Année politique Suisse 2007 : Grundlagen der Staatsordnung / Institutionen und Volksrechte
Volksrechte
Im Berichtsjahr kam es zu einer mit einem fakultativen Referendum verlangten Volksabstimmung (Invalidenversicherungsgesetz). Das Volk stimmte dem Parlamentsbeschluss zu. Ausserdem lehnten Volk und Stände eine Volksinitiative ab (Einheitskrankenkasse).
Im Jahr 2007 wurden 4 Volksinitiativen eingereicht. Dem Volk zum Entscheid vorgelegt wurde ein Volksbegehren (Einheitskrankenkasse); es wurde abgelehnt. Damit stieg Ende 2007 der Bestand der eingereichten, aber dem Volk noch nicht zum Entscheid vorgelegten Initiativen auf 15. Neu lanciert wurden im Jahr 2007 11 Volksinitiativen.
Insgesamt kam es somit zu
zwei Volksabstimmungen (1 Volksinitiative und 1 fakultatives Referendum). Bei beiden Entscheiden folgten die Stimmberechtigten dem Antrag von Regierung und Parlament (2006: sechs von sechs)
[45].
Zum Jugend- und Ausländerstimmrecht siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht und Stimmrecht).
Die SPK des Nationalrats beantragte, einer parlamentarischen Initiative der SVP-Fraktion für die Einführung des
Finanzreferendums nun doch keine Folge zu geben. Der Nationalrat hatte dieser allgemein formulierten Initiative 2004 gegen den Widerstand der Linken und einer Mehrheit der CVP mit knappem Mehr Folge gegeben und damit die SPK mit der Ausarbeitung einer Vorlage beauftragt. In ihrem Bericht konstatierte die SPK, dass die Wissenschaft aufgrund von Daten aus den USA sowie schweizerischen Kantonen und Gemeinden nachgewiesen hat, dass dieses direktdemokratische Recht zu weniger Staatsausgaben führt. Die Kommission hatte dazu verschiedene Varianten formuliert und diese im Frühjahr 2007 in eine Vernehmlassung gegeben. Neben der FDP und der SVP unterstützten auch Economiesuisse und der Gewerbeverband die Vorlage. Der Bauernverband und die Gewerkschaften sprachen sich ebenso dagegen aus wie SP, CVP, EVP und LP. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats begründete ihren Ablehnungsantrag nicht nur mit der mehrheitlich negativen Vernehmlassung, sondern auch mit der Angst vor einer Blockierung der Bundespolitik. Meist sei eine Ausgabe gesetzlich verankert und damit bereits heute mit dem Referendum gegen das Gesetz angreifbar. In anderen Fällen wie etwa beim jährlichen Rüstungsprogramm würde sich die Volksabstimmung zeitlich mit der Ausarbeitung des nächsten Programms überschneiden und damit eine seriöse Planung verunmöglichen
[46].
Die Umsetzung der 2003 in die Verfassung aufgenommenen
allgemeinen Volksinitiative ist gescheitert. Als Zweitrat beschloss auch der Ständerat Nichteintreten auf den Vorschlag des Bundesrats. Die SPK des Nationalrats gab in der Folge den Vorschlag zur Aufhebung des Verfassungsartikels über diese allgemeine Volksinitiative in die Vernehmlassung
[47].
Der Nationalrat lehnte eine parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion für eine
Ausweitung des Staatsvertragsreferendums mit 121 zu 59 Stimmen ab. Diese hatte verlangt, dass die bisher dem fakultativen Referendum unterstehenden völkerrechtlichen Verträge dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. Diese strengere Regelung, welche die Opponenten nicht nur vom Unterschriftensammeln befreit, sondern in der Volksabstimmung sowohl das Volks- als auch das Ständemehr für eine Annahme verlangt, gilt gemäss Bundesverfassung nur für Beitritte zu supranationalen Gemeinschaften (z.B. UNO, EU) und zu Organisationen zur Wahrung der kollektiven Sicherheit (z.B. NATO). Die SPK hatte gegen eine Ausweitung des obligatorischen Referendums ins Feld geführt, dass es sich bei den angesprochenen völkerrechtlichen Verträgen um solche handelt, die wichtige rechtssetzende Bestimmungen enthalten oder deren Vollzug wichtige Gesetzesänderungen von der Schweiz verlangt. Für derartige Fälle sei analog zur Gesetzgebung im nationalen Rahmen nur das fakultative und nicht das obligatorische Referendum das angebrachte Volksrecht. Die AUNS gab bekannt, dass sie eine Volksinitiative für eine Ausweitung des obligatorischen Staatsvertragsreferendums lancieren werde, ohne allerdings einen Zeitpunkt zu nennen
[48].
Die im Vorjahr vom Bundesrat beantragten und vom Nationalrat gutgeheissenen Anpassungen des Gesetzes über die politischen Rechte und des Gesetzes über die politischen Rechte der Auslandschweizer fanden auch im Ständerat Zustimmung. Es ging dabei insbesondere um eine Präzisierung des Begriffs „Stellvertretung“ und um die rechtliche Absicherung der Weiterentwicklung des
Vote électronique nach dem Abschluss der ersten Pilotphase
[49].
Der Ständerrat übernahm den indirekten Gegenvorschlag des Nationalrats zur
Volksinitiative „
Volkssouveränität statt Behördenpropaganda“ nur zögerlich. In einem ersten Umgang folgte er dem Nichteintretensantrag seiner Kommission. Diese stiess sich konkret an der Vorschrift, dass der Bundesrat keine vom Parlamentsbeschluss abweichende Meinung vertreten dürfe. Grundsätzlich erachtete sie es aber ohnehin als unmöglich, dem Bundesrat in einem Gesetz Detailvorschriften über sein Verhalten während einer Abstimmungskampagne zu machen. Da der Nationalrat seine Haltung nicht änderte, gab der Ständerat in der zweiten Runde nach. Er schwächte die Weisung an den Bundesrat allerdings insofern ab, dass dieser bloss keine abweichende Empfehlung abgeben darf. Diese Version fand auch in der grossen Kammer Zustimmung. Als Zweitrat empfahl auch der Nationalrat, gegen den Widerstand der SVP, die Volksinitiative selbst zur Ablehnung
[50].
Einmal mehr scheiterte im Parlament ein linker Vorstoss für grössere Transparenz über die
Finanzierung von Wahlkämpfen und Abstimmungskampagnen. Auf Antrag seiner SPK lehnte der Nationalrat eine entsprechende parlamentarische Initiative Nordmann (sp, VD) mit 78 zu 60 Stimmen ab. Nach den Nationalratswahlen, bei denen vor allem die SVP durch sehr hohe Ausgaben für Inserate und Plakate aufgefallen war, dachte die SP laut über die Lancierung einer Volksinitiative für Transparenz über die Herkunft von Wahlkampfspenden nach
[51].
Zum ersten Mal wurde die Durchführung der
eidgenössischen Wahlen durch die OSZE beobachtet. Auf Einladung des Bundesrates befand sich eine internationale Delegation des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte im Juni und dann nochmals während der Wahlen im Oktober in der Schweiz. Hintergrund der doch mit einigem Erstaunen zur Kenntnis genommenen Mission waren nicht Beschwerden über Unkorrektheiten bei den schweizerischen Wahlen, sondern Kritiken aus osteuropäischen Ländern, dass von der OSZE meist nur ihre Wahlen und kaum jemals diejenigen der Westeuropäer kritisch examiniert würden
[52].
[45] Siehe dazu auch Andreas Gross, „Volksrechte als Spiegel ungelöster Probleme“, in
NZZ, 10.1.08.
[46]
BBl, 2007, S. 8373 ff.;
NZZ, 21.2.07. Vgl.
SPJ 2004, S. 36. Siehe auch unten, Teil I, 5 (Sanierungsmassnahmen).
[47]
AB SR, 2007, S. 219 ff.;
AZ, 3.11.07 (Vernehmlassung). Vgl.
SPJ 2006, S. 39.
[48]
AB NR, 2007, S. 52 ff.;
NZZ, 3.2.07 und
TA, 30.4.07 (AUNS).
[49]
AB SR, 2007, S. 225 f. und 311;
AB NR, 2007, S. 599;
BBl, 2007, S. 2293 ff. Vgl.
SPJ 2006, S. 39. Zur Einführung des e-voting siehe auch Bundeskanzlerin Huber in
AB NR, 2007, S. 351.
[50]
AB SR, 2007, S. 227 f., 668 ff. und 950 sowie 1211 (Schlussabstimmung Volksinitiative);
AB NR, 2007, S. 621 f., 1322, 1731 (pa.Iv.) sowie 1949 ff. und 2075 (Volksinitiative);
BBl, 2008, S. 1 f. Siehe
SPJ 2005, S. 39 f. und
2006, S. 40.
[51]
AB NR, 2007, S. 1444 ff.;
TA, 23.10.07.
[52]
Lib., 23.8.07. Siehe dazu auch NR Haering in
AB NR, 2007, S. 1141 f.
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