Année politique Suisse 2007 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
 
Bürgerrecht und Stimmrecht
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Bürgerrecht
Als Erstrat befasste sich der Nationalrat mit der von der SVP eingereichten Volksinitiative zur Einbürgerungspolitik („für demokratische Einbürgerungen“). Seine Staatsrechtliche Kommission beantragte mit 13 zu 12 Stimmen im Gegensatz zum Bundesrat, die Initiative zur Annahme zu empfehlen. Hauptargument dieser aus der geschlossenen SVP und einigen FDP- und CVP-Kommissionsmitgliedern gebildeten Mehrheit war, dass man trotz des Bundesgerichtsurteils von 2003 die Einbürgerung weiterhin als rein politischen Akt ohne Rekursmöglichkeit betrachte. Da die Initiative unter anderem genau dies in die Verfassung schreiben will, sei sie zu unterstützen. Eine von den Grünen unterstützte Kommissionsminderheit beantragte, die Initiative für ungültig zu erklären, da sie nicht umsetzbar sei. Da sowohl die Bundesverfassung als auch das Völkerrecht eine Rechtsweggarantie und zudem auch ein Diskriminierungsverbot vorschreiben, könne sie – ähnlich wie die Initiative für eine lebenslange Verwahrung – nicht im Sinn der Initianten umgesetzt werden. Diesen Antrag auf Ungültigkeit lehnte der Nationalrat nach einer sehr langen Debatte mit 132 zu 49 Stimmen ab. Fast ebenso deutlich distanzierte sich der Rat aber auch vom Antrag seiner Kommissionsmehrheit: Er empfahl mit 117 zu 63 Stimmen die Initiative zur Ablehnung. Neben der fast geschlossenen SVP (Ausnahme Gadient, GR) sprachen sich nur sechs Freisinnige und vier Christlichdemokraten für die Initiative aus. Im Ständerat betonte Escher (cvp, VS) den antiföderalistischen Charakter der Initiative, die sich in die Organisationsrechte der Kantone einmische, einen Bereich, in welchem der Bund bisher über keine verfassungsmässigen Kompetenzen verfüge. Die kleine Kammer lehnte die Initiative in der Schlussabstimmung mit 34 zu 7 Stimmen bei 2 Enthaltungen ab.
Ebenfalls gegen den Antrag seiner vorberatenden Kommission, in welcher es zu einer unheiligen Allianz der SVP mit der Linken gekommen war, hiess der Nationalrat die parlamentarische Initiative Pfisterer (fdp, AG) gut. Diese sieht im Sinne eines indirekten Gegenvorschlags zur SVP-Volksinitiative vor, dass in den Gemeinden Volksabstimmungen über Einbürgerungen möglich sein sollen, wenn dies das kantonale Recht so vorsieht. Allfällige Ablehnungsanträge müssten aber begründet werden und bei einem negativen Volksentscheid wäre eine Beschwerde an ein letztinstanzlich entscheidendes kantonales Gericht möglich. In der Detailberatung hatte der Nationalrat diese Bestimmungen zuerst verschärft und beschlossen, dass an einer Gemeindeversammlung der Antrag auf Ablehnung eines Einbürgerungsgesuchs schriftlich formuliert sein muss. In der Differenzbereinigung liess er diese Bestimmung zwar fallen, beharrte aber darauf, dass Volksentscheide nur in Gemeindeversammlungen erlaubt sein sollen, nicht aber an der Urne, da dort keine Begründung möglich ist. Der Ständerat wollte, nicht zuletzt aus abstimmungsstrategischen Gründen, den Kantonen das Recht geben, Urnenabstimmungen dann zuzulassen, wenn vorgeschrieben wird, dass eine Ablehnungsempfehlung begründet werden muss. Er konnte sich aber nicht durchsetzen. Wenn die Gesamtheit der Stimmberechtigten und nicht eine dem Amtsgeheimnis unterstehende politische Behörde über eine Einbürgerung entscheidet, stellen sich besondere Probleme des Datenschutzes. Der Nationalrat stellte sich zuerst hinter einen Antrag Hutter (svp, SG), der verlangte, dass zusätzlich zu den vom Ständerat festgelegten Informationen, welche den Stimmbürgern bekannt zu geben sind (Staatszugehörigkeit, Wohnsitzdauer und Angaben, die erforderlich sind, um über die Integration zu urteilen), auch die Religionszugehörigkeit aufzuführen ist. Er musste in der Differenzbereinigung aber darauf verzichten, da dies der Ständerat als für das Verfahren unnötige Beeinträchtigung der Privatsphäre kritisierte und deshalb ablehnte. In der Schlussabstimmung hiessen der Nationalrat und der Ständerat die Gesetzesrevision mit 109 zu 73 resp. 36 zu 5 Stimmen gut. Die SVP stimmte nahezu geschlossen dagegen. Diese Bestimmungen werden nur dann in Kraft treten, wenn die Initiative der SVP bei Volk und Ständen keine Mehrheit findet oder zurückgezogen wird [11].
Der Bundesrat beschloss, dass Projekt einer Verkürzung der in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr langen nationalen Wohnsitzpflicht von zwölf Jahren nicht weiter zu verfolgen. Die Volksabstimmung von 2004 habe gezeigt, dass eine Reduktion momentan nicht mehrheitsfähig sei. Er forderte die Kantone aber auf, ihre kantonalen und kommunalen Wohnsitzpflichten zu vereinheitlichen und zu verkürzen. Diese zum Teil sehr langen Fristen (z.B. 12 Jahre kantonale Wohnsitzpflicht in Nidwalden oder sogar 15 Jahre in einzelnen Zürcher Gemeinden) entsprächen der heutigen Mobilität der Menschen nicht mehr [12].
Seit der 1992 eingeführten erleichterten Einbürgerung von ausländischen Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern war es vermehrt zu unrechtmässig erfolgten Einbürgerungen gekommen, indem das für die Heirat erforderliche Zusammenleben nur vorgetäuscht worden war oder die eingebürgerte Person bereits in einer anderen Ehe lebte (so genannte Scheinehen). Nach geltendem Recht können diese Einbürgerungen innert fünf Jahren rückgängig gemacht werden. In nicht wenigen Fällen (jährlich werden rund 100 verdächtige Fälle untersucht), dauern die erforderlichen Abklärungen aber länger. Nationalrat Lustenberger (cvp, LU) hatte deshalb 2006 mit einer parlamentarischen Initiative eine Ausdehnung dieser Frist verlangt. Die Staatspolitischen Kommissionen beider Räte hatten dieser Anregung Folge gegeben und diejenige des Nationalrats arbeitete eine entsprechende Teilrevision des Bürgerrechtsgesetzes aus. Sie beantragte insbesondere die Verlängerung der Frist zum Entzug des missbräuchlich erworbenen Bürgerrechts auf acht Jahre, wobei während eines Beschwerdeverfahrens die Verjährungsfrist automatisch stillstehen soll. In der Vernehmlassung und auch in der Kommission hatten die SP und die GP diese auch vom Bundesrat begrüsste Neuerung bekämpft [13].
Mit einer Änderung der Strafregister-Verordnung ermöglichte der Bundesrat, dass die mit Einbürgerungen befassten kantonalen Behörden ab Februar 2008 einen direkten Zugriff auf die eidgenössischen Datenbanken über laufende Strafuntersuchungen erhalten werden. Die im Vorjahr von Nationalrat Freysinger (svp, VS) eingereichte Motion, welche unter anderem diesen Zugriff forderte, war damals von der Linken bekämpft und deshalb bisher vom Rat noch nicht behandelt worden [14].
In den Kantonen und Gemeinden blieb die Regelung der Einbürgerung weiterhin ein beliebtes Aktionsfeld der SVP. Der Freiburger Grosse Rat beschloss, dass die kommunalen Einbürgerungsentscheide in Zukunft durch die Exekutive und nicht mehr durch die Gemeindeversammlung oder das Gemeindeparlament gefällt werden sollen. Die SVP reichte dagegen das Referendum ein. Eine solche Regelung kennen bereits die Kantone Genf, Neuenburg und Waadt sowie seit 2005 auch der Kanton Bern. Im Kanton Wallis stimmte das Volk mit 72% Ja-Stimmen einer Übertragung der Kompetenz zur kommunalen Einbürgerung von der Bürger- auf die Einwohnergemeinde zu. Nur die SVP kämpfte dagegen, die Bürgergemeinden selbst waren damit aber einverstanden, da sie gemäss revidiertem Bundesrecht nur noch verwaltungskostendeckende Einbürgerungsgebühren verlangen dürfen. Im Aargau bekämpfte die SVP das Vollzugsgesetz zu dieser neuen nationalen Regelung, dass die Gemeinden nur noch kostendeckende Einbürgerungsgebühren verlangen dürfen, mit einem Behördenreferendum. Das Volk nahm die von der SVP als „Gratiseinbürgerung“ bekämpfte Vorlage deutlich (68% Ja) an [15].
Die Zahl der Einbürgerungen lag mit 45 042 etwas unter dem Vorjahreswert (47 607). Die grösste Gruppe von Eingebürgerten stellte Serbien (inkl. Kosovo) mit 10 428 Personen (weitere 6900 kamen aus den vier anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens), gefolgt von Italien (4759) und der Türkei (3046). Als eines der letzten Länder mit einer grossen Anzahl von in die Schweiz Ausgewanderten hob Deutschland im Berichtsjahr das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft auf, was in Zukunft zu mehr eingebürgerten Deutschen führen dürfte [16].
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Jugendstimmrecht
Im Kanton Glarus hiess die Landsgemeinde die von den Jungsozialisten geforderte Senkung des aktiven Stimmrechtsalters auf 16 Jahre mit knapper Mehrheit gut. Die Neuerung trat sofort in Kraft. Die Regierung hatte das Anliegen unterstützt, das Parlament und die drei bürgerlichen Parteien FDP, SVP und CVP empfahlen hingegen Ablehnung. Nationalrätin Evi Allemann (sp, BE) nutzte die Gelegenheit, um eine parlamentarische Initiative für eine entsprechende Senkung auf nationaler Ebene einzureichen. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats beschloss Ende November mit einem Mehr von 11 zu 10 Stimmen, dieser Initiative Folge zu geben. Im Kanton Bern überwies das Parlament eine von Nadja Masshardt (sp) eingereichte, und auch von der Regierung unterstützte Motion für das Wahlrechtsalter 16 gegen den Widerstand der SVP und einer Mehrheit der FDP. In den Kantonen Aargau, Baselland, Jura und Zürich lehnten die Parlamente entsprechende Vorstösse der SP resp. der GP ab [17].
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Ausländerstimmrecht
In Neuenburg entschieden die Stimmberechtigten über eine Volksinitiative für die Erweiterung des Ausländerstimm- und -wahlrechts auf die Wählbarkeit in Kantons- und Gemeindebehörden sowie über einen Gegenvorschlag von Regierung und Parlament, dieses passive Wahlrecht für Ausländer nur auf kommunaler Ebene einzuführen. Die von der SVP und der LP bekämpfte Wählbarkeit in Gemeindebehörden wurde mit einer Mehrheit von rund 55% angenommen; die weiter gehende Volksinitiative hingegen mit 59% Nein-Stimmen abgelehnt. Am gleichen Tag lehnte der Kanton Jura in einer Volksabstimmung die Ausweitung der Wählbarkeit von niedergelassenen Ausländern auf Ämter in Gemeindeexekutiven (in kommunale Parlamente sind sie bereits wählbar) mit einer knappen Mehrheit von 51% ab; die SVP hatte gegen diesen Parlamentsbeschluss das Referendum ergriffen [18].
In den Kantonen Zürich und Bern lehnten die Parlamente, gegen die Empfehlung ihrer Regierungen, die Einführung des fakultativen Ausländerstimmrechts auf Gemeindeebene ab [19].
 
[11] AB NR, 2007, S. 730 ff., 1562 ff., 1579 ff., 1733, 1939 ff. und 2073; AB SR, 2007, S. 80 ff., 952, 1048 ff., 1163 und 1209; BBl, 2007, S. 6947 (Volksinitiative); BBl, 2008, S. 45 (Gesetzesrevision); NZZ, 20.2. und 3.4.07 sowie SGT, 31.3.07 (SPK-NR). Vgl. SPJ 2005, S. 21 und 2006, S. 21.
[12] NZZ, 10.3. und 14.3.07. Zur Volksabstimmung von 2004 siehe SPJ 2004, S. 19 f.
[13] BBl, 2008, S. 1277 ff. und 1289 (BR).
[14] NZZ, 15.12.07. Zur Motion Freysinger siehe SPJ 2006, S. 21.
[15] FR: Lib., 17.3., 10.5. und 2.6.07; LT, 21.8.07. VS: NF, 22.2. und 12.3.07; LT, 23.2.07. AG: AZ, 2.6. und 18.6.07. Vgl. SPJ 2006, S. 21. Für Bern siehe SPJ 2005, S. 22.
[16] Statistik: Mitteilung des BA für Migration. Deutschland: TA, 30.8.07.
[17] Glarus: NZZ, 8.2., 7.5. und 10.5.07; TA, 7.5.07. Allemann (pa.Iv. 07.456): BZ, 8.5.07; NZZ, 1.12.07. Bern: Bund und BZ, 6.6.07. AG: AZ, 10.1. und 11.1.07. BL: BaZ, 19.10.07. JU: QJ, 22.6. und 22.12.07. ZH: TA, 19.6.07. In BS sprach sich das Parlament grundsätzlich für eine entsprechende Motion aus, hat diese im Berichtsjahr aber noch nicht überwiesen (BaZ, 19.5., 12.12. und 15.12.07). Siehe auch WoZ, 17.5.07. Vgl. SPJ 2006, S. 21.
[18] NE: Express, 1.2., 22.3. und 18.6.07; TA, 13.6. und 18.6.07. JU: LT, 22.2.07; QJ, 24.2., 24.4. und 18.6.07; TA, 13.6. und 18.6.07. Vgl. SPJ 2006, S. 21.
[19] BE: Bund, 24.1.07. ZH: TA, 10.2. und 13.2.07. Vgl. SPJ 2006, S. 21.