Année politique Suisse 2011 : Grundlagen der Staatsordnung / Rechtsordnung
Datenschutz und Statistik
Die 2009 eingereichte und 2010 überwiesene parlamentarische Initiative der SVP-Fraktion, welche keine Ausweitung der
Auskunftspflicht bei statistischen Erhebungen des Bundes fordert, veranlasste die staatspolitische Kommission des Nationalrates einen entsprechenden Entwurf für die Änderung des Bundesstatistikgesetzes auszuarbeiten und 2010 in die Vernehmlassung zu geben. Lediglich sieben Kantone billigten die Vorschläge. Die SPK-NR ergänzte deshalb Art. 6 des Bundesstatistikgesetz mit zwei Absätzen: Während der eine festlegt, dass Erhebungen des Bundesamtes für Statistik für natürliche Personen freiwillig sind, sieht der andere vor, dass die im Volkszählungsgesetz festgeschriebene Auskunftspflicht weiterhin gilt. Der Entwurf wurde vom Nationalrat angenommen. Auch die SPK des Ständerates stimmte zu, präzisierte jedoch die Formulierung. Sowohl der Ständerat wie auch der Nationalrat billigten diese Präzisierung, so dass der Erlass in der Schlussabstimmung Ende Dezember gutgeheissen wurde
[10].
Die Einführung der biometrischen Pässe nach der Referendumsabstimmung über die Änderung des Ausweisgesetzes im Jahr 2009 war Auslöser von zahlreichen parlamentarischen Vorstössen. In Umsetzung einer 2010 angenommenen parlamentarischen Initiative Meyer-Kaelin (cvp, FR), welche den Bezug von herkömmlichen
Identitätskarten sichern wollte, wurde ein Entwurf über die Änderung des Ausweisgesetzes in die Vernehmlassung gegeben. In der Sommersession 2011 wurde die Änderung des Gesetzes in der Schlussabstimmung sowohl in der grossen wie auch in der kleinen Kammer einstimmig angenommen. Somit bleibt die herkömmliche ID im Angebot
[11].
Die parlamentarische Initiative wurde zusammen mit einer Standesinitiative des Kantons Thurgau behandelt, welche verlangte, dass auch nach dem Inkrafttreten der 2009 beschlossenen Änderung des Ausweisgesetzes noch während zweier Jahren, Identitätskarten ohne Datenchip wie bisher bei den Wohnsitzgemeinden beantragt werden können. Nachdem der Initiative bereits 2010 Folge gegeben wurde, war auch diese Änderung des Ausweisgesetzes in der Schlussabstimmung einstimmig angenommen worden. So können die Kantone die Wohnsitzgemeinden ermächtigen, Anträge auf die Ausstellung von Identitätskarten ohne Chip entgegenzunehmen Kt. Iv. 10.308: AB NR, 2011, S. 503ff. und 1288; AB SR, 2011, S. 355 f. und 707; vgl. SPJ 2010, S. 20..
2009 wurden vier weitere parlamentarische Initiativen eingereicht, die im Grunde dasselbe Anliegen hatten: Erstens sollen sich die Bürger zwischen der herkömmlichen und einer biometrischen Identitätskarte entscheiden können. Zweitens soll auf eine zentrale Datenbank zur Speicherung der Daten verzichtet werden. Sowohl die Initiative Hodgers (gp, GE), als auch die parlamentarische Initiative Marra (sp, VD) forderten eine dahingehende Änderung des Ausweisgesetzes. Nach dem die Initiativen von der SPK-SR, im Gegensatz zur SPK-NR, zur Ablehnung empfohlen wurden, hat der Nationalrat ihnen Folge gegeben. Der Ständerat wird in der Frühjahrssession 2012 über die zwei parlamentarischen Initiativen entscheiden. Ein identisches Schicksal widerfuhr den parlamentarischen Initiativen der SVP-Fraktion des Nationalrates. Die Erste wollte mit einer Änderung des Ausweisgesetzes verhindern, dass der Bundesrat weitere Ausweisarten der Pflicht zur Ausrüstung mit einem biometrischen Chip unterstellen kann. Dieser Vorstoss ist durch die parlamentarische Initiative Meyer-Kaelin (cvp, FR) erfüllt worden. Die Zweite forderte den Verzicht auf eine
zentrale Datenbank auf eidgenössischer Ebene zur Speicherung biometrischer Daten. Beide wurden Anfang Dezember im Nationalrat angenommen
[13].
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) meldete, dass die seit Mai 2010 erhältliche
Suisse-ID auf Kurs sei. Bis Ende 2010 sind mehr als 271 000 elektronische Identitätsnachweise bestellt worden. Die Suisse-ID ermöglicht den Identitätsnachweis im elektronischen Verkehr mit Geschäften und Behörden sowie die elektronische Unterschrift
[14].
Der Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür hatte 2009 eine Klage gegen
Google Street View beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht, weil die Fotografien bei Google Street View nicht zu 100 Prozent anonymisiert seien. Dadurch, so Thür, dass Gesichter und Nummernschilder teils noch erkennbar seien, werde das Datenschutzgesetz verletzt. Es war das erste Mal, dass Google in einem Land vor Gericht gezogen wurde. Das Bundesverwaltungsgericht entschied in seinem Urteil vom 30. März 2011, dass Google Street View alle noch erkennbaren Gesichter und Nummernschilder manuell verwischen muss. Besonders strenge Auflagen gelten bei Bildern im Bereich von sensiblen Einrichtungen wie Frauenhäusern, Altersheimen und Gefängnissen. Zudem muss Google über geplante Aufnahmefahrten und Aufschaltungen der Bilder ins Netz in Lokalzeitungen informieren. Weiter sind Bilder unzulässig, welche von der Strasse aus nicht sichtbare Höfe und Gärten zeigen. Google Street View war von dem Urteil enttäuscht und kündigte an, den Rechtsspruch an das Bundesstrafgericht weiterzuziehen. Im Falle einer erneuten Niederlage drohte Google Street View mit der Abschaltung des Dienstes in der Schweiz
[15].
Neben Google geriet auch
Facebook ins Visier des Datenschützers. Anfang Juni 2011 hatte die Internetseite die automatische Gesichtserkennung aktiviert. Hanspeter Thür überlegte sich, dem Netzwerk selber beizutreten, um auf die Gefahren aufmerksam zu machen. Auch
Apple geriet unter Druck von Datenschützern und Politik, weil die Firma Aufenthaltsorte von i-Phone-Nutzern erfasst, überträgt und aufbewahrt. Eine internationale Prozedur wurde lanciert und die Schweiz steht in Kontakt mit mehreren Staaten
[16].
Eine nationale Premiere gab es in den Kantonen Schwyz, Ob- und Nidwalden. In diesen Kantonen kann sich neu jeder im Internet über den Standort von
öffentlichen Kameras informieren. Diese Einrichtung wird in den kantonalen Datenschutzgesetzen gefordert
[17].
Während das Bankgeheimnis bröckelt, gewinnt das
Datengeheimnis an Bedeutung. Der IT-Dienstleister Green.ch baute für 50 Mio. Franken ein Rechenzentrum zur Speicherung von Daten. Das Datengeheimnis lockt die ausländische Kundschaft, die den Schutz der Privatsphäre in der Schweiz schätzt
[18].
Der Rat für Persönlichkeitsschutz lancierte eine Kampagne mit dem Namen „
Netla – Meine Daten gehören mir!“ Die auf drei Jahre angelegte Kampagne soll Kindern den verantwortungsvollen Umgang mit eigenen Daten im Internet lehren und kostet eine halbe Million Franken. In der Presse wurde kritisiert, dass sich der Bund in zu vielen Projekten mit zu wenig Wirkung verzettle
[19].
Am 1.Juli 2011 setzte der Bundesrat eine Änderung der Verordnung zum Bundesgesetz über die Öffentlichkeit der Verwaltung (VBGÖ) in Kraft. Damit soll dem eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) mehr Zeit eingeräumt werden, um eine
Schlichtung zwischen der Person, die Einsicht in amtliche Dokumente wünscht, und der Bundesbehörde, welche diese verweigert, durchzuführen
[20].
Der Datenschutz in Zusammenhang mit Versicherungen wird im Teil I, 7b (Gesundheit, Sozialhilfe, Sport) behandelt; über das Postulat Amherd (cvp, VS) über die rechtliche Grundlage von Social Media berichten wir ebenfalls unten, Teil I, 8c (Medien).
[10] Parl. Iv. 09.480: AB NR, 2011, S. 1678 ff. und 2074 f.; AB SR, 2011, S. 1093 ff. und 2280.
[11] Parl. Iv. 09.439: AB NR, 2011, S. 503 ff. und 1288; AB SR, 2011, S. 355 f. und 707; vgl. SPJ 2010, S. 20.
[13] Parl. Iv. 09.435 (Hodgers); Parl. Iv. 09.431 (Marra); Parl. Iv. 09.440 (SVP); Parl. Iv. 09.441 (SVP): AB NR, 2011, S. 1929f
[14] NZZ, 14.1.11, vgl. SPJ 2010, S. 305.
[15] Urteil A-7040/2009; SoS, 12.5.11.
[16] NLZ, 28.6.11; BaZ, 23.4.11.
[20] SR 152.31; NZZ, 21.4.11.
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