Année politique Suisse 2012 : Infrastruktur und Lebensraum / Verkehr und Kommunikation
Eisenbahnverkehr
Eine im Mai im Ständerat eingereichte Motion Janiak (sp, BL) fordert vom Bundesrat Massnahmen zur und Ausnahmen von der bestehenden
Trassenprioritätsordnung im Eisenbahngesetz. Den Interessen des Schienengüterverkehrs soll so mehr Achtung zukommen. Der Bundesrat verwies auf laufende Bemühungen und beantragte die Annahme der Motion. Stände- und Nationalrat überwiesen das Geschäft Ende Jahr
[27].
Im September überwies der Nationalrat ein Postulat Grossen (glp, BE), welches den Bundesrat beauftragt, Anpassungen der
Trassenprioritäten zu prüfen, um das Verlagerungsziel im Güterverkehr zu erreichen. Trassenausbauten würden gemäss Postulat oft vom Personenverkehr beansprucht, auch wenn diese ursprünglich für den Güterverkehr geplant waren. Dies sei der Umsetzung des Verlagerungszieles hinderlich. Der Bundesrat äusserte in seiner Stellungnahme die Bereitschaft, die Kapazitätssicherung des Güterverkehrs zu prüfen. Das Postulat wurde mit 129 zu 54 Stimmen überwiesen
[28].
Das
brachliegende Potenzial von Eisenbahnnebenstrecken nutzbar zu machen ist das Ziel eines Postulats Fetz (sp, BS). Das Postulat beauftragt den Bundesrat mit der Erstellung einer Übersicht über die bestehenden Eisenbahnnebenstrecken, welche mit geringem Aufwand (für Verbindungskurven und Kreuzungspunkte) für den Schienengüterverkehr genutzt werden könnten. Der Ständerat überwies das Postulat Ende September stillschweigend
[29].
Im Juni des Berichtjahres gab der Bundesrat die elfte Tranche für die Anbindung der schweizerischen Bahninfrastruktur an das
europäische Bahn-Hochleistungsnetz (HGV) frei. Vier Vorhaben sollen realisiert werden: Der Ausbau der Station Roggwil-Berg (20.8 Mio. CHF), der Ausbau von mehreren Bahnhöfen zwischen Delsberg und Delle (17.1 Mio. CHF), der Ausbau auf Doppelspur zwischen Hüntwangen und Rafz (Strecke Zürich-Schaffhausen bzw. -Stuttgart) sowie ein Spurwechsel in Schaffhausen (2.1 Mio. CHF)
[30].
Ein Postulat Baumann (cvp, UR) verlangt vom Bundesrat die Ausarbeitung eines Konzepts zur
zukünftigen Nutzung der Bahninfrastruktur auf der Gotthard-Bergstrecke, deren Nutzung sich mit der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels drastisch verändern wird. Der Ständerat überwies das Postulat Ende September
[31].
In der Frühjahrssession versuchte das Parlament, die Differenzen zur Bahnreform 2 zu bereinigen. Es ging dabei hauptsächlich um die Frage, welche Rolle der
Preisüberwacher in der
Tarifgestaltung des öffentlichen Verkehrs spielen soll. Der Ständerat beharrte im Februar des Berichtsjahres auf dem von ihm 2011 aufgenommen Passus, welcher dem Preisüberwacher eine beratende Rolle im Tarifgestaltungsprozess zuschreibt, ihm aber das Veto bezüglich der Tarife entzieht. Der Nationalrat nahm diesen Punkt im März des Berichtjahres auf. Die Fraktionen wiesen grossmehrheitlich darauf hin, dass es eben zur Rolle des Preisüberwachers gehöre, unbequem zu sein. Es sei aus institutionellen Gründen falsch, dem Preisüberwacher das Veto über die Tarife zu entziehen, da er eine Kontroll- und nicht eine Gestaltungsfunktion innehabe. Nur die CVP/EVP-Fraktion stellte sich hinter die Änderung des Ständerats und unterstützte Bundesrätin Leuthard, welche sich ebenfalls für diese Lösung stark machte. Der Nationalrat lehnte die Änderung des Ständerates mit 151 zu 29 Stimmen ab und gab das Geschäft zurück in die kleine Kammer. Die KVF-SR beantragte ihrem Rat in der Folge, den Passus zu streichen und die Rolle des Preisüberwachers zu belassen. Der Ständerat folgte seiner Kommission, wies aber darauf hin, dass damit eine Chance verpasst worden sei, den alten Konflikt zwischen dem Preisüberwacher des Bundes und den SBB, welche als Bundesbetrieb unter anderem den Gewinnvorgaben des Bundes Folge leisten und dazu entsprechende Tarife einführen muss, zu beseitigen. Die so bereinigte Vorlage wurde Mitte März des Berichtsjahres in beiden Räten einstimmig angenommen
[32].
Im Rahmen der Bahnreform 2 schloss der Bundesrat per Anfang Dezember eine Gesetzeslücke, welche das
Büssen von Schwarzfahrern betrifft. Das Bundesgericht hatte im Februar 2011 eine Bestimmung zum Büssen von Schwarzfahrern wörtlich ausgelegt, was zur Folge hatte, dass nur jene Schwarzfahrer gebüsst werden konnten, welche über eine Fahrkarte verfügen, diese aber nicht entwertet hatten, nicht aber jene, die gar keine Fahrkarte auf sich trugen. Ab Dezember können auch Schwarzfahrer ohne Billett von den Transportunternehmungen juristisch hieb- und stichfest gebüsst werden
[33].
Im März des Berichtjahres unterbreitete der Bundesrat dem Parlament die Botschaft zu den Bundesbeschlüssen über die
Leistungsvereinbarung zwischen dem Bund und der SBB für die Jahre 2013-2016, über den Zahlungsrahmen der Finanzierung der Infrastruktur der SBB und über die Finanzierung der Infrastruktur der schweizerischen Privatbahnen für denselben Zeitraum. Die Leistungsvereinbarungen mit den Privatbahnen werden neu statt für zwei für vier Jahre abgeschlossen. Der Bund stellte für den Ausgleich von ungedeckten Kosten in Betrieb und Unterhalt der Eisenbahninfrastruktur sowie zur Finanzierung von Investitionen für die Jahre 2013-2016 insgesamt 9,449 Mia. CHF bereit (SBB: 6,624 Mia.; Privatbahnen: 2,825 Mia.). Der Bund kompensiert die Aufstockung der Beträge durch eine Reduktion der Speisung des FinöV-Fonds um 650 Mio. CHF. Die Zielsetzungen für die Eisenbahninfrastruktur 2013-2016 bleibt im Wesentlichen gleich, sie umfasst die Gewährleistung eines hohen Sicherheitsniveaus und der Leistungsfähigkeit des Netzes, eine optimale Nutzung der vorhandenen Kapazitäten, eine Verbesserung der Interoperabilität sowie eine Erhöhung der Produktivität. Die Bundesbeschlüsse waren im Parlament unumstritten: Sie wurden im Ständerat im Juni und im Nationalrat im September des Berichtjahres ohne Gegenstimme gutgeheissen. Verschiedentlich wurde festgehalten, dass die Einstimmigkeit mit dem Wechsel zur FABI wohl ein Ende finden werde
[34].
Mitte Juni des Berichtjahres kündigten die SBB einen Wechsel im
Verwaltungsrat an: Christiane Brunner und Bernd Malmström traten aus dem Verwaltungsrat aus, als Nachfolger von Brunner wurde der langjährige Nationalrat und Verkehrspolitiker Andrea Hämmerle gewählt. Für Malmström wurde keine Nachfolge bestellt, der Verwaltungsrat der SBB kehrte damit zu seinem Regelbestand von neun Personen zurück
[35].
Die bereits vor Ostern durchgeführte
Kampagne gegen Taschendiebstähle im Zug wurde auch vor Weihnachten 2012 wieder aufgenommen. Auf den Strecken Basel-Interlaken, Basel-Chur, Basel-Luzern sowie Basel-Mannheim informierten gemischte Patrouillen der Transportpolizei der SBB und der deutschen Bundespolizei die Fahrgäste über die Tricks von Taschendieben und über einfache Vorsichtsmassnahmen. Die Zunahme von Diebstählen und Gewalt in Zügen wurde im Berichtsjahr von den Medien thematisiert. Im ersten Halbjahr 2012 habe die Gewalt gegen SBB-Personal um 20%, jene gegen andere Bahnkunden um 93% zugenommen. Diebstähle seien um 60% häufiger vorgekommen als im Vorjahr. Die SBB mahnte jedoch zur vorsichtigen Verwendung dieser Zahlen, da die Einstufung von Vorfällen zuweilen schwierig sei
[36].
Mit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember hat die SBB ihr
Angebot ausgebaut: RegioExpress-Züge zwischen Genf und Lausanne fahren fortan im Halbstundentakt und alternierend nach Vevey oder nach Palézieux-Romont. Das Sitzplatzangebot hat auf dieser Strecke damit um 33 Prozent zugenommen, 13 neue Doppelstockzüge sind im Einsatz. Eine weitere bedeutende Neuerung ist der Halbstundentakt zwischen Zürich und Schaffhausen. Dieser wird mit einem neuen RegioExpress erreicht, welcher die bestehenden InterCity- und InterRegio-Verbindungen ergänzt. Im internationalen Personenverkehr baute die SBB ihr Angebot ebenfalls aus: Auf Verbindungen zwischen Zürich und Österreich ist seit Fahrplanwechsel ein sechstes Paar Railjets unterwegs. Die Reisezeit von Zürich nach Wien verkürzt sich um 20 Minuten. Die TGV Lyria, Tochtergesellschaft der französischen Staatsbahn und der SBB, baute ihre Verbindungen zwischen Frankreich und der Schweiz ebenfalls aus: Die TGV-Verbindung Paris-Bern wird bis Interlaken Ost weitergeführt. Auch das Angebot im Regionalverkehr wurde vergrössert, mit einzelnen zusätzlichen Zügen, neuem Rollmaterial und neuen Haltestellen. Zudem hat die SBB die Benutzerfreundlichkeit der Billettautomaten erhöht und die SBB Applikation für Mobiltelefone verbessert. 70 Prozent der verkauften Billetts werden von den Kunden am Automaten oder via App in Selbstbedienung gekauft
[37].
Nachdem bekannt worden war, dass sich die Firma Apple unrechtmässig der
Bahnhofsuhr bediente, indem sie diese ohne Absprache mit der SBB auf ihren Geräten iPad und iPhone verwendet hatte, wurde im Oktober eine Lizenzvereinbarung unterzeichnet. Über die Höhe der Lizenzgebühr und die weiteren Einzelheiten der Regelung wurden keine Auskünfte erteilt, Medien schrieben aber von rund 20 Mio. CHF
[38].
Per 1. Mai 2013 soll das Personal der SBB individuelle
Lohnerhöhungen im Umfang von insgesamt 0.75 Prozent der Lohnsumme erhalten. Zwei Drittel der Lohnerhöhungen fliessen in die individuelle Lohnentwicklung, ein Drittel dient als Bonus, um gute Leistungen der Mitarbeitenden zu honorieren. Die Gewerkschaften verzichteten darauf, gegen dieses Lohnangebot vorzugehen
[39].
Im März 2013 teilten die SBB ihre
Betriebszahlen für 2012 mit. Die Anzahl beförderter Passagiere nahm von 977 000 pro Tag (2011) auf 967 000 pro Tag ab. Die Anzahl Personenkilometer sank von 17,75 Mia. (2011) auf 17,54 Mia. (2012). Die SBB begründeten den Rückgang mit dem schwierigen Umfeld: Schwächere Konjunktur, hoher Frankenkurs, rückläufige Nachfrage im Tourismussektor. Vor allem der Freizeit- und Tourismusverkehr nahm ab, während der Pendlerverkehr weiter wuchs. Der Rückgang der Personenkilometer im nationalen Fernverkehr konnte von den gesteigerten Personenkilometern im Nahverkehr nicht aufgefangen werden. Im Güterverkehr resultierte erneut ein Betriebsverlust. Dieser ist auf die europaweite Schwäche der Konjunktur zurückzuführen sowie auf den Abbau industrieller Kapazitäten in der Schweizer Papier- und Metallindustrie. Die dreimalige Sperrung der Gotthardachse wegen Felsstürzen bei Gurtnellen verschlechterte das Ergebnis zusätzlich. SBB Cargo blieb mit 12,13 Mia. Nettotonnenkilometern 1,7% unter den Vorjahreszahlen. Das Konzernergebnis 2012 betrug 422,5 Mio. CHF und lag damit deutlich über dem letztjährigen (2011: 338,7 Mio. CHF). Bereinigt um Einmaleffekte und Rückstellungsauflösungen fiel das Ergebnis nur leicht besser aus als im Vorjahr. Dank höherer Billettpreise stieg das Ergebnis im Personenverkehr von 213,9 Mio. CHF (2011) auf 268,9 Mio. CHF (2012). Im Güterverkehr wuchs das Defizit von 45,9 Mio. CHF (2011) auf 51,2 Mio. CHF (2012). Im Immobiliensegment konnte das Ergebnis erneut gesteigert werden (auf 192,4 Mio. CHF, 2011: 182,5 Mio. CHF). Da Trassen- und Energiepreise weiter steigen werden und noch Nachholbedarf im Unterhalt der Infrastruktur besteht, wird der Produktivitäts- und Effizienzdruck auf die SBB in den nächsten Jahren wohl weiter zunehmen
[40].
Die
SBB Cargo bediente ab dem Fahrplanwechsel im Dezember 2012 nur noch drei Viertel der bisher benutzten Bahnhöfe. An 128 Bahnhöfen werden keine Güterwagen mehr abgeholt oder zugestellt, betroffen sind aber nur Bahnhöfe mit einer Frequenz von weniger als einem Wagen pro Tag. Die SBB Cargo versucht seit Jahren, schwarze Zahlen zu schreiben
[41].
[27] Mo. 12.3419:
AB SR, 2012, S. 828;
AB NR, 2012, S. 2241.
[28] Po. 12.3311:
AB NR, 2012, S. 1791.
[29] Po. 12.3640:
AB SR, 2012, S. 830.
[31] Po. 12.3521
: AB SR, 2012, S. 830.
[32] BRG 05.028:
BBI, 2005, S. 2415
, AB SR, 2012, S. 31 und 267,
AB NR, 2012, S. 256 und 551; zu den Differenzen siehe
SPJ
2011, S. 254.
[33]
NZZ, 18.10.
,
SPJ
2011, S. 253.
[34] BRG 12.038:
BBI, 2012, S. 4015,
AB SR, 2012, S. 506,
AB NR, 2012, S. 1607.
[35] Medienmitteilung
SBB vom 15.6.12.
[36]
BZ, 20.7.; Medienmitteilung
SBB vom 3.12.12.
[37] Medienmitteilung
SBB vom 8.11.12.
[38] Medienmitteilung
SBB vom 12.10.12,
TA, 10.11.12.
[39] Medienmitteilung
SBB vom 5.12.12.
[40] Medienmitteilung
SBB vom 26.3.12.
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