Année politique Suisse 2007 : Sozialpolitik / Gesundheit, Sozialhilfe, Sport
Gesundheitspolitik
Die Schweiz könnte mehr für ein patientengerechtes Gesundheitswesen tun. In einem europaweiten Vergleich platzierte sie sich auf Rang 4 hinter Österreich, den Niederlanden und Frankreich. Die Studie bewertete
Dienstleistung und Erfolg der Gesundheitssysteme – unabhängig davon, ob sie staatlich oder privatwirtschaftlich organisiert sind. Für die Untersuchung wertete der „Euro-Gesundheitskonsumenten-Index“ 2007 insgesamt 27 Indikatoren in 29 Staaten aus, die für die Konsumenten als besonders wichtig eingestuft wurden. Analysiert wurden Patientenrechte und -informationen, Wartezeiten für herkömmliche Behandlungen, Leistungsübernahme und Zugang zu Medikamenten. Gemäss dem Forschungsleiter bestehe besonderer Handlungsbedarf beim Qualitäts-Ranking für Spitäler (siehe unten)
[1].
Mit einem Postulat wollte Nationalrätin Humbel Näf (cvp, AG) den Bundesrat auffordern, in einem Bericht aufzuzeigen, welche Auswirkungen der freie Dienstleistungsverkehr im Gesundheitsbereich innerhalb der EU auf die Schweiz und unser Gesundheitssystem hat. Dabei soll insbesondere auch dargelegt werden, welche Massnahmen Bund, Kantone und Leistungserbringer zu ergreifen haben, damit die schweizerischen Gesundheitsdienstleistungen im
EU-Binnenmarkt wettbewerbsfähig und auch EU-Bürgern zugänglich gemacht werden. Der Bundesrat war mit dem Anliegen des Postulates grundsätzlich einverstanden. Es wurde jedoch von Rossini (sp, VS) bekämpft und damit vorerst der Diskussion entzogen
[2].
Der Bundesrat erteilte dem EDI den Auftrag, bis im Herbst 2008 einen Vorentwurf für gesetzliche Bestimmungen zur Stärkung von
Prävention und Gesundheitsförderung zu erarbeiten. Als Grundlage dient ein Bericht zum Thema, der als Antwort auf zwei Postulate festhält, dass es in Anbetracht der Zunahme von nichtübertragbaren und psychischen Krankheiten neue rechtliche Grundlagen für diesen Bereich braucht. Diese gesetzlichen Bestimmungen sollen die folgenden Bereiche regeln: Massnahmen des Bundes, Koordination der Präventionsbemühungen von Bund, Kantonen und privaten Organisationen sowie der Aktivitäten der Bundesstellen, Vereinfachung und Neugestaltung der Präventionsstrukturen. Dass verstärktes Engagement in der Schweiz nötig ist, hatte im Vorjahr auch ein OECD-Bericht zum Gesundheitswesen der Schweiz zum Ausdruck gebracht
[3].
Zu Unmut im Parlament führt seit einigen Jahren die Tätigkeit der
Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz, welche durch eine Zwangsabgabe auf den Krankenkassenprämien finanziert wird. Insbesondere wird immer wieder eine Verzettelung der Mittel (rund 17 Mio Fr. pro Jahr) moniert. Dies veranlasste Nationalrat Rossini (sp, VS), mit einer Motion zu verlangen, der Bund solle als Mitglied des Stiftungsrates durch eine Revision des Leitbildes darauf hinwirken, dass Projekte einerseits verstärkt nach Schwerpunktachsen, andererseits in einem längeren Zeitrahmen gefördert werden können, da Gesundheitsförderung erwiesenermassen einen langen Atem brauche, um die Zielgruppen zu erreichen. Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrages realisiert die Stiftung keine eigenen Projekte, sondern bietet fachliche und finanzielle Unterstützung bei der Lancierung von Aktivitäten an. Dieses Engagement ist gemäss den Leitlinien der Stiftung üblicherweise zeitlich auf maximal drei Jahre und finanziell auf höchstens 50% der Gesamtkosten begrenzt. In seiner Stellungnahme wies der Bundesrat darauf hin, dass die Stiftung seit 1999 strategisch auf drei Schwerpunktprogramme setzt, welche die Themenkreise "Bewegung, Ernährung, Entspannung", "Gesundheit und Arbeit" und "Jugendliche und junge Erwachsene" beinhalten. Obgleich er die Ansicht des Motionärs teilte, wonach Prävention generell langfristig angelegt sein muss, bezweifelte er, ob es sachlich geboten ist, die bisherige Praxis zu ändern und die Stiftung zu einem dauerhaften Finanzierungsträger nur weniger Aktivitäten zu machen. Federführend in der Prävention seien gemäss Verfassung die Kantone und Gemeinden, während es Sache der Stiftung sei, Impulse zu geben. Eine Ausrichtung auf einzelne Themen wäre dieser Aufgabe hinderlich oder würde sie sogar verunmöglichen. Aufgrund einer externen Evaluation habe die Stiftung in den letzten Jahren zudem ihre Tätigkeit kritisch hinterfragt und beschlossen, die Mittel gezielter einzusetzen. Auf seinen Antrag wurde die Motion mit 101 zu 75 Stimmen abgelehnt
[4].
Aber auch einzelne Tätigkeitsfelder der Stiftung wurden
kritisch hinterfragt. Nationalrätin Teuscher (gp, BE) machte sich in einer Anfrage Gedanken darüber, ob die Plakatkampagne der Stiftung, die insbesondere übergewichtige Jugendliche ansprechen will, nicht die Gefahr berge, den vor allem bei jungen Frauen verbreiteten Krankheiten Bulimie und Magersucht Vorschub zu leisten. Bekämpft von Hutter (svp, SG) und damit vorderhand der Beratung entzogen wurde ein Postulat Teuscher, welches den Bundesrat ersuchte zu prüfen, ob es nicht sinnvoller wäre, den Anteil der „dick machenden“ Nahrungskomponenten, etwa die Transfette, durch die gesetzliche Festschreibung einer Höchstgrenze zu reduzieren. Der Bundesrat bezweifelte, ob dies zum Ziel führen würde: Fettleibigkeit entstehe durch das Zusammenspiel mehrerer Komponenten (zu hohe Energiezufuhr bei mangelnder Bewegung). Es gehe in erster Linie um eine Verhaltensänderung, wie sie von der Kampagne der Stiftung angestrebt werde
[5].
Mehr Erfolg hatte Kiener Nellen (sp, BE) mit einer Motion, die den Bundesrat aufforderte, Budget und Finanzplan des Bundesamtes für Sport (Baspo) ab 2007 um mindestens 10 Mio Fr. zu erhöhen, damit – in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) – Umsetzungsprojekte zur Bewegungs- und Sportförderung sowie zur Förderung einer gesunden Ernährung für
Kinder im Alter von fünf bis zehn Jahren realisiert werden können. Die Motionärin machte geltend, es gebe zahlreiche Hinweise darauf, dass ausreichend Bewegung und Sensibilisierung für eine gesunde Ernährung im Kindesalter einer sportlichen Betätigung und einer ausgewogenen Lebensweise auch im Erwachsenenalter Vorschub leisten können. Trotz des unbestrittenen Handlungsbedarfs war der Bundesrat jedoch der Ansicht, dass Umsetzungsprogramme für Kinder und Jugendliche nicht isoliert zu betrachten, sondern in einen gesamtheitlichen Kontext zu stellen sind, weshalb er Ablehnung dieser sehr eng gefassten Motion beantragte. Der Nationalrat war aber der Auffassung, Prävention habe gerade in einem frühen Entwicklungsstadium einen ganz hohen Stellenwert, weshalb er die Motion mit 118 zu 56 Stimmen an den Ständerat überwies
[6].
Mit zu den Vorkehrungen, um die Gesundheitsausgaben zu optimieren, gehört nach Meinung des Parlaments auch der Ausbau von E-Health, beispielsweise bei der
Vernetzung von patientenrelevanten Daten zur Vermeidung von Mehrfachuntersuchungen oder bei der Warnung der Bevölkerung vor einem (allenfalls nicht unbedingt notwendigen) Arztbesuch. 2006 hatte der Nationalrat im Einverständnis mit dem Bundesrat eine diesbezügliche Motion angenommen, die nun diskussionslos auch vom Ständerat überwiesen wurde. Im Juni verabschiedete der Bundesrat seine E-Health-Strategie. Diese soll dazu beitragen, den Zugang zu einem bezüglich Qualität, Effizienz und Sicherheit hoch stehenden und kostengünstigen Gesundheitswesen zu gewährleisten. Erleichtert werden soll dies mittelfristig auch durch den Ausbau der vom Parlament bereits beschlossenen „
Versichertenkarte“, die allerdings infolge von datenschützerischen Bedenken vorderhand als rein administratorische Karte konzipiert wurde; weitergehende Daten dürfen nur mit Einwilligung der Patienten darauf gespeichert werden. Wie der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu einer noch nicht behandelten Motion Humbel Näf (cvp, AG) darlegte, hatte sich das Parlament bewusst dafür entschieden, die Informationen direkt auf der Karte zu speichern, wozu die Regierung im Februar eine Verordnung erliess, die 2009 wirksam wird. Der Gebrauch der Karte als Zugangscode für eine generelle Vernetzung der Daten sei deshalb aus gesetzlicher Sicht im Augenblick nicht möglich
[7].
Mit einer Motion verlangte Ständerat Stadler (cvp, UR) eine Ergänzung des Epidemiengesetzes in dem Sinn, dass die Kantone nichtärztliche Therapeuten im Bereich der Komplementärmethoden in die Koordination der Massnahmen zur
Bekämpfung übertragbarer Krankheiten einzubeziehen haben. Diese Therapeuten seien von Gesetzes wegen zu verpflichten, Personen mit übertragbaren Krankheiten an einen Arzt weiterzuleiten und gleichzeitig der kantonalen Behörde eine Meldung mit den Angaben zu erstatten, die zur Identifizierung erkrankter, infizierter oder exponierter Personen notwendig sind. Der Bundesrat beantragte Ablehnung der Motion. Das Epidemiengesetz weise die Behandlung übertragbarer Krankheiten allein der Ärzteschaft zu. Bei den nichtärztlichen Komplementärtherapeuten bestünden keine allgemeinen Standards für deren Qualifikation. Die Frage der Reglementierung und Anerkennung dieser Berufe könne nicht vor der Abstimmung zur Volksinitiative "Ja zur Komplementärmedizin" an die Hand genommen werden (siehe unten, Komplementärmedizin). Stadler entgegnete, es gehe ihm nicht um eine Anerkennung alternativer Heilmethoden und auch nicht darum, das ärztliche Monopol der Behandlung von Infektionskrankheiten aufzubrechen. Ungeachtet der Diskussionen um die Komplementärmedizin sei es einfach eine Tatsache, dass nichtärztliche Therapeuten oft die erste Anlaufsstelle für Patientinnen und Patienten seien. Deshalb seien sie zu verpflichten, die entsprechenden Meldungen und Überweisungen vorzunehmen. Mit 15 zu 14 Stimmen wurde die Motion knapp angenommen
[8].
Mit der Ausbreitung der Gefahr von Pandemien (Sars, Übertragung der Vogelgrippe auf den Menschen) wird es immer wichtiger, eine lückenlose Einbindung möglichst aller Staaten in
weltgesundheitliche Aufgaben zu erreichen. Die aussenpolitische Kommission des Ständerates forderte den Bundesrat mit einer Motion auf, sich bei der WHO für den Einbezug Taiwans in die Prävention, die Überwachung sowie in den Informationsaustausch von neu auftretenden Infektionskrankheiten einzusetzen, ungeachtet seines internationalen Status. Da das bereits seit Längerem der von den Schweizer Behörden verfolgten Haltung in den internationalen Gremien entspricht, beantragte der Bundesrat Annahme der Motion. In beiden Kammern wurde betont, das bedeute keine Abkehr der Schweiz von der seit 1950 betriebenen „Ein-China“-Politik; hier gehe es vielmehr um eine pragmatische Handhabung eines weltweiten Gesundheitsrisikos. Der Vorstoss wurde von beiden Räten oppositionslos angenommen
[9].
Für den Fall des Ausbruchs einer
Pandemie gab das BAG eine Empfehlung zuhanden der Bevölkerung ab, in der diese dazu aufgerufen wurde, sich präventiv mit Atemschutzmasken einzudecken. Trotz kritischer Berichterstattung in den Medien, wonach die im Detailhandel angebotenen Masken wegen ihrer Durchlässigkeit den Anforderungen nicht genügen würden, bekräftigte das BAG seine Empfehlung: Diese bildeten keinen absoluten Schutz, könnten die Ansteckungsgefahr aber massiv senken
[10].
Ein Thema, welches die Öffentlichkeit und die Politik zusehends beschäftigt, ist die liberale Gesetzgebung der Schweiz im Bereich des assistierten Suizids resp. der Graubereich, in dem sich die
indirekt aktive Sterbehilfe bewegt. Anders als in den umliegenden Ländern wird diese nicht geahndet, wenn sie ohne selbstsüchtige Beweggründe erfolgt. Das hat in den letzten Jahren zu einem gewissen „Sterbetourismus“ aus dem Ausland geführt. Dabei ist die vor allem im Kanton Zürich domizilierte Organisation „Dignitas“ durch ein recht unzimperliches Vorgehen negativ in die Schlagzeilen geraten. Das Parlament hatte schon mehrmals den Bundesrat ersucht, durch eine klare gesetzliche Regelung gewisse Leitplanken zu schaffen. Im Berichtsjahr verabschiedete der Ständerat nach längerer Diskussion und mit der klaren Mehrheit von 17 zu 9 Stimmen gegen den Widerstand des Bundesrates eine Motion Stadler (cvp, UR), welche die Landesregierung beauftragen will, eine gesetzliche Grundlage für die Aufsicht über die Sterbehilfeorganisationen zu schaffen. Es bestehe eine Schutzpflicht des Staates gegenüber den in der Regel schwerkranken und daher besonders verletzlichen Menschen mit Suizidwünschen, welche sich an Sterbehilfeorganisationen wenden. Der Bundesrat vertrat wie schon früher die Auffassung, die konsequente Ausschöpfung bestehender Gesetze, insbesondere auf kantonaler Ebene, sei ausreichend, um das Anliegen der Motion zu erfüllen. Eine Gesetzgebung auf Bundesebene könnte dazu führen, dass gewisse Sterbehilfeorganisationen gewissermassen ein staatliches „Gütesiegel“ erhalten würden, was der Bundesrat unbedingt vermeiden möchte
[11].
Angesichts der Weigerung insbesondere des zuständigen EJPD-Chefs Blocher, das heisse Eisen auf Bundesebene anzugehen, wurde der
Zürcher Kantonsrat aktiv. Ein Postulat der EVP, welches mit Unterstützung der SVP ein Verbot des Sterbetourismus verlangte, wurde nach emotionaler Debatte nur knapp mit 82 zu 80 Stimmen abgelehnt. FDP, SP und Grüne machten sich für ein selbstbestimmtes Leben und Sterben stark. Es gebe auch andere Organisationen als die umstrittene „Dignitas“, so etwa „Exit“, welche das Thema seit Jahrzehnten würdevoll angingen; ein Verbot nur für ausländische Personen zu erlassen, sei ohnehin nicht möglich. Mehr Zustimmung erhielt ein weiteres Postulat, welches eine Reglementierung im Sinn von Bewilligungspflicht und Qualitätssicherung verlangte; dieses wurde mit 94 zu 56 Stimmen überwiesen; die EVP enthielt sich hier der Stimme
[12].
Die Industrieländer geben immer mehr Geld für die medizinische Versorgung aus – und erhalten dafür eine zunehmend bessere Qualität. Der neueste
Gesundheitsbericht der OECD – «Health at a Glance» – zeigt auf, dass grosse qualitative und quantitative Fortschritte sowohl in der Diagnose als auch in der Behandlung erzielt worden sind. Allerdings bestehen zwischen den einzelnen OECD-Ländern erhebliche Unterschiede in der Prävention und der Versorgung. Die Ausgaben für Gesundheit machen heute im OECD-Durchschnitt 9% des Bruttoinlandproduktes (BIP) aus und liegen in einigen Ländern sogar bei 11% und mehr. Als die OECD 1960 gegründet wurde, betrugen die Ausgaben durchschnittlich nur rund 4%. Die Lebenserwartung als der vermutlich beste Gesundheitsindikator ist in allen OECD-Staaten in den vergangenen Jahrzehnten markant gestiegen und erreicht für den Jahrgang 2005 im Durchschnitt 78,6 Jahre (1960: 68,5). In zehn Ländern übersteigt sie sogar 80 Jahre. Die Schweiz liegt mit 81,3 Jahren auf dem zweiten Platz hinter Japan (82,1) und vor Frankreich (80,2). Deutlich schlechter schneiden Deutschland und Grossbritannien (je 79,0) und die USA (77,8) ab. Zwischen Bruttoinlandprodukt bzw. Gesundheitsausgaben pro Kopf und Lebenserwartung besteht ein klarer Zusammenhang: je höher die Aufwendungen, desto grösser die Lebenserwartung. Die Schweiz gibt für Gesundheit 11,6% des BIP aus und liegt damit nach den USA an zweiter Stelle (das einzige Land, in dem die Korrelation aus anderen Gründen nicht stimmt), vor Frankreich (11,1%) und Deutschland (10,7%). In der Pro-Kopf-Berechnung halten die Vereinigten Staaten ebenfalls die Spitze (6401 $), aber Luxemburg (5353 $) und Norwegen (4364 $) rangieren vor der Schweiz (4177 $). Bei diesen Angaben ist zu berücksichtigen, dass die Dollarwerte an die Kaufkraft angepasst worden sind. Die
Schweiz fällt mit
einer der tiefsten Wachstumsraten der Gesundheitsversorgung auf (1995-2005: 2,8%). Nur in wenigen Ländern stiegen die Ausgaben noch langsamer. Zu ihnen gehören, partiell wegen Massnahmen zur Kostenreduktion, Frankreich (2,3%) und Deutschland (1,8%). Die Ausgaben der USA wuchsen um 3,6%
[13].
Im Vorjahr hatte der Bundesrat dem Parlament beantragt, die 2005 eingereichte Volksinitiative
„Ja zur Komplementärmedizin“ dem Volk ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Im
Nationalrat anerkannten sowohl die Sprecher der Kommissionsmehrheit als auch die Rednerinnen und Redner aus dem bürgerlichen Lager die Bedeutung der Komplementärmedizin für die Gesundheitsversorgung. Sie übernahmen aber vollumfänglich die Auffassung des Bundesrates, wonach die Alternativmedizin bereits mit der heutigen Gesetzgebung berücksichtigt werden könne. Sofern die Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit einzelner Methoden nachgewiesen werde, sei eine Aufnahme in den Leistungskatalog der Grundversicherung möglich. Die vom Initiativtext verlangte „umfassende Berücksichtigung“ eröffne aber einen zu grossen Spielraum für Interpretationen, was zu nicht absehbaren Kosten führen könnte. Die Kommissionsminderheit aus SP und GP führte dagegen ins Feld, es gehe in erster Linie um eine angemessene Berücksichtigung der Komplementärmedizin in Lehre und Forschung sowie um das Bewahren der Heilmittelvielfalt, konnte sich aber nicht durchsetzen. Mit 93 zu 78 Stimmen lehnte der Nationalrat die Initiative ab
[14].
Auch im
Ständerat sprach sich niemand grundsätzlich gegen die Komplementärmedizin aus. Das Anliegen sei zwar sympathisch, die vorberatende Kommission lehne die Volksinitiative aber mehrheitlich ab, weil sie erheblich zu weit gehe, führte deren Sprecher aus. Büttiker (fdp, SO) schlug vor, das Wort „umfassend“ im Initiativtext zu streichen und die Formulierung „Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Berücksichtigung der Komplementärmedizin“ als
direkten Gegenvorschlag dem Volk zu unterbreiten. Er sei der Ansicht, dass Schul- und Komplementärmedizin vermehrt zusammenarbeiten sollten. Ein Verfassungsartikel sei nötig, weil die Komplementärmedizin sonst weiterhin an den Rand gedrängt würde. Der Vorteil seiner Formulierung liege darin, dass die Interpretation, wonach alle ärztlichen und nichtärztlichen Methoden in die Grundversicherung aufgenommen werden müssten, nicht mehr möglich sei. Ein zuvor von der Kommissionsminderheit eingebrachter Gegenvorschlag, der einen direkten Bezug zur Krankenversicherung herstellte, wurde zugunsten von Büttikers Variante zurückgezogen. Sommaruga (sp, BE), selber Mitglied des Initiativkomitees, unterstützte den Antrag Büttiker „im Sinne einer guten und auch mehrheitsfähigen Lösung“. Sie versprach, sich nach einer Annahme des Gegenvorschlags für einen Rückzug der Initiative einzusetzen. Bundesrat Couchepin blieb auch gegenüber dem neuen Vorschlag skeptisch und bezeichnete diesen als unnötig. Er befürchtete, dass Büttikers Formulierung in der Praxis ähnliche Schwierigkeiten bereite wie die Initiative selbst. Der Rat lehnte schliesslich die Initiative einstimmig ab, unterstützte aber den Gegenvorschlag Büttiker mit 36 zu 4 Stimmen. Gleichzeitig wurde die Behandlungsfrist um ein Jahr bis März 2009 verlängert, ein Vorgehen, welchem auch der Nationalrat zustimmte
[15].
Zu recht viel Unmut hatte 2005 der Entscheid des EDI geführt, fünf provisorisch in den Pflichtleistungskatalog nach KVG aufgenommene ärztliche
Alternativmethoden (Phytotherapie, Homöopathie, traditionelle chinesische Medizin, anthroposophische Medizin und Neuraltherapie) wieder zu streichen, da deren Wirksamkeit nicht wissenschaftlich habe nachgewiesen werden können. Vorstösse zur Korrektur dieses Entscheids wurden denn auch eingereicht. Gegen dessen Willen verpflichtete der Ständerat den Bundesrat mit einer mit 19 zu 3 Stimmen deutlich angenommenen Motion Forster (fdp, SG), bis Ende 2008 anhand von wissenschaftlichen Methoden, nicht aber zwingend nach den Kriterien der Schulmedizin, noch einmal zu untersuchen, ob die aus der obligatorischen Krankenversicherung ausgeschlossenen Therapieformen Homöopathie, anthroposophische Medizin und traditionelle chinesische Heilkunde den Nachweis der Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit gemäss Art. 32 KVG erbracht haben. Sollte dies für eine oder mehrere Methoden der Fall sein, so seien diese definitiv in den Grundleistungskatalog aufzunehmen
[16].
Im August veröffentlichte der Internet-Vergleichsdienst Comparis als schweizerische Premiere je eine Studie über subjektive und teilweise auch objektivierbare Qualitätskriterien von 53 ausgewählten Akutspitälern der Schweiz. Der Vergleich beruhte auf einer Befragung von Patientinnen und Patienten, die in den vergangenen 12 Monaten in Spitalbehandlung waren. Bei der
Patientenzufriedenheit zeigte sich dabei ein Graben zwischen der Deutschschweiz und dem Tessin auf der einen, der Westschweiz auf der anderen Seite, sowie ein deutliches Gefälle zwischen Stadt und Land. Die Universitätsspitäler wurden auffallend schlechter beurteilt als die kleinen Grundversorgungsspitäler, jene in der Romandie klar negativer als jene in der Deutschschweiz; am zufriedensten zeigten sich die Tessiner
[17].
Zwei Wochen später doppelte Comparis mit einer Vergleichsstudie zum
Infektionsrisiko in den Akutspitälern nach, die ein vergleichbares Resultat ergab: Je grösser ein Spital, umso erheblicher ist auch die Wahrscheinlichkeit, an einem Infekt zu erkranken, der in keinem Zusammenhang mit dem ursächlichen Einlieferungsgrund steht. Das gleiche Bild zeigte sich auch – immer im Urteil der Befragten – bei den Behandlungsfehlern und den nicht geplanten Wiedereintritten. Auch hier belegte das Universitätsspital Genf einen (negativen) Spitzenplatz: 29% der Patienten mussten nach der Entlassung erneut oder wegen der gleichen Krankheit wieder hospitalisiert werden; die durchschnittliche Quote aller Akutspitäler lag demgegenüber bei 11%. Erneut schnitten die Tessiner Spitäler bei allen drei Kriterien am besten ab. Von den Fachleuten an der Front wurden die Studien als Schritt zu vermehrter Transparenz und mehr Wettbewerb zwar begrüsst, aber auch mit Vorbehalten gegenüber der Objektivierbarkeit von Patientenaussagen versehen
[18].
Im Streit um die
Spitzenmedizin zeichnet sich im Grundsatz eine Einigung ab. Das von der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) vorgeschlagene Konkordat stiess bei den Kantonen auf Zustimmung. Die Details blieben aber umstritten. Heute ist die Spitzenmedizin über das ganze Land verteilt. Eine Konzentration soll die Kosten senken und die Qualität erhöhen. Wollen die Kantone verhindern, dass der Bund entscheidet, müssen sie sich auf eine gemeinsame Planung einigen. Ein erster Versuch war 2005 am Widerstand des Kantons Zürich gescheitert, der eine noch stärkere Konzentration der Spitzenmedizin verlangt hatte; nach den Zürcher Vorstellungen sollte es nur ein Zentrum in der Westschweiz (Genf oder Lausanne) und eines in der Deutschschweiz (Zürich) geben. Gemäss dem neuen GDK-Vorschlag würden Eingriffe wie Herzoperationen, Lebertransplantationen und Protonentherapien künftig in wenigen universitären oder multidisziplinären Zentren durchgeführt. Beim Entscheid, welche Leistungen wo angeboten werden, sollen fachliche Aspekte mehr Gewicht erhalten: Das politische Entscheidorgan soll sich auf die Arbeit eines Expertenorgans stützen müssen
[19].
Zu den Spitälern und Pflegeheimen siehe auch unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).
Am 3. Juli 2002 hatte der Bundesrat einen vorerst auf drei Jahre begrenzten
Zulassungsstopp für die Eröffnung neuer Arztpraxen erlassen. Damit wollte man einerseits der ungebremsten Zunahme der Leistungserbringer, insbesondere der Spezialärzte, entgegenwirken, andererseits die Zuwanderung von jungen Ärzten aus dem EU-Raum in Grenzen halten, welche mit dem Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens im Personenverkehr der Schweizer Ärzteschaft bei der Eröffnung einer eigenen Praxis gleichgestellt wurden. In beiden Punkten war man nicht sehr erfolgreich. Die Zahl der Ärzte in freier Praxis nahm schweizweit zwischen 2002 und 2006 um 14% zu, der Anteil unter ihnen, der über kein schweizerisches Ärztediplom verfügt, erfuhr in diesem Zeitraum fast eine Verdoppelung und stieg von knapp 3,5 auf gegen 6,5%. Der Zulassungsstopp wurde stets nur als vorübergehende Massnahme erachtet, bis bei der Revision des KVG neue Modelle für das Anrecht von Ärzten auf Abrechnung über die Grundversicherung eingeführt werden. Beim zweiten Anlauf zur KVG-Revision – die erste war 2003 in der Schlussabstimmung im Nationalrat gescheitert – präsentierte der Bundesrat separate Vorlagen zu den einzelnen Bereichen, um nicht wieder an einem Junktim und unheiligen Allianzen zu scheitern. Als Ablösung des Zulassungsstopps stellte er ein Modell vor, welches eine Aufhebung des Kontrahierungszwangs der Krankenversicherer mit sämtlichen Leistungserbringern und die Förderung von (günstiger arbeitenden) Ärztenetzwerken vorsieht (HMO-Praxen, Managed-Care-Systeme). Da diese Teilrevision seither angesichts heftiger Widerstände insbesondere aus der Ärzteschaft in der zuständigen Ständeratskommission vor sich hin dümpelt, hatten die Räte 2004 einer Verlängerung des Stopps bis 2008 zugestimmt. Weil auch in der Folge keine Fortschritte erzielt wurden, beantragte der Bundesrat eine erneute
Verlängerung bis Ende 2010 [20].
Im
Ständerat räumte die Kommissionssprecherin ein, dass die Massnahme ihren Zweck „kaum, wenig oder gar nicht“ erfüllt. Der Verzicht auf die Weiterführung ohne gleichzeitig eine Anschlussregelung zu treffen, berge aber das Risiko einer unkontrollierten Mengenausweitung. Im Übrigen hätten die Kantone die Möglichkeit, die Anwendung des Zulassungsstopps sehr differenziert auszugestalten, weshalb vorderhand kein Ärztemangel zu befürchten sei. Angesichts der Verzögerungen beim Aufheben des Vertragszwangs war Eintreten unbestritten. Eine Kommissionsminderheit, vertreten durch Fetz (sp, BS), beantragte einen gelockerten Zulassungsstopp, indem die Grundversorger davon ausgenommen würden. Profitieren würden davon die Allgemeinmediziner, Internisten, Ärzte in Gruppenpraxen, Kinderärzte, Hebammen und Gynäkologen. Dieser Vorschlag wurde mit 28 zu 9 Stimmen abgelehnt. Mit 28 zu 8 Stimmen stimmte die kleine Kammer der Verlängerung zu
[21].
2006 hatte die Schweizerische Gesellschaft für Allgemeinmedizin eine mit über 300 000 Unterschriften versehene Petition eingereicht, die eine Stärkung und Sicherung der
Hausarztmedizin verlangt. Die zuständige Kommission des Ständerates hatte eine Vertretung der betroffenen Ärzteschaft angehört und die Verwaltung mit einem Bericht über die heutige Situation beauftragt. Dieser kam zum Schluss, bei einer Dichte von zwei Ärzten auf 1000 Einwohner könne momentan nicht von einem Ärztemangel gesprochen werden, wobei allerdings die rund 30%-ige Zunahme seit 1990 in erster Linie bei den Spezialisten festgestellt werden könne. Der Zulassungsstopp habe aber zu einer allgemeinen Verunsicherung bei den jungen Spitalärztinnen und -ärzten geführt und viele davon abgehalten, den Übertritt in eine freie Praxis in Erwägung zu ziehen. Angesichts der heutigen Altersstruktur bei den Hausärzten könnte dies zumindest in den Randregionen in den nächsten Jahren zu einer potenziell prekären Lage führen. Die Kommission beantragte deshalb dem Plenum Annahme der Petition und unterstützte das Anliegen mit einem Postulat, das den Bundesrat beauftragt, zusammen mit den Kantonen Massnahmen zur Aufwertung der Hausarztmedizin zu prüfen. Der Bundesrat verwies auf bereits in die Wege geleitete Verbesserungen, welche allerdings zur Umsetzung Zeit bräuchten, weshalb er das Postulat als weitgehend erfüllt nicht annehmen wollte. Die Ratsmehrheit befand aber, hier könnten noch mehr Anstrengungen unternommen werden und nahm sowohl die Petition wie das Postulat einstimmig an
[22].
Zum Teilpaket der laufenden KVG-Revision zu den Medikamentenpreisen siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).
Mit zwei Motionen wollte die CVP-Fraktion Einfluss auf die Medikamentenkosten nehmen. Sie beantragte einerseits, die
Spezialitätenliste sei dahingehend abzuändern, dass die obligatorische Krankenversicherung nicht mehr verpflichtet sei, Heilmittel für Bagatellerkrankungen abzugelten. Der Bundesrat erklärte dazu, die Positivliste der krankenkassenpflichtigen Medikamente werde momentan vom BAG kritisch durchleuchtet; der Begriff der geringfügigen gesundheitlichen Störung sei aber zu ungenau und eigne sich nicht für eine Abgrenzung. Der Nationalrat nahm die Motion dennoch mit 104 zu 71 Stimmen an. Der Ständerat schloss sich dann der Argumentation des Bundesrates an und lehnte sie diskussionslos ab
[23]. Andererseits berief sich die CVP auf zwei Standesinitiativen der Kantone Genf und Wallis, welche der Ständerat im Vorjahr zwar definitiv abgeschrieben, in deren Anschluss er aber eine vom Nationalrat noch nicht behandelte Motion angenommen hatte, welche den Bundesrat beauftragt, eine Regelung vorzuschlagen, die Klarheit schafft über die Transparenz und das zulässige Ausmass von
Rabatten, die im Rahmen der Verschreibung und Abgabe von Arzneimitteln und Medizinprodukten gewährt werden. Während der Auftrag des Ständerates allgemein formuliert ist, gibt die CVP-Motion verbindliche Leitlinien vor. Aus diesem Grund beantragte der Bundesrat Ablehnung, weil er abwarten möchte, wie sich die Praxis entwickelt, konnte sich aber nicht gegen den Nationalrat durchsetzen, der mit 95 zu 60 Stimmen der Meinung war, hier müsse rasch gehandelt werden
[24].
Aufgrund der Dringlichkeit der Versorgungsprobleme der
Spitäler mit Medikamenten hatte die SGK des Nationalrats im Vorjahr eine Motion eingereicht, die den Bundesrat beauftragte, bis 2007 eine Revision des Heilmittelgesetzes vorzulegen, um diese Problematik zu entschärfen. Es geht insbesondere um die
vereinfachte Zulassung von Medikamenten, die in den Spitalapotheken zum Eigenbedarf hergestellt werden, sowie von Heilmitteln, die bei sehr seltenen Krankheiten aus dem Ausland bezogen werden, die wegen des geringen Lieferumfanges jedoch nicht das recht aufwändige reguläre Zulassungsverfahren durchlaufen. Obgleich diese Motion noch hängig war, erklärte sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme bereit, umgehend die nötigen Massnahmen in die Wege zu leiten. Swissmedic passte daraufhin eine Reihe von Verordnungen an. Für das weitere Vorgehen braucht es aber eine vorgezogene Teilrevision des Heilmittelgesetzes. Diese legte der Bundesrat dem Parlament im Februar des Berichtsjahres vor
[25].
Am Rande der Herbstsession versprach Bundesrat Couchepin eine Senkung der
Medikamentenpreise um bis zu 150 Mio Fr. im Jahr. Betroffen von der ausserordentlichen Preisüberprüfung durch das BAG sind rund 1000 Medikamente, die zwischen 1993 und 2002 in die Spezialitätenliste aufgenommen wurden, so etwa umsatzstarke Heilmittel wie Blutdrucksenker und Magensäurehemmer. Den pharmazeutischen Unternehmen wurde bis Ende November Zeit eingeräumt, um die Preise der betreffenden Medikamente im Ausland bekannt zu geben oder diese von sich aus zu senken, ansonsten das BAG eine Senkung auf das Auslandniveau verfügen werde. Die Pharmaindustrie hielt diesmal die Drohung für deutlich genug, um von sich aus – gestaffelt bis 2009 – die geforderte Rücknahme der Schweizer Preise um rund 150 Mio Fr. pro Jahr anzukündigen. Ende November beschloss der Bundesrat eine weitere Massnahme zur Senkung der Medikamentenpreise, welche auf Anfang 2008 in Kraft tritt: Neu in die Spezialitätenliste aufgenommene Generika müssen mindestens 40% günstiger sein als das Originalpräparat
[26].
Nationalrätin Leutenegger Oberholzer (sp, BL) nahm sich das Thema der bereits seit längerem kontrovers diskutierten
Parallelimporte von Medikamenten vor. In einer Motion forderte sie den Bundesrat auf, durch eine Revision des Heilmittelgesetzes einerseits die bestehenden nichttarifären Handelshemmnisse bei der Einfuhr markengeschützter Produkte und bei Arzneimitteln, deren Patentschutz abgelaufen ist, insbesondere im Spitalbereich durch eine Vereinfachung der Verpackungs- und Anschreibepflichten für Medikamente zu beseitigen, andererseits für patentgeschützte Medikamente das grundsätzliche Parallelimportverbot im Heilmittelgesetz aufzuheben, wobei punktuelle Einfuhrbeschränkungen im Rahmen internationaler Vereinbarungen und Verpflichtungen als flankierende Massnahmen im Zusammenhang mit Preisvorschriften zu prüfen seien. Der Bundesrat erklärte dazu, der erste Punkt der Motion werde momentan von der Verwaltung intensiv evaluiert und wohl auch einer Lösung zugeführt, weswegen er sich hier nicht widersetzte. Beim zweiten Punkt erinnerte er daran, dass er sich stets dagegen gewehrt habe, Parallelimporte von patentgeschützten Medikamenten zuzulassen, weshalb er hier Ablehnung beantragte. Der Nationalrat folgte ihm, überwies den ersten Punkt und lehnte den zweiten ab. Die derart entschlackte Motion fand auch die Zustimmung des Ständerates
[27].
2005 hatte Nationalrat Borer (svp, SO) eine parlamentarische Initiative eingereicht mit dem Ziel, die Einteilung der zur
Selbstmedikation zugelassenen Heilmittel zu vereinheitlichen. Heute werden oft praktisch fast identische Präparate in unterschiedlichen Listen geführt, weshalb sie trotz eigentlicher Unbedenklichkeit in der Anwendung nur von Apotheken und nicht etwa von Drogerien abgegeben werden dürfen. Die vorberatenden Kommissionen beider Räte hatten Zustimmung zur Initiative signalisiert, da damit die Eigenverantwortung der Bevölkerung und der Wettbewerb im Bereich der Heilmittelangebote gefördert werden. Bei der konkreten Ausgestaltung war dann aber die SGK-NR zur Einsicht gelangt, dass es angezeigter sei, dazu eine Kommissionsmotion einzureichen. Mit dem Argument der Medikamentensicherheit widersetzte sich der Bundesrat einer Annahme der Motion. Eine Mehrheit war allerdings der Auffassung, eine Neueinteilung unter transparenteren Kriterien dränge sich auf, weshalb der Vorstoss mit 86 zu 51 Stimmen angenommen wurde
[28].
Ein weiteres Sparpotenzial ortet das Parlament im Bereich der
Mittel und Gegenstände (Migel). Insbesondere wird kritisiert, dass der Bund eine Migel-Liste erlässt, welche Maximalpreise festhält, was in der Praxis oft zu keinem eigentlichen Wettbewerb führt. Mit zwei Motionen forderten Heim (sp, SO) und Humbel Näf (cvp, AG) den Bundesrat deshalb auf, die entsprechenden Verordnungen so zu ändern, dass Krankenversicherer und Hilfsmittellieferanten die Preise für kassenpflichtige Migel aushandeln und in Tarifverträgen festhalten müssen. Der Bundesrat vertrat die Ansicht, eine Einwirkung auf die Höchstbetragssätze führe hier eher zum Ziel, selbst die Wettbewerbskommission erachte die Festsetzung von Maximalbeträgen als taugliches System, um das Preis-Leistungs-Verhältnis zu verbessern. Im Plenum verzichtete er zwar auf seinen ursprünglichen Antrag, die Motionen abzulehnen, behielt sich aber vor, den Ständerat um Umwandlung in einen einfachen Prüfungsauftrag zu bitten, um in dieser Frage seinen Handlungsspielraum zu bewahren
[29].
Das neue Transplantationsgesetz trat per 1. Juli 2007 in Kraft. Damit liegen für jeden Prozess von der Spende bis zur Transplantation einheitliche und klare Regelungen vor, die den Prinzipien der Gerechtigkeit und der Nichtdiskriminierung Rechnung tragen
[30]. In der Schweiz ist die
Quote von verstorbenen Organspendern in den letzten Jahren
gesunken. Pro Million Einwohner liegt sie bei 10,7 und damit weit unter dem europäischen Durchschnitt von 18,8. Hingegen nehmen die Lebendspenden vor allem innerhalb einer Familie ständig zu. Nach Meinung von Experten ist deshalb nicht der Spendewille verantwortlich für die vergleichsweise tiefen Quoten; vielmehr gelte es, verstorbene potenzielle Spender in den Spitälern zu erkennen. Mit Informationskampagnen, einer Verbesserung der Spender-Erkennung und der Betreuung von Angehörigen soll nun die Quote erhöht werden
[31].
Der Bundesrat setzte auf den 1. April das Gesetz über
genetische Untersuchungen beim Menschen zusammen mit zwei Verordnungen in Kraft. Die Erlasse regeln die wesentlichen Aspekte der Durchführung dieser Untersuchungen mit dem Ziel, die Menschenwürde zu schützen, Missbräuche zu verhindern und die Qualität der Untersuchungen sicherzustellen. Gleichzeitig mit der Inkraftsetzung von Gesetz und Verordnungen schuf der Bundesrat die Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen
[32].
Seit Jahren wird von verschiedener Seite gefordert, der Bund solle ein Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (
Humanforschungsgesetz) erlassen, welches allgemeine Grundsätze zu den Bereichen Stammzellenforschung, Transplantation und genetische Untersuchungen beim Menschen bündelt. Im September leitete der Bundesrat dem Parlament einen Entwurf für einen
Verfassungsartikel zu, auf dessen Grundlage dann die weitere Gesetzgebung erfolgen soll. Zum einen enthält der Artikel die zentralen Grundsätze, die bei jedem Forschungsvorhaben unter Einbezug des Menschen einzuhalten sind. Er verfolgt insbesondere das Ziel, die Würde und Persönlichkeit des Menschen zu schützen. Zum anderen soll die Verfassung den Bundesrat ermächtigen, die Forschung am Menschen in einem speziellen Bundesgesetz zu regeln
[33].
2001 hatte der Bundesrat dem Parlament zwei Übereinkommen des Europarats zur Genehmigung vorgelegt, einerseits das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin von 1997 und andererseits das erste Zusatzprotokoll dazu, welches das Klonen menschlicher Lebewesen verbietet. Mit der Konvention liegt erstmals ein eigenständiges Übereinkommen zur Biomedizin auf internationaler Ebene vor. Es handelt sich um ein Kernübereinkommen, das nur die wichtigsten Grundsätze enthält. Zusatzprotokolle sollen einzelne Bereiche näher regeln. Jeder Staat bleibt zudem frei, im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin über die Konvention hinausgehende Schutzbestimmungen aufzustellen. 2002 hatten die Kammern die Behandlung des Übereinkommens und des Zusatzprotokolls bis zum Abschluss laufender Gesetzgebungsprozesse im Bereich von Transplantations- und Fortpflanzungsmedizin sistiert.
Im
Nationalrat, der die Abkommen in der Herbstsession des Berichtsjahres als erster behandelte, beantragte eine Kommissionsminderheit um Graf (gp, BL), die Verhandlungen erneut bis zum Vorliegen des Verfassungsartikels und des geplanten Gesetzes über die Forschung am Menschen auszusetzen. Sie kritisierte zudem das zu geringe Schutzniveau der Konvention, welches fremdnützige Forschung an nicht einwilligungsfähigen Menschen, wie Kindern, Demenzkranken oder schwer behinderten Menschen rechtsverbindlich erlaube, weshalb sie gleichzeitig einen Antrag auf Nichteintreten stellte. Unterstützung fand sie in der eigenen Fraktion sowie bei Teilen der SP, die sich mehrheitlich aber doch, wenn auch ohne Begeisterung, für die Ratifikation aussprach. Die Fraktionen von FDP, CVP und SVP unterstützten die Vorlagen. Der Nationalrat lehnte schliesslich eine Sistierung der Beratung mit 121 zu 27 Stimmen ab und trat mit 120 zu 19 Stimmen auf das Geschäft ein. In der Gesamtabstimmung genehmigte er mit 121 zu 17 Stimmen (geschlossene GP und EVP) bei 13 Enthaltungen das europäische Biomedizin-Übereinkommen, allerdings mit zwei Vorbehalten aufgrund des Transplantationsgesetzes, wo die Schweizer Regelung weniger streng ist, und gab gleichzeitig dem Bundesrat die Ermächtigung für die
Ratifizierung. Das Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens menschlicher Lebewesen nahm der Rat mit 144 zu 3 Stimmen an. Der
Ständerat fügte einen weiteren Vorbehalt an, welcher es erlaubt, bis zum Vorliegen des revidierten Erwachsenenschutzrechtes in Bezug auf entscheidungsunfähige Personen nicht nur die Bestimmungen des Übereinkommens in Anwendung zu bringen, sondern auch jene, die einzelne Kantone haben; in der Gesamtabstimmung genehmigt er beide Abkommen einstimmig
[34].
Nationalrat Hochreutener (cvp, BE) sieht die Zukunft des Forschungsplatzes Schweiz dadurch gefährdet, dass sich die Forschenden bei
Multizenterstudien insbesondere im Heilmittelbereich wegen der Kleinräumigkeit meistens mit mehreren kantonalen Ethikkommissionen auseinander setzen müssen. Er reichte deshalb eine Motion ein, die den Bundesrat beauftragt, dafür zu sorgen, dass bei klinischen Versuchen ein Verfahren vor nur einer Ethikkommission durchgeführt wird. Der Bundesrat anerkannte den Handlungsbedarf und stellte in Aussicht, im Humanforschungsgesetz entsprechende Leitlinien festzuschreiben. Mit seinem Einverständnis nahmen beide Räte die Motion oppositionslos an
[35].
Mit einer Motion wollte Nationalrat Bortoluzzi (svp, ZH) den Bundesrat auffordern, neue Richtlinien zur Aidsprävention zu erlassen. Explizit in den Richtlinien verankert werden sollten insbesondere
obligatorische Aidstests bei Prostituierten, Routinetests bei Spitaleintritten und Schwangerschaften sowie eine verbindliche staatliche Anordnung der Rückverfolgung der Ansteckungskette (Contact Tracing) bei HIV-Infizierten. Der Bundesrat vertrat die Ansicht, obligatorische Tests würden die Bereitschaft der Betroffenen zur Kooperation eher negativ beeinflussen und Risikogruppen (beispielsweise Freier) eher zu sorglosem Umgang mit der Bedrohung animieren. Auf seinen Antrag wurde die Motion mit 105 zu 69 Stimmen abgelehnt
[36].
[2]
AB NR, 2007, S. 1142.
[3]
LT und
NZZ, 29.9.07. Siehe
SPJ 2006, S. 185. Postulate:
SPJ 2005, S. 182. Hängig sind noch die Vorstösse 07.3261, 07.3525 und 07.3544.
[4]
AB NR, 2007, S. 391 f. Zu den Problemen bei der Stiftung siehe auch die Stellungnahme des BR zu einer noch nicht abschliessend behandelten Interpellation im NR (
a.a.O., S. 587).
[5]
AB NR, 2007, S. 574 (Postulat) und 1173 (Anfrage). Zu Werbeeinschränkungen für besonders fett-, salz- und zuckerhaltige Produkte siehe die Antwort des BR auf eine Anfrage im NR (
a.a.O., S. 603).
[6]
AB NR, 2007, S. 2009. Eine Motion Zisyadis (pda, VD) auf Übernahme der Diätberatung bei Jugendlichen durch die obligatorische Krankenversicherung wurde abgelehnt, da der BR geltend machte, anders als bei Erwachsenen sei im Kinder- oder Jugendalter der Nutzen einer Beratung nicht wissenschaftlich nachgewiesen (
a.a.O., S. 282).
[7]
AB SR, 2007, S. 302. Vgl.
SPJ 2006, S. 186 f. E-Health-Stratgie:
BaZ und
LT, 28.6.07. Zur Umsetzung siehe die Antwort des BR auf eine Frage im NR (
AB NR, 2007, S. 765). Im September unterzeichneten das EDI und die GDK eine Rahmenvereinbarung zum Aufbau von E-Health. Hängige Vorstösse: Geschäfte 07.3703 und 07.3468. Die Versichertenkarte tritt auf Anfang 2009 obligatorisch in Kraft (
LT,
NLZ und
NZZ, 15.2.07).
[8]
AB SR, 2007, S. 887 f. Ende Jahr gab der BR eine Totalrevision des Epidemiengesetzes in die Vernehmlassung; diese sei notwendig, weil sich seit Inkrafttreten des EpG 1974 viele Bedingungen verändert haben, die für die Übertragung von Infektionskrankheiten von Bedeutung sind (
NZZ, 24.12.07).
[9]
AB SR, 2007, S. 469 ff.;
AB NR, 2007, S. 1797 f. Für eine vom NR gegen den Willen des BR angenommene und vom SR abgelehnte Motion, welche eine Vollmitgliedschaft Taiwans in der WHO verlangte, siehe oben, Teil I, 2 (Relations bilatérales).
[10]
BZ,
NF und
TA, 16.5.07;
SGT, 19.9.07. Zu den Vorkehren der Schweiz im Fall einer Pandemie siehe die Ausführungen des BR zu Fragen im NR:
AB NR, 2007, S. 158 f., 915 f. und 1332. Mehrere Vorstösse sind noch hängig (Geschäfte 06.3113, 06.3136 und 06.3536).
[11]
AB SR, 2007, S. 648. Im NR sind noch zwei Motionen zum Thema hängig (Geschäfte 06.453 und 07.3626) sowie eine Pa.Iv. Egerszegi (fdp, AG) (Geschäft 07.480). Siehe
SPJ 2005, S. 182.
[13]
NZZ, 14.11.07. Zur Belastung der Haushalte durch die Gesundheitskosten (Prämien, Franchise und Selbstbehalt) siehe die Antwort des BR auf eine Anfrage im NR (
AB NR, 2007, S. 1173).
[14]
AB NR, 2007, S. 1239 f. und 1241 f.
[15]
AB SR, 2007, S. 1098 ff.;
AB NR, 2007, S. 1986.
[16]
AB SR, 2007, S. 796 ff. Zur Kontroverse um den Ausschluss der fünf komplementärmedizinischen Methoden vgl.
SPJ 2005, S. 183. Im NR sind noch eine Pa.Iv. und eine Motion (Geschäfte 07.424 und 07.3274) hängig, die eine stärkere Berücksichtigung der Alternativmedizin im KVG verlangen. Siehe auch oben (Epidemien).
[17]
BaZ,
BZ und
SGT, 8.8.07.
[18]
BüZ,
NZZ und
SGT, 22.8.07. Als erstes Spital der Schweiz veröffentlichte das Basler Kantonsspital seine Daten zu Infektionen, Hygiene und Mortalität (
NZZ, 24.8.07).
[19]
AZ,
BaZ und
SGT, 20.12.07. Gemäss den Beschlüssen des Parlaments zur Spitalfinanzierung im Rahmen der 2. KVG-Revision übernimmt der Bund die Planung der Spitzenmedizin, falls sich die Kantone nicht innerhalb nützlicher Frist einigen können (siehe unten, Teil I, 7c, Krankenversicherung).
[20]
BBl, 2004, S. 4293 ff. Siehe
SPJ 2005, S. 183.
[21]
AB SR, 2007, S. 1030 ff. Zu den einzelnen Vorlagen zur Revision des KVG siehe unten, Teil I, 7c (Krankenversicherung).
[22]
AB SR, 2007, S. 492 f. Zur Versorgungssicherheit mit ambulant tätigen Ärzten kam eine Studie des Gesundheitsobservatoriums zu ähnlichen Schlüssen wie die Verwaltung (
TA, 3.4.07;
LT, 4.4.07).
[23]
AB NR, 2007, S. 383;
AB SR, 2007, S. 1106. Eine Motion Ory (sp, NE), die strengere Richtlinien bei der Selbstdispensation durch Ärzte verlangte, um pekuniäre Überlegungen bei der Abgabe eines Medikamentes zu verhindern, wurde vom SR auf Antrag des BR, der auf ausreichende gesetzliche Leitplanken verwies, abgelehnt (
AB SR, 2007, S. 303 f.).
[24]
AB NR, 2007, S. 383 f.
[25]
BBl, 2007, S. 2339 ff.;
TA, 1.3.07.
[26] Originalpräparate:
Bund,
BüZ und
TA, 26.9.07;
NZZ,
SGT und
TA, 21.12.07. Vergleichsländer für die Festsetzung der Preise sind Deutschland, Dänemark, die Niederlande und Grossbritannien. Mit Einwilligung des BAG können die Pharmaproduzenten die Preise für die Schweiz nach wie vor 8% über dem Niveau der Vergleichsländer festsetzen. Generika:
AZ,
BaZ und
NZZ, 22.11.07.
[27]
AB NR, 2007, S. 570;
AB SR, 2007, S. 1107 f. Eine Motion der SP-Fraktion, die ganz unterschiedliche Forderungen bündelte, wurde hingegen abgelehnt (
AB NR, 2007, S. 385). Zur Frage des Patentrechts und von Parallelimporten siehe oben, Teil I, 4a (Wettbewerb).
[28]
AB NR, 2007, S. 1692 ff.
[29]
AB NR, 2007, S. 387 f.
[30]
NZZ, 17.3.07. Zur Umsetzung des Gesetzes siehe die Antwort auf eine Interpellation im NR (
AB NR, 2007, S. 1152).
[31]
NZZ, 30.7. und 8.12.07. Vgl.
SPJ 2004, S. 175.
[33]
BBl, 2007, S. 6713 ff.;
LT,
NF und
TA, 13.9.07. Siehe
SPJ 2006, S. 190.
[34]
AB NR, 2007, S. 1629 ff.;
AB SR, 2007, S. 1053 ff.
[35]
AB NR, 2007, S. 392;
AB SR, 2007, S. 1106. Zur Frage der Finanzierung der klinischen Forschung siehe die Antwort des BR auf eine Interpellation im NR (
AB NR, 2007, S. 578).
[36]
AB NR, 2007, S. 377 ff.
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