Année politique Suisse 2007 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Familienpolitik
Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) präsentierte die Ergebnisse der Studie „Sozialhilfe, Steuern und Einkommen in der Schweiz", die einen Beitrag zur besseren Koordination von Familien- und Sozialpolitik leisten will. Die Eidgenössische Koordinationskommission für Familienfragen EKFF kritisierte darauf basierend, dass erwerbstätige Familien mit tiefen Einkommen und ohne Sozialhilfe je nach Wohnort finanziell schlechter gestellt sind, als wenn sie nur noch Sozialhilfe beziehen würden. Vor diesem Hintergrund empfahl die EKFF die Einführung von Ergänzungsleistungen für Familien auf nationaler Ebene [40].
Sowohl FDP wie SP favorisieren seit einiger Zeit den Gedanken, nicht mehr wie in den letzten Jahren die Errichtung neuer Krippenplätze zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu finanzieren, sondern den erwerbstätigen Eltern Betreuungsgutscheine abzugeben, welche ihnen ermöglichen würden, die Art der Kinderbetreuung frei zu wählen (Krippen und Horte, Tagesfamilien etc.). Die SP-Fraktion wollte nun den Bundesrat mit einem Postulat auffordern, ein Modell auszuarbeiten, wonach jedes Kind bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit, dessen Eltern aufgrund von Erwerbsarbeit, ausgewiesener Freiwilligenarbeit oder Ausbildung die Betreuung der Kinder nicht selber sicherstellen können, Anrecht auf einen Betreuungsgutschein hat, der mindestens zwei Drittel der Vollkosten eines vom Kanton anerkannten Betreuungsplatzes abdeckt. Der Bundesrat zeigte sich überzeugt, dass mit einer den Wettbewerb stärkenden Reform eine neue Dynamik in das System der familienexternen Kinderbetreuung gebracht werden könnte. Er erklärte sich bereit, Pilotprojekte zu unterstützen, allerdings unter der Bedingung, dass die Federführung dafür entsprechend der geltenden Zuständigkeitsordnung von Kantonen oder Gemeinden übernommen wird. Wegen der relativ detaillierten Skizzierung des SP-Modells beantragte er Ablehnung des Postulates, worin ihm der Nationalrat folgte, wenn auch nur knapp mit 97 zu 90 Stimmen [41].
Nationalrätin Hutter (svp, SG) verlangte mit einer Motion, die Kinderbetreuung innerhalb der Familie sei steuerlich zu entlasten. Ihr Vorschlag sah einen Sozialabzug von 20 000 Fr. für ein Kind und von 30 000 Fr. für Familien mit zwei oder mehr Kindern vor. Der Bundesrat empfahl, die Motion abzulehnen. Er begründete seine Haltung unter anderem damit, dass mit diesem Abzug ein ausserfiskalisches Ziel, nämlich die Förderung der Selbstbetreuung von Kindern verfolgt werde. Dieses umzusetzen, würde womöglich aufwändiger Kontrollen bedürfen und auf allen Ebenen zu enormen Steuerausfällen führen. Es seien zudem oft ökonomische Gründe, die einen Zweitverdienst in der Familie bedingten. Frauen mit guter Ausbildung durch derartige Steuerrabatte von einer Erwerbstätigkeit abzuhalten, wäre zudem volkswirtschaftlich nicht sinnvoll. Obgleich die Motion auch bei einzelnen CVP- und FDP-Abgeordneten Unterstützung fand, wurde sie mit 95 zu 77 Stimmen abgelehnt [42].
Oppositionslos und im Einverständnis mit dem Bundesrat, der ebenfalls Handlungsbedarf ortete, nahm die grosse Kammer eine Motion Zeller (fdp, SG) für die rasche Schaffung eines zentralen Kinder- und Bezügerregisters an, um zu verhindern, dass beide Elternteile, ob aus Nichtwissen oder aus missbräuchlicher Absicht, einen Antrag auf Kinderzulagen stellen können, wenn sie beispielsweise nicht den gleichen Familiennamen tragen oder in unterschiedlichen Kantonen erwerbstätig sind. Der Ständerat stimmte einer gleich lautenden Motion Schiesser (fdp, GL) ebenfalls zu [43].
In der Folge des Gleichstellungsberichts des Bundesrates (siehe oben, Frauenpolitik) reichte Nationalrat Nordmann (sp, VD) eine Motion ein, die in allgemeiner Form einen Vaterschaftsurlaub von „einigen Wochen“ verlangte, während denen ein Vater einen Anspruch auf Erwerbsausfallentschädigung analog zum Mutterschaftsurlaub haben sollte. Der Bundesrat vertrat die Ansicht, hier müssten sozialpartnerschaftliche Lösungen gefunden werden; eine Lösung über die Erwerbsersatzordnung wie beim Mutterschaftsurlaub würde dieses Sozialwerk völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Trotz dieser Bedenken stimmte der Nationalrat mit 78 zu 74 Stimmen der Motion zu. Grüne und SP votierten geschlossen dafür, FDP und SVP ebenso einhellig dagegen und die CVP und die EVP waren gespalten. Im Ständerat unterlag die Motion dann aber mit 21 zu 13 Stimmen [44].
Der Nationalrat überwies ein Postulat Teuscher (gp, BE) ans Büro mit der Aufforderung, den Zeitplan insbesondere für die Herbst- und die Wintersession zu überprüfen, damit es möglichst wenige Überschneidungen mit den Schulferien gibt, um so ein Parlamentsmandat besser mit dem Familienleben koordinieren zu können [45].
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Ehe- und Scheidungsrecht
Reicht nach einer Scheidung oder Trennung das Einkommen nicht für zwei Haushalte, sind doppelt so viele Frauen von Armut betroffen wie Männer. Die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen (EKF) legte dazu eine Studie vor und forderte Massnahmen für eine geschlechtergerechte Aufteilung der wirtschaftlichen Folgen von Trennung und Scheidung. Grund für das hohe Armutsrisiko geschiedener Frauen ist unter anderem die gängige Rechtspraxis, wonach der unterhaltspflichtigen Person – aufgrund der traditionellen Rollenverteilung nach wie vor meist der Mann – nicht ins Existenzminimum eingegriffen wird. Um die festgestellten Benachteiligungen und Rechtsungleichheiten zu beseitigen, empfiehlt die EKF eine Reihe von Massnahmen, unter anderem ein nationales Rahmengesetz für die Sozialhilfe [46].
 
[40] Lit. SKOS; Presse vom 15.11.07.
[41] AB NR, 2007, S. 989 ff. und 2005. Zu einer Interpellation Forster (fdp, SG) im SR, welche die Gutschriften nur für das Vorschulalter zur Diskussion stellte, siehe AB SR, 2007, S. 488 f.
[42] AB NR, 2007, S. 1519. Zur Frage der steuerlichen Entlastung von Familien siehe oben, Teil I, 5 (Direkte Steuern). Im Vorjahr hatte der NR eine Motion Hochreutener (cvp, BE) abgelehnt, die eine Privilegierung junger Familien bei den AHV-Beiträgen verlangt hatte. Hochreutener hatte mit einer Pa.Iv. nachgedoppelt, zog diese aber jetzt zurück (AB NR, 2007, S. 1379). Siehe SPJ 2006, S. 223.
[43] AB NR, 2007, S. 2060; AB SR, 2007, S. 1184. Die Vollzugsverordnung zum neuen Familienzulagengesetz sieht die Prüfung der Schaffung eines zentralen Registers vor (AZ, BZ und NZZ, 1.11.07). Siehe SPJ 2006, S. 223 ff.
[44] AB NR, 2007, S. 144; AB SR, 2007, S. 1181 f.
[45] AB NR, 2007, S. 576.
[46] Frauenfragen, 2007, Nr. 1, S. 11-69; SGT, 26.6.07. Für Fortschritte bei der Regelung des gemeinsamen Sorgerechts für die Kinder im Fall einer Scheidung siehe die Antwort des BR auf eine Interpellation im NR (AB NR, 2007, S. 1146).