Année politique Suisse 2008 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
Ausländerpolitik
Bei der Behandlung der Legislaturplanung 2007–2011 im Nationalrat verlangte die SVP-Fraktion die konsequente
Ausweisung von Ausländern, welche kriminell werden, die christlich-abendländischen Werte nicht beachten oder die Sozialwerke missbrauchen. Zudem sei die Entwicklungszusammenarbeit an die Bedingung zu koppeln, abgewiesene Asylbewerber wieder aufzunehmen. Zu den Werten meinte Noser (fdp, ZH) als Vertreter seiner Partei, dass ganz klar sei, dass Ausländer die Gesetze des Landes zu befolgen haben, dass man von ihnen aber kein Glaubensbekenntnis verlangen dürfe. Der Antrag wurde mit 68 zu 40 Stimmen abgelehnt
[2].
Mit einer parlamentarischen Initiative beantragte die SVP-Fraktion, das Ausländergesetz sei so zu ergänzen, dass Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen von Familien widerrufen werden können, wenn ihre
minderjährigen Kinder straffällig werden. Bei schweren Delikten wie Vergewaltigungen, Messerstechereien, Morddrohungen gegenüber Lehrern usw. sollte der Widerruf der Bewilligung zwingend angeordnet werden, für leichtere Delikte wie z.B. Diebstahl wäre ein Bewilligungsentzug im Ermessen der Behörden. Die SVP versprach sich davon eine Signalwirkung auf Einwandererfamilien, das Verhalten ihrer Kinder strenger zu kontrollieren. Mit dem Argument, eine derartige Sippenhaft sei eines Rechtsstaates unwürdig, beantragte die Kommission, der Initiative keine Folge zu geben. Zudem verstosse das Ansinnen gegen die in der Verfassung festgelegten Prinzipien der Verhältnismässigkeit und der Gleichbehandlung. Die Initiative wurde mit 106 zu 36 Stimmen deutlich verworfen
[3].
Diese SVP-Vorstösse entsprachen weitgehend den Forderungen, welche die Partei mit ihrer
Volksinitiative „Für die Ausschaffung krimineller Ausländer“ („Ausschaffungsinitiative“) stellt. Sie verlangt darin, dass Ausländerinnen und Ausländer, unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht in der Schweiz verlieren, wenn sie wegen eines Gewaltdelikts verurteilt worden sind oder missbräuchlich Sozialleistungen bezogen haben. Mitte Februar wurde sie mit 210 919 Unterschriften eingereicht. Bei der Präsentation sagte SVP-Präsident Maurer (ZH), die Bevölkerung habe genug von der erschreckenden Jugend- und Ausländerkriminalität. Die bestehenden Gesetze reichten aber für ein härteres Vorgehen gegen straffällige Ausländer nicht aus; deswegen brauche es die Möglichkeit eines richterlichen Landesverweises. Nach Auffassung mehrerer Staatsrechtler müsste die Volksinitiative für ungültig erklärt werden, da sie mit ihrer absoluten Formulierung gegen zwingendes Völkerrecht und Garantien der Bundesverfassung verstosse
[4].
Der
Bundesrat sprach sich dagegen aus, die Initiative für ungültig zu erklären, da sie seines Erachtens nicht gegen zwingendes Völkerrecht verstösst. Eine Annahme der Initiative würde jedoch zu erheblichen Kollisionen mit dem nicht zwingenden Völkerrecht sowie mit der Bundesverfassung führen. Die Volksinitiative soll dem Parlament daher zur Ablehnung empfohlen werden. Ihr soll aber ein
indirekter Gegenvorschlag durch eine Anpassung des Ausländergesetzes gegenübergestellt werden. Dieser soll insbesondere zu einer Vereinheitlichung der Praxis der Landesverweisung zwischen den Kantonen führen und die Widerrufsgründe für ausländerrechtliche Bewilligungen präzisieren
[5].
Für Änderungen im Ausländer- und im Asylgesetz zur Umsetzung der Übernahme des Schengen- und Dublin-Besitzstandes siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE).
Ende 2008 lebten 1,67 Mio Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz und damit
4,3% mehr als ein Jahr zuvor. Bei der Zusammensetzung der ausländischen Wohnbevölkerung wirkte sich das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU aus. So nahm die ausländische Wohnbevölkerung aus dem
EU/EFTA-Raum mit +6,8% deutlich stärker zu als jene aus Drittstaaten und stieg auf 1 026 495. Innerhalb der EU-Länder war die Zuwachsrate bei den zehn neuen vorwiegend osteuropäischen Mitgliedstaaten mit +16,7% (knapp 4000 Personen) am höchsten. Bei den Staatsangehörigen, die nicht aus dem EU/EFTA-Raum stammen, blieb die Zahl mit +0,4% fast auf Vorjahresniveau; wobei zu berücksichtigen ist, dass aus diesen Staaten besonders viele Personen eingebürgert worden sind, welche damit aus der Ausländerstatistik verschwinden. Diese Entwicklung entspricht der Zuwanderungspolitik des Bundesrats und dem Zulassungssystem im neuen Ausländergesetz, wonach aus Nicht-EU-Staaten nur noch besonders qualifizierte Erwerbstätige rekrutiert werden können. Mit 44,6% war die nicht kontingentierte Erwerbstätigkeit der häufigste Einwanderungsgrund vor dem Familiennachzug mit 31,1%. In absoluten Werten nahm 2008 die Zahl der Deutschen erneut am stärksten zu; dahinter folgten Portugal, Frankreich, Grossbritannien und Polen, welches mit 1608 Einwanderern das Gros aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten stellte. Rückläufig war demgegenüber der Stand der Bevölkerung aus denjenigen Staaten, aus denen die meisten Eingebürgerten stammen: Serbien (-7400) und in deutlich geringerem Ausmass auch Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Sri Lanka und Türkei. Den höchsten Anteil an der Bevölkerung haben die Ausländer im Kanton Genf (35,1%), den niedrigsten im Kanton Uri (9,1%). Mit 45 287 Personen lag die Zahl der Einbürgerungen knapp über jener des Vorjahres, wobei die Serben erneut den grössten Anteil ausmachten
[6].
Der Bundesrat will gezielter gegen
Ehen bei rechtswidrigem Aufenthalt in der Schweiz vorgehen. Die geplanten Gesetzesänderungen verpflichten zum einen die ausländischen Brautleute, vor ihrer Heirat ihren rechtmässigen Aufenthalt in der Schweiz nachzuweisen. Zum anderen ist vorgesehen, dass die Zivilstandsämter Zugriff auf das Zentrale Migrationssystem (ZEMIS) erhalten und dass sie der zuständigen Migrationsbehörde die Identität der Brautleute mitteilen, die sich rechtswidrig in der Schweiz aufhalten. Die neuen Bestimmungen sollen sinngemäss auch für Männer und Frauen gelten, die eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eintragen lassen wollen. Nach Ansicht des Bundesrates kann mit diesen Massnahmen die unterschiedliche Praxis in den einzelnen Kantonen vereinheitlicht werden
[7].
Eine parlamentarische Initiative Heer (svp, ZH), die im Fall des Familiennachzugs aus „problematischen“ Ländern zusätzlich zu Zivilstandsakten zwingend
DNA-Profile zur Feststellung von Abstammung und Identität verlangen wollte, wurde vom Nationalrat mit 117 zu 51 Stimmen abgelehnt. Die Kommissionsmehrheit machte geltend, derartige Tests seien im Zweifelsfall bereits mit dem neuen Ausländergesetz möglich; obligatorische Untersuchungen ohne hinreichenden Verdacht auf Vorliegen irgendeines Straftatbestandes verstiessen gegen das verfassungsmässige Grundrecht auf den Schutz der Privatsphäre und würden wohl auch die Europäische Menschenrechtskonvention verletzen. Die Beschränkung des obligatorischen Tests auf die so genannten Problemländer würde überdies eine rechtsungleiche Behandlung bewirken
[8].
Zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien siehe oben, Teil I, 2 (Europe: UE). Zum Ansinnen der SVP, die Kriterien für eine Einbürgerung zu verschärfen, sowie zu der vom Volk abgelehnten Einbürgerungsinitiative der SVP siehe oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht).
2007 hatte der Ständerat eine Motion angenommen, welche den Erlass eines
Rahmengesetzes zur Integration verlangte. Auf Antrag des Bundesrates, der das Anliegen in weiten Teilen durch die Inkraftsetzung des neuen Ausländergesetzes auf den 1. Januar 2008 als erfüllt erachtete, hatte der Nationalrat die Motion in einen Prüfungsauftrag umgewandelt, eine Änderung, welcher die kleine Kammer nun oppositionslos zustimmte. Allerdings wurde dabei betont, dass die Abschwächung nicht mit einer Abwertung des Anliegens verwechselt werden dürfe. Die Integration insbesondere der ausländischen Jugendlichen sei eine zentrale Herausforderung für die heutige Schweiz
[9].
Seinerseits hatte der Nationalrat, gegen den Willen des Bundesrates, der auf Schwierigkeiten bei der Umsetzung verwies, eine Motion der SP-Fraktion gutgeheissen, welche den Bundesrat beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Kantonen einen
nationalen Aktionsplan Integration zu erarbeiten. Insbesondere soll diese Integrationsoffensive die schulischen und sprachlichen Defizite der Kinder mit Migrationshintergrund beheben helfen. Für Eltern (insbesondere die Mütter) sollen zudem bedarfsgerechte Sprachlernangebote konzipiert werden. Obgleich der Bundesrat auch zwischenzeitlich nicht von seiner Position abgerückt war, wurde die Motion vom Ständerat mit 26 zu 5 Stimmen angenommen
[10].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat eine Motion Haller (svp, BE) angenommen, welche den Bundesrat beauftragt, dafür zu sorgen, dass im Rahmen der Visumserteilung, des Familiennachzugs und des Ehevorbereitungsverfahrens allen ausländischen Personen, die ihren
ehelichen Wohnsitz in der Schweiz haben werden, schriftliche Informationen über zentrale schweizerische Rechtsvorschriften in einer für die Betroffenen verständlichen Sprache zur Verfügung gestellt werden. Der Ständerat überwies diese Motion diskussionslos
[11].
Die Kantone Basel-Stadt, Basel-Land, Solothurn und Zürich starteten einen Pilotversuch mit
Integrationsvereinbarungen. Teil dieser Vereinbarung ist es, die Erteilung einer Aufenthalts- oder Kurzaufenthaltsbewilligung künftig mit der Bedingung zu verknüpfen, dass ein Sprach- oder Integrationskurs besucht wird. Das BFM, welches den Versuch begleitet, will so das Erlernen der Landessprache sowie Kenntnisse über die gesellschaftlichen Verhältnisse und das Rechtssystem in der Schweiz fördern. Im Sinn eines Anreizes können die Kantone gut integrierten Ausländerinnen und Ausländern die Niederlassungsbewilligung vorzeitig erteilen
[12].
Im Vorjahr hatte der Nationalrat eine Motion der SVP-Fraktion angenommen, welche den Bundesrat beauftragt, in den
Kriminalstatistiken des Bundes in Zukunft auch das Herkunftsland des Täters aufzuführen. Der Ständerat stimmte ebenfalls zu. Bundesrätin Widmer-Schlumpf erläuterte in diesem Zusammenhang noch einmal die Haltung des Bundesrates, wonach die Herkunft nur bei Ausländern und nicht bei Eingebürgerten erhoben wird
[13].
[2]
AB NR, 2008, S. 706 ff.
[3]
AB NR, 2008, S. 965 f. Einzig die Abgeordneten der SVP gaben der pa.Iv. ihre Stimme, allerdings nicht geschlossen: Gadient (GR) stimmte für den Antrag der Kommissionsmehrheit, 6 Fraktionsmitglieder enthielten sich der Stimme. Zu einem ähnlich gelagerten Vorstoss der SVP siehe
SPJ 2007, S. 257.
[4]
BBl, 2008, S. 1927 f.; Presse vom 16.2.08. Siehe
SPJ 2007, S. 244.
[6] Presse vom 22.5.09. Siehe
SPJ 2007, S. 245. Zu den Einbürgerungen siehe auch oben, Teil I, 1b (Bürgerrecht).
[7] Presse vom 15.3.08. ZEMIS, die integrierte Datenerfassung von Ausländern und Asylsuchenden trat Anfang März in Kraft und soll die Zusammenarbeit zwischen den Behörden sowie zwischen Bund und Kantonen erleichtern (Presse vom 5.3.08).
[8]
AB NR, 2008, S. 1351 ff. Mit Ausnahme der SVP lehnten alle Parteien die pa.Iv. ab, einzig bei der FDP gab es zwei Befürworter: Müller (SG) und Theiler (LU).
[9]
AB SR, 2008, S. 106 ff. Siehe
SPJ 2007, S. 246.
[10]
AB SR, 2008, S. 362 f. Siehe
SPJ 2007, S. 247.
[11]
AB SR, 2008, S. 711. Siehe
SPJ 2007, S. 245 f.
[13]
AB SR, 2008, S. 744. Siehe
SPJ 2007, S. 247.
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