Année politique Suisse 2011 : Sozialpolitik / Soziale Gruppen
 
Familienpolitik
Der Ständerat behandelte im März die Motion Prelicz-Huber (gp, ZH) zur Änderung des Zivilgesetzbuches, um eine Adoption bereits ab vollendetem 30. Lebensjahr zu ermöglichen. Die Motionärin argumentierte, dass dies auch schon vor dem bisher geltenden 35. Lebensjahr möglich sein solle und dass die bestehende Regelung viele Paare unnötig lange auf eine Adoption warten lasse. Der Nationalrat hatte der Motion bereits 2009 zugestimmt. Der Ständerat folgte der Empfehlung seiner Rechtskommission und nahm das Geschäft in leicht abgeänderter Form an. Der Bundesrat wurde beauftragt, das Adoptionsalter herunterzusetzen, der Ständerat verzichtete aber auf die explizite Definition einer Altersgrenze im Motionstext. Diese Version wurde im Dezember vom Nationalrat mit 116 zu 45 Stimmen angenommen. Gleichzeitig wurde eine parlamentarische Initiative John-Calame (gp, NE) mit ähnlichem Inhalt zurückgezogen [56].
Der Ständerat überwies im Frühjahr eine Motion Fehr (sp, ZH) zur Änderung der gesetzlichen Grundlagen bezüglich des Adoptionsgeheimnisses. Die Vorlage, welcher der Nationalrat bereits 2010 zugestimmt hatte, forderte vom Bundesrat einen Vorschlag zur Änderung des Zivilgesetzbuches, so dass den leiblichen Eltern, nachdem ihre Kinder die Volljährigkeit erreicht haben und einem solchen Kontakt zustimmen, eine Anspruchsberechtigung auf Kenntnis der Personalien ihrer Kinder zuerkannt wird [57].
Wie eine Studie des Bundesamts für Statistik zeigte, ging die Zahl der Adoptionen in der Schweiz in den letzten drei Jahrzehnten markant zurück. Während 1980 noch rund 1 600 Kinder pro Jahr adoptiert wurden, sank die Zahl bis 2009 auf gut 500 Fälle jährlich. Ebenfalls veränderte sich die dominierende Beziehungsstruktur zwischen den Adoptierenden und den Adoptierten; während früher die Adoptionen innerhalb der Familie überwiegten, werden heute meist Adoptionen ausserhalb der Familie verzeichnet. Zurückgeführt wird der Rückgang an Adoptionen auf das veränderte gesellschaftliche Umfeld wie auch auf die strengeren gesetzlichen Auflagen [58].
Die Motion Gutzwiler (fdp, ZH) mit der Forderung nach einem zeitgemässen Erbrecht wurde im Frühling von der grossen Kammer als Zweitrat behandelt. Nebst einer allgemeinen Flexibilisierung des Erbrechts, welches seit 1912 seine Gültigkeit hat und anhand der damaligen gesellschaftlichen und demographischen Entwicklungen gestaltet wurde, forderte der Motionär auch eine Abschaffung des elterlichen Pflichtteilsrechts. Der Nationalrat folgte dem Ständerat und nahm die Motion an, allerdings mit einer Präzisierung des Motionstexts zur klareren Abgrenzung zwischen Ehepaaren und im Konkubinat lebenden Paaren. Die grosse Kammer setzte sich damit klar für die Ehe ein und wehrte sich gegen eine erbrechtliche Gleichstellung von Konkubinats- mit Ehepaaren. Deutlich verworfen wurde ein Minderheitsantrag Schwander (svp, SZ), der aufgrund mangelnder Dringlichkeit die Ablehnung der Motion gefordert hatte. Der Ständerat nahm die abgeänderte Version des Motionstextes im Juni ebenfalls an [59].
Die auf eine parlamentarische Initiative Hochreutener (cvp, BE) zurückgehende Forderung nach einem Verfassungsartikel für eine umfassende Familienpolitik wurde in der Vernehmlassung mehrheitlich kritisiert. Der Entwurf der Bestimmung verlangte eine bessere Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch Bund und Kantone und insbesondere die Schaffung zusätzlicher ausserfamiliärer Betreuungsangebote für Kinder. Die an der Vernehmlassung teilnehmenden Parteien und Verbände bestätigten grundsätzlich ihre Positionen zur Familienpolitik. So wünschten sich die linken Parteien eine Harmonisierung der kantonalen Politiken, während die FDP an der föderalen Gestaltung derselben festhalten möchte. Die SVP wehrte sich grundsätzlich gegen einen familienpolitischen Verfassungsartikel, da dieser die Fremdbetreuung der Kinder fördere und traditionelle Familienmodelle benachteilige [60].
Der Bundesrat gab im Juni die Vorlage zur Änderung des Fortpflanzungs-Artikels 119 der Bundesverfassung sowie des Fortpflanzungsmedizingesetzes in die Vernehmlassung. Der Entwurf würde das Verbot der Präimplantationsdiagnostik aufheben und klare Bedingungen zur Anwendung derselben formulieren. Des Weiteren sollte laut dem Entwurf das Verbot der Aufbewahrung von Embryonen aufgehoben werden. Nach bisherigem Recht ist es untersagt, Embryonen aufzubewahren, was viele Frauen dazu veranlasse, sich die zulässige Höchstzahl von drei Embryonen einpflanzen zu lassen, um die Erfolgschancen einer erfolgreichen Schwangerschaft zu erhöhen. Die dadurch grosse Anzahl von Zwillings- und Drillingsschwangerschaften sei mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden [61].
Mitte August war die von christlich-konservativer Seite lancierte Volksinitiative „Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache – Entlastung der Krankenversicherung durch Streichung der Kosten des Schwangerschaftsabbruchs aus der obligatorischen Grundversicherung“ zustande gekommen [62].
Die vom Bundesrat 2010 in die Vernehmlassung gegebene Aufhebung des Inzestverbots durch eine Streichung des betreffenden Artikels im Strafgesetzbuch drohte anhand des Widerstandes aus christlich-konservativen Kreisen zu scheitern. Sowohl die SVP als auch CVP und EVP hatten sich Anfang des Jahres deutlich dagegen ausgesprochen [63].
Die im Berichtsjahr vom Parlament angenommene Motion Tschümperlin (sp, SZ) zur Verankerung der Elternbildung im Weiterbildungsgesetz wird im Teil I, Kapitel 8a (Grundsätzliches) eingehend behandelt [64].
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Ausserfamiliäre Kinderbetreuung
Im April publizierte Preisüberwacher Meierhans eine Studie zu den Tarifen für die ausserfamiliäre Kinderbetreuung. Er untersuchte darin die Preise für Kindertagesstätten in den kantonalen Hauptorten. Obwohl die Ergebnisse nicht repräsentativ waren, zeigte die Studie erhebliche Preisunterschiede zwischen den Kantonen. Während man für die Betreuung eines Kindes in Bellinzona etwas über 40 Franken pro Tag aufwenden muss, sind es im Kanton Schwyz mehr als drei Mal so viel. Die grossen Preisunterschiede führte eine andere Studie, erstellt durch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), zu einem grossen Teil auf die unterschiedlichen kommunalen und kantonalen Regulierungen und Vorschriften zurück [65].
Die Rechtskommissionen beider Räte lehnten den Vorentwurf des Bundesrats zur neuen Kinderbetreuungsverordnung ab, insbesondere die vorgeschlagene Regelung, dass Bekannte und Verwandte zukünftig Kinder nur noch mit Bewilligung beaufsichtigen und betreuen dürfen. Die Rechtskommission des Nationalrates hatte bereits im Vorjahr eine parlamentarische Initiative eingereicht, mit welcher im Zivilgesetzbuch explizit festgehalten werden sollte, dass die private Kinderbetreuung durch Familien und Bekannte keiner Bewilligung bedarf. Die Rechtskommission des Ständerates gab diesem Gesetzesvorschlag Anfang des Berichtsjahres ihre Zustimmung. Die Opposition gegen die Bewilligungspflicht für Kinderbetreuung bewirkte, dass der Bundesrat die Vorarbeiten zum Vorentwurf unterbrach und die RK-NR ihre Initiative wieder zurückzog [66].
Ende August kam die SVP-Familieninitiative zustande, welche Steuerabzüge für Eltern vorsieht, die ihre Kinder selbst betreuen. Damit soll verhindert werden, dass Familien, die sich im traditionellen Modell organisieren, gegenüber Familien mit Fremdbetreuung steuertechnisch benachteiligt werden [67].
Ende des Berichtsjahres überwies der Nationalrat eine Motion der FDP-Fraktion, welche den Bundesrat auffordert, den kantonalen Vollzug im Bereich der Vorschriften zum Lebensmittelgesetz zu überprüfen. Die Freisinnigen bemängelten deren überaus strenge Anwendung betreffend Kindertagesstätten, welche Lebensmittel an Kinder abgeben. Die Regelungen entsprechen teilweise denjenigen von Restaurants. Der Bundesrat empfahl in seiner Stellungnahme dem Parlament die Motion zur Annahme [68].
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Elternschaftsurlaub
Der Nationalrat nahm im Berichtsjahr ein Postulat Teuscher (gp, BE) an, welches den Bundesrat auffordert zu prüfen, inwiefern Mütter bei aufgeschobenem Mutterschaftsurlaub entschädigt werden könnten. Konkret betreffe dies Fälle, in welchen die Neugeborenen aufgrund einer Krankheit länger im Spital bleiben müssten. Die Entschädigungen des Mutterschaftsurlaubs würden aber erst ab dem Tag ausbezahlt, an dem die Mutter mit ihrem Kind das Spital verlassen kann. Für die Zeit zwischen Niederkunft und Heimkehr entstehe dabei für die Mutter eine erwerbslose Zeit. Die Ratsmehrheit war der Meinung, dieser Missstand solle behoben werden und überwies das Postulat mit 98 zu 83 Stimmen an den Bundesrat [69].
Ohne Erfolg war eine Motion Schmid-Federer (cvp, ZH) zur Einführung eines unbezahlten Vaterschaftsurlaubs. Damit sollte sichergestellt werden, dass Väter einen Anspruch auf eine unbezahlte Freistellung von maximal vier Wochen haben, um die frühkindliche Entwicklung mitzuerleben und die Mutter zu entlasten. Die Motion fand im Nationalrat keine Mehrheit und wurde abgelehnt. Eine ähnliche Forderung stellte der Dachverband der Arbeitnehmer Travailsuisse im Mai. Er verlangte 20 Tage Ferien für alle Väter nach der Geburt eines Kindes und eine Erwerbsersatzrate von 80 Prozent des Lohnes. Die Finanzierung sollte nach Ansicht des Verbands über die Erwerbsersatzordnung (EO) gesichert werden [70].
Der Ständerat nahm in der Herbstsession ein Postulat Fetz (sp, BS) an, welches die Realisierung einer privat finanzierten und freiwilligen Elternzeit forderte. Die Verfasserin des Postulats schlug ein neues, steuerbefreites Sparmodell vor, welches es Eltern ermöglichen soll, für die spätere Finanzierung von Elternzeit oder die Reduktion der Arbeitszeit für die Kindsbetreuung zu sparen. Der Bundesrat, welcher sich bisher stets gegen die Einführung von Elternzeit ausgesprochen hatte, begrüsste den Vorschlag in seiner Stellungnahme aufgrund der Eigenfinanzierung [71].
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Familienzulagen
Die parlamentarische Initiative Fasel (csp, FR), welche bereits 2006 eingereicht wurde, fordert eine Änderung des Familienzulagengesetzes, so dass der Grundsatz „Ein Kind, eine Zulage“ gewahrt würde. Damit sollen zukünftig auch Selbständigerwerbende von Familienzulagen profitieren können. Der Ständerat hatte 2010 erst im zweiten Anlauf beschlossen, auf die Vorlage einzutreten. Die zuständige ständerätliche Kommission lehnte die Gesetzesänderung per Stichentscheid des Kommissionspräsidenten Kuprecht (svp, SZ) ab. In der Beratung während der Frühlingssession im Ständerat gab insbesondere die Frage nach den Familienzulagen für selbständig tätige Landwirte zu reden. Die Kommission hatte gefordert, Bauern ebenfalls zur Zahlung von Kinderzulagen zu verpflichten. Eine Minderheit Schwaller (cvp, FR) verlangte in der kleinen Kammer, dass diese Zulagen weiterhin von Bund und Kantonen gedeckt werden sollten. Diese Abänderung der landwirtschaftlichen Finanzierung sei nicht Ziel und Sinn der parlamentarischen Initiative Fasel und würde zu einer Verschlechterung der finanziellen Lage von Bauernfamilien führen. Die Gegner dieses Antrags argumentierten, es sei aus Gleichbehandlungsgründen nicht vertretbar, wenn Bauern ihren Beitrag an diese Sozialabgaben nicht auch leisten müssten. Eine ständerätliche Mehrheit hiess dann aber den Minderheitenantrag gut und überwies das Gesetz zur Differenzenbereinigung an den Nationalrat, welcher die Änderungen des Ständerates, die unter anderem auch die Einflussnahme der Kantone auf die Beitragssätze der Selbständigerwerbenden betraf, annahm. Der Gesetzesentwurf wurde im Nationalrat in der Gesamtabstimmung mit 98 zu 88 Stimmen gutgeheissen. Dagegen waren die gesamte SVP- und die überwiegende Mehrheit der FDP-Fraktion. In der Schlussabstimmung ebenfalls nur knapp angenommen wurde der Entwurf im Ständerat, nämlich mit 23 zu 20 Stimmen bei einer Enthaltung [72].
Zwei Standesinitiativen, eingereicht von den Kantonen St. Gallen und Aargau, welche beinahe deckungsgleich eine Steuerbefreiung der Kinder- und Ausbildungszulagen forderten, wurden im Frühling im Nationalrat beraten. Die vorberatende ständerätliche Kommission hatte im Vorjahr empfohlen, den Initiativen keine Folge zu geben, da diese Zulagen ebenfalls Lohnbestandteile seien und deshalb versteuert werden sollten. Zudem meinte die ständerätliche Kommission für Wirtschaft und Abgaben, die Kantone müssten durch die ab dem 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Steuerabzugsregeln bereits bedeutende Mindereinnahmen verkraften, die Familien hingegen würden durch diese Neuregelungen bessergestellt. Die zuständige Nationalratskommission folgte dieser Argumentation mehrheitlich. Dennoch entschied sich der Nationalrat zugunsten einer Entlastung des Mittelstandes mit 87 zu 84 Stimmen für Folgegeben. Unterstützung erhielten die Standesinitiativen aus dem links-grünen Lager sowie aus der CVP. In der Wintersession lehnte der Ständerat die Initiativen dann jedoch mit 19 zu 14 Stimmen ab, wodurch beide endgültig erledigt waren [73].
Für das gleiche Begehren setzte sich die CVP ein, welche im Mai eine eidgenössische Volksinitiative mit dem Titel „Familien stärken! Steuerfreie Kinder- und Ausbildungszulagen“ lancierte. Die Partei fordert eine Anpassung des Bundesverfassungsartikels über die Familienzulagen, so dass darin die Steuerbefreiung der Kinder- und Ausbildungszulagen verankert wird [74].
Nach der vierten Fristverlängerung vom Nationalrat endgültig abgeschrieben wurden die beiden parlamentarischen Initiativen Fehr (sp, ZH) und Meier-Schatz (cvp, SG) zur Schaffung der gesetzlichen Grundlagen zur landesweiten Gewährung von Ergänzungsleistungen für Familien nach dem Tessiner Modell. Die zuständige Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats riet dem Rat, die Initiativen abzuschreiben, da Ergänzungsleistungen nach wie vor auf kantonaler Ebene geregelt werden sollten und kantonale Stellen besser auf die jeweiligen gesellschaftlichen Realitäten in den Kantonen eingehen könnten. Eine Minderheit Robbiani (cvp, TI) forderte eine Fristverlängerung um weitere zwei Jahre unter anderem mit der Begründung, dass Familienarmut in der Schweiz nach wie vor ein ungelöstes Problem sei. Nur eine knappe Mehrheit folgte dem Antrag der Kommission und schrieb die Initiativen mit 97 zu 90 Stimmen ab [75].
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Ehe- und Scheidungsrecht
Im Januar kommunizierte das Justiz- und Polizeidepartement, dass sich die Revision des Gesetzes über das Sorgerecht im Scheidungsfall um ein Jahr verzögere. Grund dafür war das Konfliktpotential der Vorlage, welches während der Vernehmlassung sichtbar wurde. Nebst Fragen des Sorgerechts, wo sich insbesondere Väterorganisationen für eine ausgeglichenere Lösung einsetzten, wurden auch unterhaltsrechtliche Aspekte kontrovers diskutiert und von Frauenorganisationen und juristischen Verbänden kritisiert. Auf Einladung von Bundesrätin Sommaruga diskutierten im April an einem Runden Tisch Vertreter von Mütter- und Väterorganisationen über die geplante Vorlage. Aufgrund der grossen Kontroversen um die Verknüpfung der Sorgerechts- und Unterhaltsfragen beschloss der Bundesrat im Mai, die beiden Probleme unabhängig voneinander zu behandeln. Daraufhin beriet der Nationalrat im September eine Motion seiner Kommission für Rechtsfragen mit der Forderung nach einem gemeinsamen Sorgerecht als Regel im Scheidungsfall. Zudem sah die Vorlage in einem zweiten Schritt eine Revision des Unterhalts- und Betreuungsrechts von Eltern vor, die nicht oder nicht mehr in einem Eheverhältnis leben. Der Nationalrat folgte seiner Kommission und überwies die Motion an den Ständerat, welcher sie ebenfalls annahm [76].
Der Bundesrat möchte Zwangsehen effektiver bekämpfen und präsentierte daher im Februar seine Botschaft zum Bundesgesetz über Massnahmen gegen Zwangsheiraten. Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem vor, das Strafgesetzbuch um einen eigenständigen Tatbestand zu ergänzen, so dass Zwangsehen konsequent bestraft werden können. Siehe dazu auch die Ausführungen in Teil I, Kapitel 1b (Zivilrecht). [77].
Die parlamentarische Initiative Leutenegger Oberholzer (sp, BL) zur Neuregelung des ehelichen Namensrechts stand im Berichtsjahr im Ständerat zur Debatte. Das Vorhaben hatte zum Ziel, die Gleichstellung der Ehegatten zu gewährleisten. Zudem sollte die Wahl des Familiennamens für die Kinder den Eltern überlassen werden; eine gesetzliche Regelung sollte nur bei Uneinigkeit zum Tragen kommen. Der Nationalrat hatte die parlamentarische Initiative bereits 2009 behandelt und mit einer Rückweisung an die RK-NR auf eine umfassende Neuregelung des Namensrechts verzichtet. Die RK-SR entschied jedoch, den ersten, umfassenden Entwurf der RK-NR zu beraten. Der Ständerat beschloss im Juni ohne Gegenstimme, auf die Vorlage einzutreten. Die RK-SR brachte verschiedene Anträge ein, welchen der Rat geschlossen folgte. Der Ständerat sprach sich dafür aus, dass beide Ehegatten ihren jeweiligen Namen behalten können. Falls gewünscht, könnten sie aber auch einen gemeinsamen Familiennamen wählen – denjenigen der Frau oder des Mannes. Für die Kinder soll ein Familienname von den Brautleuten gewählt werden, der bis ein Jahr nach der Geburt des ersten Kindes noch geändert werden könnte. Im Gegensatz zum Nationalrat war die Beratung in der kleinen Kammer von grosser Einigkeit und Sachlichkeit geprägt. Der Ständerat nahm den Entwurf mit 38 zu 0 Stimmen bei 2 Enthaltungen an. Dieser ständerätliche Entwurf ging im Herbst zurück an den Nationalrat, wo wiederum eine ausführliche Debatte stattfand. Eine Minderheit Nidegger (svp, GE) verlangte, am nationalrätlichen Minimalentwurf festzuhalten, weil ein gemeinsamer Familienname die Identität festige und der progressive Entwurf des Ständerates einer ‚à la carte‘-Namenslösung gleichkomme. Gefordert wurde zudem in zwei Minderheitsanträgen eine Regelung im Falle von Uneinigkeit: Familien sollten bei Dissens über den Familiennamen ihren Kindern zwingend den Namen des Bräutigams geben müssen. Sämtliche Minderheitsanträge wurden jedoch von einer Mitte-Links Mehrheit abgelehnt. In der Schlussabstimmung wurde die neue Gesetzgebung im Nationalrat mit 117 zu 72 Stimmen und im Ständerat mit 32 zu 6 Stimmen angenommen [78].
Der Nationalrat schrieb in der Herbstsession eine parlamentarische Initiative Hubmann (sp, ZH) zur Änderung der Rentenzahlungen nach Eintritt eines Vorsorgefalls für Geschiedene ab. Dieser Entscheid erfolgte auf Anraten der nationalrätlichen Rechtskommission, welche zu bedenken gab, dass der Bundesrat bereits einen Vorentwurf zur Anpassung des Gesetzes in die Vernehmlassung gegeben habe und dieser danach vom EJPD angepasst und voraussichtlich 2012 dem Bundesrat unterbreitet werden würde [79].
In der Wintersession behandelte der Nationalrat ein Postulat der BDP-Fraktion, welches vom Bundesrat Lösungsvorschläge zur künftigen zivilstandsunabhängigen Bemessung von Renten und Steuern forderte. Konkret solle die Landesregierung damit die Gleichbehandlung von unverheirateten Paaren mit Ehepaaren sowohl im Steuerbereich als auch bei der der 1. und 2. Säule und den Sozialversicherung sicherstellen. Während die SVP-Fraktion geschlossen gegen das Postulat stimmte, nahmen sämtliche anderen Parteien das Postulat an und überwiesen es mit 132 zu 51 Stimmen [80].
Die Motion Bischof (cvp, SO) zur Beseitigung der Heiratsstrafe – also der Behebung der steuerlichen Benachteiligung von Verheirateten gegenüber Konkubinatspaaren und Alleinstehenden – wurde im Sommer vom Nationalrat angenommen. Die Vorlage wird detailliert bei den Steuern in Teil I, Kapitel 5 (Impôts directs) behandelt [81].
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Alternative Lebensformen
Verbände, die sich für homo- und bisexuelle Anliegen einsetzen, wehrten sich auch im Berichtsjahr gegen das Adoptionsverbot für gleichgeschlechtliche Paare. Aus diesem Grund versammelten sich ihre Vertreter im Mai in Bern zu einer Demonstration. Ihre Unzufriedenheit mit dem Verbot ist insbesondere darin begründet, dass Homosexuelle die Kinder ihrer Partner nicht adoptieren können, was im Falle eines Todesfalls des Partners besonders gravierend ist, da diese Personen die Kinder des Partners teilweise über Jahre miterzogen haben und über keinerlei Rechte verfügen. Das Bundesgericht wies im Berichtsjahr die Beschwerde einer Klägerin ab, welche in einer eingetragenen Partnerschaft lebt und das Kind ihrer Partnerin adoptieren wollte. Die Klägerin zog das Urteil Ende des Berichtsjahres an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg weiter, wo die Beschwerde Ende des Jahres noch hängig war [82].
Der Nationalrat bestätigte seine ablehnende Haltung in der Herbstsession, als er nicht auf eine Petition des Vereins Familienchance eintrat, welche die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren gegenüber heterosexuellen Paaren im Bereich des Eltern- und Adoptionsrechts forderte. Im Gegensatz dazu sprach sich die Rechtskommission des Ständerats im November dafür aus, dass Paare in eingetragener Partnerschaft Kinder adoptieren dürfen [83].
 
[56] Mo. 09.3026 (Prelicz-Huber), Pa.Iv. 09.520 (John-Calame): AB SR, 2011, S. 197; AB NR, 2011, S. 2093 ff.; TA, 10.3.11; Presse vom 11.3.11; NZZ, 16.12.11; vgl. SPJ 2009, S. 236.
[57] Mo. 09.4107: AB SR, 2011, S. 197; vgl. SPJ 2010, S. 266.
[58] SGT, 5.1.11.
[59] Mo. 10.3524: AB NR, 2011, S. 108 ff.; AB SR, 2011, S. 490; SN, 1.3.11; NZZ, 3.3.11; vgl. SPJ 2010, S. 267.
[60] NZZ und 24H, 5.3.11.
[61] BBl, 2011, S. 5878; SN, 23.2.11; NZZ, 30.6.11; vgl. SPJ 2010, S. 266.
[62] BBl, 2011, S. 6551 f.; NZZ, 5.7.11; vgl. SPJ 2010, S. 266.
[63] SGT, 11.1.11.
[64] Mo. 09.3883: AB NR, 2011, S. 755 ff.; AB SR, 2011, S. 1069.
[65] NZZ, 15.4.11.
[66] Pa.Iv. 10.508: Medienmitteilung RK-S vom 1.2.11 und RK-N vom 11.11.11; vgl. SPJ 2010, S. 267 f.
[67] BBl, 2011, S. 6671 ff.; Exp. 12.7.11; vgl. SPJ 2010, S. 266.
[68] Mo. 11.4028: AB NR, 2011, S. 2264.
[69] Po. 10.4125: AB NR, 2011, S. 1263.
[70] Mo. 11.3361: AB NR, 2011, S. 1841; NLZ, 6.5.11.
[71] Po. 11.3492: AB SR, 2011, S. 770 f.; NZZ, 15.9.11.
[72] Pa.Iv. 06.476: AB SR, 2011, S. 24 ff. und 339; AB NR, 2011, S. 147 f. und 555; NZZ, 2.2. und 2.3.11; Lib., 19.3.11; vgl. SPJ 2010, S. 269.
[73] Kt.Iv. 08.302 (St. Gallen), Kt.Iv. 08.308 (Aargau): AB NR, 2011, S. 415; AB SR, 2011, S. 1161; AZ, 28.2.11; SGT, 16.3.11.
[74] BBl, 2011, S. 3799 ff.
[75] Pa.Iv. 00.436 (Fehr), Pa.Iv. 00.437 (Meier-Schatz): AB NR, 2011, S. 1254 ff.; NZZ, 18.6.11; vgl. SPJ 2003, S. 253.
[76] Mo. 11.3316: AB NR, 2011, S. 1824 ff.; AB SR, 2011, S. 1054; NZZ, 13.1., 16.4. und 26.5.11., NLZ, 27.1.11.
[77] BBl, 2011, S. 2185 ff.; BaZ, 24.2.11.
[78] Pa.Iv. 03.428: AB SR, 2011, S. 477 ff. und 1035; AB NR, 2011, S. 1756 ff. und 1865; Presse vom 7.6., 8.6. und 29.9.11; 24H, 11.10.11; vgl. SPJ 2009, S. 238.
[79] Pa.Iv. 07.454: AB NR, 2011, S. 1837 f.
[80] Po. 11.3545: AB NR, 2011, S. 2262.
[81] Mo. 10.4127: AB NR, 2011, S. 1263; SGT, 26.2.11.
[82] SN, 23.4.12; AZ, 6.5.11; NZZ, 9.5.11; SoS, 22.12.11.
[83] Pet. 11.2012: AB NR, 2011, S. 1835 ff.; NZZ, 1.10.11; TA, 17.11.11.