Année politique Suisse 2011 : Infrastruktur und Lebensraum / Boden- und Wohnwirtschaft
Wohnungsbau und -eigentum
Nachdem der Ständerat im Jahr 2010 auf Nichteintreten entschieden hatte, gelangte die parlamentarische Initiative Hegetschweiler (fdp, ZH) im Frühjahr erneut in den Nationalrat. Das Geschäft verlangt bei
Ersatzbeschaffung von Wohneigentum den Wechsel von der absoluten zur relativen Methode der Grundstückgewinnbesteuerung. Im Gegensatz zu der absoluten Methode würde beim Anwenden der relativen Methode der nicht reinvestierte Grundstückgewinn ebenfalls dem Steueraufschub unterliegen. Eine äusserst knappe bürgerliche Kommissionsmehrheit der zuständigen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-NR) wollte am vorjährig gefällten Entscheid des Nationalrates festhalten und beantragte erneut Eintreten. Ein Minderheitsantrag von Mitte-Links wollte sich hingegen dem Ständerat anschliessen. Die Kommissionsminderheit vertrat – wie auch Bundesrat, Finanzdirektorenkonferenz und 25 Kantone – den Standpunkt, dass die relative Besteuerungsmethode keine angemessene Lösung sei und nicht zu einer Vereinfachung des Systems führen würde. Die grosse Kammer folgte jedoch der Kommissionsmehrheit und entschied mit 107 zu 72 Stimmen erneut, auf das Geschäft einzutreten. Der Ständerat hielt jedoch ebenfalls an seiner Position fest: Er beschloss zum zweiten Mal Nichteintreten, womit das 2004 eingereichte Anliegen nach langem Leidensweg endgültig vom Tisch war
[16].
In der Frühjahrssession stimmte der Ständerat einstimmig einem Eventualkredit von CHF 1,4 Mia. zur
Förderung von gemeinnützigem Wohnungsbau zu. Dieser Betrag, welcher 2011 bis 2015 zur Verbürgung von jährlich drei Emissionen der Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger (EGW) eingesetzt werden kann, war im Vorjahr bereits vom Nationalrat abgesegnet worden
[17].
Im Berichtsjahr behandelten die beiden Räte die
Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“ sowie den indirekten Gegenentwurf, welcher der Bundesrat dem Parlament in Form eines
Bundesgesetzes über die Besteuerung des privaten Wohneigentums präsentierte. Die Volksinitiative des Hauseigentümerverbandes (HEV) fordert für Personen im Rentenalter eine fakultative Befreiung von der Besteuerung des Eigenmietwertes. Der im Vorjahr vom Bundesrat erarbeitete Gegenentwurf sieht im Gegenzug eine generelle Abschaffung des Eigenmietwerts für alle Personen mit selbstgenutztem Wohneigentum vor. In der Frühjahrssession präsentierte die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-SR) ihrem Rat eine überarbeitete Version des bundesrätlichen Entwurfes. Ende 2010 hatte die WAK-SR nach Anhörung des HEV und der Finanzdirektorenkonferenz ohne Gegenstimme beschlossen, nicht auf den ursprünglichen Entwurf des Bundesrates einzugehen. Laut Kommissionssprecher Rolf Schweiger (fdp, ZG) würde der nun präsentierte, überarbeite Entwurf eine optimale Lösung bieten. Er ermögliche ausserdem eine angemessene Lösung für Zweitliegenschaften. Mit der Schaffung einer verfassungsrechtlichen Grundlage sollen Kantone und Gemeinden berechtigt werden, eine Kostenanlastungssteuer in Form einer Objektsteuer zu erheben, wodurch bei Abschaffung des Eigenmietwertes ausfallende Steuereinnahmen kompensiert werden könnten. Eine liberal-linke Kommissionsminderheit beantragte erfolglos Nichteintreten auf die Vorlage. Sie argumentierte, dass der Gegenentwurf nicht zu einer Vereinfachung des Steuersystems führen würde. In der Detailberatung umstritten war die Frage, ob Investitionskosten für energetische Sanierungsmassnahmen und denkmalpflegerische Arbeiten von der Bundessteuer abzugsberechtigt sein sollten. Hier setzte sich die Kommissionsminderheit durch, welche sich wie der Bundesrat für die Abzugsberechtigung aussprach. Der Ständerat beschloss zudem auf Anraten seiner Kommission mit deutlichem Mehr die Erhöhung des möglichen Schuldzinsabzugs für Neuerwerbende auf CHF 12 000 pro Ehepaar, resp. auf CHF 6000 für Alleinstehende, im ersten Steuerjahr mit einer Verminderung der Abzugsmöglichkeiten um jährlich 5 Prozentpunkte, was die Neuerwerbenden für eine Dauer von 20 Jahren abzugsberechtigt machen würde. Der Bundesrat hatte in seinem Entwurf einen leicht tieferen Abzug empfohlen, welcher des Weiteren nur für 10 Jahre geltend gemacht werden könnte. In der Schlussabstimmung wurde dem indirekten Gegenvorschlag mit 17 zu 12 Stimmen bei drei Enthaltungen zugestimmt. Beinahe einstimmig folgte der Ständerat im Folgenden dem Bundesrat und empfahl die Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“ zur Ablehnung. Es sei nicht einzusehen, wieso in der Schweiz zwei Klassen von Steuerpflichtigen geschaffen werden sollten, liess Kommissionssprecher Schweiger (fdp, ZG) verlauten. Ähnlich argumentierte Hildegard Fässler-Osterwald (sp, SG) für die knappe Kommissionsmehrheit im Nationalrat. Hier lag jedoch ein bürgerlicher Minderheitsantrag zur Annahme des Volksbegehrens vor, welcher durch Georges Theiler (fdp, LU), Mitglied des Initiativkomitees, vertreten wurde. Der Eigenmietwert sei eine staatliche Aufforderung zum Schuldenmachen und wirke sich insbesondere für ältere Menschen, die ihre Hypotheken bereits teilweise oder sogar ganz amortisiert haben, negativ aus. Dank einer Mehrheit der CVP/EVP/glp-Fraktion gelang den Bürgerlichen mit 97 zu 72 Stimmen eine positive Empfehlung zur Volksinitiative. In Sachen indirekter Gegenvorschlag sprach sich die WAK-NR mit 14 zu 10 Stimmen für Nichteintreten aus. Ausschlaggebend war die Befürchtung, dass der indirekte Gegenvorschlag zu einer verschärften Ungleichbehandlung von Mietern und Wohneigentümern führen würde. Ebenso erachtete die WAK-NR den vehementen Widerstand der Kantone, welcher auf den ständerätlichen, positiven Entscheid zum indirekten Gegenvorschlag folgte, als Grund, diesem die Zustimmung zu verweigern. In dieser Sache folgte der Nationalrat der Kommissionsmehrheit nun deutlich; Nichteintreten wurde mit 114 zu 58 Stimmen beschlossen. Für Eintreten sprachen sich je ungefähr die Hälfte der FDP und der CVP aus. Dabei wurden sie durch eine Minderheit der SVP und einer Mehrheit der Grünen unterstützt. Im Winter gingen die Vorlagen zur Differenzbereinigung zurück an den Ständerat. Nach kurzer Diskussion beschloss dieser erneut mit deutlichem Mehr von 35 zu 5 Stimmen, die Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“ zur Ablehnung zu empfehlen. Dies geschah auf grossmehrheitliche Empfehlung seiner Kommission. Diese empfahl ihrem Rat auch erneut, auf den Gegenvorschlag einzutreten; dieses Mal jedoch nur knapp und dank Stichentscheid des Kommissionspräsidenten. Der neu gewählte Ständerat sprach sich jedoch in der Folge mit 23 zu 17 Stimmen gegen diese Empfehlung und somit auch gegen den ständerätlichen Entscheid aus der ersten Beratung aus. Nach bereits erfolgtem Nichteintretensentscheid der grossen Kammer bedeutete dies das Scheitern des indirekten Gegenvorschlags
[18].
Die Motion Schweiger (fdp, ZG), die ebenfalls die
Abschaffung der Eigenmietwertbesteuerung verlangte, wurde vom Ständerat nach dessen anfänglicher Zustimmung zum indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative „Sicheres Wohnen im Alter“ abgelehnt und damit erledigt
[19].
Die von der Credit Suisse veröffentlichte Studie zum
Zustand des Schweizer Immobilienmarktes 2011 verzeichnete einen trotz Wirtschaftskrise und ansteigenden Immobilienpreisen ungebremsten Anstieg der Wohneigentumsquote. Die beiden Hauptgründe für diese Entwicklung verortete die Studie zum einen in der Zuwanderung und zum anderen in den rekordtiefen Zinsen. Gleichzeitig warnten die Ökonomen vor einer Überhitzung des Marktes, insbesondere in den Kantonen Genf, Waadt, Tessin und Zug. Sie hielten jedoch fest, dass sich der Trend zum Eigenheim als positiv für die Mieterinnen und Mieter erweise, weil ein Anstieg der Mieten nicht vor 2013 zu erwarten sei
[20].
Anfang Jahr wurden die Vernehmlassungsergebnisse zum
indirekten Gegenentwurf zu den beiden Bausparinitiativen präsentiert. Der Gegenvorschlag, der von der ständerätlichen Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK-SR) gefordert und ausgearbeitet worden war, orientierte sich stark an der Volksinitiative des HEV, welche im Gegensatz zur Initiative der Schweizerischen Gesellschaft für Bausparen (SGFB) eine obligatorische Einführung des Bausparens in den Kantonen vorsieht. Der Gegenentwurf unterscheidet sich aber in zwei wesentlichen Punkten von der HEV-Initiative: Zum einen verfügt er über moderatere steuerliche Anreize, da die Vermögenserträge der Einkommenssteuer und die Bausparguthaben der kantonalen Vermögenssteuer unterstellt würden, und zum anderen enthält er klarere Regelungen im Falle zweckwidriger Verwendung der Bauspareinlagen. In der Vernehmlassung äusserten sich die CVP, CSP und SVP positiv zum Gegenentwurf. Die FDP stimmte dem Entwurf unter dem Vorbehalt zu, dass er durch die in der SGFB-Initiative geforderten Abzugsmöglichkeiten für Energie- und Umweltinvestitionen ergänzt werde. Eine klar ablehnende Haltung gegenüber dem Anliegen vertraten die EVP, die Grünen und die SP sowie nicht weniger als 22 Kantone. Nur gerade der Kanton Genf und der Kanton Basel-Land, welcher als einziger Kanton über die Möglichkeit des steuerbegünstigten Bausparens verfügt, unterstützen das Vorhaben. Die Urheber der beiden Initiativen sprachen sich ebenfalls für den Gegenvorschlag aus. Abgelehnt wurde der indirekte Gegenvorschlag von den Mieterverbänden. Der Bundesrat gab ebenfalls eine ablehnende Stellungnahme ab. Der wichtigste Einwand der Landesregierung war, dass die Zielgruppe der Schwellenhaushalte (Haushaltseinkommen zwischen CHF 60 000 und CHF 100 000) mangels Eigenkapital nicht in der Lage sein würden, innerhalb von 10 Jahren ausreichend Mittel zum Erwerb von selbstgenutztem Wohneigentum zu äufnen. Das Bausparen widerspräche dem Rechtsgleichheitsgebot, da gerade einkommensstarke Steuerpflichtige, welche sich auch ohne die vorgesehenen Massnahmen Eigenwohnheim leisten könnten, überdurchschnittlich vom Bausparen profitieren würden. Der Bundesrat verwies zudem auf den Kommissionsbericht der WAK-SR, der bei zweckwidriger Verwendung der Bauspareinlagen trotz Nachbesteuerung in einigen Fällen von Steuerausfällen im fünfstelligen Bereich pro Person oder Ehepaar ausgeht. Weiter befürchtete er wegen Raumknappheit steigende Haus- und Bodenpreise, was den Effekt der steuerlichen Fördermassnahmen zumindest teilweise aushebeln könnte. In der Frühjahrssession des Berichtsjahres behandelte der
Ständerat den indirekten Gegenentwurf. Die Kommissionsmehrheit der WAK-SR empfahl Eintreten. Unter anderem würde dies dem Nationalrat ermöglichen, seine im Vorjahr ausgesprochene Unterstützung der beiden Volksinitiativen zu Gunsten des moderateren Gegenvorschlages zurückzuziehen. Die kleine Kammer trat mit 20 zu 15 Stimmen auf den Entwurf ein und verabschiedete ihn bei 17 zu 17 Stimmen nur dank Stichentscheid des Präsidenten Inderkum (cvp, UR). Der Nationalrat trat dann in der Sommersession mit deutlichem Mehr auf den Gegenentwurf ein und empfahl ihn ebenfalls zur Annahme. Praktisch geschlossen gegen den Entwurf votierten SP und Grüne mit Unterstützung einer Minderheit der CVP. In der Schlussabstimmung fand das Anliegen im Nationalrat mit 111 zu 64 Stimmen Zustimmung. In der ständerätlichen Schlussabstimmung wurde der indirekte Gegenentwurf dann aber doch noch zu Fall gebracht, nämlich mit 22 zu 17 Stimmen bei 3 Enthaltungen. Was die Stimmung im Ständerat schlussendlich kippen liess, darüber konnte nur spekuliert werden. Zum einen hätten einige freisinnige Ständeräte aus gewichtigen Gründen der Schlussabstimmung fernbleiben müssen, zum anderen hätten die kantonalen Finanzdirektionen mit ihrer Warnung vor Steuerausfällen von jährlich über CHF 100 Millionen die kleine Kammer erfolgreich mobilisiert, liess Ansgar Gmür, Direktor des HEV, verlauten. Bei Annahme des Gegenvorschlages hätte der HEV den Rückzug seiner Initiative in Aussicht gestellt. Auf der anderen Seite hatte die SP bei Annahme des Gegenvorschlages bereits mit dem Referendum gedroht
[21].
Im Berichtsjahr befasste sich das Parlament nicht nur mit dem Gegenvorschlag sondern ebenfalls mit den
Empfehlungen zu den beiden
Bausparinitiativen. Nachdem sich der Ständerat im Vorjahr bereits gegen die Initiative der SGFB ausgesprochen hatte, lehnte er in der Frühjahrssession auch die HEV-Initiative ab. Der Nationalrat hatte sich bereits im Vorjahr zustimmend zu den Anliegen geäussert und hielt auch in der Sommersession an seinen gefassten Beschlüssen fest. Dabei zeigten sich die gleichen Kräfteverhältnisse wie bei der Annahme des indirekten Gegenentwurfes. Auch der Ständerat beharrte auf seiner ablehnenden Haltung gegenüber den beiden Volksbegehren – allerdings nur knapp mit 17 zu 16 Voten. Damit gelangte das Geschäft in der Herbstsession in die Einigungskonferenz. Die Einigungskonferenz beantragte die SGFB-Initiative zur Ablehnung, wie dies der Bundesrat und die kleine Kammer forderten, empfahl jedoch – dem Nationalrat folgend – die Initiative des HEV zur Annahme. Keiner der Räte zeigte sich hingegen Willens, der Empfehlung der Einigungskonferenz zu folgen. Die Bausparinitiativen werden dem Volk somit ohne Empfehlung vom Parlament vorgelegt
[22].
Die beiden Kammern beschäftigten sich ebenfalls mit einer Motion der WAK-NR, welche die HEV-Initiative auf den ersten Abstimmungstermin festlegen wollte, womit das Volk zuerst über eine obligatorische Einführung des Bausparens abstimmen würde. Während eine bürgerliche Ratsmehrheit das Geschäft im Nationalrat mit 105 zu 62 Stimmen deutlich annahm, wurde es im Ständerat verworfen. Somit blieb die Kompetenz zur Bestimmung der
Abstimmungsreihenfolge der Bausparinitiativen gemäss Parlamentsrecht beim Bundesrat
[23].
[16] Pa.Iv. 04.450:
AB NR, 2011, S. 48 ff.;
AB SR, 2011, S. 520; vgl.
SPJ 2010, S. 207.
[17] BRG 10.067:
AB SR, 2011, S. 305 f.; vgl.
SPJ 2010, S. 209 f.
[18] BRG 10.060:
AB SR, 2011, S. 209 ff.;und 1141 ff.;
AB NR, 2011, S. 1159 ff.; Medienmitteilung der WAK-SR vom 12.11.10;
TA, 20.4.11; vgl.
SPJ 2010, S. 208.
[19] Mo. 09.3215:
AB SR, 2011, S. 224 f.; vgl.
SPJ 2009, S. 182. Die gleichlautende Mo. 09.3213 (Sommaruga) wurde wegen Ausscheiden der Motionärin aus dem Rat abgeschrieben.
[21] Pa.Iv. 10.459: Vernehmlassungsbericht der ESTV (
www.admin.ch);
BBl, 2011, S. 2235 ff. und 2269 ff.;
AB SR, 2011, S. 89 ff. und 713;
AB NR, 2011, S. 784 ff. und 1295;
NZZ, 18.6.11.; vgl.
SPJ 2010, S. 208 f.
[22] BRG 09.074: AB SR, 2011, S. 101, 858 f., 925 ff. und 999 f.; AB NR, 2011, S. 182 f., 1428 ff., 1599 f. und 1743 ff.; vgl. SPJ 2010, S. 208 f.
[23] Mo. 11.3759:
AB NR, 2011, S. 1432 f.;
AB SR, 2011, S. 1295 f.
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