtet die Schweizer Kernkraftwerkbetreiber ihre Bestände an radioaktivem Material im Ausland beim Bundesamt für Energie zu deklarieren. Gemäss den Angaben wurden im Berichtsjahr
2000 Tonnen Uran und knapp 2500 Kilogramm Plutonium im Ausland gelagert. Das Kernmaterial befand sich in Deutschland, Frankreich, Schweden, Grossbritannien und den USA. Der grösste Teil des Schweizer Kernmaterials im Ausland, nämlich 1642 Tonnen Natururan, war noch nicht in der Schweiz, es handelt sich um Material, das zur Herstellung von neuen Brennelementen eingekauft wurde
[19].
Gemäss der Kernenergieverordnung von 2005 muss der Bund einen
Sachplan für die Lagerung von radioaktiven Abfällen in geologischen Tiefenlagern ausarbeiten. Im März 2006 legte das Bundesamt für Energie (BFE) einen Entwurf für einen Fahrplan vor, nach dem zu verfahren ist, um einen Entscheid über einen Standort für ein geologisches Tiefenlager zu ermöglichen und mehrheitsfähig zu machen. Das BFE konsultierte anschliessend die kantonalen Fachstellen für Raumplanung und ergänzte den Entwurf mit ihren Anregungen. Der überarbeitete Entwurf wurde den betroffenen Behörden des Bundes und den Nachbarstaaten ab November zur Stellungnahme vorgelegt, die Vernehmlassung war am Ende des Berichtsjahres noch nicht abgeschlossen
[20].
Laut dem Konzept des Bundesamts für Energie soll bei der
Standortsuche für ein geologisches Tiefenlager maximale Transparenz herrschen, zudem sollen die betroffene Bevölkerung, politische Gruppierungen und ausländische Behörden mitwirken können. Ein Standortentscheid könnte demnach in 8-10 Jahren gefällt werden. In einer ersten Phase will der Bund geeignete Regionen evaluieren, dabei stehen sicherheitstechnische Kriterien im Vordergrund. In einem zweiten Schritt sollen je mindestens 2 potentielle Standorte für schwach- und mittelaktive sowie für hochradioaktive Abfälle ausgeschieden werden. Neben sicherheitstechnischen Gesichtspunkten sollen auch raumplanerische und sozioökonomische Aspekte berücksichtigt werden. Hierbei ist die Mitwirkung der betroffenen Regionen vorgesehen. In einer letzten Etappe wird der Bundesrat je einen Standort für schwach- und mittelaktive sowie für hochradioaktive Abfälle bezeichnen. Dieser Vorschlag muss vom Parlament genehmigt werden und untersteht dem fakultativen Referendum
[21].
Die
Kernkraftbefürworter begrüssten die Vorschläge des Bundes zur Lösung der Endlagerfrage. Sie betrachten das Problem der Lagerung von radioaktiven Abfällen als zentrales Hindernis für den Bau neuer Atomkraftwerke und möchten eine möglichst rasche Klärung dieser Frage. Kritisiert wurde der Sachplanentwurf dagegen von der
atomkritischen Schweizerischen Energiestiftung. Sie beanstandete unter anderem die ungenügenden Mitwirkungsmöglichkeiten der betroffenen Bevölkerung
[22].
Im Juni akzeptierte der Bundesrat den
Entsorgungsnachweis der Nagra für radioaktive Abfälle. Der Entsorgungsnachweis war 2002 eingereicht worden und basiert auf den Nagra-Untersuchungen im Opalinuston des Zürcher Weinlands. Zwischen 2003 und 2005 wurde er von den zuständigen Bundesbehörden und Fachkommissionen umfassend geprüft. Trotz einiger Kritikpunkte kamen sie zum Schluss, dass der Nachweis grundsätzlich erbracht sei. Der Bundesrat betonte, dass mit dem Entsorgungsnachweis lediglich die grundsätzliche Machbarkeit der Entsorgung radioaktiver Abfälle in einer bestimmten Schicht bejaht werde, dass damit aber noch kein Standortentscheid für ein geologisches Tiefenlager gefällt werde
[23].
[15]
TG und
24h, 15.5.06;
NZZ, 20.5.06.
[16]
BBl, 2006, S. 8831 ff.
; NZZ, 22.3.06;
TA, 21.4.06;
LT, 19.10.06.
[18]
LT,
NZZ und
24h, 15.6.06;
QJ und
24h, 15.7.06. Vgl.
SPJ 2005, S. 137 f.
[19]
NZZ und
QJ, 24.4.06. Zum neuen Kernenergiegesetz vgl.
SPJ 2003, S. 150 f.
[20]
BaZ, 16.2.06;
NZZ, 2.11.06.
[21]
BaZ, 16.2.06;
AZ und
TA, 16.3.06. Vgl.
SPJ 2004, S. 123.
[22]
TA, 15.3.06;
NZZ, 16.3.06.
[23]
AZ,
NZZ und
TA, 29.6.06. Vgl.
SPJ 2005, S. 138.
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